Titel
Motorwagen
,
automobiler Wagen (engl. Autocar), im weitern Sinne jeder Wagen, der von einem Motor bewegt wird, also auch die motorisch bewegten Straßenbahnwagen und die Lokomotiven; im engern Sinne versteht man jedoch darunter diejenigen (hier allein zu besprechenden) motorisch bewegten Straßenfuhrwerke, die nicht in Schienen laufen, also zum Befahren jeder Straße geeignet sind. Die Vorteile dieser motorisch bewegten Straßenfuhrwerke gegenüber den von Zugtieren gezogenen sind mehrfache.
Zunächst lassen sich mit Motorwagen
größere
Geschwindigkeiten, auch für längere Zeitabschnitte, erreichen
als mit Zugtieren; auch größere und anhaltende
Steigungen werden leichter überwunden. Dabei sind die Betriebskosten bei
Motorwagen
erheblich geringer als bei Pferdebetrieb, sowohl bei dauerndem als auch ganz besonders bei intermittierendem
Betrieb, weil der Motorwagen
nur während der Fahrt Betriebskosten verursacht, während
Pferde
[* 3] gefüttert werden
müssen, auch wenn sie nicht gebraucht werden. Für verkehrsreiche
Städte bringen die Motorwagen
noch die schätzbaren
Vorteile, daß
sie weniger Raum beanspruchen als die mit
Pferden bespannten
Fuhrwerke, und daß die Verunreinigung der
Straßen vermieden wird.
Auf staubigen Landstraßen endlich bleiben die
Insassen eines Motorwagen
vom
Staub mehr verschont als bei Pferdewagen.
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Als Motoren für Motorwagen
dienen gegenwärtig der Dampfmotor, der Petroleummotor
[* 5] und der Elektromotor. Der Dampfmotor ist der älteste
hier in Betracht kommende Motor. Der erste Versuch zu einem Dampfwagen war Cugnots Dampfwagen aus dem J. 1769 (s.
Lokomotiven, Bd. 11, und Tafel: Lokomotiven I,
[* 4]
Fig. 1). Die spätern als Straßenlokomotive
[* 6] (s. d., Bd.
15) bezeichneten Ausführungen konnten sich als Mittel für Personenbeförderung nicht halten, zumal da der freie Dampfwagenverkehr
wegen der Explosionsgefahr des Dampfkessels behördlicherseits untersagt wurde. Erst als Serpollet einen gefahrlosen Kessel
konstruierte und 1890 mit demselben einen Dampfwagen ausrüstete, gewannen die Dampfkutschen oder Dampfdroschken eine praktisch
anwendbare Gestalt. Der Kessel der Serpolletschen Dampfkutsche (s. Tafel: Motorwagen
,
[* 4]
Fig. 1) ist so konstruiert,
daß jeweilig nur soviel Dampf
[* 7] produziert wird, als für einen Kolbenhub nötig ist, und daß ein unter Admissionsdruck und
-Temperatur stehendes, also explodierbares Wasserquantum gänzlich vermieden ist.
Als Hauptförderer der Petroleummotorwagen
ist Daimler in Cannstatt zu bezeichnen, welcher 1885 mit dem
ersten brauchbaren Petroleummotorwagen
an die Öffentlichkeit trat. Schon 1883 war ihm der für diese Motorwagen
konstruierte eigenartige
Motor patentiert worden (s. unten). Seitdem stieg auch das öffentliche Interesse für Motorwagen
und
kam in jüngster Zeit dadurch zum Ausdruck, daß man internationale Wettfahrten mit Motorwagen
veranstaltete, so in
Paris
[* 8] im Juli 1894 (Distanz Paris-Rouen);
in Turin [* 9] im Mai 1895 (Distanz Turin-Asti);
in Paris im Juli 1895 (Distanz Paris-Bordeaux);
Paris vom 24. Sept. bis (Distanz Paris-Marseille und zurück).
Auf allen vier Wettfahrten erhielten die Daimlerschen
Konstruktionen die ersten Preise. Die Strecke der letzten Fahrt (1728 km) wurde in 67 Stunden 42 Min. zurückgelegt.
Außer von der Daimler-Motorengesellschaft in Cannstatt werden die Daimlerschen Motorwagen
noch von folgenden Firmen ausgeführt: Panhard
& Levassor in Paris, die Daimler Motor Company in Long-Island bei Neuyork,
[* 10] Daimler Motor Syndicate in London,
[* 11] D. Federmann
in Turin;
Deurer & Kaufmann in Hamburg. [* 12]
Als Beispiel eines Petroleummotorwagens
sei die neueste Konstruktion
einer Cannstatter Petroleummotorkutsche beschrieben (s. Fig. 2 der Tafel). Das Bemerkenswerte der Daimlerschen Motorwagen
ist vor allen
Dingen der Motor selbst. Bei demselben geschieht die Zündung selbstthätig an einer heißen Stelle der Wandung, wodurch alle
Teile der sonst gesteuerten Zündung fortfallen: deshalb ist der Motor sehr widerstandsfähig gegen Erschütterungen
und daher weniger reparaturbedürftig als die andern mit gesteuerter Zündung arbeitenden Motoren;
auch eine größere Tourenzahl und damit kompendiöserer Bau ist durch die Selbstzündung erzielt.
