Neugriechische
Sprache.
[* 2] Die neugriech. Schriftsprache
, das Romaische, schließt sich verhältnismäßig sehr eng an
das Altgriechische an, weit enger als z. B. irgend eine romanische
Sprache an das
Latein. Anderseits weichen
aber auch die neugriechi
schen
Dialekte weit stärker von der Schriftsprache
ab, als dies bei den meisten andern europäischen
Sprachen der
Fall ist. Diese eigentümliche
Erscheinung erklärt sich aus der Geschichte des Romaischen, das unmittelbar aus
dem byzantinischen
Griechisch des
Mittelalters hervorgegangen ist, welches seinerseits immer
¶
mehr
der attischen Schriftsprache
des Altertums als Muster gefolgt war, wenn auch der Zusammenfluß der verschiedensten Nationalitäten
in der Hauptstadt des oströmischen Reichs den alten Sprachtypus bedeutend alteriert hatte. Durch den Fall von Byzanz (1453)
des natürlichen Mittelpunktes beraubt, wurde das Griechische als Schriftsprache
zurückgedrängt und hierdurch die fortschreitende
Ausbildung der Volksmundarten, zugleich das Eindringen fremder, namentlich italienischer, slawischer
und türkischer, Elemente begünstigt. Um die Reinigung der Schriftsprache
von Barbarismen und ihre Ausgleichung mit der Volkssprache
erwarb sich im Anfang des 19. Jahrh. namentlich Korais (s. d.) große Verdienste.
Andre gingen viel weiter und suchten den ganzen Bau der Sprache wieder auf den altgriechischen Standpunkt
zurückzuführen; es entstand daher, namentlich als mit der Begründung des Königreichs Griechenland
[* 4] ein lebhaftes Bedürfnis
nach einer einheitlichen Schriftsprache
erwachte, ein Gegensatz zwischen einer gelehrten und einer mehr volkstümlichen Richtung,
der noch jetzt nicht völlig ausgeglichen ist. Durch Schulen und Zeitungen ist es den Vorkämpferin des Altgriechischen
gelungen, selbst manche vergessene grammatische Formen, wie den alten Dativ und den Infinitiv (auf ειν), wieder in Aufnahme
zu bringen; doch bleibt die Differenz zwischen Alt- und Neugriechisch natürlich noch immer eine sehr merkliche, namentlich
in der Aussprache.
Bei der Aussprache der Vokale ist der sogen. Itazismus (Iotazismus) eingetreten, wodurch nicht weniger als sieben im Altgriechischen getrennte Vokale und Diphthongen (υ, η, ῃ, ει, υι, οι, ι) in ein einförmiges i zusammengeflossen sind; außerdem wird αι wie ä gesprochen, und αυ, ευ erscheinen in av, ev aufgelöst. Bei den Konsonanten ist die Einführung eines harten und weichen gelispelten Lauts statt des altgriechischen th (θ) und d (δ) und die Aussprache des β wie v am auffallendsten.
Sodann wird bei der Betonung
[* 5] die Quantität gar nicht mehr berücksichtigt und einfach jede accentuierte Silbe lang, jede unaccentuierte
kurz ausgesprochen. Die neugriechische
Flexion hat den Dualis durchweg verloren und ersetzt den Dativ meist
durch Präpositionsausdrücke, den Superlativ oft durch den Komparativ mit dem Artikel. Am Verbum hat sie das Medium, den Optativ,
das alte Futurum, Perfektum und Plusquamperfektum eingebüßt, indem diese Zeiten nun durch Hilfszeitwörter umschrieben werden
müssen (z. B. Θὰ; νὰ γράφω, »ich
will, daß ich schreibe«, d. h. »ich werde
schreiben«),
wie auch der Infinitiv durch einen Satz mit »daß« (νά altgriechisch ina ἵνα) ausgedrückt wird. Auch der Konditionalis wird mit einem Hilfszeitwort ausgedrückt. Die alten Partikeln sind größtenteils verloren, und der Satzbau gleicht dem in andern modernen Sprachen, z. B. im Französischen. Der Wortschatz ist durch Abschleifung der Laute, durch Einführung von Fremdwörtern, durch Bildung neuer Wörter für neue Begriffe und durch Aufnahme mundartlicher Bezeichnungen für viele der gewöhnlichsten Dinge erheblich verändert.
Die alte Schrift ist beibehalten, ebenso die alten Accente und Hauchzeichen; doch wird der Spiritus
[* 6] asper nicht mehr ausgesprochen.
Viele dieser Neuerungen haben übrigens, wie die Inschriften, die Angaben der spätern Grammatiker über
die Aussprache des Griechischen und die Umschreibung griechischer Wörter im Latein beweisen, schon in der spätern Epoche des
Altgriechischen ihren Anfang genommen. Auch die Besonderheiten der namentlich auf den Inseln und in Morea sehr zahlreichen
Dialekte lassen sich
meistenteils bis in das Altertum zurück verfolgen. So werden viele der eigentümlichen
Wörter und Lauterscheinungen, durch die sich der merkwürdige tzakonische Dialekt in Morea auszeichnet, schon von den alten
Lexikographen als »Lakonismen« erwähnt. Deutsche
[* 7] Grammatiken der neugriechi
schen Sprache lieferten: Schmidt (Leipz. 1808),
W. v. Lüdemann (das. 1826),
Mullach (»Grammatik der griechischen Vulgärsprache«
, Berl. 1856),
Rhangawis (Rangabé, franz., 2. Aufl., Par. 1873),
Jeannarakis (Hannov. 1877),
Sanders (Leipz. 1881),
Vlachos (»Elementargrammatik«, 4. Aufl., das. 1883); deutsche Wörterbücher: Schmidt (Leipz. 1825 u. 1837), Kind (das. 1841) und Jeannarakis (Hann. 1883). Chrestomathien gaben Kind (Leipz. 1835), Vlachos (2. Aufl., das. 1883) und Drosinis (Athen [* 9] 1884) heraus. Die interessanten Überreste griechischer Dialekte in Unteritalien sind behandelt von Morosi (Lecce 1870) und Pellegrini (Turin [* 10] 1880); das Verhältnis zwischen Neu- und Altgriechisch erörterte Deffner in seiner Zeitung »Nea Hellas« (Athen 1874). Ein neu- und altgriechisches Lexikon gab unter andern Byzantios (3. Aufl., Athen 1874) heraus.