Neurasthenīe
(griech.), s. Nervenschwäche.
Neurasthenie
4 Wörter, 45 Zeichen
Neurasthenīe
(griech.), s. Nervenschwäche.
(lat. Nervosität, griech. Neurasthenie), eine in unserm Jahrhundert immer häufiger werdende Störung des gesamten Nervensystems, d. h. des Gehirns, des Rückenmarks, des peripherischen und sympathischen Nervensystems. In diesem weitesten Sinn gefaßt, sind es die »Nerven«, [* 3] welche bei den erhöhten Ansprüchen an die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit der vornehmen Gesellschaftsklassen angegriffen werden und namentlich zartere Frauen nötigen, nach den Strapazen einer gesellig bewegten Wintersaison für ihre Reizbarkeit, Schwindelanfälle, Kopfschmerzen, reißenden Schmerzen in Armen oder Gesicht, [* 4] Herzklopfen, Abgeschlagenheit und Unfähigkeit zu körperlichen Anstrengungen einen Arzt zu befragen oder auf eigne Verordnung an einem ruhigen Ort im Wald oder an der See Erholung zu suchen.
Ähnlich ergeht es auch den jungen Lebemännern, welche zu viel geschwelgt und zu wenig geschlafen haben; ähnlich aber auch zahllosen Männern, denen ihre schwere Berufspflicht, die angespannte Geistesarbeit, der rastlose Kampf ums Dasein mehr Arbeit zugemutet hat, als Körper und Geist auf die Dauer ohne Schaden ertragen können. Ganz irrig ist aber die vielverbreitete Annahme, daß die Nervenschwäche nur ein Leiden [* 5] der begüterten und gebildeten Klassen sei, denn Not und Sorgen, Entbehrungen der notwendigen Nahrung bei harter körperlicher Arbeit, Überreizung durch Alkohol und Tabak, [* 6] Kummer und Niedergeschlagenheit führen zu der gleichen Anomalie [* 7] des Nervensystems.
Die Nervenschwäche ist eine Funktionsstörung, keine eigentliche Krankheit; sie besteht, ohne daß man im Gehirn [* 8] oder in den Nerven eine Entzündung oder sonstige anatomische Veränderung nachweisen kann, wie es bei den echten Nervenkrankheiten (s. d.) der Fall ist. Dennoch ist die Unterscheidung oft ganz außerordentlich schwer, manche Fälle von nervösem Zittern sind z. B. leicht mit dem Zittern beim Beginn von Gehirnlähmungen zu verwechseln, manche Klagen über gestörte Verdauung sind den Erscheinungen bei Magen- und Darmkrankheiten so ähnlich, daß nur die sorgfältigste Untersuchung eines erfahrenen Arztes hier die Grenzen [* 9] ziehen kann.
Allmählich hat sich in der Lehre [* 10] der Nervenkrankheiten der Name Neurasthenie eingebürgert für einen Symptomenkomplex, welcher bei aller Mannigfaltigkeit im einzelnen bei scheinbar schwerem Leiden innerer Organe doch dadurch ausgezeichnet ist, daß diese Leiden nicht auf wirklichen anatomisch nachweisbaren Veränderungen beruhen, sondern auf Ernährungsstörungen des Nervensystems, woraus dann als wichtigste Schlußfolgerung hervorgeht, daß alle jene verschiedenartigen Klagen lediglich durch eine geeignete Behandlung der Nervenschwäche verschwinden können.
Diese Neurasthenie im engern Sinn ist vorwiegend beim männlichen Geschlecht zu beobachten, obwohl auch Frauen, welche den gleichen Schädlichkeiten ausgesetzt sind, davon befallen werden; im allgemeinen leiden dagegen Frauen mehr an jenem, gleichfalls auf Nervenschwäche zu beziehenden Komplex von Erscheinungen, welche die Neuropathologie als Hysterie (s. d.) zu bezeichnen pflegt. Die Ursache der Neurasthenie ist außer der erwähnten Überanstrengung ausschweifender Lebenswandel, zuweilen schließt sich der Prozeß an schwere Krankheiten, namentlich Unterleibstyphus, an, zuweilen führen gewaltsame Kuren, ¶
welche zur schnellen Entfettung eingeschlagen werden, jenen Schwächezustand herbei, zuweilen forcierte Schwitz-, Trink-, Hunger- oder Kaltwasserkuren, welche zu den modernen »Heilmitteln« gehören und welche sehr zum Schaden der Patienten oft ohne ärztliche Vorschrift und Überwachung auf eigne Hand [* 12] unternommen und durchgeführt werden. Vorzugsweise betroffen werden die geistig arbeitenden Klassen und naturgemäß in höherm Maß in dem lebhaften Treiben der großen Städte als auf dem Land; Beamte, Offiziere, Ärzte, Gelehrte und Künstler stellen das größte Kontingent.
