Notstand,
im allgemeinen jeder Zustand der Bedrängnis, im strafrechtlichen Sinn insbesondere der Zustand der Gefahr, aus welcher sich jemand nur durch einen Eingriff in das Recht eines andern retten kann. Schon die peinliche Gerichtsordnung Karls V. erklärt denjenigen, welcher Lebensmittel stehle, um sich und die Seinen vom Hungertod zu erretten, für straffrei; die moderne Strafgesetzgebung nimmt für den Notstand überhaupt Straflosigkeit an. Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (§ 54) läßt diese jedoch nur dann eintreten, wenn es sich um eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben des Thäters selbst oder eines seiner Angehörigen handelt. Unter »Angehörigen« sind Verwandte und Verschwägerte in auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflegeeltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten und Verlobte zu verstehen. Außerdem muß die Gefahr eine unverschuldete und die Rettung aus derselben nicht anders zu ermöglichen sein als durch eine Handlung, welche sich an und für sich als Rechtsverletzung charakterisiert. Von der sogen. Notwehr (s. d.) unterscheidet sich der Notstand dadurch, daß es sich bei jener um die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs handelt, während der Strafausschließungsgrund des Notstandes gerade demjenigen zu gute kommt, welcher, um sich zu retten, einen Eingriff in eine fremde Rechtssphäre unternimmt. Wenn z. B. jemand nach mir schießen will, und ich verteidige mich gegen ihn, so bin ich im Zustand der Notwehr. Kann ich mich hier aber nicht anders retten als dadurch, daß ich eine neben mir stehende Person vor mich hinschiebe, so daß diese von dem Schuß getroffen wird, so bin ich straflos, weil ich im N. so handelte. Die Notwehr erscheint als ein Recht, der Notstand lediglich als ein thatsächlicher Zustand. Mit Unrecht bezeichnen daher manche den Notstand als sogen. Notrecht, denn die Not gibt uns kein Recht, andre zu verletzen. Der Grund, warum der Notstand die Strafe ausschließt, ist vielmehr die Rücksicht auf den Selbsterhaltungstrieb des Menschen und der Umstand, daß ein gewisser Heroismus dazu gehört, in der Not lieber unterzugehen oder doch Schaden zu erleiden, als sich der Verletzung eines fremden Rechts schuldig zu machen. Vom Standpunkt der Moral mag dies freilich als geboten erscheinen; aber der Gesetzgeber kann eine solche Standhaftigkeit und Charakterstärke, welche über die gewöhnlichen menschlichen Kräfte hinausgehen würde, in der Regel nicht verlangen. Anders
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liegt die Sache freilich, wenn der Betreffende durch Beruf und Stellung dazu verpflichtet ist, wie sich denn z. B. der Soldat im Krieg und der Seemann aus einer Seegefahr nicht auf Kosten andrer erretten dürfen. Nach dem deutschen Strafgesetzbuch (§ 52) ist es endlich ein vom Notstand verschiedener Strafausschließungsgrund, wenn der Thäter zu einer sonst strafbaren Handlung durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung gegen Leib oder Leben genötigt wurde. Vgl. Janka, Der strafrechtliche Notstand (Erlang. 1878); Stammler, Die strafrechtliche Bedeutung des Notstandes (das. 1878).