(Tumores), Bezeichnung für krankhafte Bildungen von sehr verschiedener Natur, begrifflich schwer zu definieren,
weil man nach dem jeweiligen Bedürfnis die Grenzen
[* 5] dieses Begriffs bald enger, bald weiter gezogen hat. Der Begriff der Geschwulst
ist ein rein konventioneller; es gibt für denselben kein durchgreifendes Kriterium, welches von der innern
Natur dieser Gebilde selbst hergeleitet wäre. Im allgemeinen nennt man Geschwulst jede abnorme Umfangszunahme eines
Körperteils, namentlich dann, wenn sie lokal beschränkt auftritt.
Geschwulst ist hiernach ungefähr gleichbedeutend mit Anschwellung (intumescentia). Indessen pflegt man die auf Entzündung
beruhenden Anschwellungen gewöhnlich nicht als Geschwülste aufzufassen. Im engern Sinn spricht man von Geschwulst
dann, wenn die krankhafte Umfangszunahme auf einer Neubildung von Geweben beruht (Neoplasma, Gewächs). Die Geschwülste sind häufig vorkommende
Abnormitäten, und sie bieten anatomisch, klinisch, prognostisch die größten Verschiedenheiten dar.
Sie entstehen teils durch wirkliches Wachstum irgend eines Körperteils: dies sind die eigentlichen Gewächse, Aftergebilde
oder Pseudoplasmen;
teils entstehen sie durch Anhäufung von verschiedenartigen Stoffen, welche in letzter
Linie immer aus dem Blut stammen;
teils sind es endlich parasitäre Bildungen im strengen Sinn des Begriffs. Zu der letztern Gruppe
gehören vorzugsweise die oft so umfänglichen Echinokokkussäcke, welche in der Leber und in andern Organen recht häufig
vorkommen;
zu den Geschwülsten, welche durch Anhäufung von Blutbestandteilen (direkt oder indirekt)
entstehen, gehören die Blutgeschwülste oder Hämatome, die Wassergeschwülste oder Hygrome und Hydrocelen, ferner viele Cysten
oder Balggeschwülste, namentlich die, welche auf Anhäufung von Sekretmassen in den Drüsen und Schleimhautkanälen beruhen,
die Sackwassersuchten etc. Auch die Arteriengeschwülste oder Aneurysmen, die Varicen etc. können hierher
gerechnet werden.
Die feinsten Formbestandteile der zuletzt genannten Gruppe von Geschwülsten sind im wesentlichen denjenigen der normalen
Gewebe gleich: es sind Zellen jeder Art, Zellenderivate, Fasern, Intercellularsubstanzen und Blutgefäße. Spezifische
[* 7] Formelemente,
z. B. spezifische Krebs- oder Tuberkelzellen, kommen in den Neubildungen durchaus nicht vor. Nur die Art
ihrer Anordnung, also die Textur, ist teilweise bei den Gewächsen eine abweichende von der der normalen Gewebe. Das Wachstum
und Leben, die Ernährungsvorgänge unterliegen den gleichen Gesetzen, erfahren auch ähnliche Störungen wie die übrigen Gewebe.
Über die Ursachen der Geschwülste sind schwer allgemein gültige Angaben zu machen. Die Mehrzahl der Geschwülste ist irritativen
Ursprungs, sie beruhen also auf langwierigen örtlichen Reizen der verschiedensten Art. Zahlreiche Neubildungen sind vollkommen
indifferent, indem sie weder das Mutterorgan noch den Gesamtorganismus stören. Andre Geschwülste machen sich zwar unbequem, rufen
selbst beträchtliche Störungen hervor, aber doch nur durch ihren Umfang und Sitz, durch Druck auf die
Nachbarschaft, Verschluß von Kanälen etc. Sie können, wenn sie zufällig in einem lebenswichtigen Organ, z. B. im Gehirn,
[* 8] sitzen, selbst den Tod herbeiführen, und doch sind sie gutartige Geschwülste, weil sie nicht zu einer spezifischen Veränderung
der Säftemasse (Dyskrasie) führen, sondern ein örtliches Übel sind und bleiben.
