Murner
629 Wörter, 4'342 Zeichen
Murner,
Murner,
Thomas, Satiriker, geb. zu Oberehnheim im Elsaß, trat in das Minoritenkloster zu Straßburg, [* 2] empfing mit 19 Jahren die Priesterweihe, studierte darauf in Freiburg, [* 3] ging dann nach Paris, [* 4] Krakau [* 5] (wo er Bakkalaureus der Theologie wurde), Köln, [* 6] Rostock, [* 7] Prag [* 8] und kehrte um 1499 nach Straßburg zurück, von wo er wegen seiner Schmähschrift »Invectiva contra astrologos etc.« ausgewiesen wurde. Er hielt sich hierauf als öffentlicher Lehrer zu Freiburg i. Br. auf und veröffentlichte unter dem Titel: »Nova Germania« [* 9] (Straßb. 1502) eine Schrift wider Wimpfelings »Germania«, in welcher er zu beweisen suchte, daß es im Elsaß eine französische Partei gäbe und Frankreich Ansprüche auf diese Provinz habe.
Der
Magistrat von
Straßburg legte
Beschlag auf diese
Schrift, die bis auf sechs
Exemplare vernichtet wurde (mit Wimpfelings
Schrift
neu hrsg., Straßb. 1874). Murner
wurde 1505 vom
Kaiser
Maximilian als Dichter gekrönt und hielt sich abwechselnd in
Straßburg,
Bern,
[* 10] Freiburg
und
Trier
[* 11] auf; 1519 finden wir ihn, nach einem Aufenthalt in
Italien
[* 12] und der
Schweiz,
[* 13] wieder in
Straßburg, wo er 1512 sein satirisches
Werk »Die Narrenbeschwörung«, nach
Seb.
Brants »Narrenschiff«, herausgab, das mehrere
Auflagen erlebte
(neue Ausg. von
Gödeke, Leipz. 1879). Murner
geißelt darin in elsässischer
Mundart die
Laster und
Thorheiten seiner Zeit und verschont
keinen
Stand, auch den geistlichen nicht.
Zugleich erschien seine »Schelmenzunft« (1512; neue photolithogr. Ausg., Berl. 1881),
die aus
Predigten, welche Murner
zu
Frankfurt
[* 14] a. M. gehalten hatte, entstand und eine beißende
Satire auf alle
Kreise
[* 15] der menschlichen
Gesellschaft war (lat. u. d. T.: »Nebulo nebulonum«, Frankf. 1620 u. öfter),
und dann die »Andächtig geistliche Badenfahrt« (1514; neu hrsg.
von
Martin, Straßb. 1887). Ein echt volkstümliches Gepräge trägt Murners
humoristische
Schrift »Die
Mülle
(Mühle) von Schwyndelsheim und Gredt Müllerin Jarzeit« (Straßb.
1515; neue Ausg. von
Albrecht in
Martins »Elsässer
Studien«, Bd. 2). Murner
nahm zuerst
Partei für
Luther im großen Kirchenkampf
des 16. Jahrh. und übersetzte dessen
Schrift
»De captivitate babylonica«.
Später zählte er zu
Luthers heftigsten Gegnern;
er übersetzte
Heinrichs VIII. von
England
Traktat
»De septem sacramentis« und verteidigte ihn in seiner
Schrift »Ob der Künig uß Engelland ein Lügner sei oder der
Luther« (Straßb. 1522). Gleichzeitig erschien von ihm (1522)
eine heftige
Diatribe wider
Luther: »Von dem großen lutherischen
Narren, wie ihn
Doktor Murner
beschworen hat« (hrsg. von Heinr.
Kurz, Zürich
[* 16] 1848). Der König von
England lud Murner
zu einem Besuch ein, und Murner leistete dieser Einladung 1523 auch
Folge.
Nach seiner Rückkehr verbot ihm der
Straßburger
Rat die
Polemik, und als er nicht einlenken wollte, zwang ihn ein
Aufstand,
die Stadt zu verlassen (1525). Er flüchtete in die
Schweiz, wo er im Kanton Luzern
[* 17] als
Pfarrer angestellt wurde, wohnte 1526 dem
Religionsgespräch von
Baden
[* 18] (im Aargau)
bei, mußte aber 1529 wegen seiner
Schmähschriften die
Schweiz verlassen und wandte sich nun
nach
Heidelberg,
[* 19] wo ihn
Kurfürst
Friedrich wohlwollend aufnahm. Zuletzt hatte er eine kleine
Pfründe in
Oberehnheim; dort starb
er 1537. Murner
war einer der genialsten und fruchtbarsten Schriftsteller seiner Zeit, entbehrte
aber alles sittlichen
Wertes und war ein zügelloser
Charakter
und abenteuerlicher
Geist. Zu seinen bekanntesten Werken gehört
noch die
Schrift, die sich an seine »Narrenbeschwörung« und »Schelmenzunft«
anreiht und die wegen ihres unsittlichen
Inhalts in
Straßburg nicht gedruckt werden durfte, seine »Gäuchmatt« (Basel
[* 20] 1519).
Murner
zeigt darin, welche
Mittel und
Künste die
Weiber anwenden, um die
Männer zu
Gäuchen
(Narren) zu machen, und läßt dabei
eine ansehnliche
Reihe berühmter
Männer auf der
Matte
(Wiese der
Öffentlichkeit) erscheinen. Schließlich sei noch erwähnt,
daß Murner
die
»Äneide« (Straßb. 1515) übersetzte, und daß ihm manche die Abfassung
des Volksbuchs von
Eulenspiegel (s. d.) zuschreiben. Murners
Schriften, von denen die meisten selten sind, bilden, über 50 an der
Zahl, eine ganze
Bibliothek.
Vgl.
Waldau, Nachrichten von Murners
Leben und
Schriften (Nürnb. 1775);
Spach, Sébastien
Brant et
Thomas Murner
(in dessen
»Œuvres choisies«, Bd. 2, Straßb.
1866).