Numismatik
(vom griech. nómisma, lat. numisma, Münze), Münzkunde, die Wissenschaft, welche das Studium der Münzen und Medaillen zum Gegenstande hat, bildet einen wichtigen Zweig der Archäologie. Man teilt sie ein in die alte Numismatik, die mit dem weström. Kaiserreich endet, die mittelalterliche, die mit den Byzantinern und mit den Münzen aus den Zeiten der Völkerwanderung beginnt, und die moderne, von der Renaissancezeit an. Besondere Abteilungen bilden die orient. und die überseeischen Münzen. (S. Tafel: Münzen I–IV.) Die antiken Münzen geben wichtige Belehrung über Mythologie, Kultus, Regierung, Kriegswesen, Handel, Gewerbe, Litteratur, Sitten, Trachten der Völker des Altertums und gewähren urkundliche Belege für den jedesmaligen Stand der Kunstentwicklung.
Von besonderm Interesse durch die Schönheit der Prägung sind namentlich die griechischen Münzen, d. h. die alten Münzen vom eigentlichen Griechenland, von den griech. Inseln und Kolonien in Kleinasien sowie von Sicilien und Großgriechenland (Unteritalien), welche griech. Aufschriften haben. Sie zerfallen in drei Arten, nämlich: Städtemünzen, Münzen der hellenistischen Könige und die unter röm. Herrschaft geprägten. Münzeinheit war ursprünglich der Stater (s. d.), später die Drachme (s. d.). Die älteste Prägung griech. Münzen schreibt die Überlieferung gewöhnlich Pheidon von Argos (Anfang des 7. Jahrh. v.Chr.) zu, Herodot den Lydern.
Diese und nach ihnen ein Teil der kleinasiat. Griechenstädte scheinen jedenfalls mit der Prägung in Gold und Elektron, einem stark mit Silber legierten Gold, vorangegangen zu sein. Auf dem Festlande war Ägina die älteste Prägstätte und schlug Silber. Silberwährung ist auch weiter herrschend geblieben. Diese ältesten Münzen waren von länglicher oder kugelförmiger Gestalt, hatten nur auf einer Seite eine bildliche Darstellung, während sich auf der andern Seite eine quadratförmige Vertiefung, das sog. quadratum incusum, befand, welches später durch Linien geteilt wurde. Auch waren diese ältesten Münzen aufschriftlos, und nur vereinzelt kommt der Anfangsbuchstabe des Stadtnamens vor. Ihre Einfachheit ist vor allem durch die Typen charakterisiert, die wappenähnlich die Stadt oder das Land bezeichnen. So befindet sich z.B. auf den äginetischen Münzen eine Schildkröte, auf den böotischen ein Schild, auf den ephesischen eine Biene, auf den rhodischen eine Rose. Später finden sich neben dem Symbol oder Wappen des
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Landes oder des Prägeortes, welches meistens auf der Rückseite, also in das vertiefte Quadrat auf- genommen wurde, auf der Vorderseite auch schon die Schutzgötter der betreffenden Städte dargestellt. Kupferne Scheidemünzen wurden erst gegen das I. 400 v. Chr. geprägt. Wenn auch die Typen der ältesten griech. Mün- zen schon hier und da von künstlerischer Schönheit sind, so erreichte die griech. Münzkunst doch erst ihre Vollkommenheit in der Zeit des 5. Jahrh, bis zu Alexander d. Gr. Zu den gelungensten Münzen der griech. Prägekunst gehören die macedon.
Münzen mit den Köpfen des Apollo oder des Herakles, die von vollendeter Schönheit sind, wie sie sich z. V. auf den Münzen von Amphipolis, der Chalkidike und von Philipp: finden. Unter Alexander d. Gr. wurden zuerst die Götterköpfe durch das Bildnis des Königs von der Vorderfeite verdrängt. Einen teilweise noch höhern Aufschwung als in dem Mutter- lande nahm die griech. Prägekunst in den griech. Kolonien, in Unteritalien und in Sicilien. Es wur- den viele und große Münzen geprägt, welche sich hinsichtlich ihrer Typen durch Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit auszeichnen.
Vor allem sind hier die im Anfang des 5. Jahrh, geschlagenen Dekadrach- men (Stücke zu 10 Drachmen) von Syratus zu er- wähnen, die als die größten und zugleich vollendet- sten Münzen des Altertums zu betrachten sind. Die unter den ersten röm. Kaisern in Griechenland und besonders in Kleinasien geprägten Münzen sind von großer Schönheit und besitzen hauptsächlich einen bedeutenden Reichtum an Typen, wie z. V. an Dar- stellung der Lokalgottheiten und ihrer Mythen.
Sie geben auch manchen Aufschluß über Kunstwerke, welche verloren gegangen sind und die nur nach diesen Münzen wiederhergestellt werden können. Im allgemeinen stehen dieselben jedoch, was Kunst- wert anbelangt, tief unter den griech. Städte- oder Autonommünzen. Die spätesten griech. Münzen sind die von Alexandria, die mit der Eroberung dieser Stadt durch Diocletian aufhören, und die der bosporanischen Könige, die bis Konstantin d. Gr. geschlagen wurden.