Bei der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Symptome sei hier an einem Beispiel dargethan, wie bei einem ehrgeizigen Mann die Nervenschwäche aus Überanstrengung sich zu entwickeln pflegt: Im besten Mannesalter stehend, bisher gesund und kräftig, hat er zehn Stunden und darüber angestrengt arbeiten können, ohne an Frische dabei einzubüßen. Unter dem Einfluß einer Gemütsaufregung fühlt er sich plötzlich bei der Arbeit unruhig und zerstreut, zeitweise schwinden die Gedanken, indessen rafft er sie zusammen und arbeitet weiter, bis er wiederum von Aufregung und Angstgefühl befallen wird.
Anfangs wird der Schwächezustand gewaltsam überwunden, allmählich versagen die Kräfte, es tritt Unfähigkeit zur Arbeit ein, die Zeit wird mit Grübeln über den krankhaften Zustand ausgefüllt, es stellt sich ein Gefühl von Druck im Kopf ein, welches den Kränkelnden zwingt, sich in den stillsten Winkel [* 13] seiner Wohnung zurückzugehen. Dabei wird er leicht erregbar, schreckhaft über jedes Geräusch (nervöse Hyperakusie), der Schlaf ist unruhig, gleicht mehr einem unerquicklichen Halbschlummer. Am Morgen erwacht er wieder, es gelingt ihm nicht, Zeitung oder Bücher zu lesen (nervöse Asthenopie), er leidet an nervösem Herzklopfen, fühlt sich beängstigt, die Brust zusammengeschnürt.
Der Appetit fehlt, die Zunge wird belegt, gegen Speisen stellt sich Abscheu ein, nach dem Essen [* 14] folgt Übelkeit und Aufstoßen, Magenschmerzen (nervöse Kardialgie) und Stuhlverstopfung (spastische Obstipation). Die Gemütsverstimmung kann sich zur Hypochondrie und zu voller Schwermut steigern. Alle diese Symptome hängen vom Gehirn ab (cerebrale Neurasthenie). Das Herzklopfen, Blutwallungen und rasch folgende Blässe, übertriebene oder fehlende Schweiß- und Speichelsekretion deuten auf Störungen im sympathischen Nervengeflecht hin.
Daran schließt sich zuweilen als drittes Glied [* 15] eine Reihe von krankhaften Störungen des Rückenmarks (spinale Neurasthenie), schnelles Ermüden von Arm und Beinen, Zittern der Hände beim Ausstrecken mit gespreizten Fingern (Tremor), krampfartige Muskelzuckungen und ein Gefühl von unaufhörlichen oder zeitweise aussetzenden flatternden Bewegungen. Störungen der Empfindung äußern sich in Taubsein, Eingeschlafensein oder Ameisenlaufen, besonders in den Füßen, Schmerzen in der Wirbelsäule, welche im Verlauf der Nerven auf die Extremitäten ausstrahlen. Zuweilen ist die sexuelle Erregbarkeit gesteigert (Satyriasis), zuweilen erloschen (Azoospermie), namentlich bei bestehenden chronischen Krankheiten dieser Sphäre.
Die Behandlung erfordert die größte Umsicht eines Nervenarztes, welche sich in jedem Fall zunächst auf die Beseitigung etwa vorhandener Organleiden, alsdann aber auf die Nervenschwäche als solche richten muß. Vor allem bedarf es eines tröstenden, den Kranken ermutigenden Zuspruchs. Es muß für einen geeigneten Aufenthalt in reiner Wald-, Gebirgs- oder Seeluft gesorgt werden; unter Umständen sind Bäder, Kaltwasserkuren, Massage mit elektrischer Reizung der Nerven, nervenstärkende Mittel, Bromkali, Chinin, Eisen [* 16] am Platz.
