Naturlehre
,
meist s. v. w. Physik.
Naturlehre
4 Wörter, 35 Zeichen
Naturlehre,
meist s. v. w. Physik.
(engl.), s. Zinnchlorid. ^[= (Zweifach-Chlorzinn) SnCl4 entsteht bei Einwirkung von Chlor auf Zinn oder Zinnchlorür und ...]
(griech.), ursprünglich s. v. w. Wissenschaft oder Lehre [* 3] von der Natur (griech. physis), bezeichnet gegenwärtig nur einen Zweig des großen Stammes der Naturwissenschaften, nämlich die Lehre von den Gesetzen der in der unbelebten Natur vorkommenden Erscheinungen, sofern letztere nicht auf chemischer Veränderung der beteiligten Körper beruhen. Die Physik in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist eine empirische oder Erfahrungswissenschaft, d. h. sie geht von lauter einzelnen Erfahrungen aus, die sie durch Beobachtungen und Versuche (Experimente) gewinnt und auf induktivem Weg unter allgemeine Gesichtspunkte zusammenfaßt. So gelangt die Physik zur Erkenntnis von Naturgesetzen, deren jedes, zunächst in rein äußerlicher Weise, eine gewisse Gruppe von Erscheinungen in Zusammenhang bringt.
Durch die Naturgesetze lernen wir jedoch nur das Wie, nicht aber das Warum der Erscheinungen kennen. Die letztere Frage, die Frage nämlich nach dem innern Zusammenhang der Erscheinungen, kann überhaupt nicht durch die Erfahrung allein beantwortet werden. Um zu den Ursachen der Phänomene vorzudringen, bleibt vielmehr nichts andres übrig, als wissenschaftliche Vermutungen oder Hypothesen aufzustellen und nun zu versuchen, ob sich aus der gemachten Annahme ¶
die Erscheinungen, welche sie erklären soll, mit logischer Notwendigkeit entwickeln lassen. Sind sämtliche Folgerungen einer Hypothese mit den Thatsachen im Einklang, so darf die angenommene Ursache als möglich betrachtet werden, und sie wird um so wahrscheinlicher, je mehr Thatsachen sich aus ihr erklären lassen. Dagegen ist eine Hypothese unbedingt zu verwerfen, sobald sie auch nur mit einer einzigen konstatierten Thatsache in Widerspruch tritt. Je nach der Art der Darstellung unterscheidet man die Experimentalphysik, welche die vorgetragenen Lehren [* 5] unmittelbar aus der Erfahrung entnimmt und durch Experimente erläutert, von der theoretischen Physik, welche aus wenigen an die Spitze gestellten Erfahrungssätzen und Hypothesen ihr Lehrgebäude durch bloße Denkprozesse entwickelt und erst hinterher die Übereinstimmung ihrer Resultate mit der Erfahrung nachweist. Da die letztere sich zu ihren Deduktionen der Mathematik als unentbehrlichen Hilfsmittel bedient, wird sie auch als mathematische Physik bezeichnet.
Ihrem Inhalt nach zerfällt die Physik in mehrere Hauptteile, welche man in zwei große Gruppen zusammenzustellen pflegt, in die reine und in die angewandte Physik; während jene die Naturgesetze an und für sich zu ermitteln sucht, wendet diese die bereits erkannten Gesetze zur Erklärung der von der Natur im großen dargebotenen Erscheinungen an. Zur Gruppe der angewandten physikalischen Wissenschaften gehören daher: die physische Astronomie [* 6] oder die Mechanik des Himmels, welche die Bewegungen der Himmelskörper aus dem Gravitationsgesetz erklärt;
die Astrophysik, welche die physische Beschaffenheit der Himmelskörper zu erforschen sucht;
die physikalische Geographie, als Nachweisung der Beschaffenheit und der Veränderungen, welche unsre Erde und insbesondere deren Oberfläche infolge stets thätiger Naturkräfte zeigt, und die Meteorologie, deren Aufgabe darin besteht, die in unsrer Atmosphäre vorkommenden zahlreichen Erscheinungen zu studieren.
Abgesehen von der Lehre von den allgemeinen Eigenschaften der Körper, welche als ein einleitendes Kapitel betrachtet werden kann, zerfällt die reine Physik in zwei Hauptabteilungen, deren erste, die mechanische Physik, von dem Gleichgewicht [* 7] und der Bewegung der Körper handelt; indem sich diese Lehren der Reihe nach auf die festen, flüssigen und gasförmigen Körper beziehen, bilden sie die drei Abschnitte der Statik und Dynamik im engern Sinn (auch Geostatik und Geodynamik), der Hydrostatik [* 8] und Hydrodynamik (Hydraulik) und der Aerostatik und Aerodynamik.
