Novelle
diejenige epische Dichtungsform, welche, wie der
Roman (s. d.), ein natürliches
Geschehen als wunderhaft darstellt und dadurch sowohl zum
Märchen (s. d.), welches ein wunderbares Geschehen als natürlich
erscheinen lassen will, wie zum
Epos (s. d.), welches ein Wunderbares als wunderbar, und zur
Erzählung (s. d.), welche ein
Natürliches als natürlich darstellt, im
Gegensatz steht. Die Novelle
unterscheidet sich vom
Roman durch den Umstand,
daß sie nur eine einzige, der
Roman eine ganze Aufeinanderfolge von Begebenheiten darstellt, daher der »romanhafte«
Schein bei der Novelle
durch die
Beschaffenheit dieser einzelnen dargestellten Begebenheit selbst erweckt werden muß, während
er im
Roman auch durch die (romanhafte)
Beschaffenheit der Aufeinanderfolge
an sich natürlich erscheinender Begebenheiten geweckt
werden kann.
Die dargestellte Begebenheit muß »neu« (auffällig, unerhört, wunderlich
und daher scheinbar unnatürlich) entweder durch die in ihr enthaltene
Situation (Situationsnovelle
) oder durch die in ihr
auftretenden
Charaktere (Charakternovelle
) sein. Durch die Beschränkung auf eine einzige Begebenheit ist die Novelle
dem
Drama,
wie der
Roman als
Darstellung einer ganzen
Reihe von Begebenheiten dem
Epos, verwandt.
Dramatiker, wie
Shakespeare,
Calderon, haben daher ihre Dramenstoffe nicht selten aus
Novellen (z. B. »Romeo und
Julie«) entlehnt oder sind, wie H. v.
Kleist,
Fr.
Hebbel,
Halm u. a., zugleich
Novellisten gewesen.
Meister der Novelle
sind:
Boccaccio (»Il
Decamerone«) und
Bandello, später
Tommaso G.
Masuccio und G.
Franc. Straparola
in
Italien;
[* 2]
Don Juan Manuel und vornehmlich Cervantes in Spanien; [* 3]
die Königin Margarete von Navarra, Scarron, Marmontel und Voltaire in Frankreich;
unter den
Deutschen
Goethe,
Tieck, H. v.
Kleist, H.
Steffens, P.
Heyse, F.
Halm,
Storm, K. Ferd.
Meyer,
Gottfried
Keller
u. a. Eine Auswahl italienischer, spanischer, französischer, englischer und
deutscher
Novellen enthält E. v.
Bülows »Novelle
nbuch« (Leipz. 1834-36, 4 Bde.).
Außerdem gaben A. v.
Keller einen
»Italienischen Novelle
nschatz« (Leipz. 1851-52, 6 Bde.),
Paul
Heyse mit H.
Kurz einen
»Deutschen Novelle
nschatz«
(Münch. 1870-76, 24 Bde.) und »Novelle
nschatz
des
Auslandes« (das. 1872-74, 14 Bde.)
sowie mit
Laistner einen
»Neuen deutschen Novelle
nschatz« (das. 1884 ff.)
heraus.