Die Ernährung muß geregelt werden, und unter allen Umständen muß für die Zukunft den Schädlichkeiten, welche die Nervenschwäche hervorgebracht haben, vorgebeugt werden. Die Heilung ist gewöhnlich langsam, aber bei rationeller Behandlung und gutem Willen des Kranken oft von vollkommenem Erfolg.
Vgl. Beard, Die Nervenschwäche, Neurasthenie (deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1884);
Derselbe, Die sexuelle Neurasthenie (mit Rockwell; deutsch, Wien [* 17] 1885);
Arndt, Die Neurasthenie (das. 1885);
Möbius, Die Nervosität (2. Aufl., Leipz. 1885);
v. Krafft-Ebing, Über gesunde und kranke Nerven (3. Aufl., Tübing. 1886);
Löwenfeld, Die moderne Behandlung der Nervenschwäche (Wiesb. 1887);
v. Ziemssen, Die Neurasthenia
(Leipz. 1887);
Ultzmann in der »Wiener Klinik« 1879; Curschmann in v. Ziemssens »Handbuch der Pathologie und Therapie«, Bd. 9. Vgl. Nervenkrankheiten.
Nr. | Ergebnis | Nervenschwäche |
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1 | Ner|ven|schwä|che, die: a) Neurasthenie; b) geringe nervliche Belastbarkeit. |
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Nervenschwäche
Band - Seite | Artikel | Autor | Titel | Ausgabe |
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62.252 | Nervenschwäche | Kräpelin | Arbeit | (Jena 1894) |
12.62 | Nervenschwäche | Arndt | Die Neurasthenie | (das. 1885) |
12.62 | Nervenschwäche | v. Ziemssen | Die Neurasthenia | (Leipz. 1887) |
12.62 | Nervenschwäche | Möbius | Die Nervosität | (2. Aufl., Leipz. 1885) |
62.252 | Nervenschwäche | Erb | Nervosität unserer Zeit | (3. Aufl., Heidelb. 1894) |
12.62 | Nervenschwäche | Beard | Die N., Neurasthenie | (deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1884) |
12.62 | Nervenschwäche | Löwenfeld | Die moderne Behandlung der N. | (Wiesb. 1887) |
62.252 | Nervenschwäche | von Strümpell | Krankheiten des Nervensystems | (8. Aufl., Lpz. 1894) |
12.62 | Nervenschwäche | Beard ^[Derselbe] | Die sexuelle Neurasthenie | (mit Rockwell; deutsch, Wien 1885) |
12.62 | Nervenschwäche | v. Krafft-Ebing | Über gesunde und kranke Nerven | (3. Aufl., Tübing. 1886) |
37.247 | Unknown | Appetitlosigkeit, Magenschwäche | Blutarmut | (Bleichsucht, Anämie) und die daraus entstehenden Erkrankungen der Nerven, wie Nervenschwäche, Migräne ist "St. Urs-Wein" das beste. |
37.191 | Unknown | Appetitlosigkeit, Magenschwäche | Blutarmut | (Bleichsucht, Anämie) und die daraus entstehenden Erkrankungen der Nerven, wie Nervenschwäche, Migräne ist "St. Urs-Wein" das beste. |
37.143 | Antworten | Appetitlosigkeit, Magenschwäche | Blutarmut | (Bleichsucht, Anämie) und die daraus entstehenden Erkrankungen oer Nerven, wie Nervenschwäche, Migräne ist "St. Urs-Wein" das beste. |
37.47 | Praktische Neuheit | Appetitlosigkeit, Magenschwäche | Blutarmut | (Bleichsucht, Anämie) und die daraus entstehenden Erkrankungen der Nerven, wie Nervenschwäche, Migräne ist "St. Urs-Wein" das beste. |
12.62 | Nervenschwäche | Ultzmann in der | "Wiener Klinik" 1879; Curschmann in v. Ziemssens "Handbuch der Pathologie und Therapie" | Bd. 9. Nervenkrankheiten. |
37.279 | Unknown | Appetitlosigkeit | Blutarmut | (Bleichsucht, Anaemie), Nervenschwäche (Neurasthenie) und deren Folgen wie Mattigkeit, Schwindelanfälle, allgemeine Schwäche, ist der Blutbildende und nervenstärkende "St. Urs-Wein" das Beste; |
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