(Berner) (Kt. Bern).
Politisch und Historisch. Das Oberland ist einer der sechs Landesteile des Kantons Bern
und zwar deren
ganz im Alpengebiet gelegener südlichste. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die Darstellung
der geschichtlichen, politischen und kirchlichen Verhältnisse und verweisen im Uebrigen auf den Art. Bern
(Kanton), auf die Artikel
über die einzelnen Amtsbezirke und auf die die verschiedenen Gruppen (z. B. Finsteraarhorn) der Berner Alpen betreffenden Artikel.
Man unterscheidet zwischen dem engern und weitern Oberland. Jenes umfasst die beiden Aemter Oberhasle
und Interlaken, dieses ausser denselben noch die Aemter Frutigen, Nieder Simmenthal, Ober Simmenthal, Saanen und Thun mit einer
Gesamtbevölkerung von 102034 Ew. deutscher Sprache und reformierter Konfession (ausschliesslich 3100 Katholiken, die zum
grössten Teil nach
mehr
Thun und Interlaken eingepfarrt sind). Die Hauptorte der Amtsbezirke sind Meiringen, Interlaken, Frutigen, Wimmis, Zweisimmen-Blankenburg,
Saanen und Thun. Die ganze Landschaft ist in 13 bernische Grossratswahlkreise eingeteilt, die zusammen 40 Abgeordnete bestellen.
Es sind die Wahlkreise Oberhasle, Brienz, Unterseen, Gsteig, Zweilütschinen, Frutigen, Saanen, Ober Simmenthal, Nieder Simmenthal,
Hilterfingen, Thun, Steffisburg und Thierachern. 82 politische Gemeinden und 42 Kirchgemeinden.
Mit Hinsicht auf das Volksschulwesen umfasst das Oberland 3 Inspektoratskreise und 424 Schulklassen mit 19445 Schulkindern,
ausserdem 17 Sekundarschulen mit 1320 Schülern und ein Progymnasium mit 145 Schülern. Auf 1000 Ew. kommen im Oberland 61 Unterstützte
(im ganzen Kanton 55). Die oberländische Armenanstalt befindet sich im ehemaligen Schloss Utzigen bei
Vechigen (Amtsbezirk Bern). Jeder Amtsbezirk hat sein eigenes Bezirkskrankenhaus. Ausserdem sind zu nennen die Heilstätte
für Lungenkranke (Lungensanatorium) in Heiligenschwendi und die Anstalt für Chronischkranke in Spiez (Stiftung der bernischen
Landeskirche). Das Oberland ist in 6 Forstkreise eingeteilt; Thun und Interlaken sind Sitz je eines Bezirksingenieurs.
Die Landschaft bildet ferner einen Schwurgerichtskreis mit Thun als Sitz der Verhandlungen und endlich einen eidgenössischen
Wahlkreis, der 5 Vertreter in den Nationalrat sendet.
Die das bernische Oberland bildenden Quellgebiete der Aare, Kander, Simme und ihrer Zuflüsse weisen Spuren einer Besiedelung
schon aus der prähistorischen Zeit auf. Es lassen sich von Thun aufwärts deutlich zwei Reihen von wichtigen
Fundstätten aus dem Zeitalter der Bronze unterscheiden: die eine zieht längs dem rechten Ufer des Thunersees nach dem Oberhasle
und gegen die Grimsel, und die andere folgt dem Lauf der Kander aufwärts gegen die Gemmi. Diese beiden genannten
Pässe sind ohne Zweifel schon in dieser Epoche begangen worden, wie übrigens auch der Brünig, der Rawil und der Sanetsch.
Als hauptsächlichste Fundorte aus der Bronzezeit (1500-700 v. Chr.) sind anzuführen Ringoldswil, Sigriswil, Brünig, Meiringen,
Aegerstein bei Guttannen, Strättligen, Heustrich, Zinsmadegg bei Frutigen und die S.-Seite der Gemmi. Spärlicher sind die
Funde aus der Eisenzeit, doch haben sich Spuren aus der gallischen Epoche bei Uebischi am N.-Fuss der Stockhornkette gezeigt.
Auch die Ueberreste römischer Kultur sind in unserem Gebiet selten, obwohl die Römer die schon erwähnten Gebirgsübergänge
auf jeden Fall ebenfalls gekannt und benutzt haben.
Die hauptsächlichsten Fundorte römischer Altertümer - Allmendingen, Thierachern - liegen am Eingang
ins Oberland nahe dem Mittelland. Ueber die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeit ist die Geschichte des Oberlandes in
vollständiges Dunkel gehüllt. Dass aber die Völkerwanderung ihre Wellen bis in die innern Thäler dieses Gebietes warf,
beweist die unlängst erfolgte Auffindung eines alemannischen Gräberfeldes bei Unspunnen. Unsicher ist
auch, zu welcher Zeit das Christentum in den Thälern des Oberlandes Eingang gefunden hat.
Die Tätigkeit des h. Beatus als Apostel der Waldstätte und des Bernerlandes schon im nachapostolischen Zeitalter ist in das
Gebiet der Legende zu verweisen, nicht aber die wirkliche Existenz dieses Glaubensboten, dessen Andenken
in einer starken und zähen Volkstradition und in mehreren Ortsnamen bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat. Vom frühen
Erscheinen der christlichen Kultur im Oberland zeugen die zahlreichen Gotteshäuser, die schon um die Wende des ersten Jahrtausends
bestanden. Es wird zwar die Aechtheit einer die Kirchen von Spiez und Scherzligen erwähnenden Urkunde
von 761 und ebenso die überlieferte Gründung von 12 Kirchen als Töchterkirchen des Gotteshauses von Einigen bestritten;
doch müssen ohne Zweifel schon frühzeitig mehrere Kultstätten im Oberland vorhanden gewesen sein, so in Faulensee, Beatenberg,
Spiez, Einigen, Amsoldingen, Wimmis und Scherzligen.
Dies wird auch bestätigt durch verschiedene Kirchenbauten im romanischen Stil, die sich bis heute erhalten
haben. In dem 1228 aufgestellten Kartular des Bistums Lausanne, zu welchem der links der Aare gelegene Teil des Oberlandes
gehörte, werden von oberländischen Kirchen genannt
Aeschi, Amsoldingen, Boltigen, Därstetten, Einigen, Erlenbach, Frutigen,
Grindelwald, Gsteig, Interlaken, Saanen, Scherzligen, Spiez, Thierachern, Wimmis und Zweisimmen. Zum Bistum Konstanz
gehörten um dieselbe Zeit die rechts der Aare gelegenen Parochien Steffisburg, Thun, Hilterfingen, Sigriswil, Beatenberg, Goldswil,
Brienz und Meiringen.
Die klösterlichen Niederlassungen des Oberlandes, nämlich die beiden Augustinerklöster in Interlaken und die Propsteien
von Amsoldingen und Därstetten, bestehen schon im 12. Jahrhundert. Das Dunkel über die staatlichen und
politischen Verhältnisse des Oberlandes beginnt sich erst gegen das Ende des ersten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung
etwas zu lichten. Bemerkenswert ist die immer noch bestehende volkstümliche Ueberlieferung von einer skandinavischen Einwanderung
in das Haslethal, die der Chronist Gilg Tschudy mit dem Einfall der Cimbern (101 v. Chr.) in Verbindung bringt,
während sie andere in das 4. und 6. Jahrhundert n. Chr. verlegen.
Ferner sei erwähnt der Kriegszug des Königs Arnulf in die Gebirgslande des burgundischen Reiches. Nach dem Zerfall des
Karolingerreiches war das Oberland an das neu entstandene Reich Neuburgund (888-1032) gekommen, dessen O.-Grenze die Aare
und ihr Quellgebiet bildeten. Aus dieser Zeit werden urkundlich die Ortschaften Wimmis und Uetendorf genannt,
die die Kaiserin Adelheid, eine geborene neuburgundische Königstochter, 994 dem Kloster Sels im Elsass schenkte.
Als durch die Personalunion Burgunds mit der deutschen Krone (1032-1125) jenes dem deutschen Reich einverleibt ward, kam das
Oberland unter das Zähringische Rektorat. Es hatte sich unterdessen vom Thunersee aufwärts eine ganze
Reihe von meist reichsunmittelbaren Herrschaften gebildet. So begegnen wir hier den Freiherren von Strättligen, Simmenthal,
Weissenburg, Kien, Brienz, Oberhofen, Thun, Heimberg u. a., die sich wohl zum grössten Teil dem Widerstand des Adels gegen den
Rektor Berchtold V. anschlossen. In dem 1190 ausbrechenden sog. Baronenkrieg zog Berchtold nach dem Sieg
von Payerne in das Oberland, brachte den dortigen aufständischen Dynasten am in Grindelwald eine entscheidende
Niederlage bei und unternahm dann einen allerdings unglücklichen Einfall über die Grimsel ins Rhonethal. Es war wohl eine
Folge dieses Krieges, dass die oberländischen Herrschaften herunterkamen und zerbröckelten, wie z. B.
diejenigen der Strättligen und derer von Thun, während zugleich andere Dynasten, wie die Edeln von Brienz, sich in das Rhonethal
zurückzogen und hier als Edle von Raron ein immerhin noch ausgedehntes Gebiet beherrschten.