Diese Vorzüge des Daimlermotors sind, wie das Ergebnis aller Wettfahrten beweist, seither unübertroffen. Die neueste Type «Phönix» dieses Motors hat noch die bemerkenswerte Eigenschaft, daß sich der Petroleumverbrauch selbstthätig dem Kraftbedarf anpaßt, wodurch die Garantie für einen billigen Betrieb geboten wird. Der Motor hängt elastisch am hintern Wagenteil, so daß eine Übertragung der Massenbewegungen des Motors auf das Wagsngestell fast gänzlich vermieden ist. Vom Motor wird die Bewegung durch
einen
Riementtieb auf ein Vorgelege und von da durch Zahnräder auf die Triebräder des Wagens übertragen. Ein Riemenwechselgetriebe
dient dazu, dem Wagen vier verschiedene Geschwindigkeiten zu geben. Die Kraftübertragung durch Riemen, die auch Lutzmann in
Dessau
[* 13] anwendet, hat gegenüber dem bei andern Motorwagen
angewendeten Kettentrieb den Vorteil der Geräuschlosigkeit und
des stoßfreien Anfahrens. Die vier Geschwindigkeiten bewegen sich in den Grenzen
[* 14] zwischen 5 und 25 km pro Stunde, und es können
Steigungen bis 15 Proz. genommen werden.
Der Petroleumvorrat reicht für eine Fahrt von 200 km. Die Vorbereitungen zu einer Fahrt dauern
1-2 Minuten. Die Kosten eines zweisitzigen Wagens mit zwei- bez. dreipferdigem Motor betragen 3800 bez. 4200 Motorwagen;
ein
viersitziger Wagen mit vierpferdigem Motor kostet 4600 bez. 5000 Motorwagen. Ein Daimlerwagen braucht pro Pferdekraft und Stunde etwa
½ kg Benzin (12 bis 18 Pf.). Die Zahl der mit dem Daimlerschen Motor ausgerüsteten Motorwagen beträgt etwa 350. Andere deutsche
Firmen, welche Petroleummotorwagen bauen, sind: Benz & Co. in Mannheim,
[* 15] welche 1886 den ersten und 1896 den
700sten Wagen fertigten;
Lutzmann in Dessau, der 20 Stück baute.
Die Anwendungsformen des Petroleummotorwagens sind mannigfach; er läßt sich einerseits für eine größere Anzahl von Personen, z. B. als Omnibus oder als Postkutsche konstruieren, wie die in [* 4] Fig. 3 u. 4 abgebildeten Typen von Lutzmann in Dessau zeigen; andererseits kann man ihm die velocipedähnliche Form eines leichten, zweisitzigen Reisewagens geben [* 4] (Fig. 5, Konstruktion von Benz & Co. in Mannheim). Dieser Wagen ist wie die Fahrräder mit Gummireifen ausgestattet.
Auch andere Konstruktionseinzelheiten der Fahrräder werden auf die Motorwagen angewendet. So hat die franz. Fahrradfabrik Peugeot ihre neuesten Petroleummotorwagen mit Rahmen aus Stahlrohren ausgestattet und die Röhren [* 16] zugleich als Reservoir für das Kühlwasser benutzt, eine Anordnung, die Daimler schon 1889 für ein zweisitziges Motorstahlrad anwandte. Auch als Lastwagen und als Geschäftswagen sind in Betrieb. Die Betriebskosten für Petroleummotorwagen sind geringer als die Unterhaltungskosten für Pferde. Z. B. betragen dieselben bei den 1896 in Colombo [* 17] auf Ceylon [* 18] in Betrieb genommenen Paketpostwagen (System Daimler) nur 60 Proz. der Kosten für Pferdebetrieb. Auch die in Paris eingeführten Benzindroschken erzielen gute Resultate.
Der elektrische Motorwagen, obgleich schon 1838 in Groningen und Turin versucht (s. Elektrisches Boot, [* 19] Bd. 5) krankt bis jetzt noch an zu großem totem Gewicht. Während z. B. ein für acht Personen konstruierter Petroleummotorwagen von Benz & Co. nur 850 kg wiegt, hat der für die gleiche Personenzahl gebaute in [* 4] Fig. 6 dargestellte elektrische Waaen der Holtzer-Canot Electric Company ein Gewicht von 2300 kg. Er braucht eine Batterie von 44 Chloridelementen. Mittels eines Zellenwählers lassen sich dem Motor drei verschiedene Geschwindigkeiten (8, 13 und 24 km pro Stunde) erteilen. In Chicago wurden 1895 von Motorwagen Cummings elektrische Droschken in Betrieb genommen, welche 15-20 km pro Stunde zurücklegen. In San Francisco sind elektrische Leichenwagen mit ebenfalls elektrischen Beiwagen eingeführt.
Vergleichung der Systeme. Für Mietwagen in Städten, überhaupt mit einem festen nicht zu ¶
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ausgedehnten Wirkungskreis, ist der elektrische Antrieb der beste, besonders weil er der geräuschloseste ist und weil elektrische Wagen keine Abgase ausstoßen. Dagegen ist für leichte Reisewagen und für weite Entfernungen überhaupt der Petroleummotorwagen vorzuziehen, da Petroleum oder Benzin überall leicht zu erlangen ist, wogegen die Ladung der Accumulatoren [* 21] von elektrischen Wagen nicht überall vorgenommen werden kann. Dampf hat den Hauptnachteil darin, daß die Feuerung von Zeit zu Zeit bedient werden muß, während Petroleummotor und Elektromotor automatisch arbeiten. Daher ist Dampf nur für solche größere Wagen geeignet, wo ein Heizer thätig ist. Nach allem ist gegenwärtig der Petroleummotorwagen der konkurrenzfähigste unter den Motorwagen.
Vgl. Farman, Les Automobiles (Par. 1896). -
Zeitschriften: La Locomotion automobile (Par. 1894 fg.): The Autocar (Lond., Coventry 1895 fg.).