Morphea
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s. v. w. Aussatz.
Morphea
3 Wörter, 27 Zeichen
Morphea,
s. v. w. Aussatz.
(Lepra Arabum, Elephantiasis Graecorum, Zaraath bei Moses, Leuke bei den Griechen, Morphea bei den Ärzten des Mittelalters, auch Miselsucht bei den alten Geschichtschreibern, Krimsche Krankheit), eine der ältesten und ekelerregendsten, vorzeiten weitverbreiteten Volkskrankheiten, herrschte im Altertum in Asien, [* 3] Afrika [* 4] und Europa [* 5] und hatte besonders im Mittelalter auch in Deutschland [* 6] sehr um sich gegriffen. Jetzt noch ist der in Asien, Afrika, Amerika, [* 7] Ozeanien [* 8] verbreitet, während er bereits seit Jahrhunderten fast aus allen Teilen Europas verschwunden ist und nur noch in einzelnen Distrikten Rußlands und Skandinaviens, auf Island [* 9] und der Iberischen Halbinsel, in der Provence und an den italienischen Küsten, in Griechenland [* 10] und auf den Inseln des Mittelmeers [* 11] regelmäßig vorkommt, nirgends aber in solcher Verbreitung wie in Norwegen, [* 12] wo man noch 1862: 2119 Aussätzige bei nicht ganz 2 Mill. Einw. zählte. In Deutschland kommen Fälle von Aussatz nur sehr vereinzelt vor.
Moses schon kannte die Krankheit sehr genau. In Griechenland und in Italien [* 13] zu Ciceros Zeiten scheint sie häufig vorgekommen zu sein. Später, im 7. und 8. Jahrh., war sie unter dem deutschen Völkerstamm der Langobarden sehr verbreitet, und in Bremen [* 14] wurden schon im 9. und in Würzburg [* 15] im 11. Jahrh. Hospitäler für Leprose gegründet. Die allgemeinere Verbreitung des Aussatzes in Europa im Mittelalter darf mit Recht den Kreuzzügen zugeschrieben werden. Sie erreichte ihren Höhepunkt im 13. Jahrh. und verschwand mit dem Schluß des 16. Jahrh. fast ganz aus der Reihe der chronischen Volkskrankheiten in Mitteleuropa.
Der Aussatz ist vielfach mit andern Krankheiten der Haut [* 16] zusammengeworfen worden, namentlich mit der Radesyge in Norwegen, dem Pellagra und dem Scarlievo in Italien, mit syphilitischen, lupösen und skrofulösen Hautkrankheiten [* 17] sowie mit der eigentlichen Elefantiasis. In neuerer Zeit ist die Kenntnis des Aussatzes durch drei norwegische Ärzte, Daniellsen, Boeck und Armauer Hansen, und ganz vorzugsweise durch die Studien von Virchow gefördert worden. Der Aussatz ist durchaus keine auf die Haut beschränkte Krankheit, obschon an dieser die krankhaften Veränderungen am augenfälligsten sind, sondern betrifft auch die Nerven [* 18] und andre Gewebe [* 19] und kommt selbst an den innern Organen des Körpers vor.
Der Aussatz ist eine allgemeine Erkrankung des Organismus, wobei bedeutende Veränderungen der Haut am meisten in die Augen fallen. Die mangelhafte Hautpflege in früherer Zeit und in der niedern Volksklasse trug natürlich viel dazu bei, die Hauterkrankung nur noch auffälliger zu machen. Man unterscheidet zwei Hauptformen des Aussatzes: die knotige und die glatte oder anästhetische Form. Die knotige Form hat zuweilen einen schnellen, in der Regel aber einen langsamen Verlauf, die mittlere Dauer ist etwa 9½ Jahre. Sie ¶
beginnt in einem Vorläuferstadium mit Mattigkeit, Neigung zum Schlaf, Frösteln, Appetitlosigkeit; unter herumziehenden Schmerzen entstehen kleine, rundliche, braunrote Flecke auf der Haut, welche anfangs auf Fingerdruck verschwinden, um nach einiger Zeit wiederzukehren. Nach einigen Jahren werden die Flecke konstant und mehr bräunlich, der Kranke fühlt sich dann wieder etwas besser. Gewöhnlich erscheinen diese Flecke zuerst in der Augenbrauengegend und auf den Handrücken, schwellen dann an und bilden einzeln stehende, rundliche, harte Knoten, welche über die Haut hervorragen.