Die im 13. und teilweise noch im 14. Jahrhundert bestehenden oberländischen Herrschaften sind: Burgistein
im obern Gürbethal und mit dem ehemaligen Strättligerbesitz am N.-Fuss der Stockhornkette, die Herrschaft der Weissenburger
im untern Simmenthal, die unter den Grafen von Greierz stehende Landschaft Saanen, das den Edeln von Kien gehörige Frutigland,
die den Herren von Wädiswil zustehende Herrschaft Unspunnen, Oberhofen unter den Eschenbach, das kiburgische
Thun und das reichsunmittelbare Haslethal.
Unterdessen hatte das 1191 gegründete Bern
begonnen, seinen Einfluss und Besitz längs der Aare aufwärts zu erweitern und die
oberländischen Herrschaften nach und nach seinem Gebiet anzugliedern. So erwarb es zunächst 1334 die vom Kaiser an das Haus
Weissenburg verpfändete Vogtei Hasle mit dem Gericht Meiringen, das neben dem Hauptort noch die Ortschaften
Gadmen, Guttannen und Hasleberg umfasste. 1384 folgte durch Pfandschaft und Kauf von den Grafen von Kiburg die Stadt Thun mit Steffisburg,
Sigriswil, Uetendorf, Thierachern, Blumenstein und Amsoldingen. 1386 kam durch Eroberung im Sempacherkrieg das Städtchen Unterseen
mit Beatenberg und Habkern an Bern,
1386 und 1391 durch Kauf und Eroberung das Ober Simmenthal mit Zweisimmen,
St. Stephan, Lenk und Boltigen, 1400 durch Kauf von Anton von Thurn die Landschaft Frutigen mit Frutigen, Aeschi, Adelboden, Krattigen,
Reichenbach, Mülinen und Spiez, 1449 durch Kauf von den Herren von Brandis und Scharnachthal das untere Simmenthal mit
Weissenburg, Erlenbach, Diemtigen, Wimmis und Reutigen. Grossen Zuwachs erhielt Berns oberländischer
Besitz infolge der mit der Einführung der Reformation verbundenen Säkularisation der Kirchengüter, besonders der Landschaften
der aufgehobenen Augustinerpropstei Interlaken mit Aarmühle, Matten, Bönigen, Gsteig, Lütschenthal, Zweilütschinen, Iseltwald,
Leissigen, Grindelwald, Lauterbrunnen, Ringgenberg, Brienz, Unspunnen, Wilderswil, Därligen, Mühlenen, Isenfluh und Saxeten. 1555 zog
Bern
nach dem Geldstag des letzten Grafen von Greierz die Landschaft Saanen (mit Saanen, Gsteig, Lauenen und Abläntschen)
und 1652 endlich die Herrschaft Oberhofen (mit Oberhofen, Hilterfingen und Strättligen) an sich. Die Sitze der bernischen Amtmänner
dieser Vogteien - Meiringen, Unterseen, Frutigen, Wimmis, Blankenburg, Saanen und Thun - sind mit Ausnahme von Unterseen (an dessen
Stelle Interlaken getreten ist) noch heute die Hauptorte der jetzigen sieben oberländischen Amtsbezirke.
Von bemerkenswerten geschichtlichen Ereignissen im Oberland sind zu nennen: der anlässlich der gewaltsamen Einführung der
Reformation 1528 ausgebrochene und von Bern
mit Härte unterdrückte Aufstand der der katholischen Kirche anhänglichen Oberländer,
die Verheerungen durch die Pest 1565 und 1669, der Aufstand 1646 und die Beteiligung am Bauernkrieg 1653,
die Erhebung des Oberlandes zu einem selbständigen Kanton mit Thun als Hauptstadt durch die helvetische Konstitution von 1798,
die Unruhen im Simmenthal 1799 und in Interlaken 1814. Von Naturereignissen mögen erwähnt werden: die von dem fränkischen
Chronisten Fredegar (660) aufgezeichnete, fabelhafte Nachricht, dass 559 der «dunensische
See», in welchen der «Fluss Arula» einmündet, ins Sieden geraten
sei;
ferner das wahrscheinlich durch Bergstürze oder Wasserverheerungen verursachte Verschwinden von Ortschaften (wie Balm,
Grenchen u. a.) und endlich die grossen Brandkatastrophen von Frutigen 1828, Boltigen 1840, Lenk 1878, Meiringen 1879 und 1891 und
Grindelwald 1892.
Das Oberland weist eine ziemliche Zahl von Baudenkmälern aus dem Mittelalter auf. Es seien vor allem
erwähnt die wohlerhaltenen Burgen von Thun, Spiez, Oberhofen, Wimmis und die Burgruinen Jagdburg, Strättligen, Unspunnen, Resti,
Felsenburg und Tellenburg. Viele oberländische Kirchen stammen noch aus der Zeit vor der Reformation und zeichnen sich durch
malerische Anlage und besonders durch die Konstruktion ihrer Türme aus, deren schlanker Helm nicht direkt
auf dem steinernen Unterbau, sondern auf der durchsichtigen und leichten hölzernen Glockenstube ruht.
Diese Bauweise findet sich übrigens auch noch im Oberwallis. Durch hohes Alter und eigentümliche Bauart sind von Interesse
die romanischen Kirchen von Amsoldingen, Spiez, Einigen und Wimmis, sowie die an Glasgemälden und Holzschnitzereien
reiche Kirche von Blumenstein. Das Aussehen der grössern Dörfer zwar hat zumeist durch Um- und Neubau, namentlich infolge
von Brandkatastrophen und der durch den steigenden Fremdenverkehr notwendig gewordenen Gasthofbauten, eine gänzliche Modernisierung
erfahren, doch finden sich abseits der grossen Verkehrswege noch viele Weiler, Häuser und Dörfer mit dem
so überaus malerischen Oberländertypus.
Das Oberländer Bauernhaus weist trotz mancher örtlichen Besonderheiten doch einen im ganzen einheitlichen Stil auf. Ueber
dem gemauerten und weissgetünchten Unterbau erhebt sich der ein- oder zweigeschossige und fensterreiche hölzerne Oberbau
mit seinem nur mässig gefirsteten Dach, in dessen Giebel sich meist zwei niedrige Schlafkammern (Gaden
genannt) befinden. Der Dachgiebel ist namentlich bei grösseren Gebäuden mit einer rundbogigen Verschalung und mit dem sog.
Gerschild versehen. Die Stirnseite des Hauses trägt als Hauptfassade etwa auch einen mehr oder weniger reichen Schmuck von
Holzschnitzereien und aufgemalten religiösen Sprüchen. Die beiden Längsseiten sind mit offenen Lauben
versehen, von denen man in die die ganze Breite des Hauses einnehmende Küche gelangt, nach welcher die Türen zu den Wohnzimmern
sich öffnen. Scheunen und Stallungen sind meist mit den Wohnräumen unter demselben Dach vereinigt.
Die Bewohner der einzelnen Thalschaften weisen unter sich grosse Verschiedenheiten auf, die sich namentlich
in der Sprache geltend machen. Immerhin haben die oberländischen Dialekte im
Vergleich zu den übrigen bernischen Mundarten
die gemeinschaftliche Eigenart einer feineren Aussprache, einer Mässigung der schweren alemannischen Kehllaute und einer
angenehmeren Betonung anderer Laute. Die alten Volkstrachten sind wie überall im Verschwinden begriffen.
Auch der Volkscharakter weicht von demjenigen der andern Berner deutlich ab und ist übrigens im Oberland
selbst durchaus nicht an allen Orten gleichartig ausgeprägt. Der Oberländer hat im allgemeinen eine hohe Statur und scharf
geprägte Gesichtszüge. Er hat gefällige Umgangsformen und ist von jeher körperlichen Uebungen, wie Schwingen und Steinstossen,
eifrig zugetan gewesen. Obwohl das Volkslied nicht mehr in seinem früheren Umfange gepflegt wird, hört
man doch noch viel singen (besonders jodeln) und zwar nicht nur auf der Alp, sondern auch bei häuslichen Arbeiten, beim
Melken etc. Wie alle Bergbewohner neigt auch der Oberländer einigermassen zum Aberglauben und verfügt namentlich über eine
grosse Zahl von Sagen aller Art. Im Ganzen genommen ist der Oberländer trotz einiger mehr oder weniger
hervorstechenden Mängel ein starker, gesunder und durchaus sympathischer Volksschlag. In den letztvergangenen Jahren sind
mehrere Arbeiten über die Eigenart und die Sitten und Gebräuche im Oberland veröffentlicht worden, haben aber den interessanten
und reichen Stoff, den dieses Volk dem Forscher bietet, noch bei weitem nicht erschöpft.
