Titel
Nahrungsmittel
(hierzu Tafel »Nährwert der Nahrungsmi
ttel«),
[* 2]
diejenigen
Substanzen, welche der
Organismus zu seinem
Aufbau und als Ersatzmaterial für die im
Stoffwechsel verbrauchten Körperbestandteile aufnimmt. Bei den nicht parasitisch
lebenden
Pflanzen kommen als Nahrungsmittel
nur
Kohlensäure,
Wasser,
Ammoniak,
Salpetersäure und einige mineralische
Salze in Betracht. Aus
diesen einfachen
Verbindungen bildet die
Pflanze die große Mannigfaltigkeit der organischen
Substanzen,
aus welchen ihre Trockensubstanz besteht. Das
Tier besitzt das
Vermögen, aus unorganischem
Material organische
Substanzen zu
bilden, nicht, es ist also direkt oder indirekt auf die
Ernährung durch Pflanzensubstanz angewiesen, denn der
Fleischfresser
verzehrt nur die in tierische umgewandelte vegetabilische
Substanz.
Die Nahrungsmittel
des
Menschen und der
Tiere gehören fünf
Gruppen von
Nährstoffen
(Nahrungsstoffen) an oder sind aus solchen zusammengesetzt.
Diese
Nährstoffe:
Eiweißkörper,
Fette,
Kohlehydrate,
Salze und
Wasser, müssen in jeder aus verschiedenen Nahrungsmi
tteln zusammengesetzten
Kost in gewissem
Verhältnis und in gewisser
Menge vertreten sein, wenn der
Organismus auf die Dauer gesund
und leistungsfähig erhalten werden soll (s.
Ernährung). Neben den
Nährstoffen kommen aber bei der
Kost auch noch die
Genußmittel
in Betracht, insofern eine aus reinen
¶
Animalische Speisen und Getränke.
Hühnereier
Kuhmilch
Abgerahmte Milch (Magermilch)
Büchsenmilch
Rindsblut
Fettkäse
Magerkäse
Vegetabilische Speisen und Getränke.
Hutzucker
Weizenmehl
Roggenmehl
Weißbrod
Reisgraupen
Aepfel, Birnen
Lagerbier *
Bockbier *
Farbenerklärung:
Eiweißstoffe (Proteïn) (Stickstoffhalt. Nährstoff)
Fett (Aetherextrakt)
* bezeichnet hier Alkohol.
Kohlehydrate (Stärkemehl, Zucker) [* 7] (Stickstofffreie Extraktstoffe)
Zum Artikel »Nahrungsmittel«. ¶
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Nährstoffen bestehende Kost in der Regel ungenießbar erscheint. Erst durch Beimischung von ätherischen Ölen, Säuren, Bitterstoffen etc., welche in vielen Nahrungsmitteln hinreichend enthalten sind oder in Form von Würzen oder Gewürzen den Speisen zugesetzt werden, erhält die Kost ihre volle Ausnutzbarkeit. Hiervon abgesehen, ergibt sich der Wert eines Nahrungsmittels zunächst aus der chemischen Zusammensetzung, welche angibt, wieviel Eiweißkörper, Fette, Kohlehydrate, Salze und Wasser die fragliche Substanz enthält.
Eine Betrachtung der Tafel, welche die prozentische Zusammensetzung der wichtigsten Nahrungsmittel
angibt, zeigt, wie manche Vorurteile
über Wert und Unwert von Nahrungsmitteln durch die chemische Analyse beseitigt werden. Den Gehalt der Nahrungsmittel
an
Eiweißkörpern bestimmte man seither durch Ermittelung des Stickstoffgehalts, indem man annahm, daß der Stickstoff in den
Nahrungsmitteln nur in Form von Eiweißkörpern (die man dem entsprechend auch als Stickstoffsubstanz bezeichnete) vorhanden
sei. Man hat nun aber gefunden, daß ein oft beträchtlicher Teil des Stickstoffs sogen. Amidosubstanzen zukommt, deren Bedeutung
für die Ernährung jedenfalls eine andre ist als die der Eiweißkörper. In den Kartoffeln sind 44,7, in
Kohlrüben 41,9 Proz. des Gesamtstickstoffs in Form von Nichteiweiß
vorhanden.