Dabei entstehen meist fieberhafte Erscheinungen mit allgemeiner Abgeschlagenheit. Die Knoten wachsen, breiten sich über Gesicht, [* 21] Arme und Beine und einen großen Teil des Körpers aus, auf dem sie überall sich finden können mit Ausnahme des behaarten Kopfes, der Fußsohle und der Handfläche. Zuletzt erweichen diese Knoten, brechen auf und bilden, am meisten um die Gelenke herum, Geschwüre, welche eine übelriechende Flüssigkeit absondern, die sich zu einer braunen, dicken Kruste eindickt.
Unterdessen sind die meisten Lymphdrüsen angeschwollen, wie am Hals, in der Achselhöhle, in der Leistengegend. Ähnliche Knoten bilden sich auf den Schleimhäuten des Mundes, des Schlundes, in der Nase [* 22] und im Kehlkopf; [* 23] die Stimme wird klanglos, rauh, das Atmen behindert. Das Auge [* 24] wird zuweilen ebenfalls angegriffen und zerstört, die Nase sinkt ein. Im Innern des Körpers leiden die Organe zugleich mit;
am Bauchfell, im Magen [* 25] finden sich erweichte Knoten;
die Gekrösdrüsen sind angeschwollen und innerlich oft erweicht;
ja, Rippenfell und Herzbeutel können mit Knoten besetzt sein, während die Lungen stets frei bleiben.
Endlich sind auch die Nerven und Unterleibsgefäße mit knotiger Masse erfüllt. Zuletzt finden wässerige Ergießungen in die Hirnhöhlen statt, und die Patienten sterben unter Erscheinungen von Bewußtlosigkeit. Einen stets langsamern Verlauf nimmt die glatte oder anästhetische Form, deren mittlere Dauer auf 18½ Jahre berechnet wird. Es gehen derselben die gleichen allgemeinen Vorläufererscheinungen voraus, aber anstatt der rotbraunen Flecke schießen in plötzlichen Ausbrüchen große Blasen, besonders an Armen und Beinen, auf.
Die Blasen bersten und hinterlassen oberflächliche Geschwüre und diese runde, weiße, in der Haut etwas vertiefte Narben. Jetzt folgt eine größere oder kleinere Pause, in der der Kranke sich wohl befindet, bis sich an irgend einem Teil des Körpers eine übermäßige schmerzhafte Empfindlichkeit der Haut einstellt, begleitet von Schlaflosigkeit, Unwohlsein und Abmagerung. Diese Schmerzhaftigkeit kann lange Zeit dauern; wenn sie verschwindet, ist aber auch das Gefühl mit erloschen.
Diese Gefühllosigkeit dehnt sich aus und wird zuletzt so vollkommen, daß der Kranke sich an den gefühllosen Stellen brennen kann, ohne es zu spüren. Wenn das Gesicht gefühllos wird, können die Lippen und die Augenlider nicht geschlossen werden; die Lider stülpen sich nach außen um, die Hornhaut trübt sich, und es entsteht Blindheit. Ergreift die Gefühllosigkeit die Geschlechtsorgane, so erlischt der Geschlechtstrieb, was bei der knotigen Form nicht beobachtet wird, wenn auch Knoten an diesen Teilen sich bilden.
