[* 2]Sprache,
[* 3] die in den heutigen
Niederlanden geltende Schriftsprache, eine Unterabteilung der niederfränkischen
Dialekte (s.
Deutsche Sprache,
[* 4] S. 786). Man versteht darunter aber auch die Gesamtheit der in den
Niederlanden und den deutschen
Teilen von
Belgien
[* 5] gebrochenen
Mundarten. Aus der ältesten
Periode dieser
Sprachen besitzen wir nur ein
Bruchstück einer Psalmenübersetzung (aus dem 9. Jahrh.). Erst im 13. Jahrh.
entwickelt sich eine reiche Litteratur, das sogen. Mittelniederländische.
Charakteristisch für die
Sprache ist die Dehnung vieler ursprünglich kurzer Stammsilben, die schon mittelniederländisch
vollzogen ist, während im gleichzeitigen
Oberdeutschen die
Kürze noch erhalten ist. Im Mittelniederländischen sind drei
Hauptgruppen von
Dialekten zu unterscheiden: die holländischen, flandrischen, brabantischen. Seit dem
Ausgang des 16. Jahrh. gewinnt die
Sprache von
Holland das Übergewicht und wird die Grundlage der heutigen Schriftsprache.
Dies Ergebnis ist zum Teil der
AmsterdamerKammer der
Rederijker (s. Niederländ. Litteratur, S. 156) zu verdanken u.
besonders den Bemühungen vonDirk Koornhert, Roemer
Visscher u. Hendrik Spieghel. Von diesen Männern
veranlaßt, erschien 1584 eine
Grammatik des
Holländischen, die in der
Folge großen Einfluß übte. Von wichtigen sprachlichen
Schriften vor dieser
Grammatik sind zu erwähnen:
Plantins
»Thesaurus theutonicae linguae:
¶
mehr
Schat der nederduytschen sprake« (Antwerpen
[* 7] 1573) und Kilians »Etymologeticon theutonicae linguae« (beste Ausgabe 1783). In
späterer Zeit erwarben sich Lambert ten Kate (1674-1731) durch seine »Aenleiding tot de kennisse van het verhevene
deel der nederduitsche sprake« (Amsterd. 1723, 2 Bde.)
und Balthasar Huijdecoper durch sein »Proeve van taal- en dichtkunde«
(1730; beste Ausg. von Lelyveld und Hinlopen, 1786) und die neue Ausgabe von MelisStokes »Rijmkronijk« (1772) ein bleibendes
Verdienst sowie nach ihnen Clignett, Steenwinkel, Jan van Lelijveld und Niederländische Hinlopen. Im Sprachunterricht wirkte besonders van
der Palm als Unterrichtsminister (1799-1806) ermunternd und fördernd, indem er unter anderm wesentlich zur
Feststellung einer allgemein gültigen Rechtschreibung nach dem von Siegenbeek entworfenen System (»Verhandeling over de nederduitsche
spelling« Amsterd. 1804 u. öfter; »Woordenboek
voor de nederduitsche spelling«, das. 1805) beitrug. An ihn schloß sich an Pieter Weiland,
der außer einer ebenfalls offiziellen Grammatik (»Nederduitsche spraakkunst«, Amsterdam
[* 8] 1805) ein Wörterbuch: »Nederduitsch
taalkundig woordenboek« (das. 1799-1812, 12 Bde.),
herausgab, welches den gesamten niederländischen Sprachschatz umfaßt.
Diese puristischen Bestrebungen fanden zwar manchen Widerspruch, namentlich von seiten Bilderdijks; doch waren die dadurch
angeregten Erörterungen der weitern Ausbildung der Sprache nur förderlich. In Bezug auf die Aussprache ist als das Wesentlichste
zu bemerken: aa (vläm. ae) lautet stets wie a, oe wie u, ou wie au, eu
wie ö, lj (vläm. y) wie ei, ieu wie iü, uu (vläm. ue) wie u,
ui wie eu, u wie ü. Außerdem wird der Konsonants immer scharf, z dagegen weich (wie norddeutsches s), sch immer getrennt
(sch) gesprochen. In grammatischer Hinsicht verdienen noch auszeichnende Erwähnung: Niederländische Ypey, der Verfasser
der gründlichen Werke: »Beknopte geschiedenis der nederlandsche taal« (Utrecht
[* 9] 1812-32) und »Taalkundige aanmerkingen over
verouderde woorden in de staaten-overzetting des Bijbels« (das. 1807-11);
Willems, der Herausgeber der »Verhandeling over de nederlandsche taal-
en letterkunde opzigtelijk de zuideiljke provincien« (1820-24);
B. H. Lulofs (»Gronden der nederlandsche woordafleidkunde«,
Groning. 1833);
A. de Jager (»Taalkundig magazijn«, Rotterd. 1833 ff.;
»Taalkundige handleiding tot de staaten-overzetting des Bijbels«, das.
