Obligation
(lat. Obligatio, »Verbindlichkeit«),
das zwischen zwei
Personen bestehende Rechtsverhältnis, vermöge dessen die eine (der
Schuldner, lat.
Debitor) der andern (dem
Gläubiger, lat.
Creditor) zu einer Leistung verpflichtet ist. Die Obligation
charakterisiert sich also für den
Gläubiger als ein
Recht auf eine Leistung
(Forderung) und für den
Schuldner als die Verpflichtung zu einer
Handlung, sei es
zu einem
Thun oder zu einem Unterlassen (Verbindlichkeit,
Schuld, Rechtspflicht). Auch für jede dieser beiden Seiten des Rechtsverhältnis,
für die
Forderung wie für die
Schuld, wird der
Ausdruck Obligation
gebraucht, und nicht selten wird damit auch der Verpflichtungsgrund,
also z. B. der
Vertrag, welcher die Obligation
begründete, bezeichnet.
Endlich nennt man auch den zum
Beweis einer
solchen Verpflichtung ausgestellten
Schuldschein Obligation
, namentlich, wenn es sich um Staatsschuldbriefe u. dgl.
handelt. Der Inbegriff der Rechtsgrundsätze über die Obligationen
bildet einen wichtigen
Bestandteil des
Privatrechts überhaupt:
das Obligation
enrecht oder das
Recht der
Forderungen.
Einteilung der Obligationen:
Der im römischen
Recht wichtige Unterschied zwischen Obligatio naturalis und civilis
(Natural-
und Zivilobligation
), mit welch letzterm
Ausdruck man die klagbare Obligation
bezeichnete, während bei der
Naturalobligation dem
Gläubiger
kein Klagerecht zustand, ist heutzutage ohne praktische Bedeutung. Dagegen kann man noch jetzt zwischen einseitigen und zweiseitigen
Obligationen
unterscheiden. Bei den letztern ist nämlich jeder von beiden Kontrahenten zugleich
Gläubiger und
Schuldner,
insofern nämlich, als jeder von beiden von dem andern eine Leistung fordern kann dafür aber auch zu einer Gegenleistung
verpflichtet ist.
Dies ist z. B. beim
Kauf der
Fall. Bei den einseitigen Obligationen
dagegen besteht
nur für den einen Teil,
z. B. für den Schenkgeber, eine Verpflichtung und
nur für den andern, z. B. für den Beschenkten, ein Forderungsrecht. Eine
weitere
Einteilung ist die in
Geschäfts- u. Deliktsobligationen
, je nachdem der Obligation ein
Rechtsgeschäft, eine erlaubte
Handlung
(Vertrag, letztwillige
Verfügung) oder eine unerlaubte
Handlung, ein
Delikt, zu
Grunde liegt.
Letzteres verpflichtet
nämlich den Verletzenden, dem Verletzten
Schadenersatz zu leisten, begründet also eine einseitige Obligation.
Die Geschäftsobligationen
sind die Obligationen
aus
Verträgen
(Kontrakten), deren Zahl und Klagbarkeit im römischen
Recht eine beschränkte war, während
nach deutschem
Recht in der
Regel jeder
Vertrag (s. d.) klagbar ist. Übrigens ist die
Einteilung in
Geschäfts-
und Deliktsobligationen
insofern keine erschöpfende, als gewisse Schuldverbindlichkeiten, wie z. B.
die Alimentationspflicht des
Vaters den
Kindern gegenüber, unmittelbar
¶
mehr
durch gesetzliche Bestimmung begründet sind. Eine weitere Verschiedenheit der Obligationen besteht darin, daß bei den einen nur Ein Gläubiger Einem Schuldner gegenübersteht, während bei andern mehrere Gläubiger oder mehrere Schuldner oder auf beiden Seiten mehrere Personen im Obligationsverhältnis stehen. Der Regel nach tritt hier von selbst eine Teilung der Forderung, resp. der Schuld ein; es sind so viele Obligationen, als es Gläubiger oder Schuldner sind.