Eine selbständige Stelle nimmt innerhalb der mechanischen Physik die Lehre vom Schall [* 9] oder die Akustik ein, welche gewissermaßen den Übergang bildet zur zweiten Hauptabteilung, zur molekularen Physik, welche auch Physik des Äthers genannt wird, weil die Ätherhypothese bei der Erklärung der hierher gehörigen Erscheinungen eine wesentliche Rolle spielt. Diese Abteilung zerfällt in die Lehre von der Wärme [* 10] (Thermik, Kalorik), von der Elektrizität, [* 11] dem Galvanismus, [* 12] Magnetismus [* 13] und Elektromagnetismus [* 14] (Elektrik), endlich vom Licht [* 15] (Optik).
Eine physikalische Wissenschaft im heutigen Sinn existierte im Altertum nicht. Bei den Griechen bildete die Physik, in der Bedeutung von Naturwissenschaft überhaupt, neben Ethik und Dialektik einen Bestandteil der Philosophie und ward, wie diese, spekulativ behandelt. Die verschiedenen philosophischen Schulen Griechenlands konnten daher, indem sie eine Aufgabe, welche ihrem Wesen nach eine empirische Behandlung erheischt, aprioristisch zu lösen suchten, zur Erweiterung der Naturerkenntnis nichts Wesentliches beitragen. So haben namentlich die physikalischen Spekulationen eines Aristoteles (360 v. Chr.), da sie sich auf unbestimmt und von vornherein verfehlte Vorstellungen gründeten, die Erkenntnis der Naturgesetze eher aufgehalten, als gefördert.
Aus der rein spekulativen Behandlung, welche der Physik von seiten der Philosophenschulen zu teil wurde, darf aber nicht geschlossen werden, daß die induktive Forschungsmethode den Griechen unbekannt gewesen oder von ihnen mißachtet worden sei; hat ja doch Aristoteles selbst auf dem Gebiet der Naturgeschichte durch empirische Forschung bedeutende Erfolge erzielt, und in der nacharistotelischen Zeit wurde von einigen Mathematikern und Astronomen auch in der eigentlichen Physik Tüchtiges geleistet.
Unter diesen ist vor allen der geniale Syrakusaner Archimedes (287 bis 212) zu nennen, welcher den Auftrieb [* 16] der Flüssigkeiten, die darauf sich gründende Bestimmung des spezifischen Gewichts und das Hebelgesetz entdeckte, ferner das Aräometer, [* 17] den Flaschenzug [* 18] und die Wasserschraube erfand. An Heron von Alexandria (284-221) erinnert der nach ihm benannte Heronsball [* 19] und Heronsbrunnen, [* 20] von denen er den erstern beschrieb, den zweiten erfand. Der berühmte alexandrinische Astronom Ptolemäos (um 120 n. Chr.) war der erste welcher die Lichtbrechung experimentell untersuchte und die Resultate seiner Messungen in Tabellen zusammenstellte, ohne daß es ihm jedoch gelang, das Brechungsgesetz aufzufinden. Die Römer, [* 21] auf allen wissenschaftlichen Gebieten bloße Nachbeter der Griechen, haben auch in der eine selbständige Leistung nicht aufzuweisen.
Nach den Verheerungen der Völkerwanderung waren es hauptsächlich die Araber, welche den mathematischen und naturwissenschaftlichen Nachlaß des Altertums und darunter namentlich die Schriften des Aristoteles den christlichen Völkern Europas vermittelte. Unter ihnen sind der Astronom Ibn Yunis (gest. 1008), welcher sich zuerst des Pendels als Zeitmessers bedient haben soll, und Alhazen (gest. 1038) als Verfasser eines Werkes über Optik besonders hervorzuheben. Die christlichen Gelehrten des Mittelalters begnügten sich damit, die Lehren des Aristoteles zu kommentieren, und die Unduldsamkeit der scholastischen Philosophie erhob dieselben zu unantastbaren Dogmen. Unter dem Druck dieser geistigen Sklaverei ging nicht nur die Fähigkeit zu eigner Forschung, sondern sogar das Verständnis der von den Alten entdeckten Wahrheiten verloren. Selbst die Gelehrsamkeit eines Albertus Magnus (gest. 1280) und der Scharfsinn eines Roger Bacon (gest. 1294) vermochten unter diesen Umständen die wissenschaftliche Naturerkenntnis nicht zu fördern.