Die in den Körper eingeführten Nahrungsmittel
unterliegen der Einwirkung der Verdauungssäfte und werden durch dieselben
mehr oder minder leicht und vollständig gelöst und umgewandelt, d. h.
verdaut. Hierbei verhalten sich aber die einzelnen Nahrungsmittel
sehr verschieden, reines Fleisch wird fast gänzlich verdaut, Brot
[* 9] ist
schon weniger verdaulich, Gemüse, wenn sie nicht in sehr jugendlichem Zustand genossen werden, in noch geringeren Grade, die
Schalen der Körner und Hülsenfrüchte sind ganz unverdaulich.
Die chemische Zusammensetzung der Nahrungsmittel
gibt also kein zutreffendes Bild von dem Werte derselben, wenn sie
nicht erkennen läßt, wieviel von der vorhandenen Stickstoffsubstanz, den Kohlehydraten etc. verdaut, vom Körper ausgenutzt
wird. In dieser Hinsicht sind unsre Kenntnisse noch unzureichend. Untersuchungen, welche über die Ausnutzung der wichtigsten
Nahrungsmittel angestellt wurden, ergaben, daß bei mehrtägigem ausschließlichen Genuß einer Speise von deren Trockensubstanz
durch die Exkremente entleert wurden: bei Weißbrot 3,7 und 5,2, bei Reis 4,1, bei Maccaroni 4,3 und 5,7, bei Fleisch 4,7 und
5,6, bei Eiern 5,2, bei gemischter Kost 5,5, bei Milch mit Käse 6,0 und 11,3, bei Milch allein 7,8 und 10,2, bei
Fett 6,7 und 9,4, bei Erbsen 9,1 und 14,5, bei Kartoffeln 9,4, bei Wirsingkohl 14,9, bei grünen Bohnen und Schwarzbrot je 15,
bei gelben Rüben 20,7 Proz. Diese Zahlen geben Andeutungen, welche im allgemeinen den Erwartungen entsprechen, die man von der
Ausnutzung der einzelnen Nahrungsmittel hegt; sie sind aber keineswegs als abschließend und allgemein
gültig aufzufassen, sondern bedürfen nach mancher Richtung hin einer Interpretation, weil bei der Bildung der Exkremente Verhältnisse
mitsprechen, die wohl mit der Zusammensetzung der Nahrungsmittel, aber nicht mit ihrem Wert, mit ihrer Ausnutzbarkeit etwas zu thun haben.
Eine erhebliche Bedeutung für die Ausnutzung der Nahrungsmittel hat die Zubereitung. Bei tierischen Nahrungsmitteln tritt der Einfluß der Zubereitung weniger hervor. Durch zu starkes Braten, durch Auskochen des Fleisches mit viel Wasser kann manches verdorben werden, im allgemeinen verdaut der normale Organismus tierische Substanzen ebenso im rohen Zustand wie im gekochten. Auch die Zerkleinerung (Würste) scheint nicht von Bedeutung zu sein, sofern nur der Kauapparat normal funktioniert.
Außerordentlich wesentlich ist dagegen die Zubereitung, insofern sie die tierischen Nahrungsmittel schmackhaft und damit auf die Dauer genießbar macht. Hierbei kommen besonders Veränderungen der Konsistenz und des Geschmacks durch Bildung eigenartiger Substanzen bei der Zubereitung (Aroma des Bratens) in Betracht. Bei den pflanzlichen Nahrungsmitteln werden durch die Zubereitung die Zellen gesprengt und ihr Inhalt der Einwirkung der Verdauungssäfte zugänglich gemacht, das Stärkemehl wird zur Quellung gebracht und in Modifikationen umgewandelt, welche im Gegensatz zum rohen Stärkemehl durch die Verdauungsfermente angegriffen werden.
Tierische Nahrungsmittel werden durch Kochen wasserärmer, vegetabilische dagegen wasserreicher und zwar so, daß im zubereiteten Zustand Fleisch weniger Wasser enthält als vegetabilische Speisen. Letztere sind daher bei gleichem oder ähnlichem Nährstoffgehalt ungleich voluminöser als Fleischspeisen. Sehr wesentlich ist auch der Umstand, daß durch das Kochen gewisse schädliche Bestandteile der Nahrungsmittel, namentlich Parasiten (Finnen, Trichinen), unschädlich gemacht werden.