Verbreitet sich die Anästhesie auf die Extremitäten, so vermindert sich auch die Bewegungsfähigkeit, Finger und Zehen stehen krumm und unbeweglich. Endlich entstehen nach einem höhern Grad von Unbeweglichkeit brandige Geschwüre auf der Fußsohle, die Knochen [* 26] werden brandig, und einzelne Glieder [* 27] fallen ab. Dabei waltet gewöhnlich sehr heftiges Fieber ob, dem die Leidenden erliegen. Diese letztere Form des Aussatzes hat man als verstümmelnden Aussatz (Lepra articulorum s. mutilans) bezeichnet, weil die Glieder in den Gelenken gleichsam abgesetzt werden.
Die Verstümmelung ist die Folge von Entzündungen, welche in den gefühllosen Teilen vor sich gehen. Zuweilen verlieren die Kranken Hände und Füße, Nase und Augen, so daß gewissermaßen nur Kopf, Rumpf und rohe Stümpfe von den Extremitäten übrigbleiben. Ärztliche Beschreibungen des Aussatzes mangeln aus früherer Zeit bis zum 16. Jahrh. fast vollkommen; meist müssen die Mitteilungen darüber den Chronikschreibern und Dichtern entnommen werden. Von hohem Interesse ist ein von Virchow aufgefundenes Bild des ältern Holbein [* 28] in der Pinakothek zu München, [* 29] welches die heil. Elisabeth darstellt, wie sie, von der Wartburg heruntersteigend, die Aussätzigen speist und tränkt. Vier Personen tragen hier deutliche Zeichen des Aussatzes an sich.
Von alters her hat man an die Ansteckungsfähigkeit des Aussatzes geglaubt und deshalb schon früh die Absonderung der Aussätzigen von Staats wegen angeordnet, welche daher auch vorzugsweise Sondersieche hießen. Diese Annahme der Kontagiosität des Aussatzes veranlaßte deshalb auch schon sehr bald die Einrichtung von Aussatzspitälern (Léproseries, Maladreries, Meselleries, Lazzaretti, Sondersiechenhäusern), meist an abgelegenen Teilen der Städte oder außerhalb derselben vor den Thoren. Im nördlichen Deutschland waren sie fast alle dem heil. Georg geweiht und wurden daher St. Georgs- oder St. Jürgenspitäler genannt.
Ihre Zahl war eine sehr bedeutende. Die meisten deutschen Leproserien werden im 13. und 14. Jahrh. zum erstenmal erwähnt, die ältesten fallen in die Zeit der letzten Kreuzzüge, an denen die Deutschen fast gar keinen Anteil nahmen. Außer diesen größern Anstalten gab es noch vereinzelte »Feldhütten« zur Unterbringung einzelner, den Landgemeinden angehöriger Siechen. Ob ein Mensch aussätzig war oder nicht, wurde von vereidigten »Beschauern« entschieden; in Holland besaßen einzelne Kapellen ein Privilegium dafür, das viel Geld eintrug.
Wer für aussätzig erklärt wurde, erhielt ein schriftliches Zeugnis und eine besondere Kleidung, gewöhnlich ein schwarzes Gewand mit bestimmten Abzeichen nebst einem Hut [* 30] mit breitem weißen Bande. Dazu trugen die Leprosen eine hölzerne Klapper, um ihre Annäherung zu erkennen zu geben, und einen Stock, womit sie die Gegenstände, die sie begehrten, berührten. Waffen [* 31] zu tragen, war ihnen verboten. In Frankreich wurden sie für bürgerlich tot erklärt, durften öffentliche Orte gar nicht besuchen, nicht erben, noch etwas erwerben, so daß die armen Leidenden oft, zur Verzweiflung getrieben, sich gegen die Bewohner der Städte empörten, dafür aber mit den härtesten Strafen, selbst Todesstrafen, belegt wurden.
