Naturalismus
(lat.), die Betreibung einer
Kunst oder
Wissenschaft nicht infolge und im
Sinn eines strengen, regelrechten
Studiums, sondern nach Anleitung der natürlichen
Anlage oder Begabung, also in tadelndem
Sinn Mangel an
Schule. - In der
Malerei
nennt man Naturalismus
als
Gegensatz des
Idealismus diejenige Kunstrichtung, welche in der möglichst treuen
Nachahmung
der
Natur und des wirklichen
Lebens die höchste Aufgabe der
Kunst sieht und auf jede
Abweichung von der
Natur durch Stilisierung
oder Idealisierung verzichten. Wenn man unter Naturalismus
nur den engen Anschluß an die
Natur, ohne persönliche Zusätze des Malers,
versteht, so waren schon die van
Eyck und ihre
Schüler und Nachfolger, die
Meister der kölnischen
Schule,
Dürer und
Holbein
[* 2] gelegentlich Naturalisten. Zu einem künstlerischen
Prinzip wurde der Naturalismus
, mit entschiedener
Neigung zum
Charakteristischen
und in weiterer
Entwickelung zum
Häßlichen, im 17. Jahrh. in
Italien
[* 3] durch
Caravaggio, in
¶
mehr
den Niederlanden durch Rubens, vornehmlich aber durch Jordaens und durch Rembrandt und seine Schule ausgebildet. Doch gaben diese
Künstler durch Farbe und Licht
[* 5] dem Naturalismus
ein poetisches Gegengewicht. Zu einer platten Naturnachahmung ohne poetische Elemente
artete der Naturalismus
erst im 19. Jahrh. durch die Franzosen Courbet, Manet und die Impressionisten sowie durch die
sogen. Naturalien (Bastien-Lepage, L'Hermitte u. a.) aus, welche nach dem Grundsatz: »Le
[* 6] laid c'est le beau« (»das
Häßliche ist das Schöne«) verfuhren.
Durch französische und holländische Einflüsse hat der Naturalismus
auch in Deutschland
[* 7] Boden gewonnen, in seiner übertriebenen Erscheinungsform
durch M. Liebermann, mit weiser Benutzung seiner unbestreitbaren Rechte durch F. v. Uhde und W. Firle.
Vgl. auch Hellmalerei und Impressionisten. Naturalismus
wird auch oft identisch mit Realismus (s. d.) gebraucht.
Doch besteht zwischen
beiden Richtungen der Kunst insofern ein Unterschied, als der Naturalismus
ein wirkliches Abbild der Natur mit allen ihren Zufälligkeiten
bieten will, während der Realismus nur den Schein des Lebens in kleinerm Maßstab
[* 8] wiedergibt. - Im philosophischen
Sinn bezeichnet Naturalismus
die Verwerfung aller Glaubenssätze, von deren Gültigkeit man sich nicht durch eignes Denken überzeugt
hat, und unterscheidet sich vom (theologischen) Rationalismus dadurch, daß er die Thatsache der Offenbarung selbst leugnet,
während dieser sich nur das Recht zur Prüfung der geoffenbarten Lehren
[* 9] gewahrt wissen will.