Die Nahrungsmittel wirken je nach ihrer chemischen Zusammensetzung verschieden auf die Verdauung und Ernährung, da diese beiden im wesentlichen ebenfalls chemische Prozesse sind. Mithin ist klar, daß der Stoffwechsel durch die Wahl der Nahrungsmittel bedeutend beeinflußt wird. Unter diesem Einfluß steht natürlich auch das Nervenleben, und es ist ja allgemein bekannt, wie verschieden eine entgegenstehende Schwierigkeit beurteilt wird, je nachdem man sich vorher mit gedeihlicher Kost gesättigt oder seit längerer Zeit gefastet hatte.
Schlechte Nahrung sättigt auch, aber der Genuß von guter Kost gewährt eine Befriedigung, welche dem Gedankengang einen unverkennbaren Stempel aufdrückt. Kraft [* 10] und Mut sind die Folgen einer vollkommenen Ernährung; dauernder Mangel macht kleinmütig, feig und schwach. Vegetabilische Kost macht träge, Fett erweckt das Bedürfnis nach kräftiger Bewegung, und wenn man dies alles zusammenfaßt und zahlreiche Erfahrungen des gewöhnlichen Lebens hinzunimmt, so unterliegt es keinem Zweifel, daß auch von den Nahrungsmitteln die geistige Thätigkeit abhängig ist.
Wird aber eine gewisse Ernährung
sweise sehr lange Zeit hindurch fortgesetzt, so muß ihre Wirkung sich
unverwischbar ausprägen, und wenn sie durch Generationen hindurch fortdauert, so wird der Charakter wesentlich verändert
werden. Wo sich dergleichen aber bei ganzen Volksschichten zeigt, da beobachtet man den Einfluß der Ernährung auf den Volksgeist,
und ganz gewiß beruht die Verschiedenheit der Hindu und der Gauchos, der englischen Maschinenbauer und
der schlesischen Weber wesentlich mit auf deren abweichender Ernährung.
Im Verkehr mit Nahrungsmitteln spielen Verfälschungen eine große Rolle. Mehl [* 11] wird mit Gips [* 12] (bis 30 Proz.), Schwerspat (bis 20 Proz.) und andern farblosen, oft gesundheitsschädlichen Pulvern vermischt, verdorbenes Mehl verbessert man durch Alaun [* 13] und Kupfervitriol, Nudeln färbt man mit Pikrinsäure statt mit Eigelb, und in der Konditorei werden Gips, Schwerspat, Kreide, [* 14] namentlich aber schädliche Farbstoffe, vielfach angewandt. Zucker wird mit Mehl, Dextrin, indischer Sirup mit Runkelrüben- und Kartoffelsirup verfälscht. Beim Fleisch kommen Unterschiebungen des Fleisches kranker oder gar gefallener Tiere, von Pferdefleisch für Rindfleisch vor, und Wurst wird allgemein mit Mehl verfälscht. Milch wird abgerahmt und mit Wasser verdünnt, Honig mit ¶
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Stärkesirup, Butter mit Kunstbutter versetzt. Die Fälschungen von Wein (Unterschiebungen geringerer Sorten und Gemische, Färbungen, Zusatz von Spiritus [* 16] etc.) und Bier sind allgemein bekannt, es wird sehr viel mehr Madeira, Médoc etc. getrunken, als die betreffenden Weingegenden produzieren, und reiner Rum, Arrak ist eine Seltenheit im Handel. Kaffeebohnen und Theeblätter werden gefärbt, letztere auch durch Pulver beschwert oder mit bereits benutzten und wieder getrockneten Theeblättern gemischt, gemahlener Kaffee wird mit Kaffeesatz, Sand, Zichorie, gebranntem Getreide [* 17] gemischt, Kakao und Schokolade enthalten oft bedeutende Mengen von Stärke, [* 18] Mehl, Talg, Ocker, Kalk etc. Am schlimmsten aber treiben es die Fälscher im Handel mit gemahlenen Gewürzen, indem geeignete Fälschungsmittel (s. Matta) in besondern Fabriken dargestellt werden.