1837);
W. G. Brill (»Hollandsche spraakleer«, Leid. 1846; »Nederlandsche spraakleer«, das.
1851).
Die ältere niederländische Sprache behandeln J. ^[Johannes] Franck (»MittelniederländischeGrammatik«,
Leipz. 1883) und van Helten (»Middelnederlandsche spraakkunst«, Groningen 1887). Ein Wörterbuch des Mittelniederländischen
ist begonnen durch Verwijs und Verdam. Eine kurze, sehr brauchbare Darstellung der heutigen Sprache gibt H. Kern in seiner »Handleiding
bij het ouderwijs ^[richtig: onderwijs] der nederlandsche taal« (7. Aufl., Amsterd. 1884).
Seit 1864 erscheint, begründet von M. de VriesundL. A. te Winkel,
[* 10] dann von DeVries mit E. Verwijs und J.
P. ^[PeterJacob] Cosijn fortgesetzt, ein großes »Woordenboek der nederlandsche taal«
nach dem Muster des Grimmschen Wörterbuchs. Von holländischen Grammatiken für Deutsche nennen wir die von Gambs (4. Aufl.,
Frankf. 1880),
Ahn (»Handbuch der holländ. Sprache«, Leipz. 1883; »Holländ. Sprachlehre«, 19. Aufl., das. 1886), Reinhardstöttner
(2. Aufl., Heidelb. 1871), von Traut und van der Jagt (Leipz.
1888); von deutsch-holländischen Wörterbüchern die von Kramer (das. 1873),
Die germanisch redende Bevölkerung
[* 13] der Niederlande leitet ihren Ursprung von drei Volksstämmen her: von den Franken (s. d.),
den Sachsen
[* 14] (s. d.) und den Friesen (s. d.).
Noch heute lassen sich die drei Bestandteile der Bevölkerung nach den Mundarten der verschiedenen Provinzen erkennen (s. Deutsche Mundarten,
Bd. 5, S. 31 b, 32 a und 33 a). Die niederländ. oder holländ. Sprache nebst der vläm. Mundart gehört zu den niederfränk.
Mundarten. Es ist die einzige unter allen deutschen Mundarten, welche, gegenüber der hochdeutschen,
eine selbständige Schriftsprache geworden ist (s. Deutsche Sprache, Bd. 5, S. 73 b). Die altniederländ.
Sprache, wie sie sich in der Psalmenübersetzung zeigt und altniederfränkisch genannt zu werden pflegt, ist der altsächsischen
im «Heliand» am nächsten verwandt. Der Übergang des
Altniederländischen ins Mittelniederländische ist dem des Althochdeutschen ins Mittelhochdeutsche analog. Die ältesten
bekannten Denkmale der mittelniederländ. Sprache verdanken wir Heinrich (s. d.) von Veldeke. Entsprechend dem gleichzeitigen
Sprachstande in Deutschland,
[* 15] dem Mittelhochdeutschen und dem Mittelniederdeutschen, nennt man die Sprachperiode von Veldeke
(12. Jahrh.) bis zum 16. Jahrh. das Mittelniederländische,
dessen reinstes Abbild die Werke von Jacob van Maerlant (1235‒1300) liefern.
Die gleichzeitigen Franzosen nannten es Thyois oder Tiesche, die einheimischen Schriftsteller Dietsch oder Duutsch, später
Duitsch, gewöhnlich Nederduitsch, seit 1813 Nederlandsch (Gründung des Königreichs der Niederlande) oder Hollandsch (die
Engländer noch heutigentags Dutch), während die Bezeichnung Vlaamsch mehr eine provinzielle Bedeutung
und erst in neuerer Zeit durch franz. Einfluß die gegenwärtige weitere Geltung erlangte.
