Titel
Niemeyer
,
1) August Hermann, rationalistischer Theolog, Pädagog und Dichter geistlicher Lieder, geb. zu Halle, [* 2] ward 1777 hier Privatdozent, 1779 außerordentlicher Professor der Theologie, 1784 ordentlicher Professor und Aufseher des Pädagogiums, 1785 Mitdirektor des Pädagogiums und des Waisenhauses, 1787 Direktor des theologischen Seminars, 1792 Konsistorialrat, 1804 Oberkonsistorialrat und Mitglied des Berliner [* 3] Oberschulkollegiums. 1807 wurde er als Geisel nach Frankreich gebracht, nach seiner Rückkehr aber 1808 zum Mitglied der Reichsstände des Königreichs Westfalen, [* 4] auch zum Kanzler und Rector perpetuus der Universität Halle ernannt.
Die Kanzlerstelle behielt er auch unter der preußischen
Regierung (1814), welche ihn 1816 zum Mitglied des
Konsistoriums zu
Magdeburg
[* 5] ernannte. Er starb Von seinen
Schriften sind hervorzuheben: »Grundsätze der
Erziehung und
des
Unterrichts«
(Halle 1796, 3
Tle.; 9. Aufl. von H. A. Niemeyer
, das. 1834-39; neue Ausg.
von
Rein,
Langensalza
[* 6] 1878, 3 Bde.);
dann »Charakteristik der Bibel« [* 7] (Halle 1795, 5 Bde.; 2. Aufl. 1830);
»Handbuch für christliche Religionslehrer« (das. 1805-1807, 2 Bde.; 7. Aufl. 1829);
»Leitfaden der Pädagogik und Didaktik« (das. 1802);
das unter dem Ministerium Eichhorn in Preußen [* 8] verbotene »Lehrbuch für die obern Religionsklassen in Gelehrtenschulen« (18. Aufl., das. 1843);
»Religiöse Gedichte« (Magdeb. u. Berl. 1814).
Vgl.
Jacobs und
Gruber, A. H. Niemeyer
(Halle 1831).
2) Hermann Agathon, protest. Theolog, jüngster Sohn des vorigen, geb. zu Halle, habilitierte sich 1825 daselbst und ward 1826 als außerordentlicher Professor der Theologie nach Jena [* 9] berufen, kehrte aber bereits 1829 als Professor und Direktor der Franckeschen Stiftungen nach Halle zurück, in welch letzterer Stellung er sich durch Gründung einer Realschule und einer höhern Töchterschule, durch Reorganisation des Pädagogiums etc. verdient machte. Nachdem er 1848 der Berliner Nationalversammlung angehört hatte, starb er Unter seinen größern wissenschaftlichen Leistungen sind zu erwähnen: »Collectio confessionum in ecclesiis reformatis publicatarum« (Leipz. 1840) und die von ihm begonnene »Kritische Ausgabe der lutherischen Bibelübersetzung« (Halle 1840 ff.).
3) Felix von, Mediziner, geb. zu Magdeburg, studierte in Halle, wurde daselbst Assistent Krukenbergs, ging nach seiner Promotion 1843 nach Prag [* 10] und Wien, [* 11] wo er sich unter Rokitansky vorwiegend pathologisch-anatomischen Studien widmete. 1844 ließ er sich in Magdeburg als Arzt nieder, gewann ausgedehnte Praxis und erhielt 1853 auch die Oberleitung der medizinischen Abteilung des städtischen Krankenhauses. 1855 wurde er als Professor der Pathologie und Therapie sowie als Direktor der medizinischen Klinik und der Irrenanstalt nach Greifswald [* 12] berufen und entfaltete hier eine ungemein erfolgreiche Thätigkeit als Lehrer. 1858 erschien der 1. Band [* 13] seines »Lehrbuchs der speziellen Pathologie und Therapie« (11. Aufl., bearb. von Seitz, Berl. 1884, 2 Bde.). Kaum ein andres medizinisches Buch hat jemals einen ähnlichen Erfolg gehabt, es wurde fast in alle lebenden Sprachen übersetzt.
Dasselbe war das
erste in dieser Art, besonders hinsichtlich der Berücksichtigung und Verknüpfung der
pathologischen
Anatomie,
Physiologie und physiologischen
Chemie mit der klinischen
Beobachtung und therapeutischen
Methode. Nicht
Detailforschungen oder die Begründung einer neuen
Richtung, sondern vielmehr die Großartigkeit der allgemeinen
Gesichtspunkte,
die Klärung des Verständnisses der Krankheitserscheinungen durch die
Beleuchtung
[* 14] der denselben zu
Grunde liegenden pathologischen
Veränderungen und die Zusammenfassung der Einzelheiten zu einem harmonischen Ganzen gaben dem
Buch den
höchsten Wert. 1860 folgte Niemeyer
einem
Ruf nach
Tübingen,
[* 15] wo er starb. Er schrieb: »Klinische Mitteilungen aus dem
städtischen
Krankenhaus
[* 16] zu
Magdeburg« (1855);
»Die asiatische Cholera, ein primärörtliches Leiden [* 17] der Darmschleimhaut« (in Virchows »Medizinischer Reform« 1848);
»Die symptomatische Behandlung der Cholera« (Magdeb. 1849).
4) Paul, Mediziner, Halbbruder des vorigen, geb. zu Magdeburg, habilitierte sich 1875 in Leipzig [* 18] und siedelte 1878 als Arzt des Hygienischen Vereins nach Berlin [* 19] über. Er schrieb: »Handbuch der theoretischen und klinischen Perkussion und Auskultation« [* 20] (Erlang. 1868-71, 2 Bde.);
»Grundriß der Perkussion und Auskultation« (3. Aufl., Stuttg. 1880);
»Physikalische Diagnostik« (das. 1874);
»Gesundheitslehre des menschlichen Körpers« (Münch. 1876);
»Die Lunge« [* 21] (6. Aufl., Leipz. 1887);
»Ärztlicher Ratgeber für Mütter« (2. Aufl., Stuttg. 1885);
»Die Sonntagsruhe vom Standpunkt der Gesundheitslehre« (2. Aufl., Berl. 1883).
Er bearbeitete auch Florence Nightingales »Notes on nursing« als »Ratgeber für Gesundheits- und Krankenpflege« (Leipz. 1878) und gibt eine hygienische Zeitschrift, »Ärztliche Sprechstunden« (Jena, seit 1878), heraus.