Bibliographie.
Ueber die das Oberland im allgemeinen betreffende Literatur orientieren gut Edmund von Fellenberg's Kritisches Verzeichnisder Gesamtliteratur über die Berner Alpen. (Itinerarium für das Exkurs. - Gebiet des S. A. C. 1885 und 1886. Bern
1886;
mit Nachtrag.Bern
1888) und A. Wäber's Landes- und Reisebeschreibungen. (Bibliogr. der schweizer. Landeskunde. 3. Fasz. Bern
1899).
Von Spezialarbeiten über einzelne Gebiete des Oberlandes sind zu nennen: Stettler, Karl.
Das Frutigland.Bern
1887; Stettler, Karl. Des Frutiglands Geschichte.Bern
1901; Gempeler-Schletti, D. Heimatkunde des Simmenthales.
Bern
1904; die Monographien von R. Durrer über die Freiherren von Ringgenberg und über Opelingen im LandeUri
(im Jahrbuch für Schweizer Geschichte. Band 21 bezw. 24). Endlich sei hingewiesen auf: Wurstemberger, J. L. Geschichte deralten LandschaftBern.
2 Bände. Bern
1862; Wattenwyl, E. v. Geschichte der Stadt und LandschaftBern.
2 Bände. Bern
1872;
Fontes rerum Bernensium. Vol. 1-8. Bern
1877-1903.
(Bündner) (Kt. Graubünden,
Bezirke Vorderrhein, Glenner, teilweise auch Im Boden und Heinzenberg).
Das Bündner Oberland umfasst das Gebiet
des Vorderrhein von den Quellen bis Reichenau, also auch alle Seitenthäler desselben. Es misst 1514 km2, d. h. 21% des Kantons Graubünden
oder etwa 35% des bündnerischen Rheingebietes. Begrenzt wird es im N. durch die Glarner- und Urneralpen
(Tödikette), im W. und SW. durch die Gotthardgruppe, im S. durch die Adulagruppe, im O. durch das Hinterrheinthal (Piz Beverin-Heinzenbergkette).
Die genannten Gebirgsgruppen senden eine Menge längerer und kürzerer Zweige in das Gebiet des Bündner
Oberlandes hinein und gliedern es in zahlreiche Thäler und Landschaften, die mit allen Reizen eines vielgestaltigen Berglandes
ausgestattet sind. Im N. stellt der Tödi-Rusein mit 3623 m den höchsten Punkt des ganzen Gebietes dar, im S. strahlt das
Rheinwaldhorn (3406 m) im Glanze seines herrlichen Eismantels, und im W. begrüssen wir im Badus (2931
m) den Hüter der Rheinquellen.
Von einem zentral gelegenen Höhenpunkt, wie etwa von dem leicht zu erreichenden Piz Mundaun bei Ilanz, erscheinen die Häupter
der Grenzwälle wie in einem ungeheuren Zirkus zusammengestellt: auf der einen Seite eine geschlossene Riesenmauer vom Ringelspitz,
Trinserhorn, Piz Segnes und Saurenstock über Vorab und Hausstock zum Tödi mit seinen Trabanten und bis zum
Düssistock, Oberalpstock und Crispalt, auf der andern Seite ein weiter Bogen von W. über S. nach O. vom Gotthard- und Medelsergebiet
über Piz Terri und Plattenberg zum Rheinwald- und Güfer-, St. Lorenz- und Fanellahorn und bis zum Bärenhorn,
zu den Splügener Kalkbergen, dem Bruschghorn und Piz Beverin. Dagegen ist die Gletscherwelt relativ schwach entwickelt. Sie
nimmt
mehr
im Bündner Oberland nur etwa 6% der gesamten Bodenfläche ein oder also etwas über 90 km2, d. h. beträchtlich weniger
als etwa im Engadin, Berner Oberland oder Wallis.
Gleichwohl sind manche schöne Eisfelder von ansehnlicher Ausdehnung vorhanden, so
besonders in der Medelsergruppe (Medelsergletscher etc.) und in den obersten Verzweigungen des Valserthals
(Lentagletscher, Kanalgletscher etc). Aus der Tödikette gehören unserm Gebiet an die prächtige Zunge des Segnesgletschers,
der flachgelagerte Bündnerbergfirn am Vorab, die Eisbecken am Hausstock und Ruchi, der schön terrassierte Frisalgletscher und
der herrlich umrahmte Puntaiglasgletscher, der wie ein grosses Schulmodell alle Erscheinungen der Gletscherwelt in typischer
Ausbildung zeigt. Auch sonst sind noch Dutzende von kleinern Gletschern und Firnfeldern vorhanden.
Das Bündner Oberland blieb, besonders in seinen Seitenthälern, lange Zeit von dem sonst alles überflutenden Fremdenstrom
wenig berührt, obwohl es an guten Strassen und Postverbindungen nicht fehlte. So lange es keine Eisenbahn hatte, war es doch
immer eine weite Reise da hinein. Zudem müssen seine Reize abseits der Heerstrassen aufgesucht werden
und verlangen zu ihrem Verständnis ein sinniges Gemüt. Nun aber ist die Eisenbahn da und damit das sonst so abgeschiedene
Ländchen der übrigen Welt näher gerückt.
Eine Linie der Rätischen Bahn führt von Reichenau in kunstvoller Anlage durch die Rheinschluchten nach
Ilanz, dem Verkehrsmittelpunkt des Oberlandes, der von Chur aus in etwa einer Stunde erreicht wird. Dazu kommt ein doppelter
Strassenzug von Reichenau nach Ilanz: einerseits über Flims mit täglich mehrmaliger Postverbindung im Sommer und Winter, andererseits
über Bonaduz und Versam. Von Ilanz zieht eine grosse Poststrasse das ganze Rheinthal aufwärts mit Fortsetzung
über den Oberalppass zum Anschluss an die Gotthard- und Furkastrasse und an die Gotthardbahn.
Bei Disentis zweigt die Lukmanierstrasse ab und stellt die Verbindung her mit der Gotthardstation Biasca. Doch werden beide
Bergstrassen, Oberalp und Lukmanier, nur im Sommer von der Post befahren. Weitere Strassen mit täglicher
Postverbindung führen von Ilanz ins Lugnez bis Vrin und Vals, sowie von Ilanz einerseits nach Brigels, andererseits nach Obersaxen,
ferner von der Station Versam ins Safienthal und von der Station Valendas-Sagens nach Laax und dem hochgelegenen Fellers (1218
m). Von touristisch wichtigen Bergpässen seien erwähnt: der Segnespass (2625 m) von Flims nach Elm, der
Panixerpass (2407 m) von Waltensburg nach Elm, der Kistenpass (2727 m) von Brigels nach Linthal, der Sandalppass (2780 und 2807 m)
von Truns und Disentis nach Linthal, der Brunnipass (2736 m) von Disentis ins Maderanerthal und nach Amstäg, der Krüzlipass (2350
m) von Sedrun ebenfalls nach dem Maderanerthal und Amstäg, die Fellilücke (2490 m) vom Oberalppass ins
Fellithal (Kt. Uri),
der Passo del Uomo (2212 m) von Santa Maria am Lukmanier ins Val Piora (Kt. Tessin),
der Cristallinapass (2404 m) aus dem Medelserthal
nach Campo im Val Blenio, der Greinapass (2360 m) aus dem Somvixerthal ebenfalls ins Bleniothal, der Diesrut
(2424 m) aus dem Somvixer- ins Lugnezerthal (Vrin), der Valserberg (2507 m) von Vals nach Hinterrhein, der Tomülpass (2417 m) von
Vals ins Safienthal, der Safierberg (2490 m) von Safien nach Splügen, der Glaspass (1846 m) von Safien nach Thusis.
Werfen wir einen Blick auf die Thalbildung des Oberlandes, so fällt eine grosse Aehnlichkeit desselben
mit dem Wallis
auf. Rhein- und Rhonethal bilden zusammen und mit dem Urserenthal eine einzige, durchgehende Thalfurche von Chur bis
Martinach und biegen an diesen Punkten nach N. ab, um in den grössten Seebecken der Schweiz zu endigen. Sie liefern so
das Bild einer am Gotthard befestigten Schalenwage. In den beiden grossen Thälern fliessen die Hauptflüsse, Rhein und Rhone,
hart am S.-Fuss der nördl. Bergwand hin, die in fast gerader Linie steil und wenig zerschnitten in die Höhe steigt, während
der Hauptgebirgszug im S. in grösserm Abstand und in mehrfach gebrochener Linie dahin zieht und zahlreiche,
oft wieder verzweigte Aeste nach N. sendet. Nur hier finden wir daher auch grössere und bewohnte Seitenthäler, während
die Thäler der N.-Seite durchweg kurz, meist schluchtartig und
unbewohnt sind (mit der einzigen Ausnahme von Panix). Wie in
der äussern Gestaltung, so zeigen das Bündner Oberland und das obere Wallis
auch manche Aehnlichkeiten im
geologischen Bau, in Klima, Pflanzen- und Tierleben, in der Besiedelungsweise etc.
