Musset
(spr. müssä), Louis Charles Alfred de, einer der ersten modernen französischen Dichter, geb. zu Paris, [* 2] absolvierte mit Glanz das Collège Henri IV und widmete sich, nachdem er es mit medizinischen und juristischen Studien und mit dem kaufmännischen Beruf versucht hatte, hauptsächlich durch den Verkehr mit V. Hugo und dessen Freunden angeregt, dem schriftstellerischen Beruf. Schon als 19jähriger Jüngling gab er seinen ersten Band [* 3] Gedichte heraus: »Contes d'Espagne et d'Italie« (1830), welche sofort durch die Grazie der Form und die Tiefe der Empfindung, vielleicht auch durch die Schalkhaftigkeit, stellenweise sogar Schlüpfrigkeit des Inhalts das allgemeinste Aufsehen erregten.
Eine zweite Sammlung (1831) machte geringeres Aufsehen, mehr dagegen eine dritte: »Un spectacle dans un fauteuil« (1832-34, 2 Bde.),
mit dem Gedicht »La coupe et les lèvres« und dem komischen Heldenepos
»Namouna«, vielleicht dem Bedeutendsten, was die moderne französische
Dichtung überhaupt hervorgebracht hat. Mit seinen ersten dramatischen
Versuchen hatte Musset
kein
Glück gehabt; er veröffentlichte
sie daher 1833 einstweilen in Buchausgabe
(»Andrea del
Sarto«, »Les caprices de
Marianne«, »Fantasio«). Im
Sommer 1833 erschien
in der
»Revue des
Deux
Mondes« das große Gedicht
»Rolla«, welches zu den bedeutendsten
Dichtungen Mussets
gezählt werden muß.
In demselben Jahr trat er in ein intimes
Verhältnis mit G.
Sand und unternahm mit ihr eine
Reise nach
Italien;
[* 4] jedoch die Verschiedenheit ihrer
Naturen führte bald zu unerquicklichen
Auftritten, und in
Venedig
[* 5] kam es zu einem vollständigen
Bruch.
In der düstersten
Stimmung kehrte Musset
nach
Paris zurück und schrieb seine
»Confession d'un enfant du siècle« (1836, 2 Bde.),
ein Buch voll Leidenschaft und Sinnlichkeit, Unglauben und Menschenhaß. Ruhiger und gemäßigter ist er in den Gedichten, welche von 1835 bis 1840 in der »Revue des Deux Mondes« erschienen, und die zu dem Besten gehören, was seine Muse hervorgebracht hat, besonders: »Une bonne fortune«, »L'ode à la Malibran«, »Les nuits«, »Lettre à Lamartine«, »L'espoir en Dieu«. Seine Antwort auf Beckers Rheinlied: »Nous l'avons eu, votre Rhin allemand!« wurde von den Franzosen als eine patriotische That gefeiert. Alle seine Gedichte sind gesammelt unter den Titeln: »Premières poésies« (1829-35),
»Poésies nouvelles« (1836-1852)
und
»Poésies complètes« (1851). Seine äußerst feinen und geistreichen Salonstücke, wie: »On
ne badine
pas avec l'amour«, »Il ne faut jurer de rien«, »Un
caprice«, »Il faut qu'une porte soit ouverte ou fermée« u. a.
(gesammelt als
»Comédies et proverbes«, 1856, 2 Bde.), haben den
Weg auf die
Bühne gefunden und sich zum Teil bis heute auf dem
Repertoire behauptet.
Persönliche Erlebnisse regten Musset
dazu
an, auch eine
Reihe graziöser
Novellen und
Erzählungen zu schreiben (gesammelt unter dem
Titel: »Nouvelles«, 1861),
von denen die ersten: »Emmeline«, »Les deux maîtresses«, »Le [* 6] fils du Titien« u. a., weitaus die besten sind;
die spätern verraten die frühzeitige Ermattung des Dichters und trugen zur Erhöhung seines Ruhms nichts mehr bei.
Sein
Amt als Bibliothekar am
Ministerium des Innern, welches ihm die
Revolution von 1848 genommen,
gab ihm das Kaiserreich zurück; auch wurde er 1852 in die
Akademie aufgenommen. Er starb in
Paris. Musset
nimmt unter
den französischen Dichtern seiner Zeit eine der hervorragendsten
Stellen ein, als
Lyriker unzweifelhaft
die erste. Gegenüber der
Sentimentalität
Lamartines und dem
Schwulst
Victor
Hugos zeichnen sich seine Gedichte durch die tiefe
Wahrheit der
Empfindung, durch
Harmonie und
Grazie besonders aus. Anderseits zeigt er sich so wunderlich, blasiert, so schamlos
cynisch und jedes
Ideals bar, daß eine
Erklärung dafür in seinem
Ekel über seine eigne Liederlichkeit
und die Erbärmlichkeit seiner Zeit kaum gefunden werden kann. Die beste
Ausgabe seiner Werke ist die bei Lemerre in
Paris 1876
¶
mehr
in 10 Bänden erschienene; eine illustrierte Ausgabe, mit Biographie von Paul de Musset
, erschien in 11 Bänden (neue Ausg. 1882).
Viele seiner Gedichte wurden von Freiligrath, Geibel u. a. ins Deutsche
[* 8] übertragen, zuletzt von O. Baisch (Norden
[* 9] 1885) und Musset
Hahn
[* 10] (Bresl. 1887).
Vgl. P. Lindau,
[* 11] Alfred de Musset
(Berl. 1876). -
Sein Bruder Paul de Musset
, ebenfalls Schriftsteller, geb. zu Paris, veröffentlichte zuerst eine Reihe gut geschriebener
Romane, wie: »La table de nuit« (1832),
»Samuel« (1833),
»Lauzun« (4. Aufl. 1875),
»Femmes de la Régence« (1841, 2 Bde.; 1858) u. a.;
nach den Aufzeichnungen seines Bruders und als Antwort auf G. Sands »Elle et Lui«;
»Voyage en Italie« (1863) u. a.;
endlich Theaterstücke (»La revanche de Lauzun«, »Christine, roi de Suède«),
welche jedoch nur geringen Erfolg hatten.
Die Biographie seines Bruders (»Alfred de Musset
, sa vie et ses œuvres«, 3. Aufl. 1877) hat
den Erwartungen nicht entsprochen. Er starb