Haben nun auch alle diese betrügerischen Manipulationen in der neuern Zeit sehr bedeutend an Umfang gewonnen, so kamen doch Verfälschungen von Nahrungs- und Genußmitteln schon vor Jahrhunderten häufig genug vor und gaben, abgesehen von der Einwirkung der Zünfte, welche in ihrer ersten kräftigen Entwickelung ein Augenmerk auf gute Ware richteten, schon frühzeitig Veranlassung zum Einschreiten des Gesetzgebers. Friedrich III. bedrohte 1475 die Weinfälscher, und im 16. Jahrh. wurde eine Kontrolle des Gewürzhandels eingeführt.
Die spätere Zeit ist reich an Verordnungen, welche polizeiliche Revisionen einführten und die Physici zur Untersuchung von Proben verpflichteten. Im neuen Deutschen Reich wurde ein Gesetz, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, publiziert, welches die Polizei ermächtigt, bei Händlern von Nahrungs- und Genußmitteln, Spielwaren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink- und Kochgeschirr und Petroleum Proben zu entnehmen und bei Händlern, welche auf Grund dieses Gesetzes zu Freiheitsstrafe verurteilt sind, Revisionen vorzunehmen.
Mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und (oder) mit Geldstrafe bis zu 1500 Mk. wird bestraft:
1) wer zum Zweck der Täuschung im Handel und Verkehr Nahrungsmittel oder Genußmittel nachmacht oder verfälscht, 2) wer wissentlich Nahrungsmittel oder Genußmittel, welche verdorben oder nachgemacht oder verfälscht sind, unter Verschweigung dieses Umstandes verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung feilhält. Ist die unter 2) bezeichnete Handlung aus Fahrlässigkeit begangen, so tritt Geldstrafe bis 150 Mk. oder Haft ein. Mit Gefängnis wird bestraft:
1) wer vorsätzlich Gegenstände, welche bestimmt sind, andern als Nahrungsmittel oder Genußmittel zu dienen, derart herstellt, daß der Genuß derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, ingleichen, wer wissentlich Gegenstände, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, als Nahrungsmittel oder Genußmittel verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt;
2) wer vorsätzlich Bekleidungsgegenstände, Spielwaren, Tapeten, Eß-, Trink- oder Kochgeschirr oder Petroleum derartig herstellt, daß der bestimmungsgemäße oder vorauszusehende Gebrauch dieser Gegenstände die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, ingleichen, wer wissentlich solche Gegenstände verkauft, feilhält oder in den Verkehr bringt. Der Versuch ist strafbar. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung oder der Tod eines Menschen verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu 5 Jahren ein.
War der Genuß oder Gebrauch des Gegenstandes die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet, und war diese Eigenschaft dem Thäter bekannt, so tritt Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. Ist eine dieser Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen, so tritt je nach den Folgen Geld- oder Gefängnisstrafe ein. Auf Grund des Gesetzes können mit Zustimmung des Bundesrats gewisse Verordnungen erlassen werden, die aber dem Reichstag vorzulegen sind und auf dessen Verlangen außer Kraft treten.
Vgl. Moleschott, Physiologie der Nahrungsmittel (2. Aufl., Gießen [* 19] 1859);
Derselbe, Lehre [* 20] der Nahrungsmittel für das Volk (3. Aufl., Erlang. 1857);
Reich, Nahrungs- und Genußmittelkunde (Götting. 1860-61, 2 Bde.);
König, Die menschlichen Nahrungsmittel und Genußmittel (3. Aufl., Berl. 1887, 2 Bde.);
Derselbe, Prozentische Zusammensetzung und Nährgeldwert der menschlichen Nahrungsmittel (5. Aufl., das. 1887);
Hanausek, Nahrungsmittel und Genußmittel aus dem Pflanzenreich (Kassel [* 21] 1884);
Möller, Mikroskopie der Nahrungsmittel und Genußmittel aus dem Pflanzenreich (Berl. 1886);
Dammer, Lexikon der Verfälschungen und Verunreinigungen (Leipz. 1886);
Meyer und Finkelnburg, Erläuterungen zum Gesetz, betreffend den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln etc. (2. Aufl., Berl. 1885).