Notwehr
(Inculpata tutela,
Moderamen inculpatae tutelae), »diejenige
Verteidigung, welche erforderlich ist,
um einen gegenwärtigen rechtswidrigen
Angriff von sich oder einem andern abzuwenden« (deutsches
Reichsstrafgesetzbuch, §
53). Eine durch Notwehr
gebotene
Handlung ist straflos. Es ist zwar in allen zivilisierten
Staaten anerkannt, daß man sich gegen
einen unberechtigten
Angriff nicht selbst
Recht verschaffen, sondern den staatlichen Rechtsschutz anrufen soll.
Ist aber die Staatshilfe im gegebenen
Fall nicht erreichbar oder nicht ausreichend, so kann dem Angegriffenen
das
Recht der Selbstverteidigung, welches ein unmittelbarer Ausfluß
[* 2] des
Rechts der Persönlichkeit und des menschlichen Selbsterhaltungstriebs
ist, nicht abgesprochen werden. Aber auch zur
Verteidigung eines andern, welcher widerrechtlich angegriffen wird, ist Notwehr
zulässig.
Die Notwehr
erscheint als ein
Recht, und eben dadurch unterscheidet sie sich von dem sogen.
Notstand (s. d.),
einem bloß faktischen Zustand, in welchem dem in seiner
Existenz Bedrohten die
Verletzung eines andern zum
Zweck der Selbsterhaltung
verziehen wird.
Die Notwehr
ist aber nur dann straflos, wenn der dadurch zurückgewiesen
Angriff ein rechtswidriger war. Ist
der Angreifende vermöge seiner amtlichen
Stellung oder eines Züchtigungsrechts zu der Angriffshandlung befugt, so kann von
Notwehr
gegen diese nicht die
Rede sein, weil eben der
Angriff kein rechtswidriger ist; anders jedoch, wenn eine Überschreitung
der Amtsbefugnisse vorliegt, und eben darum bestraft das
Reichsstrafgesetzbuch (§ 113) die Widersetzung gegen einen
Beamten nur dann,
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wenn letzterer in der rechtmäßige Ausübung seines Berufs handelte. Auch ist die Notwehr
nicht bloß gegen einen rechtswidrigen
Angriff auf Leib und Leben, sondern auch gegen einen solchen gestattet, welcher gegen die Ehre, die Keuschheit, die Freiheit etc.
oder auch nur gegen ein Vermögensrecht gerichtet ist. Da nach dem Vorstehenden der widerrechtlich Angegriffene
ein Recht zur Notwehr
hat, der in der Notwehr vorgenommene Gegenangriff also kein rechtswidriger ist, so kann
auch Notwehr
gegen Notwehr nicht zulässig sein, während einem im Notstand (s. d.) unternommenen Angriff gegenüber die Notwehr
keineswegs
ausgeschlossen ist.
Der durch die Notwehr
abgewiesene rechtswidrige Angriff muß aber ferner ein gegenwärtiger sein, d. h. bereits
begonnen haben oder doch unmittelbar bevorstehen, indem der Bedrohte den Beginn der Thätlichkeiten nicht etwa erst abzuwarten
braucht. Endlich ist aber auch nur diejenige Verteidigung erlaubt und straflos, welche erforderlich war, um den gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff zurückzuweisen. Es muß also ein andres Mittel zur Zurückweisung desselben, namentlich
das Anrufen des obrigkeitlichen Schutzes, ausgeschlossen sein; auch darf die Verteidigung nicht weiter gehen, als es zur Bekämpfung
jenes Angriffs erforderlich ist.
Die Größe der Verteidigung muß zu der Größe des Angriffs im richtigen Verhältnis stehen; sie darf nicht voreilig erfolgen,
und sie darf auch nicht etwa fortgesetzt werden, nachdem die Gefahr bereits abgewendet ist. Ein Exzeß (Überschreitung)
der Notwehr
ist daher strafbar; doch erklärt das deutsche Strafgesetzbuch (§ 53) denselben dann für straflos, wenn der Thäler
in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen
[* 4] der Verteidigung hinausgegangen ist.
Vgl. Levita, Das Recht der Notwehr
(Gießen
[* 5] 1856);
Geyer, Die Lehre
[* 6] von der Notwehr
(Jena
[* 7] 1857);
Wessely, Die Befugnisse des Notstandes und der Notwehr
(Prag
[* 8] 1862).