(S. Vlämische Sprache und Litteratur.) Nach seinem Lautstande, dessen Konsonanten auf allgemein niederdeutscher Stufe verharren
(s. Niederdeutsch), sowie nach Bau und Wortschatz ist das Mittelniederländische dem Mittelniederdeutschen nahe verwandt.
Die wissenschaftliche Behandlung der niederländ. Sprache begann Ende des 16. Jahrh. Zuerst stellte der
BuchdruckerChristoph Plantin zu Antwerpen 1573 einen «Thesaurus Teutonicae linguae» zusammen. Ihn übertraf bald darauf (1588)
sein Korrektor Cornelis van Kiel
[* 16] oder, wie er sich selbst gewöhnlich nannte, Cornelius Kilianus aus Duffel bei Mecheln,
[* 17] durch
ein zweites niederländ. Wörterbuch, das
noch heute in der Ausgabe von van Hasselt («Cornelii Kiliani
Etymologicum Teutonicae linguae», Utr. 1777) dem Forscher unentbehrlich ist. Angeregt durch
die von Junius (Dordr. 1665) herausgegebene got. Bibelübersetzung des
Ulfila, ward dann Lambert ten Kate (1674‒1731) der Begründer der histor.
Grammatik mit solchem Tiefblick, daß seine Entdeckungen noch JakobGrimm zum Ausgangspunkt dienen konnten.
Sein Hauptwerk ist «Aanleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake» (2 Bde.,
Amsterd. 1723). Neben ihm zeichnete sich besonders Balthasar Huydecoper aus durch eindringende
Kenntnis der mittel- und neuniederländ. Sprache, die er in seiner Ausgabe der Reimchronik des Melis Stoke (1772) und in seinen
Anmerkungen zu Bondels Übersetzung von Ovids «Metamorphosen» bewährte.
Die bedeutendsten Nachfolger ten Kates und Huydecopers waren Fransvan Lelyveld, Hinlopen, Clignett und Steenwinkel. Eine sehr
ersprießliche Wirksamkeit entfaltete die 1766 gestiftete und noch jetzt blühende Maatschappij van Nederlandsche Letterkunde
zu Leiden.
[* 18] Anfang des 19. Jahrh. gewann der ausgezeichnete Prosaist van der Palm als Unterrichtsminister
(1799‒1806) auch einen fördernden Einfluß auf den Sprachunterricht und trug wesentlich bei zur Festsetzung einer allgemein
gültigen Rechtschreibung nach dem von Siegenbeek entworfenen System. (Vgl. Willems, Over de Hollansche en Vlaemsche schrijfwijzen
van het Nederduitsch, Antw. 1824.) An Siegenbeek ward auch die erste, 1795 gegründete Professur der niederländ.
Litteratur zu Leiden verliehen. Am engsten schloß sich an ihn Weiland, der außer einer Grammatik («Nederduitsche spraakkunst»,
Amsterd. 1805) ein großes Wörterbuch («Nederduitsch
taalkundig woordenboek», 11 Bde., ebd. 1799‒1811) herausgab.
Dagegen bekämpfte Siegenbeeks Rechtschreibungslehre W. Bilderdijk. Schätzenswert sind auch die sprachwissenschaftlichen
Arbeiten von J. ^[Justus oder Joast] Halbertsma, der sich besonders als Kenner des Friesischen auszeichnet,
von Ypei («Beknopte geschiedenis der Nederlandsche tale», 2 Bde.,
Utr. und Gron.
1812‒32),
Lulofs («Gronden der Nederlandsche woordafleidkunde», Gron.
1833),
de Jager («Taalkundige handleidning tot de statenoverzetting des Bijbels»,
Rotterd. 1837) u. a. Nach den Grundsätzen J. Grimms wurde die
niederländ. Grammatik durch Brill bearbeitet, dessen «Hollandsche spraakleer» (Leid. 1846) und «Nederlandsche
spraakleer» (ebd. 1852 u. ö.) die Hauptwerke für dieselben bilden. Te Winkel hat sich durch gediegene Monographien, besonders
in der von ihm redigierten Zeitschrift «De Taalgids» hervorgethan. Daneben entfaltete in Belgien Willems eine ungewöhnliche
Thätigkeit für das Mittelniederländische, dessen Studium seitdem besonders durch Snellaert, Bormans,
Blommaert, die beiden Serrure, David und Heremans rüstig gefördert wurde.
