Mythologie, Inbegriff der religiösen Anschauungen und Sagen derjenigen Völkerschaften, welche den Norden
[* 4] Europas
vor dessen Christianisierung bewohnten (Germanen, Finnen, Slawen); im engern Sinn die Religion der germanischen Bewohner Skandinaviens,
namentlich in der entwickelten Form, wie selbige besonders sich in der altnordischen und isländischen Sagenlitteratur, in
den Liedern der Edda (s. d.), erhalten hat. Die Grundzüge derselben sind, kurz zusammengefaßt,
folgende. Im Anfang der Zeit war weder Himmel
[* 5] noch Erde, sondern nur ein öder, unerfüllter Raum, eine Art Chaos (Ginnungagap).
Am Nordende desselben bildete sich dann Niflheim, das Reich des Nebels und der Kälte, am Südende Muspelheim, die Welt des Feuers
und des Lichts. In Niflheim war ein Brunnen
[* 6] (Hwergelmir), aus dem sich zwölf Ströme ergossen. Je mehr sich dieselben von ihrer
Quelle
[* 7] entfernten, um so mehr erstarrte ihr Wasser, und es entstanden Reif und Eis,
[* 8] welche die Nordhälfte Ginnungagaps erfüllten.
Angeweht aber von der warmen Luft des Südens, begann das Eis zu schmelzen (»es erhielten die TropfenLeben«),
und so entstand durch Zusammenwirken von Hitze und Kälte ein Menschengebilde, der urweltliche RieseYmir, von dem das Geschlecht
der Hrimthursen oder Reifriesen ausging. Ebenso entstand aus dem Eis die Kuh Audhumbla, von deren MilchYmir sich nährte. Diese
Kuh beleckte die Eisblöcke, die salzig waren; da kamen am Abend des ersten Tags Menschenhaare hervor, den
andern Tag eines MannesHaupt, den dritten Tag ward es ein ganzer Mann, der hieß Buri, und der war groß und stark und schön
von Angesicht.
Inmitten der Asen bewegt sich, bald ihnen hilfreich, bald feindlich gesinnt,
Loki, der schöne, aber boshafte Gott des Feuers, der mit einem Riesenweib drei Ungeheuer, die Todesgöttin Hel, den WolfFenrir
und die Midgardschlange, erzeugte. Auch der Meeresgott Ögir und seine GattinRan gehörten nicht zum Asenkreis.
Weiteres über die Götter und ihr Schicksal s. unter Asen, Götterdämmerung und den den einzelnen Hauptgöttern gewidmeten
Artikeln. Wie schon aus dem Bemerkten hervorgeht, findet sich in der nordischen Mythologie der Glaube an eine persönliche Fortdauer
nach dem Tod und zwar so, daß der Zustand und der Aufenthalt von Gestorbenen durch die Todesart bestimmt
wird.
Nur wer den Heldentod in der Schlacht gestorben war, wurde des Aufenthalts und der Seligkeit in Walhalla teilhaftig; wer nicht
im Kampfe fiel (Strohtod), ebenso der Ehrlose, der Dieb, der Lügner fiel der Todesgöttin Hel anheim, deren Gebiet Helheim
sich in Niflheim am äußersten Ende von Jötunheim, von einem Strom umflossen, befand. Über die Gestalt,
welche die urgermanische Götterlehre in Deutschland
[* 18] zeigt, s. Deutsche Mythologie.
[* 19]