Mutterkorn
(das
Secale cornutum oder der
Clavus secalis der Apotheker), schwarzviolette, oft gebogene, hornartige Körper,
die aus den
Spelzen der reisenden Roggenähren hervorstehen und wie abnorm vergrößerte, ausgewachsene
Roggenkörner aussehen. Ganz ähnliche, nur kleinere Mutterkorn
beobachtet man bisweilen auch bei Weizen,
Spelz, Gerste
[* 3] und vielen
andern Gräsern. Sie sind im Innern weiß und mehlig, auswendig oft bläulich bestäubt, an der
Spitze zusammengeschrumpft
und mit einem bräunlichen, trocknen Mützchen versehen, der Länge nach unregelmäßig gefurcht oder
grubig, anfange weich, fast schmierig, und am
Grunde innerhalb der wie mit Öl getränkt aussehenden
Spelzen von einem zähen,
ekelhaft süß schmeckenden
Schleim umgeben, zuletzt hart, hornig und trocken.
Diese Erscheinung wird durch einen
Pilz
[* 4] aus der Familie der Pyrenomyceten (s. d.),
Claviceps purpurea
Tul.
(s.
Tafel: Pflanzenkrankheiten,
[* 5] Fig. 4 a), hervorgerufen. Das Mutterkorn
stellt ein sog.
Sclerotium (s. d.) dar und entwickelt sich aus dem Mycelium, das das Getreidekorn
allmählich zerstört. Im Laufe des
Sommers zeigt sich in den
Blüten der Gräser
[* 6] häufig eine Erscheinung, die man gewöhnlich
als Honigtau bezeichnet. Es ist dies eine zähe, klebrige, süß schmeckende Flüssigkeit, die zwischen
den
Spelzen der Grasblüten hervordringt und sehr zahlreiche stäbchenförmige
Conidien enthält.
Diese werden von einem Pilzmycelium, das auf und im Fruchtknoten wuchert (b), erzeugt und treten in einer schleimigen Masse eingebettet nach außen, wo sie von verschiedenen die Blüte [* 7] des süßen Sekrets halber besuchenden Insekten [* 8] weiter verbreitet werden. Sie können, ans andere Blüten übertragen, durch Keimung dieselben Krankheitserscheinungen hervorrufen. Diese Form des Pilzes war früher als eine besondere Art Sphacelia segetum beschrieben worden.
Nachdem das Mycelium sich weiter entwickelt und das Gewebe
[* 9] des
Fruchtknotens größtenteils zerstört hat, hört die Conidienbildung
auf und es entwickelt sich nun aus demselben das Mutterkorn.
Dasselbe besteht aus einem festen hornartigen
Pseudoparenchym und enthält
reichlich Reservestoffe in seinen Zellen.
Mittels dieses Sclerotiums (c) überwintert der
Pilz, das Mutterkorn
fällt aus den
Spelzen
heraus und gelangt in den
Boden; hier keimt es jedoch erst im nächsten
Frühjahr, indem sich mehrere Fruchtkörper
aus demselben entwickeln (d), die auf ihren roten oder violetten Stielen kleine kugelige Gebilde (e) tragen, die zahlreiche
flaschenförmig vertiefte Perithecien (f) enthalten.
Hier werden die
Sporenschläuche
(Ascus, g) und in diesen meist je acht fadenförmige
Sporen gebildet, die bei der Reife durch
porenartige Öffnungen nach außen treten. Gelangen sie auf geeignete Nährpflanzen, so keimen sie und
bilden ein neues Mycelium, das wiederum die
Sphacelia-Generation darstellt. Die
Mittel gegen das Auftreten des Mutterkorn
bestehen
hauptsächlich in der Vernichtung der Sclerotien, sowohl der beim Dreschen und Reinigen des Getreides erhaltenen, die in
die Jauchegrube zu werfen sind, als auch der auf den Gräsern befindlichen, die an den Rändern des
Ackers,
den Wege- und Grabenrainen wachsen. Frühzeitiges
Mähen des Roggens, um das
Ausfallen des Mutterkorn
zu verhüten, sowie sorgfältiges
Mähen der wildwachsenden Gräser in der Nähe des Feldes lassen das Mutterkorn
am besten beseitigen.
Das Mutterkorn
des Roggens wirkt in irgend erheblichen Gaben als heftiges, scharf narkotisches
Gift. Der wiederholte Genuß von
Brot,
[* 10] das aus mutterkorn
haltigem Mehl
[* 11] gebacken wurde, und das an seiner bläulichen
Farbe,
einem eigentümlichen
Geruch und einem scharfen, bittern
Geschmack kenntlich ist, ruft
Mutterkornvergiftung hervor. (S.
Kriebelkrankheit.)
Die im M. wirksamen
Bestandteile sind ein
Alkaloid,
Cornutin (s. d.), und eine Säure, Sphacelinsäure;
dem sonst noch neben Ekbolin darin vorkommenden
Ergotin (s. d.) und der Ergotinsäure (Sclerotinsäure) soll keine Wirkung
zukommen; außerdem enthält es die Zuckerart
Mykose, ein Harz,
Trimethylamin und ein fettes Öl, das Mutterkornöl.
Die Anwesenheit eines selbst geringen Gehalts an Mutterkorn
im Mehl ist leicht nachweisbar durch
Alkohol und Schwefelsäure.
[* 12] Man entfettet das Mehl durch Auskochen mit
Spiritus,
[* 13] schüttelt die
Probe mit reinem
Alkohol und
fügt nach dem
Absetzen einige
Tropfen verdünnter Schwefelsäure hinzu. Rötung der Flüssigkeit zeigt das Vorhandensein von
an. Erwärmt man ferner mutterkorn
haltiges Mehl oder
Brot mit Kalilauge, so entsteht ein charakteristischer
Geruch nach Heringslauge. Das Mutterkorn
wird als Pulver
(Secale cornutum) oder als Extrakt (Extractum secalis cornuti und Extractum
secalis cornuti fluidum, beide offizinell, s.
Ergotin) auch in der Heilkunde benutzt, weil das
Ergotin anhaltende Kontraktion
der
Blutgefäße und gewisser organischer
Muskelfasern, insbesondere der Gebärmuttermuskulatur hervorruft, weshalb es gegen
profuse
Blutungen verschiedener Organe und in der
Geburtshilfe zur Verbesserung der
¶
mehr
Wehenthätigkeit benutzt wird. Von der letztern Anwendungsweise stammt auch der Name des Pilzkörpers. -
Vgl. Grünfeld, Beiträge
zur Kenntnis der Mutterkorn
wirkung (Stuttg. 1892).