Große Verdienste um die Herausgabe mittelniederländ. Denkmäler erwarb sich auch Hoffmann von Fallersleben. Die erste vollständige
mittelniederländ. Laut- und Formlehre verdankt man dem Deutschen Franck (Lpz. 1883). In Holland standen lange Zeit Jonckbloet
(s. d.) und M. de Vries (s. d.) an der Spitze der neuen Schule der vaterländischen Sprach- und Litteraturforschung.
Außerdem haben auch Leendertz, van den Bergh, Verwijs, Moltzer, van Vloten, Brill, J. te Winkel, van Helten und Verdam, wie auch
die Deutschen¶
mehr
Martin und Franck ältere niederländ. Schriftwerke herausgegeben; auf dem Gebiete der
germanistischen Studien überhaupt: Cosijn, Beckering, Vinckers, Gallé, van Helten, Symons und Boer.
Vgl. M. Heyne, Kleine altsächs. und altniederfränk.
Grammatik (Paderb. 1873); P. I. Cosijn, De oudnederlandsche Psalmen (Haarl.
1873); J. Franck, Mittelniederländ. Grammatik (Lpz. 1883);
P. I. Cosijn, Nederlandsche spraakkunst; Ⅰ Etymologie (7. Aufl., Haarl.
1886);
Ⅱ Syntaxis (6. Aufl., ebd. 1838);
J. Verdam, De geschiedenis der Nederlandsche taal (Leeuwarden1890);
J. Vercoullin,
Schets eener historische grammatica der Nederlandsche taal (Gent
[* 20] 1892).
– Wörterbücher: das große Woordenboek der Nederlandsche taal (seit 1864 erscheinend) nach dem Muster
des deutschen Wörterbuchs der BrüderGrimm;
E.Verwijs und J. Verdam, Middelnederlandsch woordenboek (’sGravenhage, seit 1883 erscheinend);
J. Franck, Etymologisch woordenboek der Nederlandsche taal (ebd. 1892);
J. Vercoullin, Bekinopt etymologische woordenboek
der Nederlandsche taal (ebd. 1891).
Die poetische Litteratur der Niederlande wurde in ihren Anfängen teils von der franz., teils
von der deutschen Dichtung beeinflußt. Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. stammt eine Reihe höfischer
Epopöen, welche meist dem karolingischen Sagenkreise, teils auch jenem von Artus oder dem klassischen, teils andern kleinen
Gruppen angehören. Mit wenigen Ausnahmen sind sie Übersetzungen aus franz. Quellen und schon deshalb
durchschnittlich von geringem dichterischem Werte. Zu den bedeutendern unter ihnen gehören der «RomanvanLancelot» (hg. von
Jonckbloet, Haag
[* 21] 1846‒49),
«Karel ende Elegast» (hg. von Jonckbloet, Amsterd. 1859; von J. Bergsma, Zütphen 1893),
«Walewein»
(gedichtet von Penninc und Pieter Vostaert, hg. von Jonckbloet, 2 Bde., ebd. 1846‒48),
«Ferguut» (hg. von Verwijs und Verdam,
Gron. 1881),
die Erzählung von «Floris ende Blancefloer» (gedichtet von Diederic van Assenede, hg. von Hoffmann von Fallersleben in dessen
«HoraeBelgicae», Bd. 3, Lpz. 1836;
ferner von A. Thym und 1879 von H. E. Moltzer),
«Partonopeus» (hg. von Maßmann, Berl. 1847, und von J.
H. Bormans, Brüss. 1871). Diese alle aber werden bei weitem übertroffen durch die der Tiersage angehörende Volksdichtung
«Reinaert» (Reineke Fuchs).
[* 22] Mit der Blüte
[* 23] des Rittertums welkten auch jene Epopöen hin, und es ist eine seltene
Ausnahme, wenn uns im «Romanvan Limborch» von Hein von Aken (1280‒1330; hg. von van den Bergh, Leid. 1848) ein Ritterroman aus
dem 14. Jahrh. begegnet. An ihre Stelle trat, den Bedürfnissen und Neigungen des aufstrebenden Bürgerstaates entsprechend,
eine Dichtungsart, die, meist aus lat. Quelle
[* 24] schöpfend, überwiegend einen didaktischen Zweck verfolgte.