Geologisches.
Beiden Gebieten gemeinsam ist eine beträchtliche Verbreitung dunkler und grauer, meist kalkig-toniger Schiefer, der sog.
Bündnerschiefer, die, vom Prätigau, Schanfigg und Domleschg herüberstreichend, in den Gebirgen des Safienthales und
des Lugnez herrschen und durch einen zwischen dem Gotthard-Medelsermassiv einerseits und dem Tessin-Adulamassiv andererseits
eingeklemmten Streifen über Piz Terri, Campo-Olivone, Scopi-Lukmanier, Val Canaria, Airolo-Val Bedretto, San Giacomo- und Griespass,
Ofenhorn und Binnthal mit den Schiefern des Wallis
zusammenhängen.
Ein ähnlicher Schieferstreifen zieht zwischen Gotthard- und Aarmassiv vom obern Wallis
(Goms) über Furka, Urserenthal
und Oberalp ins Tavetsch herüber und erfüllt auch die vordern Teile von Val Nalps, Val Medels und Val Somvix, während die hintern
Teile dieser Thäler dem östl. Ausläufer des Gotthardmassivs angehören. Die Gesteine des Bündnerschieferkomplexes sind
sehr verschieden und daher schwer als zu einer Einheit zusammengehörig zu erkennen. Namentlich wo sie
in den genannten Streifen zwischen Zentralmassive eingeklemmt sind, erscheinen sie oft mehr oder weniger krystallinisch umgewandelt.
Dazu kommen häufig Kalk- und Dolomitgesteine, Sandstein- und Quarzitschiefer, Rauhwacken, Gipse, Marmore, Serpentine und
Grünschiefer, letztere besonders im hintern Safien- und im Valserthal und als durch Stauungsmetamorphose veränderte Diabasgesteine
erkannt. Nächst den Bündnerschiefern nimmt unter den Sedimenten der Verrucano, ebenfalls in verschiedener
Ausbildungsweise, den grössten Raum ein. Von Truns bis Ilanz erscheint er auf beiden Seiten des Rhein, doch in stärkerer Entwicklung
auf der N.-Seite, wo er bis hoch in die Seitenthäler und an die Abhänge hinauf geht (bis Val Frisal,
Panix, Alp Ruschein, Crap Ner an der Sether Furka etc.) Gegen den Bündnerschiefer ist er meist durch ein schmales Dolomitband
(Rötidolomit) begrenzt.
Beide treten auch im Wallis
wieder auf. In der Gipfelregion vom Tödi nach O. finden sich dann Jura-, Kreide- und Eocängesteine,
ähnlich wie auch in der N.-Wand des Wallis
vom Lötschenpass nach W. Dabei zeigt sich, dass im Rheinthal der Verrucano
über die jüngern Gesteine nordwärts übergeschoben ist, das Ganze (östl. vom Tödi) also eine nach N. übergelegte Falte
bildet. Südl. vom Rhein (wie auch südl. der Rhone) fehlen die Jura-, Kreide- und Eocängesteine ganz.
Den kleinern Raum nehmen im Bündner Oberland die krystallinen Gesteine ein, und diese gehören drei
Massiven an, dem Aar-, Gotthard- und Adulamassiv, die sowohl nach ihrem Gesteinsmaterial als nach ihrer Tektonik wesentlich
voneinander verschieden sind. Das O.-Ende des Aarmassivs, von Uri
herüberstreichend, bildet den Grenzkamm zwischen Graubünden
und Uri
und lässt
sich als Basis der Sedimente unter dem Tödi und weiter nach O. verfolgen. Es bildet einen nach N. geneigten
gewaltigen Fächer und besteht hauptsächlich aus Gneisen, Serizitgneisen, Protoginen, Hornblende-, Diorit-, Chlorit- und
Talkschiefern, sowie aus Graniten, Dioriten und Syeniten, unter welchen besonders die Rusein- und Puntaiglasdiorite («Puntaiglasgranite»)
hervorzuheben sind.
Das Gotthardmassiv greift über den Badus und Piz Alv herüber bis in die Medelsergruppe. Es bildet im
ganzen einen aufrechten Fächer und besteht vorherrschend aus Gneisen, Glimmergneisen, Quarzglimmerschiefern, Serizit-, Phyllit-,
Hornblende-, Chlorit- und Talkschiefern, dann aus Protogingranit, Cristallinagranit, Dioriten von Curaglia und Val d'Ufiern,
zeigt also noch manche Aehnlichkeiten mit dem Aarmassiv. Das Adulamassiv nimmt im Bündner Oberland nur
einen kleinen Raum ein, vom Rheinwaldhorn etwa bis Plattenberg, Vals und Valserberg. Es ist ein Teil des Tessinermassivs und
hat mit diesem das nordsüdl. Streichen seiner Schichten und Ketten gemein. Seine Hauptgesteine sind Antigorio- oder Tessinergneis,
undeutliche Glimmerschiefer, Adulagneis und verschiedene andere krystalline Schiefer; auch Kalk- und
Dolomitmarmore treten auf, während
mehr
Eruptivgesteine fehlen. Im Gegensatz zu den Fächern des Aar- und Gotthardmassivs bildet das Adulamassiv ein breites, flaches
Gewölbe mit etwas steiler abfallenden Rändern. (Vergl. auch den Art. Graubünden).
Das Klima
des Bündner Oberlandes zeigt natürlich die Züge, die man bei Hoch- und Längsthälern zu finden gewohnt ist, also
vor allem leichte, reine und relativ trockene Luft, viel heitern Himmel und mässige Niederschläge, im Winter beträchtlichen
Schneefall und langandauernde Schneedecke. Leider gibt es im Oberland nur eine einzige ständige meteorologische Station
und diese in Platta-Medels, also in einem Seitenthal, so dass die klimatischen Elemente des Hauptthals nicht zahlenmässig
dargestellt, sondern nur aus Nachbarstationen erschlossen werden können. Da Chur (610 m) eine mittlere
Jahrestemperatur von 8,33°, Reichenau (597 m) eine solche von 7,86° hat, so wird man z. B. für Ilanz (720 m) auf ein Jahresmittel
von etwas über 7°, für Disentis (1160 m) auf ein solches von etwas über 5°, für Sedrun (1400 m) auf
etwa 4° u. für Tschamut (1618 m) auf etwa 3° schliessen dürfen.
Der Unterschied zwischen kältestem und wärmstem Monat wird wie in den meisten Thalstationen Graubündens 19-20° betragen.
Eigentümlich sind die Verhältnisse in Platta-Medels (1379 m), wo nach den Angaben der meteorologischen Zentralstation in
Zürich
das Jahresmittel aus 37 jährigen Beobachtungen 4,56°, das Januarmittel -3,45° und das Julimittel 13,19°
beträgt, das Jahresmittel also zu hoch, die mittlere Jahresschwankung mit nur 16,64° zu klein erscheint. Da an der Richtigkeit
dieser Angaben kaum zu zweifeln ist, so müssen wohl lokale, hier nicht weiter zu erörternde Verhältnisse an
diesen unerwarteten Ergebnissen schuld sein. Die Niederschläge nehmen im Rheinthal wie im Rhonethal mit der Entfernung vom
Gotthard ab. Sie betrugen z. B. im Jahr 1903 am Gotthard 275 cm, bei Tschamut 150 cm, bei Sedrun 125 cm, bei Brigels 100 cm, bei
Reichenau 80 cm und bei Chur 73 cm.
Das Rheinthal ist niederschlagsreicher als das Rhonethal und Engadin, gehört aber doch mit diesen zu den
trockensten Gegenden der Schweiz. Bekanntlich ist das Rheinthal wie das Rhonethal eine bevorzugte Föhnrinne mit all' den Vorzügen
und Nachteilen einer solchen. Der Föhn tritt nicht selten mit verheerender Gewalt auf und verursacht dann
und wann einen Dorfbrand, umsomehr als Häuser und Ställe meist in dichten Haufen zusammengedrängt und grösstenteils aus
Holz gebaut und mit Schindeln gedeckt sind.
Auch das Pflanzenleben
des Bündner Oberlandes zeigt manche Anklänge an dasjenige des Rhonethals von gleicher Höhenlage. Bereits machen sich die
Wirkungen der allgemeinen Massenerhebung in einer etwelchen Steigerung der biologischen Höhengrenzen
bemerkbar. Der Wald steigt bis etwa 1920 m, in einzelnen Seitenthälern wie Vals, Rusein und Somvix noch etwas höher (1930-1950
m), einzelne Bäume gehen bis 2100-2200 m. Der Wald nimmt übrigens im Oberland keine allzugrosse Fläche ein, nämlich nur
13,8% des gesamten Bodens. Im untern Teil des Vorderrheinthals gibt es Gegenden, wo der Wald 20-30% der
Fläche umfasst.