Wenn ich z. B. drei Personen 60 Mk. schulde, so bin ich eben jeder einzelnen 20 Mk. schuldig, und es liegen so drei Obligationen vor. Anders wenn die mehreren Gläubiger solidarisch, d. h. aufs Ganze, berechtigt (Correi credendi) oder die mehreren Schuldner (Correi debendi) solidarisch (»einer für alle, alle für einen«) verpflichtet sind, wie dies bei der sogen. Korrealverbindlichkeit (s. d.), z. B. bei den Mitgliedern einer offenen Handelsgesellschaft, welche für die Gesellschaftsschulden solidarisch haften, der Fall ist. Je nachdem der Gegenstand der Leistung ein bestimmter, einzelner ist, oder je nachdem es sich um mehrere Gegenstände handelt oder endlich von mehreren Leistungen eine wahlweise gefordert werden kann, wird zwischen einfacher (Obligatio simplex), mehrheitlicher (copulativa) und zur Wahl berechtigender Obligation (Obligatio alternativa) unterschieden.
Allgemeine Rechtsgrundsätze über die Obligationen: Aus dem Begriff der Obligation folgt, daß der Gegenstand derselben niemals unmittelbar eine Sache, sondern nur eine Handlung sein kann;
sei es ein Geben, wie z. B. die Übergabe der Ware seitens des Verkäufers an den Käufer, sei es ein Thun, wie z. B. die Verrichtung von Dienstleistungen bei dem Dienstmietvertrag, sei es ein Unterlassen oder Dulden, so z. B., wenn ich mich verpflichte, einem andern zu gestatten, daß er von meinen Sachen diese oder jene an sich nehme.
Die Handlung, welche den Gegenstand der Obligation bildet, muß physisch möglich und rechtlich erlaubt sein (impossibilium nulla est obligatio). Auch darf diese Handlung für den Gläubiger nicht ohne alles Interesse, und sie darf ebensowenig lediglich von dem Willen des Schuldners abhängig gemacht sein, weil ja dann gar keine Verpflichtung vorliegen würde. Der Regel nach gehen alle Forderungen aktiv und passiv, d. h. die Berechtigung ebenso wie die Schuld, auf die Erben über, es müßte sich denn um sogen. höchst persönliche Ansprüche, d. h. um solche Forderungen handeln, die so eng mit der Person des Schuldners oder Gläubigers verknüpft sind, daß sie, wie z. B. die gesetzliche Alimentationspflicht, mit dem Tode des Berechtigten oder Verpflichteten ihr Ende erreichen.
Unter Lebenden wird der Eintritt eines neuen Gläubigers an die Stelle des bisherigen namentlich durch Zession (s. d.) vermittelt, während auf der andern Seite das Eintreten oder Hinzutreten eines neuen Schuldners durch Interzession (s. d.) bewirkt wird. Beendigt wird eine Obligation zunächst durch ihre Erfüllung (Leistung, Zahlung), durch Kompensation (s. d.), durch Verzicht, Vergleich, gegenseitige Übereinkunft, Konfusion (s. d.), Novation (s. d.) und zuweilen auch durch Widerruf, wie bei dem Mandat, endlich durch den Tod des Berechtigten oder Verpflichteten.
Die konsequente Aus- und Durchbildung, welche das Obligationenrecht, derjenige Teil des Privatrechts, welcher im praktischen Leben am meisten zur Anwendung kommt, bei den Römern erfahren, macht es erklärlich, daß trotz der veränderten Lebens- und Verkehrsverhältnisse die römisch-rechtlichen Satzungen noch jetzt zum weitaus größten Teil die Grundlage unsers heutigen Obligationenrechts bilden, wenn auch in mancher Hinsicht die deutsche Rechtsanschauung den Sieg davongetragen hat. So war den Römern das heutzutage so wichtige Institut der Inhaber- und Orderpapiere und namentlich der Begriff des Wechsels, welcher im modernen Recht eine so weit ausgedehnte Anwendung gefunden hat, völlig fremd, und ebenso beruht das Handelsrecht (s. d.) nur zum Teil auf römisch-rechtlicher Grundlage. S. Deutsches Recht.
Vgl. v. Savigny, Obligationenrecht (Leipz. 1851-1853, 2 Bde.);
Hartmann, Die Obligation (Erlangen [* 3] 1875);
Ryck, Die Lehre [* 4] von den Schuldverhältnissen (Berl. 1883 ff.);
Koch, Das (preußische) Recht der Forderungen (2. Aufl., das. 1858-59, 3 Bde.);
Hasenöhrl, Österreichisches Obligationenrecht (Wien [* 5] 1881 ff.);
Kuntze, Die Obligationen im römischen und heutigen Recht (Leipz. 1886).