Ihr Hauptvertreter in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. ist Jakobvan Maerlant (s. d.). Ihm schließt sich unmittelbar der
bedeutendste Dichter des 14. Jahrh. an, Jan Boendale, genannt Jan de Klerk, Schreiber (clerc)
der Schöffen zu Antwerpen (geb. um 1285, gest. 1365), der zwei Reimchroniken
verfaßte, die «Brabantsche Yeesten» (hg. von Willems, 2 Bde.,
1839‒43, und Bormans 1869) und «Van
den derden Edewaert»; ferner zwei Lehrgedichte: «Der Leken Spieghel»
(1325‒30; hg. von de Vries, 3 Bde., Leid. 1844‒48) und «Jans Teesteye» (1331; hg. von Snellaert 1869).
Unter den übrigen Lehrgedichten sind die bedeutendsten: der «Cato» (hg. von Jonckbloet, Leid. 1846) und
das (von einigen dem Boendale zugeschriebene) «Dietsche Doctrinale» von 1345 (hg.
von Jonckbloet, Haag 1842). Von geschichtlichen Gedichten verdienen besonders hervorgehoben zu werden: Lodewijk van Velthems
Chronik (hg. von Lelong 1727 und von Jonckbloet 1840),
der «Grimbergsche oorlog» (hg. von Serrure und
Blommaert, Gent 1852),
Melis (Aemilius) Stokes wichtige Chronik von Holland (um 1305; hg. von Huydecoper, 3 Bde., Leid. 1772, und
von Brill, Utr. 1885) und eine bis ins 15. Jahrh. reichende «Reimchronik
von Flandern» (hg. von Kausler, Tüb. 1840). Unter den Legenden sind
von Bedeutung: der «Theophilus» (hg. von Blommaert, Gent 1836, 1858, und von Verdam, Amsterd. 1882),
der «Brandaen» (hg. von
Blommaert, ebd. 1836, 1858, von Verdam und von Bonebakker 1894) und das Gedicht «Beatrijs»
(hg. von Jonckbloet, Amsterd. 1859). Von den zahlreichen legendenartigen Lebensbeschreibungen sind noch
zu nennen: «Das Leben des St. Amand», der «St. Christina», «St.
Lutgardis» und die in Limburger Mundart abgefaßte «Sinte Servatius legende» von Heinrich von Veldeke (hg. von Vermeulen, Utr.
1843). Die Lyrik hat nur wenige Proben und keinen bedeutenden Vertreter aufzuweisen. Erheblicher sind die Erzeugnisse des Dramas,
dessen Anfänge ebenfalls in diese Zeit fallen. Vgl. Altniederländ. Schaubühne (in Hoffmanns von Fallersleben
«HoraeBelgicae», Bd. 6, Bresl.
1838); Een cluyte van Playerwater (hg. von Mertens, Antw. 1838); H. E. Moltzer, De Middelnederlandsche dramatische Poëzie
(1868‒75), und F. von Hellwald, Geschichte des holländ. Theaters (Rotterd. 1874).
Um die Mitte des 14. Jahrh. bildete sich die niederländ.
Prosa aus, deren Meister der Mystiker Ruysbroek (s. d.) war und unter deren Erzeugnissen die sog.
«Limburgsche Sermoenen» (hg. von J. H.Kern, Gron. 1891 fg.)
zu nennen sind. Dagegen begann die Lehrdichtung zu ermatten, und an die Stelle der langatmigen Reimchroniken, Sittenspiegel
und wissenschaftlichen Abhandlungen traten kürzere, oft improvisierte Gedichte, die gern Erzählung und
Sittenlehre zu vereinigen suchten.
Die Dichter, welche diese neue Gattung pflegten und oft ein Wanderleben führten, nannte man Sprekers; den größten Ruhm
unter ihnen erlangte der am Hofe der Grafen von Holland lebende Willem von Hildegaersberch (um 1350‒1408). Allgemach hatte
sich nun auch die Kluft zwischen Adel und Bürgerstand erheblich vermindert, so daß der bedeutendste Dichter
des 15. Jahrh., Derc Potter (gest. 1428), ein Mann aus den höhern Kreisen, wiederum ein größeres höfisches Werk zur Unterhaltung
der vornehmen Gesellschaft auf jener bürgerlichen Grundlage der Spruchdichtung zu dichten unternahm («Der Minnen Loep»,
hg. von Leendertz, Leid. 1845‒47), in dem er eine Reihe von Liebesgeschichten abwechselnd mit Sittenlehren zu einem Ganzen
verwob. Ja sogar persönlich reichten sich bald beide Stände die Hand
[* 25] zur Verfolgung
¶
mehr
gemeinsamer litterar. Zwecke in den Kammern der Rederijker (vom frz. Rhétoricien), d. h.