Dafür gibt es aber auch Thäler, die ganz waldlos sind, so Val Maigels, Val Cornera und Val Nalps (hier den untersten Abschnitt
ausgenommen), dann Val Medels oberhalb Perdatsch, Val Frisai und verschiedene andere Gegenden. Der weitaus
häufigste Waldbaum ist die Fichte oder Rottanne. Die Lärche, die z. B. im Engadin vorherrscht und grosse, reine Bestände
bildet und auch sonst in Graubünden
weit verbreitet ist, findet sich im Oberland relativ nicht häufig und merkwürdigerweise mehr in den
tiefern als in den höhern Lagen. In der sog. Gruob (Becken von Ilanz) und auch sonst im Vorderrheinthal
und Val Medels an manchen Orten zerstreut stehen kleine Wäldchen und Horste, besonders auf Hügeln und Gebirgsvorsprüngen.
In Safien und im Tavetsch fehlt die Lärche ganz, und auch im Somvix und im Gebiet des Glenner ist sie sehr selten.
Noch viel seltener ist die Arve, die nur noch in Vals, Vrin, Medels und Val Cornera in wenigen Exemplaren
vorhanden ist. Die Weisstanne geht in einzelnen Exemplaren bis etwas hinter Disentis, ebenso die Waldkiefer. Die Eibe kommt
vereinzelt in den Wäldern von Flims, Ilanz und Truns vor. Von den Laubbäumen des
Waldes ist die Buche nur
im untersten Abschnitt des Vorderrheinthals bis Fidaz-Flims (1300 m), die Eiche an wenigen Orten bis Truns in einzelnen Exemplaren
und kleinen, abgehenden Beständen vorhanden, die Birke dagegen sehr verbreitet, die Weisserle häufig an Flussufern und Bächen,
die Grünerle an schattigen Abhängen der Alpenregion, der Bergahorn bis über Disentis hinauf (1260 m),
die Esche bis Schlans, Somvix und Tersnaus (Lugnez), die Ulme bis an den Eingang ins Lugnez, die Linde bis Oberkastels und St. Martin
(Glenner) zu finden.
Ein Verzeichnis der floristischen Seltenheiten gibt Dr. Tarnuzzer in seinem Ill. Bündner Oberland, S. 150 f. Die Obstbäume
sind am zahlreichsten in der Gruob, gehen aber auch bis über Disentis hinauf und weit ins Lugnez hinein,
der Kirschbaum z. B. im Tavetsch bis 1320 m, bei Morissen (Lugnez) bis 1340 m, bei Brigels bis über 1300 m, in Curaglia-Medels
bis 1230 m und in Vals bis 1250 m, Birn- und Apfelbaum bei Disentis bis 1050 m und bei Waltensburg bis 1010 m,
der Nussbaum bei Disentis bis 1050 m. Die Obstbaumzucht macht schöne Fortschritte und arbeitet namentlich auf feines Tafelobst
hin.
Auch die Mostbereitung gewinnt mehr und mehr an Boden. Gerste, Roggen und Kartoffeln werden noch bei Tschamut bis 1500 m, in
Soliva (Medels) bis 1470 m, in Vrin bis 1454 m, selbst Mais bei Truns bis fast 800 m angepflanzt. Freilich muss man dann in diesen
hohen Lagen das Getreide nach der Ernte an hohe, breite Stangengerüste (romanisch Chischnè, deutsch Histen genannt) bündelweise
befestigen und einige Zeit hängen lassen, damit es durch die Wirkung der Sonne und der durchstreichenden
Luft völlig ausreifen und trocknen kann. Früher wurde in der Gruob auch Weinbau getrieben, und jetzt noch trifft man Rebenspaliere
bis Truns (fast bis 800 m).
Die freilebende Tierwelt
ist ungefähr dieselbe wie im übrigen Bünden. Die Gemsen sind noch zahlreich vorhanden, am meisten im
Somvix, im Duvinertobel (Lugnez) und in den Thälern hinter Vals; Rehe finden sich in den Wäldern des untern Oberlandes (Flims,
Sculms etc.), Murmeltiere überall in den ihnen zusagenden Höhen. Unter den Haustieren erregen das Oberländer Rind, das Tavetscher
Schaf und das Oberländer Schwein ein besonderes Interesse, da sie vom Torfrind, Torfschaf und Torfschwein
der Pfahlbautenzeit abstammen.
Das Oberländer Rind hat sich neben den übrigen Bündnerrassen als selbständiger Gebirgsschlag entwickelt und auf verschiedenen
Ausstellungen grosse Erfolge errungen. Daneben hält man viel Grau- und Braunvieh, ersteres im ganzen mehr in den obern, letzteres
mehr in den untern Teilen des Oberlandes. Das Tavetscherschaf (auch Nalpserschaf genannt) ist klein, weiss,
kurzwollig, mit zweikantigem, nach hinten gebogenem, ziegenartigem Gehörn, aber in reinerer Rasse nur noch selten zu finden,
so in Tavetsch, Somvix und Vrin.
Bei den Waldhäusern-Flims ist eine Kolonie desselben angelegt. Viel reichlicher vorhanden ist das Valserschaf, ein Kreuzungsprodukt
aus dem Tavetscher- und Bergamaskerschaf. Beide Schläge liefern ein feinschmeckendes Fleisch und gute
Wolle, aus welcher die bekannte graue Nationalkleidung der Oberländer hergestellt wird (Wollspinnerei- und -weberei in Truns).
Das Oberländer Schwein ist von hoher Mastfähigkeit und liefert sehr feine Schinken. Eine Kreuzung mit eingeführten Schweinerassen
ist grösser, ergibt aber ein weniger feines Fleisch.
Die Pferdezucht wird nur noch in Obersaxen und im Lugnez betrieben. Sie ist infolge der Eisenbahnbauten, besonders seit Eröffnung
der Gotthardbahn, stark zurückgegangen. Das Oberländer Pferd ist klein, aber zähe und ausdauernd. Die Viehzählung von 1901 ergab
für das Bündner Oberland 700 Pferde, 22100 Rinder, 32000 Schafe, 13200 Ziegen und 7000 Schweine im
Gesamtwert von etwa 5½ Millionen Fr. Der Totalmilchertrag beziffert sich auf rund 4,4 Mill. Liter, der Gesamtertrag für
Molkereiprodukte auf gut 1½ Mill. Fr. Von Butter gelangen höchstens 8%, von Käse 5% in den Handel. An Spezialitäten sind
hervorzuheben Safier Alpenkäse, halbfette Cavreiner Käse (Disentis), Tavetscher Ziegenkäse, Valser- und
Trinserbutter. Die früher berühmten Cristallina- und Tavetscherkäse werden leider nicht mehr fabriziert. An Fleischwaren
werden namentlich sog. Bündnerfleisch (an
mehr
der Luft gedörrt), Oberländer Schinken und Schafschinken von vorzüglichen Qualitäten hergestellt und auch ausgeführt.
Unübertroffen ist der Alpenhonig, besonders von Tavetsch, Medels und Panix. Die Bienenzucht ist seit den 80er Jahren in erfreulichem
Fortschritt begriffen.
Bevölkerung.
Das Bündner Oberland ist begreiflicherweise nicht stark bevölkert. Es hat bis hinunter nach Tamins und
Reichenau auf 1514 km2 nur 19403 Ew., also 12,8 per km2, wird aber wohl infolge des Eisenbahnbaus und des steigenden
Verkehrs überhaupt (Vermehrung und Vergrösserung der schon jetzt ziemlich zahlreichen Kurorte) in den nächsten Zeiten
etwas zunehmen. Natürlich ist der weitaus grösste Teil des Landes überhaupt gar nicht bewohnt. Die
Bevölkerung drängt sich auf meist schmale Kulturstreifen in den Thalsohlen und auf den untern Gehängeterrassen zusammen
und beträgt hier bis 120 Ew. per km2. Im Hauptthal selber sind es 14530, in den Seitenthälern zusammen 4873 (im Val Medels
536, im Lugnez mit Vrin und Vals 3752, im Safienthal 585). Politisch verteilt sich diese Bevölkerung auf
die Bezirke Vorderrhein (7 Gemeinden in einem Kreis) mit 5917, Glenner, der auch auf die N.-Seite des Rhein hinübergreift (39
Gemeinden in 3 Kreisen) mit 10494 und Teile der Bezirke Heinzenberg (Safienthal mit Safien und Tenna, 585) und Im Boden (Flims,
Trins und Tamins mit 2407 Ew.). Sprachlich und konfessionell ist diese Bevölkerung bunt gemischt und durcheinander
gewürfelt.