Andre Geschwülste sind multipel, d. h. sie treten in größerer Anzahl auf, kommen
aber nur in Einem Organ oder doch wenigstens an einem bestimmten Gewebssystem ausschließlich vor. So sind manchmal fast alle
Knochen
[* 9] des Körpers mit Knorpelgeschwülsten versehen, aber doch eben nur die Knochen, oder es sind an den verschiedensten Nervenstämmen
echte Neurome vorhanden, aber dieselben bleiben eben auf die Nerven
[* 10] beschränkt etc. Auch diese Geschwülste rechnen wir noch zu den
gutartigen, denn sie sind nicht von einer Blutentmischung abhängig, sondern ihr vielfaches Auftreten in Einem Gewebssystem
beweist nur, daß das letztere in allen seinen Teilen eine gewisse oft angeborne Neigung zu einer ganz
bestimmten Neubildung hat.
Dagegen bleiben die im eigentlichen Sinn bösartigen oder malignen Geschwülste nicht auf den ursprünglichen Ort ihrer Entstehung beschränkt,
sondern wachsen ohne Unterschied auch in die Nachbarorgane, selbst in die Knochen, hinein und verbreiten sich sogar auf entfernte
Organe, namentlich auf die Lymphdrüsen im Bereich der ursprünglichen Geschwulst, indem sie Metastasen
machen. Ein Krebs
[* 11] der Brustdrüse z. B. kann Geschwulstmetastasen in der Lunge
[* 12] und dem Rippenfell, in der Leber und im Gehirn,
fast in allen Organen des Körpers nach sich ziehen, sei es, daß von der ursprünglichen Geschwulst Zellen oder Geschwulstkeime
verschleppt werden, die dann zu metastatischen Geschwülsten sich heranbilden, sei es, daß gewisse Säfte
von der primären Geschwulst in die
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mehr
Blutmasse übergehen, diese entmischen und nun auch andre Gewebe gleichsam anstecken und zur Geschwulstbildung anregen. Eine
strenge Grenze zwischen gutartigen und bösartigen Geschwülsten läßt sich durchaus nicht ziehen. Es gibt vielmehr eine
gewisse Skala der Gut- und Bösartigkeit, letztere ist aber keineswegs an einen bestimmten anatomischen Bau der Geschwülste gebunden.
Bösartige Geschwülste sind gewöhnlich sehr reich an Zellen und Säften, haben oft eine markige Beschaffenheit, sind bald weich, bald
hart.
Sie pflegen sehr schnell zu wachsen, die Haut
[* 14] über ihnen wird unverschieblich; dann bricht die Geschwulst durch die Haut hindurch,
die Lymphdrüsen der betreffenden Gegend werden hart und schwellen an; es stellt sich Abmagerung, schlechtes
Aussehen, Blutarmut, kurz eine allgemeine Kachexie ein. Was die Behandlung anbetrifft, so ist es Aufgabe des Arztes, die Geschwulst
so früh wie möglich mit dem Messer
[* 15] zu entfernen (exstirpieren) oder sie auf eine andre Weise (durch Ätzmittel, Elektrizität
[* 16] etc.) zu zerstören.
Den meisten Geschwülsten gegenüber ist das Messer das einzig sichere Mittel. Aber nicht selten kehrt
nach der operativen Entfernung einer Geschwulst dieselbe von neuem wieder, es bildet sich ein sogen. Recidiv, ein Rückfall.
Das Auftreten eines Recidivs wird gewöhnlich als Zeichen der Bösartigkeit der Geschwulst angesehen. Dies ist zwar für die
meisten Fälle, aber nicht durchgehends richtig. Wenn die recidive Geschwulst in der Operationsnarbe erscheint,
so beweist ein solches örtliches oder Narbenrecidiv nichts für die Bösartigkeit der Neubildung, sondern nur, daß ein wenn
auch noch so kleiner Teil der Neubildung nicht mit entfernt worden ist.
Die in der Nachbarschaft der Narbe auftretenden sogen. regionären Recidive begründen allerdings einen
starken Verdacht der Bösartigkeit, aber nach ihrer gründlichen Ausrottung hat man schon oft dauernde und vollkommene Heilung
eintreten sehen. Die sogen. Infektionsrecidive endlich, wobei die neue Geschwulst weit entfernt
von der ausgerotteten alten auftritt, sind ein sicheres Zeichen der Bösartigkeit; denn es muß in diesem Fall
bereits ein Geschwulstkeim mit den Blut- oder Lymphgefäßen verschleppt sein, bevor man zur Operation verschritt, und gerade
in der Tendenz, Metastasen zu machen und sich über den ganzen Körper zu verbreiten, liegt das Wesen der Bösartigkeit der Geschwülste. Die
Lehre
[* 17] von den Geschwülsten heißt Onkologie.