Dichter. Diese Kammern, die zu Anfang des 15. Jahrh. unter franz.
Einfluß entstanden, waren poet. Vereine, die sich an bestimmten Zeiten und Orten zu poet. Übungen und Vorträgen, besonders
aber zur Ausarbeitung und Aufführung von Schauspielen versammelten. Der dichterische Gehalt ihrer Erzeugnisse
ist durchgehends gering; doch wurden sie von Bedeutung für die Litteratur, weil sie durch ihre Schauspiele unmittelbar auf
das Volk wirkten.
Eine dieser Kammern zu Amsterdam, genannt «In liefde bloeiende» (in Liebe blühend), hat sich
um die Hebung der Schriftsprache besonders verdient gemacht. Ihre Mitglieder Coornhert und die Kaufleute
Roemer Visscher und Hendrik Laurenszoon Spiegel
[* 27] gaben zuerst den Bemühungen dieser Kammer einen festen Halt, teils durch Abfassung
grammatischer Schriften, teils durch ihre Versuche, prosaische und poet. Musterwerke zu liefern. Sie wurden übertroffen durch
Hooft, Vondel und Huyghens, welche die vaterländische Litteratur zum höchsten Gipfel erhoben.
Joost van den Vondel (1587‒1679) leistete das Höchste, was die niederländ. Litteratur überhaupt
aufzuweisen hat, Vorzügliches im Drama und in der Satire sowie in allen übrigen Gattungen, mit Ausnahme des Epos. Im Gegensatz
zu diesen drei Meistern wollte Jak. Cats (1577‒1660) zu Dordrecht
[* 28] nur für das große Publikum schreiben und erreichte
durch eine fließende Darstellung seinen Zweck so vollkommen, daß «Het boek van Vader Cats» länger als ein Jahrhundert im
Bürgerstande als zweites Hausbuch nächst der Bibel
[* 29] galt. In Allegorie und heiterer Erzählung leistete er Vortreffliches.
Unter den zahlreichen Nacheiferern dieser Männer erwarben sich besonderes Lob: Roemer Visschers fein gebildete Töchter
Maria Tesselschade und Anna, beide gewandt in kleinen Gedichten und Übersetzungen;
Jak. Westerbaan (gest. 1670) durch eine
lehrhafte Beschreibung seines Landhauses Ockenburg;
der PhilologDan. Heinsius (gest. 1655), der auf Opitz so bedeutenden Einfluß
übte, durch lyrische, elegische und sinnbildliche Gedichte;
Joh. van Heemskerk (gest. 1656) durch «Minnedichten»
nach Ovid und ein Lehrgedicht «Batavische Arcadia», und der gefühlvolle Jerem. de Dekker (gest. 1666)
durch lyrische und epigrammatische Gedichte.
Die meiste Selbständigkeit zeigt Dirk Camphuysen (gest. 1627) in seinen geistlichen
Liedern; geringe dagegen ein anderer geistlicher Liederdichter, Joannes Vollenhove (gest. 1708).
Das Drama hatte schon Bredero (1585‒1618) mit Beifall behandelt, und zwar das Lustspiel in der niedrigen,
aber malerischen Sprache des Markts. Höheres erstrebte Sam. Coster, der ein Liedhabertheater gründete, welches dann mit der
Kammer In liefde bloeiende verschmolz und zur Erbauung des ersten massiven Schauspielhauses zu Amsterdam führte, das mit
Vondels «Gijsbrecht vanAmstel» eingeweiht wurde.
Auch andere Dichter versuchten sich auf dem Gebiete des Dramas, wie GerardBrandt (gest. 1685), der auch
im Epigramm und der histor. Prosa sich auszeichnete; Joach. Oudaan (gest.