Doch herrscht das romanische und katholische Element entschieden vor. Auf die Romanischen kommen 75%, auf die Deutschen 22%
und auf Anderssprachige (hauptsächlich italienische Eisenbahn- und Strassenarbeiter) etwa 3%, auf die Katholiken 71% und
auf die Reformierten 29% der Bevölkerung. Der Bezirk Vorderrhein mit Disentis als Hauptort ist sozusagen
rein romanisch und katholisch (wenig über 100 Deutsche und kaum 20 Reformierte), der Kreis Safien umgekehrt fast rein deutsch
und reformiert. Im Bezirk Glenner mit dem Hauptort Ilanz machen die Romanischen 71, die Deutschen 26%, die Katholiken 72 und
die Reformierten 28% der Bevölkerung aus, im Kreis Trins (ohne Felsberg) die Romanischen etwa 60, die Deutschen 32 und die
Italiener (und andere) 8%, die Katholiken 16 und die Reformierten 84%. Es ergibt sich hieraus, dass es im Oberland auch katholische
Deutsche und reformierte Romanen hat, obwohl in der Regel die Deutschen reformiert, die Romanen katholisch
sind. Vorherrschend romanisch-reformierte Gemeinden sind Trins, Flims, Kästris, Riein, Pitasch, Duvin, Luvis und Waltensburg, deutsch-katholisch
Vals und Obersaxen, deutsch-reformiert Tamins, Safien-Tenna, Versam und Valendas. In Ilanz mit jetzt etwa 1000 Ew. halten sich Deutsche
und Romanen einerseits, Reformierte und Katholiken andererseits annähernd das Gleichgewicht.
Dass bei dem Reichtum an herrlichen Alpweiden die Viehzucht, verbunden mit Alpwirtschaft, den Haupterwerbszweig des Oberlandes
ausmacht, ergibt sich aus dem früher gesagten. Der Landbau ist nur in den tiefsten und mildesten Lagen, wie z. B. in der
Gruob, von nennenswerter Bedeutung (Getreide-, Gemüse-, Kartoffel- und Obstbau). Dagegen entwickelt
sich immer mehr der Fremdenverkehr. Flims und vor allem Flims-Waldhäuser (Kur- und Seebadanstalt, gross und modern eingerichtet
und auch den höchsten Ansprüchen genügend), Ilanz, Peiden Bad (gipshaltige Eisensäuerlinge), Vals Platz (eisenhaltige Gipstherme),
Brigels, Teniger Bad (Val Somvix; bittersalzhaltige Gipsquelle) und Disentis (salinischer Eisensäuerling) erfreuen sich schon
seit längerer Zeit eines guten Rufes und immer wachsenden Zuspruchs.
Dazu haben sich in neuerer Zeit zahlreiche kleinere Luftkurorte und Sommerfrischen aufgetan, so Laax bei Flims, Versam, Safien-Neukirch,
Seewis, Cumbels, Morissen, Villa, Vrin, Furth, Obersaxen, Truns, Medels-Curaglia, Sedrun und Tschamut. Die Ausnutzung der Wasserkräfte
wird vielleicht auch einige Industrie ins Land führen. Der Bergbau hat im Oberland nie eine grössere
Rolle gespielt. Es fehlt an nutzbaren Metallerzen. Dagegen sind manche Thäler und Striche reich an schönen Mineralien der
mannigfaltigsten Art, so besonders das obere Rheinthal vom Tavetsch bis Truns, Rusein und Puntaiglas, Val Cornera, Nalps, Medels
mit Val Cristallina und
Scopi, Somvix-La Greina, Vrin und Vals. (Vergl. Tarnuzzer a. a. O., S. 152 f.).
Werfen wir noch einen Blick auf die Siedelungen. Die Zahl der politischen Gemeinden ist mit 51 (inkl. Tamins) eine ganz stattliche.
Viele derselben zerfallen in mehrere Dörfer und Weiler, so dass, wenn man diese zählen wollte, eine noch viel grössere
Zahl von Ortschaften herauskäme (etwa 120). Ilanz, die «erste Stadt am Rhein», zählt als Gemeinde kaum 1000 Ew. (bei der letzten
Zählung 931), das Städtchen allein nur 540. Die grösste Gemeinde ist Disentis mit 1359 (das Dorf allein 400), die kleinste
Strada bei Schnaus mit nur 50 Ew. Ueber 1000 hat nur noch die Gemeinde Somvix (1202). 12 Gemeinden haben
500-1000 Ew., 8 weniger als 100 Ew. Ganze Thalschaften und Gegenden mit zahlreichen kleinen Ortschaften, von denen die meisten
ihre eigene Kirche oder Kapelle und Schule haben, bilden je eine einzige Gemeinde, so z. B. das ganze Tavetsch, das ganze Val
Medels, Dorf und Thal Somvix, ganz Obersaxen, das ganze Vals etc. Andererseits sind oft nahe beieinander liegende Orte in ebenso
viele Gemeinden geteilt, so in der Gruob und im Lugnez. Es spiegeln sich in diesen Zusammenziehungen und Teilungen geographische
und historische Momente, wie Lage, Wegsamkeit, Abstammung, Sprache, Konfession, frühere Herrschafts-
und Untertanenverhältnisse etc. Dies ist auch der Fall bei manchen Eigentümlichkeiten der jetzigen politischen Zuteilung.
So ist das nach seiner Lage zu Obersaxen (deutsch) gehörige Neukirch (romanisch) dem Kreis Lugnez zugeteilt.
Brigels und Waltensburg, obwohl nach Lage (auf einer und derselben Terrasse) und Sprache (beide romanisch) zusammengehörig,
sind verschiedenen Kreisen zugeteilt, das katholische Brigels dem Kreis Disentis, das reformierte Waltensburg
dem Kreis Ruis, obwohl letzterer ohne Waltensburg auch rein katholisch wäre. In frühern Zeiten reichten eben die Territorial-
und Herrschaftsrechte des Klosters Disentis bis nach Brigels hinunter, während Waltensburg einer weltlichen Edelherrschaft,
längere Zeit mit Andest, Seth, Ruis und andern Orten der Herrschaft Jörgenberg, angehörte.
In den ausgedehnten Gemeinden Obersaxen, Vals und Safien zeigt sich das Bestreben einer in zerstreuten Höfen angesiedelten Bevölkerung,
diese jeweilen möglichst in einer Gemeinde zu vereinigen, um sich gegenseitig zu stützen und seine Eigenart in fremdem
Land zu bewahren. Diese Leute waren die «freien Walser»,
aus dem Oberwallis herüber gekommene Kolonisten (13. und 14. Jahrhundert). Von ihnen stammt ein beträchtlicher Teil der
deutschen Bevölkerung des Oberlandes.
Ihre zerstreuten Hofsiedelungen und kleinen Weiler unterscheiden sich deutlich von den dichtgedrängten Haufen- und Gassendörfern
der romanischen Bevölkerung. Beachten wird man auch, wie in den Walsergemeinden die Reste ehemaliger
Herrschaftssitze fast gänzlich fehlen. Doch gilt dies auch von allen Seitenthälern überhaupt, selbst von so grossen wie
das Lugnez. Im Rheinthal dagegen wimmelt es fast von gebrochenen oder sonst zerfallenen Burgen. Von Trins bis Waltensburg und
Rinkenberg finden sich deren etwa 20, weiter oben nur noch 2 (Hohenbalken an der Mündung des Val Rusein
und Pontaningen bei Sedrun-Ruèras). Die alten Gebietsherren (Grafen, Freiherren, Ritter) bevorzugten also für ihre Sitze das
Hauptthal, besonders dessen untere Stufen, auch wenn ihr Besitz bis in die Seitenthäler hineinreichte.
Wie meistens in den Alpen sind die Dörfer in der Regel reihenweise an der Sonnenseite der Thäler gelegen.
So ist es der Fall im Rheinthal von Sedrun über Disentis, Somvix, Truns, Schlans, Brigels, Waltensburg, Seth, Ruschein, Ladir, Fellers,
Laax, Flims und Trins nebst zahlreichen kleinern Orten, im Lugnez mit Vrin, Lumbrein, Vigens, Igels, Villa, Cumbels und Morissen, in
Safien mit Thal, Platz, Neukirch und Tenna. Hie und da sind es zwei Reihen übereinander, so im Thalbecken
von Ilanz mit der unteren Reihe Ruis, Schnaus, St. Nikolaus (Ilanz), Schleuis und Sagens und der oberen Reihe Seth, Ruschein, Ladir,
Fellers und Laax. Schattenseite der Thäler und Thalgrund sind viel weniger besiedelt, und dann finden sich die Thalorte meist
auf flachen Schuttkegeln an den Mündungen von Seitenthälern. Im Rheinthal z. B. Surrhein unter Somvix, Rinkenberg östl.
mehr
von Truns, Tavanasa unter Brigels, dann besonders Ilanz an der grössten Thalgabelung des Oberlandes und darum auch von jeher
politisches und Verkehrszentrum desselben, Kästris, Schleuis und Sagens im erweiterten Becken der Gruob, aber auch hier nicht
am Rhein, sondern am ansteigenden Fuss des Berghangs. Die Seitenthäler sind in ihren Flussrinnen
meist so eng, dass schon aus diesem Grund hier keine Ansiedelungen möglich sind, ausgenommen Vals in einem etwas erweiterten
Thalkessel. Auf Terrassen der rechten, weniger sonnigen Seite des Rheinthals finden wir ausser Obersaxen nur Mompè-Medels bei
Disentis, Luvis und Seewis bei Ilanz, Valendas und Versam. Dagegen ist die rechte Thalseite des Lugnez von einer
ganzen Reihe von Orten besetzt (Riein, Pitasch, Duvin, Camuns und Tersnaus), da hier der Gegensatz zwischen Sonnenseite und Schattenseite
nicht so gross ist wie im Rheinthal. Dasselbe gilt auch vom Val Medels.
