Nordischer
Krieg, der im Norden [* 3] und Osten Europas von 1700 bis 1721 geführte Krieg zwischen Schweden [* 4] auf der einen und Polen, Sachsen, [* 5] Rußland und Dänemark, [* 6] zuletzt auch Preußen [* 7] und Hannover [* 8] auf der andern Seite, welcher Schwedens im Dreißigjährigen Krieg erworbene Großmachtstellung vernichtete und auf die politischen Verhältnisse Europas eine nachhaltige Wirkung ausgeübt hat. Als 1697 der erst 15jährige Karl XII. (s. Karl 60) zur Regierung gelangte, vereinigten sich die Nachbarfürsten, Friedrich IV. von Dänemark, August II. von Polen und Peter d. Gr. von Rußland, zu einem Bündnis gegen Schweden, das unter einem so jungen und unerfahrenen König hilflos schien. Friedrich IV. gedachte sich wieder in Besitz der im Frieden von Kopenhagen [* 9] (1660) verlornen Gebiete und des im Vergleich von Altona [* 10] (1689) an das Haus Holstein-Gottorp abgetretenen Schleswig [* 11] zu setzen; August von Polen hoffte Livland [* 12] und Esthland zu erobern, und Peter wünschte die am Finnischen ¶
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Meerbusen gelegenen schwedischen Lande in seine Gewalt zu bringen. Die Verbündeten begannen den Krieg, indem 1700 August mit einem sächsischen Heer in Livland, die Russen in Ingermanland, die Dänen in Schleswig einfielen. Karl XII., gedeckt durch ein Bündnis mit England und den Niederlanden, warf sich aber ganz unerwartet auf Dänemark, landete auf Seeland und zwang Friedrich durch die Bedrohung Kopenhagens dazu, unter Vermittelung der Seemächte den Travendaler Frieden zu schließen und sich von seinen Verbündeten loszusagen.
Darauf landete Karl mit 18,000 Mann im Oktober bei Pernau in Livland, rückte mit 8000 Mann den Russen entgegen und schlug den sechsmal stärkern Gegner bei Narwa (30. Nov.). Statt aber Peter zu verfolgen und zur Unterwerfung zu zwingen, wandte er sich 1701 gegen die Sachsen, schlug sie im Juli bei Riga [* 14] und fiel in Polen ein, obgleich dieses neutral bleiben wollte. Durch die Siege bei Kliszow und Pultusk vertrieb er die Sachsen aus Polen, zwang 1704 den Reichstag, August abzusetzen und seinen Schützling Stanislaus Leszczynski zum König zu wählen, und fiel dann in Sachsen ein, wo er August im Frieden zu Altranstädt zwang, der polnischen Krone zu entsagen.
Jetzt erst wandte er sich wieder gegen Peter, der inzwischen die Ostseeprovinzen größtenteils erobert, 1703 Petersburg [* 15] gegründet und Litauen besetzt hatte. Karl vertrieb ihn hieraus, drang selbst in Rußland bis Smolensk ein und unternahm dann auf Mazeppas Rat den abenteuerlichen Zug nach der Ukraine, der mit dem Untergang seines Heers vor Poltawa und der Vernichtung aller bisher errungenen Erfolge endete. Während Karl XII. nach der Türkei [* 16] floh und dort in verblendeter Hartnäckigkeit den Sultan immer wieder zum Kriege gegen Rußland zu bewegen suchte, nahm August den polnischen Thron [* 17] wieder ein, eroberte Dänemark Schleswig, Bremen [* 18] und Verden, [* 19] Peter die baltischen Provinzen und Finnland.
Die Truppen der drei Mächte fielen nun auch in Deutschland [* 20] ein, um Pommern [* 21] zu erobern, dessen Besetzung durch Preußen der schwedische Reichsrat, um es dadurch vielleicht zu retten, zuließ. Nur Stralsund [* 22] blieb von allen auswärtigen Besitzungen in Schwedens Gewalt. Da, im November 1714, kehrte Karl aus der Türkei nach Stralsund zurück und forderte durch seine schroffe Haltung auch noch England, Hannover und Preußen zum Krieg heraus. Letzteres vertrieben 1715 aus Stralsund und Rügen, und Karl, nach Schweden zurückgekehrt, suchte Rußland zum Frieden zu bewegen und durch Eroberung Norwegens sich für seine Verluste zu entschädigen.
Beim zweiten Einfall in Norwegen wurde er im Laufgraben vor Frederikshald erschossen. Doch erreichte der Krieg mit Karls XII. Tod nicht sogleich sein Ende, denn die zur Königin von Schweden erhobene Schwester Karls, Ulrike Eleonore, ganz unter der Leitung der Adelspartei stehend, brach die mit Rußland angeknüpften Unterhandlungen wieder ab, erneuerte den Krieg gegen diese Macht und schloß dagegen der Reihe nach mit Hannover, Polen, Preußen und Dänemark Frieden. Hannover erhielt im Frieden zu Stockholm [* 23] Bremen und Verden gegen Zahlung von einer Million Thaler; mit Polen wurde der Friede von Oliva erneuert und August II. als König anerkannt. Preußen behielt im Vertrag von Stockholm Vorpommern bis an die Peene und zahlte an Schweden 2 Mill. Thlr. Dänemark erhielt im Frieden von Frederiksborg 600,000 Thlr. und den holstein-gottorpschen Anteil an Schleswig. Inzwischen hatte der Krieg zwischen Schweden und Rußland fortgedauert. Ein schwedisches Geschwader wurde geschlagen und die schwedische Küste von den Russen verheert. So sah sich die Königin zum Abschluß des Friedens von Nystad genötigt, in welchem sie Livland, Esthland, Ingermanland, die Bezirke von Kexholm und Wiborg [* 24] abtrat und nur das übrige Finnland nebst 2 Mill. Thlr. zurückerhielt. So verlor Schweden die von Gustav Adolf erworbene Macht und sank zu einem Staat untergeordneten Ranges herab. An seine Stelle trat Rußland.
Vgl. v. Noorden, Geschichte Europas im 18. Jahrhundert, Bd. 2 (Düsseld. 1873).