Auch beiden römischen Münzen läßt sich eine lange und reiche Entwicklung verfolgen, doch ist diese, Roms Geschichte entsprechend, einheitlicher und weniger von kunstgeschichtlicher als von wirt- schafts- und politischgeschichtlicher Bedeutung. Die Münzung hat bei den Römern wie bei den andern Italikern mit dem Kupfer begonnen, das an Stelle des ältesten Tauschmittels, des Viehs (p6cu8, davon ^cuuia.), trat. Man findet zunächst gestempelte Gewichtsbarren, die die Überlieferung dem König Eervius Tullius zuschreibt, dann ein plumpes, rundes, gegossenes Stück von einem röm. Pfund liidi-a, davon Libralfuh).
Dieses Stück des As ls. d.) ist die älteste Münzeinheit. Erst spät, mit dem I. 269 v. Chr., beginnt in Rom die Silberprägung, nachdem man sich bis dahin mit Barren und mit den Edelmünzen der benachbarten campanischen Griechenstädte beholfen hatte. Die Münzeinheit ist jetzt der Denar (s. d.), neben dem als kleineres Stück Silber der Scherz (s. d.) steht. Goldmünzen sind bereits 217 v. Chr. geprägt worden, aber erst in Cäsars Zeit hat man die Goldwährung eingeführt, die dann in der Kaiferzeit bleibt. Augustus behielt die Gold- und Silberprägung dem Kaiser vor und beließ dem Senat nur die im 1. Jahrh. n. Chr. ganz verfallene, aber damals neu belebte Kupferprägung. Auch Kupfermünzen autonomer Städte fanden sich in der Kaiserzeit; das Prägerecht wurde hier beson- ders verliehen. Aurelian (gest. 275) nahm dem Senat auch noch die Kupferprägung.
Die Haupt- münzeinheit ist damals der Aureus, an dessen Stelle in Konstantins d. Gr. Zeit der Solidus (s. d.) tritt, über den histor. Wert der Kaisermünzen s. d. Von einer wissenschaftlichen Beschäftigung der Griechen und Römer mit Münzen ist nichts bekannt, wenngleich es den Anschein hat, daß letztere kostbare griech. Münzen aufbewahrten (vgl. Suetons «^u- 3U8W8», Kap. 75). Im Mittelalter war Italien das erste Land, in welchem man Interesse für die Numismatik ge- wann und mit dem Sammeln von Münzen begann.
Petrarca und Cosimo de' Medici besaßen Münz- sammlungen. Dann breitete sich das Interesse für die Münzkunde auch in Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland aus. Zunächst legten die Fürsten Münzkabinettean, später wurde das Sammeln von Münzen eine gelehrte Lieblingsbe- schäftigung und vornehme Modesache. Der Holland. Kupferstecher und Antiquar Hubert Goltzius be- suchte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh, nicht weniger als 950 numismat.
Kabinette. Zu den bedeutendsten Münzsammlungen gehören die des Britischen Museums (s. d., Bd. 3, S. 552 d) in Lon- don, der Lid1iotli6(iu6 national in Paris und das Münzkabinett im Museum zu Berlin; ferner die Sammlungen zu Wien, Gotha, München, Dresden, Petersburg (Eremitage), Kopenhagen, Madrid, Turin, Florenz, Rom, Neapel. Die vermehrte Nachfrage, zunächst nach antiken Münzen, rief bald Nachahmungen seltener Stücke hervor. Namentlich in Padua schnitten im 16. Jahrh. Giovanni Cavino und Alessandro Bassiano vor- zugsweise nach Großbronzen röm. Kaiser neue Stempel und stellten mittels derselben Kopien her, die man Paduaner nennt. In neuerer Zeit haben sich namentlich Becker in Hanau und Cigoe in Udine einen berüchtigten Namen als Münzfälscher gemacht; die Falsifikate des letztern haben die besten Kenner getäuscht.
Das Studium dieser Fälschungen ist ein treffliches Mittel, den praktischen Blick für echte Münzen zu schärfen; im königl. Münzkabinett zu Berlin sind die verschiedenen Falsifikate als be- sondere Abteilung gesammelt. Ein wesentliches Verdienst um die Verbreitung der Münzkunde haben sich die numismat. Gesellschaften erworben. Bekannt sind die Gesellschaften in Berlin, Wien, London und Paris; neuerdings ist von den Brüdern Erbstein in Dresden auch ein «Kongreß deutscher Münzforscher» ins Leben gerufen w'orden.
Litteratur. Auf dem Gebiet der antikenMün- zen war epochemachend das Werk von Ios. Eckhel, voctrina. numoruni vetsruiu (8 Bde., Wien 1792 -98). Außerdem sind hervorzuheben die Werke von Voeckh, Mionnet, Cohen, Lenormant, Graf Vorghesi, Herzog Blacas d'Aulps, Cavedoni, Hultsch, Fried- länder, Imhoof-Blumer (s. die Einzelartikel);
ferner Werlhof, Handbuch der griechischen Numismatik (Hannov. 1850);
Vrandis, Das Münz- und Gewichtswesen in Vorderasien bis auf Alexander d. Gr. (Berl. 1866); Samwer, Geschichte des ältern röm. Münzwesens (Wien 1883);
Babelon, DkLci'iptiou Ki8t0i-iciii6 et c1n'0N0l0giqU6 ä63 IU0NNHi68 ä6 13. r6Ml)1iHU6 1'0 main6 (Par. 1885);
Head, IIi3t0ri3. numoi-uui (Orf. 1887) u. v. a.
Vgl. auch ^ cataloFUL ok^reek coinä iu tlie Lriti8ii ^Iu86um (Lond. 1878 fg.);
Beschreibung der antiken Münzen der königl. Museen zu Berlin