Dagegen gebar der herrschende Mystizismus die Magie, die Astrologie [* 22] und die Alchimie als Zerrbilder der Physik, Astronomie und Chemie. Von physikalischen Entdeckungen sind aus dem Mittelalter nur zu erwähnen das Bekanntwerden des Kompasses (1181), welcher übrigens bei den Chinesen schon viel früher im Gebrauch war, und die Erfindung der Brillen, welche von den einen dem Pisaner Mönch Alessandro della Spina (gest. 1313), von andern dem Florentiner [* 23] Edelmann Salvino degli Armati (gest. 1317) zugeschrieben wird. Am Schluß des Mittelalters begegnen wir, als Vorläufern des Wiedererwachens der exakten Wissenschaft, den drei bedeutenden Mathematikern und Astronomen: Georg v. Purbach (gest. 1461), dessen Schüler Joh. Müller ¶
(Regiomontanus, gest. 1476) und Domenico Maria Novara von Bologna (gest. 1504), dem Lehrer des Kopernikus. Die Schriften des Regiomontanus insbesondere enthalten über Wasserleitungen, Brennspiegel, Gewicht und ähnliche Gegenstände scharfsinnige Abhandlungen. Der bedeutendste Physiker des 15. Jahrh. war Leonardo da Vinci, welchem die Meteorologie ebensoviel wie die Hydraulik und Optik zu verdanken hat.
Im 16. Jahrh., dem Zeitalter des Kopernikus, entdeckte der Nürnberger Georg Hartmann (1544) die Inklination der Magnetnadel; der Niederländer Stevin stellte in seiner 1586 erschienenen Statik die Lehre vom Gleichgewicht der Körper zuerst wieder auf vernunftgemäße Grundlagen, indem er nach 1800 Jahren des Irrtums wieder an Archimedes anknüpfte. Doch erst das 17. Jahrh. ist der Zeitraum, in welchem die Physik zum Rang einer selbständigen Naturwissenschaft sich ausbildete, und zwar mit einer bis dahin nicht geahnten Schnelligkeit. Gleich zu Anfang des Jahrhunderts erschien William Gilberts (gest. 1603) geistvolles Werk »Physiologia nova de magnete«, worin er nach induktiver Methode die Gesetze des Magnetismus entwickelt und zur Lehre vom Erdmagnetismus den Grund legt.
Als eigentliche Begründer der modernen Physik und als Leitstern seiner Epoche ist Galilei (1564-1642) anzusehen, welcher 1602 die Gesetze der Fall- und Pendelbewegung entdeckte. Nachdem schon 1590 der Niederländer Zacharias Jansen das Mikroskop [* 25] und sein Landsmann Hans Lippershey 1608 das (holländische) Fernrohr [* 26] erfunden hatten, konstruierte auch Galilei auf die Nachricht von letzterer Erfindung hin ein Fernrohr, welches er mit glänzenden Erfolgen zur Durchforschung des Himmels benutzte.
Bald nachher gab Kepler in seiner Dioptrik (1611) die Konstruktion des nach ihm benannten astronomischen Fernrohrs an. Galileis richtige Ansichten vom Luftdruck hatten Torricelli 1644 zur Konstruktion des Barometers geführt, worauf Pascal, indem er 1647 ein solches Instrument auf den Gipfel des Puy de Dôme bringen ließ, die Abnahme des Luftdrucks mit der Erhebung über die Meeresfläche nachwies. Die Idee, das Barometer [* 27] zu Höhenmessungen anzuwenden, bot sich nun von selbst dar, wurde jedoch erst praktisch ausführbar, als Halley 1705 die Barometerformel abgeleitet hatte.
Otto v. Guericke erfand 1650 die Luftpumpe [* 28] und konstruierte die erste Elektrisiermaschine, [* 29] noch ohne Konduktor, den erst Bose 1741 hinzufügte. Nachdem Huygens 1655 die Pendeluhr erfunden, beobachtete Richer 1672 bei seinem Aufenthalt in Cayenne, daß das Sekundenpendel in den Äquatorgegenden kürzer ist als in den höhern Breiten, was zu dem Schluß berechtigte, daß die Schwerkraft vom Pol zum Äquator hin abnehme. Boyle entdeckte 1662 das gewöhnlich dem ebenfalls um verschiedene Teile der Physik hochverdienten Mariotte (gest. 1684) zugeschriebene Gesetz über die Spannkraft der Luft.