Eine Reise durch das Bündner Oberland bietet reiche Abwechslung und hohen Genuss selbst dann, wenn man
sich bis Ilanz an die Eisenbahn und dann bis auf die Oberalp an die «Oberländerstrasse» hält, noch mehr aber, wenn man
auch einzelne der abseits liegenden Terrassenorte und Seitenthäler besucht und gelegentlich einen der leichter zu erreichenden
Berge besteigt, wie etwa den Flimserstein mit seinem breiten Gipfelplateau oder den als Rigi des Oberlandes
bezeichneten Piz Mundaun oder die Garvera bei Disentis.
Schon der Eintritt ins Oberland ist höchst eigenartig und rätselhaft. Hinter Reichenau erscheint das Thal durch einen breiten
Schuttberg, der freilich längst überwachsen ist, wie abgeschlossen. Die ungeheure Trümmermasse eines prähistorischen
Bergsturzes erfüllt das Thal von einer Seite bis zur andern auf eine Breite und Länge von je mehreren
Kilometern. (Ueber diesen Flimser Bergsturz siehe die Artikel Flims und Graubünden).
Der Rhein hat sich in einem gewundenen Schluchtenthal
darin eingeschnitten, und ihm folgt auch die Bahnlinie nach Ilanz. Diese Rheinschlucht gehört zu den wildesten, groteskesten
Erscheinungen dieser Art in der Schweiz. Auf langen Strecken steigen schreckhaft zerrissene und zerfetzte
Breccienwände bis 300 m hoch empor und drohen jeden Augenblick den Einsturz. Vorspringende Rippen, Bastionen und Türme wechseln
mit finstern Klüften, gähnenden Nischen und stets sich verändernden Schuttrinnen. Es war keine leichte Arbeit, die Eisenbahnlinie
hier auf sicherm Tracé hindurch zu führen. Auf langen Strecken musste der hin und her pendelnde Rhein
korrigiert und ihm zwischen gewaltigen Dämmen ein neues Bett angewiesen werden. Tunnels sind nur wenige und kurze vorhanden,
dagegen mehrere schöne Brücken für die Bahnlinie selber und für Zufahrtsstrassen zu den Stationen. Von letztern liegen
die für Trins, Versam und Valendas-Sagens auf dieser Schluchtenstrecke. Bald nach der letztgenannten Station
betritt die Bahn die freie, offene Landschaft der Gruob mit ihrem ebenen Thalboden, ihren sonnigen Halden, Fruchtfeldern, Obstbäumen
und zahlreichen Dörfern, Weilern und Burgen. Ueber die Station Kästris und eine schöne Glennerbrücke wird das Städtchen
Ilanz erreicht. Als Verkehrsmittelpunkt des Oberlandes und Hauptort des Grauen Bundes hat es von jeher eine
nicht unwichtige Rolle gespielt und ist reich an geschichtlichen Erinnerungen. Ilanz hat die grössten Viehmärkte des Oberlandes.
Vor allem aber eignet es sich als Ausgangspunkt für die mannigfaltigsten Exkursionen in weitem Umkreis. Wie die Eisenbahnlinie
sind aber auch die beiden Strassen über Versam-Valendas und über Trins-Flims sehr interessant. Flims insbesondere
ist wieder ein trefflicher Touristen-Ausgangspunkt. Für die Weiterreise ins Oberland sind die Routen über eine der aussichtsreichen
Terrassen Obersaxen oder Brigels derjenigen durch den Thalgrund weit vorzuziehen. Brigels insbesondere ist prächtig gelegen,
eine beliebte Sommerfrische und Exkursionsstation. Von Brigels erreicht man Truns in 1½ Stunden (über
Schlans).
Dem Bündner gilt Truns als die Wiege der Freiheit, die unter dem historischen Ahorn begründet wurde. Dieser ehrwürdige Baum
steht nicht mehr, wohl aber an seiner Stelle ein direkter Abkömmling, aus Samen des 1870 durch einen Sturmwind gefällten
Ahnherrn gezogen. Bei Truns mündet das Val Puntaiglas mit seinem schäumenden
Sturzbach und schönen Gletscher
(reich auch an schönen Gesteinen und Krystallen). Von Truns gelangt man in 2½ Stunden über Somvix nach Disentis.
Dabei wird in finsterer Schlucht die schöne Ruseinbrücke passiert, unter welcher die Ruine Hohenbalken im Wald versteckt liegt,
während über ihr am Felsen eine Gedenktafel an die drei grössten Erforscher des Oberlandes, Placidus a Spescha, Escher von
der Linth und G. Theobald, erinnert, Disentis ist ein stattlicher Ort in schöner, offener Landschaft. Weithin ist das mächtige
Kloster sichtbar. Kuranstalt und Gasthöfe. Es wird noch viel Gerste und Roggen, selbst Weizen und Flachs
angebaut.
Die Kirschbäume sind zahlreich, und auch andere Obstbäume finden sich in den Gärten. Zu Disentis gehören verschiedene
kleinere Dörfer und Weiler, wie Disla, Acletta, Segnes, Mompè Tavetsch, Mompè Medels etc. Ueber Sedrun und Tschamut erreichen wir
den Oberalppass. Auch diese obersten Orte des Rheinthals werden noch als Sommerfrischen aufgesucht. Sedrun
ist Hauptort der Thalschaft und Gemeinde Tavetsch und wiederum ein günstiger Ausgangspunkt für mancherlei Exkursionen, ebenso
Tschamut.
Die Geschichte
des Bündner Oberlandes verflicht sich natürlicherweise mit derjenigen Graubündens überhaupt. Um Wiederholungen zu vermeiden,
sei darum auf den Art. Graubünden
verwiesen. Das dort genannte Fürstengeschlecht der Viktoriden (600-784) war auch
im Oberland reich begütert und hatte seinen Hauptsitz in dem mit einer Burg versehenen Sagens. Andere Herrenhöfe besass es
in Brigels, Waltensburg und Ruschein, dazu noch viele Bauerngüter da und dort zerstreut. Aus dem Testament, mit welchem Bischof
Tello, der letzte Viktoride, einen grossen Teil seiner Güter dem Kloster Disentis vermachte, erhellt,
dass das Land schon damals gut angebaut war, denn neben Wäldern, Alpweiden und Wiesen werden auch Aecker, Obstbaumpflanzungen,
Weinberge, Gärten, Wasserleitungen etc. genannt.
Die Güter des Bischofs wurden teils von freien Zinsbauern, teils von sog. Kolonen, d. h. halbfreien Bauern, die etwa den Hörigen
der Deutschen entsprachen, bewirtschaftet. Leibeigene gab es nicht oder doch nur sehr wenige. Das erwähnte Testament nennt
viele heute noch bestehende Ortschaften. Begreiflicherweise kam das Kloster Disentis schon frühe zu grossem Einfluss im Oberland
und erlangte die Vorrechte der freien Abtwahl und der Immunität über die Gemeinden Disentis, Tavetsch, Medels,
Somvix, Truns, Schlans und Brigels.
Auch Karl der Grosse, der 781 und 801 über den Lukmanier gezogen sein soll (wie schon früher Karl Martell 717 und Carlomann
747), scheint es reich beschenkt zu haben. 1048 erhielt es die Reichsunmittelbarkeit, und 1213 wurde der Abt in den Reichsfürstenstand
erhoben. Doch wusste sich die Gemeinde Disentis eine selbständige Stellung neben dem Abte und später
sogar die Schirmvogtei über das Kloster zu erwerben. Ausser dem Kloster Disentis hatte auch der Bischof von Chur Herrschaftsrechte
im Oberland.