Dagegen war den Aussätzigen gestattet, zu betteln und in der Welt herumzuziehen. In den Leproserien waren sehr komplizierte Hausordnungen eingeführt, die im ganzen allenthalben viel Übereinstimmendes hatten und nur in einzelnen unwesentlichen Punkten voneinander abwichen. Die Frauen und Männer waren getrennt, bei Strafe des Verlustes ihrer Pfründe sollten die Aufgenommenen keusch leben, jede Gemeinschaft zwischen Sonnenuntergang und -Aufgang sollte aufhören, kein Siecher durfte ohne Gefährten aus dem Haus gehen oder gar über Nacht aus dem Haus bleiben, mit einer gesunden oder siechen Frau sprechen etc. Auch sollten sich die Kranken aller lärmenden Vergnügungen ¶
enthalten. Die für sie bestimmten Kapellen hatten einen abgesonderten Platz, der nur durch eine kleine Öffnung mit der übrigen Kirche zusammenhing; das Abendmahl wurde denselben am Werkeltag in ihrer »verordneten« Kapelle gereicht. Das Heiraten war den Sondersiechen ganz untersagt, und Pippin schon hatte den Aussatz 757 als Ehescheidungsgrund aufgestellt mit der Erlaubnis zur Wiederverheiratung für den gesunden Teil. Diese letztern Angaben deuten darauf hin, daß man schon vor alters an die Kontagiosität und an die Erblichkeit des Aussatzes glaubte.
Während aber letztere nicht bezweifelt werden kann, sieht man gegenwärtig die Krankheit nicht mehr als ansteckend an. Sie wird übrigens häufiger ererbt, als daß sie spontan entsteht. Daniellsen und Boeck nehmen nach Untersuchungen, welche dieselben an 213 Individuen im St. Jürgenhospital zu Bergen [* 33] angestellt, an, daß die Krankheit bei 185 ererbt und nur bei 28 spontan entstanden sei. Im J. 1882 hat die Untersuchung der Lepraknoten durch Hansen und Neißer stäbchenförmige Bakterien in denselben ergeben, welche mutmaßlich als die nächsten Vermittler des Kontagiums anzusehen sind und dem Aussatz seine Stellung unter den Infektionskrankheiten anweisen. Das Alter, in welchem der Aussatz gewöhnlich zuerst ausbricht, ist das zweite Lebensjahrzehnt; er zeigt sich dann am meisten zwischen 20-30 Jahren. Nach dem 60. Jahr ist die Krankheit von den genannten Forschern niemals beobachtet worden.
Die Behandlung des Aussatzes bezog sich neben den prophylaktischen bereits genannten Maßregeln der Isolierung und Verhinderung der Fortpflanzung und erblichen Übertragung von jeher hauptsächlich auf die Diät, auf Hautpflege durch Bäder, die mit allerlei Zusätzen von aromatischen und andern Stoffen versetzt wurden, auf Einreibungen und Überschläge von erweichenden und zerteilenden Mitteln, auf Verbände der Geschwüre mit balsamischen, reizenden Salben.
Innerlich wurden die verschiedensten Mittel gereicht, aber, wie es scheint, mit sehr geringem Erfolg. Der Volksglaube hoffte alles von der Wirkung übernatürlicher Mittel, so namentlich von einem unmittelbaren Eingreifen Gottes, wie zahlreiche Legenden bezeugen, und von dem Blut unschuldiger Kinder: höchste Reinheit sollte höchste Unreinheit heilen. Die bekannteste hierher gehörige Legende ist der »Arme Heinrich« Hartmanns von Aue. Neuere Schriftsteller rühmen als Mittel gegen den den Gebrauch von Jodkalium bei guter, kräftiger Nahrung.
Vgl. Hensler, Vom abendländischen Aussatz im Mittelalter (Hamb. 1794);
Sprengel, Beiträge zur Geschichte der Medizin, Bd. 1, St. 1, S. 220 (Halle [* 34] 1795);
Häser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten, Bd. 2 (3. Aufl., Jena [* 35] 1880).
Über die norwegische Spedalskhed vgl. Daniellsen und Boeck, Traité de la Spédalskhed ou Elephantiasis des Grecs (mit Atlas, [* 36] Par. 1847); die historischen Abhandlungen in Virchows »Archiv«, Bd. 18-22: »Zur Geschichte des Aussatzes und der Spitäler, besonders in Deutschland«, und Virchow, Krankhafte Geschwülste, Bd. 2 (Berl. 1864).