Das Lichtbrechungsgesetz wurde 1620 von Willebrord Snell entdeckt, aber lange Zeit Descartes zugeschrieben, welcher es 1649 in der noch jetzt gebräuchlichen Form publizierte und es zur Erklärung des Regenbogens anwandte. 1669 entdeckte Erasmus Bartholinus die Doppelbrechung [* 30] des Kalkspats; Huygens gab 1678 die Erklärung dieser Erscheinung und beobachtete zuerst die Polarisation [* 31] der beiden gebrochenen Strahlen. Auch betrachtete bereits Huygens, ebenso wie Hooke (»Mikrographia«, 1665), das Licht als eine Wellenbewegung; [* 32] doch ist jener vermöge der Aufstellung des nach ihm benannten Prinzips als der eigentliche Begründer der Undulationstheorie anzusehen.
Die erste Beugungserscheinung wurde 1650 von Grimaldi beobachtet, und Olaf Römer bestimmte 1675 aus den Verfinsterungen der Jupitermonde die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts. Denis Papin, der Erfinder des nach ihm benannten Topfes (1681), erbaute 1707 das erste Dampfboot, mit dem er auf der Fulda [* 33] von Kassel [* 34] nach Minden [* 35] fuhr. Die Methoden und Instrumente der Messung wurden vervollkommt durch Vernier, welcher 1631 den gewöhnlich, aber mit Unrecht, nach Pedro Nuñez (gest. 1577) benannten Nonius [* 36] einführte, und durch Morin, welcher 1634 das astronomische Fernrohr mit dem Fadenkreuz versah.
Die gelehrten Gesellschaften, welche in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entstanden, die Florentiner Accademia del Cimento, die Londoner Royal Society und die Pariser Akademie der Wissenschaften, haben zur Förderung der Physik wie der Naturwissenschaften überhaupt unendlich viel beigetragen. Auch auf dem Gebiet der Philosophie kam im 17. Jahrh. die empirische Methode zur Geltung; Francis Baco von Verulam erklärte in seinem »Novum organon« (1620) die Erfahrung für die einzig sichere Quelle [* 37] der menschlichen Erkenntnis und wurde dadurch zum Begründer der Realphilosophie.
Sein Einfluß auf die Entwickelung der Physik wird jedoch häufig überschätzt; schon ein volles Jahrhundert vor Baco hatte Leonardo da Vinci auf die Induktion [* 38] als die einzige sichere Methode der Naturerforschung hingewiesen, und seitdem hatten Gilbert, Galilei, Kepler u. a. auf diesem Wege glänzende Resultate erzielt. Auch die spätern Forscher hielten sich gewiß eher diese Muster exakter Forschung vor Augen als die Lehren Bacos, der von seinen Grundsätzen eine erfolgreiche Anwendung selbst nicht zu machen verstand.
Noch weniger haben Descartes' unhaltbare Spekulationen (Wirbeltheorie) zu den Fortschritten der Physik etwas beigetragen, vermochten sie aber auch nicht zu hemmen. Denn gleicherweise hatte sich das glänzende Gestirn Newton (1643-1727) bereits erhoben und verscheuchte siegreich die Nebel, womit die Cartesianische Philosophie die junge Wissenschaft zu verdunkeln drohte. Newton entdeckte 1666 die allgemeine Gravitation; in seinem unsterblichen Werk »Philosophiae naturalis principia mathematica« (1687) legte er die noch heute und für immer gültigen Fundamente der mechanischen Physik und der physischen Astronomie. Er entdeckte ferner die prismatische Zerlegung des weißen Lichts in seine farbigen Bestandteile, erfand das Spiegelteleskop und den (jedoch erst 1731 von Hadley ausgeführten) Spiegelsextanten.
Die in seinem durch zahlreiche und genaue Experimentaluntersuchungen wertvollen Werk »Optics« (1704) entwickelte Emissionstheorie des Lichts blieb auf diesem Gebiet die herrschende, bis sie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. als unhaltbar erkannt wurde. Das 18. Jahrh. schritt auf dem nun vorgezeichneten Weg rüstig weiter. Die Mechanik wurde von Johann und Daniel Bernoulli, Euler, d'Alembert, Lagrange und Laplace zu großer Vollkommenheit ausgebildet; Bradley entdeckte 1728 die Aberration des Lichts, [* 39] Bouguer (1729) und Lambert (1760) bearbeiteten die Photometrie, [* 40] Dollond konstruierte 1758 auf Eulers Anregung das erste achromatische Fernrohr. Fahrenheit verfertigte 1714 die ersten genau übereinstimmenden Thermometer [* 41] (eine Art Luftthermometer oder vielmehr Thermoskop hatte Galilei bereits 1597 erfunden); Réaumur führte 1730 die 80teilige, Celsius 1742 die 100teilige Skala ein. Gray erkannte 1727 den Unterschied zwischen elektrischen Leitern und Nichtleitern, Dufay 1733 den ¶