Ums Jahr 1050 besass er z. B. allein im Lugnez 5 grosse Meierhöfe und 27 Bauerngüter. Im ganzen Gebiet
zählte man 25 bischöfliche Vasallen. Unter den weltlichen Edelherrschaften werden seit dem 12. und 13. Jahrhundert genannt
die Herren von Hohentrins, Belmont (bei Flims-Fidaz), Löwenberg (bei Schleuis), Valendas, Kästris, Wildenberg (bei Fellers), Frauenberg
(bei Ruschein), Jörgenberg, Grünenfels (bei Waltensburg), Friberg (bei Seth), Schlans etc. Auch die Freiherren von Räzüns
besassen Güter im Oberland, gründeten Kolonien in Versam, Sculms, Safien und erwarben mit der Zeit mehrere der eben genannten
Herrschaften, wie Jörgenberg, Grünenfels, Schlans etc. Die meisten dieser Herrschaften verschwanden übrigens schon im Laufe
des 13. und 14. Jahrhunderts infolge Aussterbens, Verarmens oder anderer Ursachen. Es kamen andere Herrschaften auf,
um später ebenfalls zu verschwinden, so die Grafen von Sargans und Werdenberg und die Freiherren von Sax-Misox, die eine zeitlang
grosse Güter und Rechte im Oberland besassen. Zur Ausbildung einer einheitlichen Landesherrschaft war von den vielen geistlichen
und weltlichen Gebietsherrschaften keine gross und mächtig genug. Dazu gab es von jeher auch völlig
freie Gemeinden mit eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Dahin
mehr
gehörten die schon erwähnten «freien Walser» und die «Grafschaft Laax», d. h. die Reichsvogtei über die im Oberland zerstreut
wohnenden reichsfreien Bauern. Diese hielten alljährlich bei der Burg Langenberg (nö. Laax) unter Leitung eines Reichsvogtes
ihr Landgericht ab, verbunden mit einem grossen Jahrmarkt. 1428 kauften sie sich von der Vogtei los und
stellten sich unter den Schutz des Bistums. Leibeigene hat es im Oberland immer nur sehr wenige gegeben, und auch diese hatten
verschiedene Rechte, durften z. B. Güter erwerben. So war im Oberland die Freiheit Regel, die Unfreiheit Ausnahme, selbst
in der Blütezeit des Feudalismus.
Wichtig für die weitere freiheitliche Entwicklung war das allmählige Aufkommen der Gerichtsgemeinden
auch in den Gebietsherrschaften. Ursprünglich übten die verschiedenen kleinern und grössern Herrschaften über ihre Leute
wenigstens die niedere Gerichtsbarkeit, einige derselben zugleich auch die hohe Judikatur aus, und zwar durch einen Vogt,
der zu bestimmten Zeiten Gerichtstage abhielt, wozu alle Leute seines Gebietes einzuladen waren. Die
Gesamtheit dieser Leute, aus welchen auch die Beisitzer des Vogtes, die Geschwornen, genommen wurden, bildeten dann eine
Gerichtsgemeinde.
Bald liess sich diese die Beisitzer des Vogtes nicht mehr geben, sondern wählte sie von sich aus, und mit der Zeit erlangte
sie sogar Einfluss auf die Wahl des Vogtes selber, der dann den Namen Ammann erhielt. Die Kraft und Selbständigkeit
der Gerichtsgemeinden wurde mächtig gefördert durch die Bündnisse, die sie miteinander und mit den Herrschaften zu gegenseitigem
Rechtsschutz und gegenseitiger Hilfe eingingen, so in den ersten Anfängen schon 1374 und 1395. Am besten ausgeführt wurden
die Grundsätze der Rechtssicherheit in dem 1424 erneuerten und erweiterten Bundesvertrag des «Grauen
oder Oberen Bundes», der unter dem Vorsitz des Abtes von Disentis beim Ahorn zu Truns beschworen wurde. Es verbanden sich da
die Abtei und Gemeinde Disentis, die Freiherren von Räzüns und ihre Leute, die Gemeinden Safien, Tenna und Obersaxen, der Graf
von Sax-Misox mit den Gerichten und Gemeinden Ilanz, Gruob, Kästris, Lugnez, Vals und Flims, der Graf von Werdenberg mit Trins und
Tamins, die Freien von Laax, die Gemeinden Rheinwald und Schams.
Später verband sich der Graue Bund mit den im übrigen Rätien entstandenen Bünden (dem Gotteshausbund und Zehngerichtebund).
Die Reformationszeit ging verhältnismässig ruhig vorüber, obwohl die neue Lehre auch in diesem Bergland
ihren Einzug hielt. Schon 1526 wurde nach einem Religionsgespräch in Ilanz die Religionsfreiheit proklamiert, früher als
es sonst irgendwo geschehen ist. Verfolgungen um des Glaubens willen wurden bei Busse verboten, die politische Gewalt der
Geistlichkeit beseitigt, den Klöstern die Novizenaufnahme untersagt, den Gemeinden die Wahl und Entlassung
ihrer Geistlichen freigegeben etc. In der Folge blieben die meisten Gemeinden des Oberlandes beim alten Glauben.
Tamins, Trins, Flims, Safien, Tenna, Versam, Valendas, Kästris, Luvis, Flond, Riein, Pitasch, Duvin wurden reformiert, Ilanz und Sagens
paritätisch. Später suchte das Kloster Disentis, begünstigt durch Carl Borromeo, der es 1584 besuchte,
der Reformation entgegen zu arbeiten und gelangte unter gewandten Aebten zu neuer Blüte und Macht. Viel Unruhe und Not,
manche bedauerlichen Ereignisse und Zustände brachten auch dem Oberland die Zeiten der fremden Kriegsdienste und der Bündnerwirren.
Der Einmarsch der Franzosen in die Schweiz, die Umgestaltung dieser letztern in die helvetische Republik
und die darauffolgenden Kämpfe, insbesondere der Krieg der zweiten Koalition gegen Frankreich, zogen auch Graubünden
und das Oberland
in Mitleidenschaft. Die französischen Generale in Italien sollten die Verbindung mit der Schweiz herstellen. Während sich
im untern Rheinthal (Luzisteig-Chur-Reichenau) Oesterreicher und Franzosen bekämpften, rückten französische
Truppen auch vom Lukmanier und Gotthard her ins Oberland ein, im Medels und Tavetsch alles vor sich her zerstörend. Da brach
der Landsturm los und erfocht (am mit seinen furchtbaren Schlagwaffen einen vollständigen Sieg.
Die Franzosen unter General Loison verloren 400 Tote, 40 Verwundete und 100 Gefangene
und mussten sich
nach Urseren zurückziehen. Aber bei Chur hatten die Franzosen unter Masséna und Demont (einem Bündner aus dem Lugnez) gesiegt.
Demont rückte ins Oberland ein. Es kam zu einer Kapitulation, der Krieg schien zu Ende. Loison aber kehrte sich nicht daran,
drang von Urseren wieder vor und legte dem Kloster Disentis eine Kontribution von 100000 Fr. auf. Auch
die Gemeinden und Privaten wurden gebrandschatzt.
Anfangs Mai erhoben sich die Tavetscher und Medelser wieder, rückten gen Disentis, schlugen viele Franzosen nieder und machten
die übrigen zu Gefangenen. Als von den diesen einige zu entfliehen suchten, wurden sie alle erschlagen.
Der Landsturm wälzte sich nach Reichenau, wurde aber hier von den Franzosen unter General Menard besiegt und in die Flucht
geschlagen. Menard zog ins Oberland ein und nahm furchtbare Rache. Disentis und die umliegenden Dörfer, auch das Kloster,
wurden niedergebrannt und viele Einwohner umgebracht. Mit dem Kloster gingen wertvolle Altertümer, Bücher,
Handschriften und Sammlungen unter, ein für die Landesgeschichte unersetzlicher Verlust. Französische Truppen blieben bis 1804 in
Bünden, das dann durch die Mediationsverfassung endgiltig mit der Schweiz verbunden wurde.
Literatur:
Theobald, G. Naturbilder aus den Rätischen Alpen. 3. Aufl. von Chr. Tarnuzzer. Chur 1893; Theobald, G. DasBündner Oberland. Chur 1861; Tarnuzzer, Chr. Illustr. Bündner Oberland.Zürich
1903; Heim, A. Geologie der Hochalpen zwischen Reuss
und Rhein. (Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz. 25, 1891).
So nennen die Bewohner des Gäu, des Niederamtes (Olten-Gösgen) und zum Teil auch diejenigen
der Amtei Dorneck-Thierstein den obern Kantonsteil, d. h. die Amteien Solothurn-Lebern links und Bucheggberg-Kriegstetten (Wasseramt)
rechts der Aare.
So nennt man die höher gelegenen Abschnitte der Bezirke Pfäffikon und Hinwil, d. h. das
Gebiet des Tössthales bis gegen Turbenthal, das Thal der Jona und die Gegend um den Bachtel.
Die Thalsohlen liegen durchschnittlich
in 600 m, während die Berge bis 1000-1300 m aufsteigen.
Das Gebiet zeigt an manchen Stellen subalpinen Charakter, besonders
auch in Bezug auf die Flora und die Beschäftigung der Bewohner.
Eigentlicher Ackerbau fehlt, dagegen
wird viel Viehzucht getrieben. Am Hörnli, Schnebelhorn etc. finden sich Alpweiden für Jungvieh.
Seit etwa 50 Jahren hat hier
dank der überall reichlich vorhandenen Wasserkräfte die Industrie einen erfreulichen Aufschwung genommen (so z. B. Baumwollen-
und Maschinenindustrie, sowie als Hausarbeit Seidenweberei und Maschinenstickerei).