1692), ein freisinniger Mann, der seine polit. Ansichten mutig aussprach und trotz einer harten Schreibart als Lyriker Lob
verdient; ferner Reinier Anslo (gest. 1669), der die PariserBluthochzeit dramatisierte und eine berühmte
Beschreibung der Pest zu Neapel
[* 30] entwarf; endlich Joannes Antonidesvan der Goes (gest. 1684), berühmt wegen seines beschreibenden
Gedichts «De Ystroom», worin er Amsterdam verherrlichte. ^[]
Die ersten großen Dichter am Anfange des 17. Jahrh. hatte die Begeisterung für die Freiheitskriege beseelt.
Als aber diese erlosch und behaglicher Genuß des Errungenen an ihre Stelle trat, sank auch alsbald die Litteratur. Das Verderben
erreichte den Gipfel, seit nach Aufhebung des Edikts von Nantes
[* 31] (1685) mit den zahlreichen hugenottischen Flüchtlingen franz.
Einfluß mächtig hereinbrach. Hauptverfechter der franz. Poetik und namentlich der drei Einheiten im
Drama ward der unbedeutende Dichter Andries Pels zu Amsterdam. Die von ihm begründete Kunstgenootschap, ein poet. Verein, übte
lange Zeit eine nachteilige Einwirkung auf die Poesie aus. Die Bemühungen mehrerer vaterländisch gesinnter Männer, wie des
feinfühlenden Minnedichters Jan Luyhen (gest. 1712), des Naturdichters Hubert Corneliszoon Poot (gest. 1733) und
des Lyrikers Jan van Broekhuizen (gest. 1707), vermochten nicht dagegen aufzukommen. Nur wenige Namen heben sich aus der Menge
bloßer Versmacher hervor, wie Lukas Rotgans (gest. 1710) mit einem histor. Gedicht auf Wilhelm
Ⅲ.; Arnold Hoogvliet (gest. 1763) mit einem biblischen Epos «Abraham de Aartsvader»; Sybrand Feitama (gest. 1758),
der
an seine glatte, aber steife Übersetzung der «Henriade» 20 Jahre, und 30 an die des «Telemach» vergeudete.
Gehaltvolleres bot Nik. Simonszoon van Winter (gest. 1795) in seiner Beschreibung des Amstelstroms und mehrern Dramen, wie auch
seine Gattin Lucretia Wilhelmine, geborene von Merken (gest. 1798),
in Dramen, Epen und einem wackern Lehrgedicht:
«Het Nut der Tegenspoeden»; desgleichen auch die Gebrüder Willem und Onno
Zwier vanHaren, jener durch ein romantisches Epos «Friso», dieser durch eine
lyrische Geschichtserzählung «De Geuzen»; ferner Lukas Trip (gest. 1783) durch Gedichte geistlichen Inhalts. Selbständiges
Streben zeigte der Lustspieldichter Piet Langendijk (gest. 1756); burleske Gedichte im niedrigsten
Stile lieferte W. van Focquenbroch (gest. 1695).
Endlich um 1770 machte sich ein entschiedener Schritt zur Besserung bemerkbar durch die Beschäftigung mit der eben mächtig
aufsteigenden deutschen und durch die Bekanntschaft mit der engl. Litteratur. Am frühesten und
vollsten kam dieser Umschwung der Lyrik zu gute. Unmittelbar unter deutschem Einflüsse dichteten Hieronymus
vanAlphen, JakobBellamy und Rhijnvis Feith, während Pieter Nieuwland (1764‒94) mehr nach den Römern und Griechen sich bildete.
Willem Bilderdijk, ausgestattet mit vorzüglicher Begabung und großer Sprachgewandtheit, glänzte in allen poet.
Gattungen, vermochte jedoch keiner einen neuen schöpferischen Geist einzuhauchen. Wärmer ist der Lyriker J. F. Helmers,
der besonders durch sein beschreibendes Gedicht «DeHollandsche Natie» großen Beifall fand. Durch Gedankentiefe zeichnete
sich im lyrischen und Lehrgedicht der Kantianer Joh. Kinker vorteilhaft aus. Der gemütliche
Hendrik Tollens (1780‒1856) war als Lyriker lange der erklärte Liebling seines Volks. Ferner fanden beifällige Aufnahme die
Lyriker Cornelis Loots (1765‒1834), Adriaan Loosjes (1761‒1818), der sich auch im Drama und Romanversuchte,
Ad. Simons (1770‒1834), Hazo Albert Spandaw, der originelle und humoristische A. C. W. Staring van den Wildenborch (gest. 1840),
¶