Titel
Moltke
,
mecklenburg. Adelsgeschlecht, welches zuerst im 13. Jahrh. vorkommt, teilt sich in zwei Hauptlinien: die ältere oder mecklenburgische, welche 1770 in den Reichsgrafenstand, und die jüngere oder dänische, die schon 1750 in den dänischen Grafenstand erhoben ward.
Vgl. Langhorn,
Historische
Nachrichten über die dänischen Moltke
(Kiel
[* 2] 1871).
Die namhaftesten Sprößlinge des Geschlechts sind:
1) Adam Gottlob von, Stifter der jüngern Linie, geb. zu Riesenau, war ein vertrauter Freund des Königs Friedrich V. von Dänemark [* 3] und Klopstocks und starb 1792 mit Hinterlassung von 22 Söhnen, die fast alle zu hohen Stellungen im Staats- und Militärdienst gelangten.
2) Joachim Godske, dän. Staatsmann, Sohn des vorigen, geb. trat in den Militärdienst, verließ denselben aber 1766 wieder, studierte in Kopenhagen, [* 4] trat, nachdem er sich durch fünfjährige Reisen im Ausland ausgebildet hatte, in den Staatsdienst und wurde 1775 Finanzminister, aber 1784, nachdem er die Finanzen geordnet, entlassen. Nachdem er bis 1813 auf seinen Gütern gelebt, wurde er später wieder zum Geheimen Staatsminister ernannt und starb ¶
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3) Adam Gottlob Detlev von, geb. legte zur Zeit der französischen Revolution den Grafentitel ab und nannte sich
Citoyen Moltke
, nahm an den Bestrebungen der schleswig-holsteinischen Ritterschaft 1815-23 unter Dahlmanns Leitung zur Erlangung
einer Verfassung thätigen Anteil und starb Er schrieb: »Einiges über die Verfassung Schleswig-Holsteins«
(Lüb. 1833) und mehrere Dichtwerke.
4) Magnus von, Bruder des vorigen, geb. studierte in Kiel und Göttingen, [* 6] bekundete in seiner Schrift »Über den Adel und dessen Verhältnis zum Bürgerstand« (Hamb. 1830),
welche die vortreffliche Gegenschrift Kahldorfs: Ȇber den Adel, an den
Grafen Magnus v. Moltke«
(das. 1831)
hervorrief, eine streng konservative Gesinnung, neigte sich aber später, wie seine Schriften: »Über das Wahlgesetz und die
Kammer mit Rücksicht auf Schleswig
[* 7] und Holstein« (das. 1834) und »Über die Einnahmequellen
des Staats« (das. 1846) bewiesen, dem Liberalismus zu. Als Präsident der schleswigschen Provinzialstände sprach er für Preßfreiheit
und Ordnung in den Finanzen und forderte Trennung der Finanzen Schleswig-Holsteins von den dänischen sowie
einen verantwortlichen Finanzminister. Noch ist von seinen Arbeiten hervorzuheben: »Die schleswig-holsteinische Frage« (Hamb.
1849). Er starb in Kiel.
5) Adam Wilhelm von, Sohn von Moltke
2), geb. erwarb sich durch
seine Hingebung an das Interesse Dänemarks das Vertrauen der Könige Friedrich VI. und Christian VIII., unter welch letzterm
er die Finanzen und die Rentenkammer verwaltete und später als Gesandter nach Paris
[* 8] ging. Von da bei den Märzereignissen
in Kopenhagen zurückgerufen, ward er unter Belassung des Portefeuilles der Finanzen an die Spitze
des Staatsministeriums gestellt. Die nächste Folge hiervon war die königliche Proklamation vom 24. März über die unzertrennliche
Verbindung Schleswigs mit Holstein. Am trat Moltke
die Finanzen an den Grafen Sponneck ab und übernahm die Oberleitung
des Auswärtigen sowie der Angelegenheiten Schleswigs, übergab jedoch das Portefeuille des Äußern
an Reedtz. Am reichte er auch als Vorsitzender im Staatsrat seine Entlassung ein. Ende August 1854 ward er zum Präsidenten
des Reichsrats ernannt. Er hat sich vielfach als Freund von Kunst und Wissenschaft bekundet. Er starb in Kopenhagen.
6) Karl von, ältester Sohn von Moltke
3), geb. war früher den schleswig-holsteinischen
Interessen zugethan, trat jedoch in Kopenhagen zur absolutistischen Partei über, ward Präsident der schleswig-holsteinischen
Kanzlei, Staatsminister, ging 1849 als dänischer Gesandter nach Rußland, war vom 13. Juli bis Minister
ohne Portefeuille und vom bis Minister für Schleswig, in welcher Stellung er seine Abneigung gegen die
Herzogtümer durch eine Reihe von drückenden Maßregeln zu erkennen gab. Er starb
7) Helmuth Karl Bernhard, Graf von, preuß. Generalfeldmarschall, geb. zu Parchim in Mecklenburg-Schwerin,
Sohn des dänischen Generalleutnants Viktor von Moltke
(gest. 1846) und Henriettens, geborne Paschen (gest. 1838), ging 1812 nach
Kopenhagen, um als Kadett die militärische Laufbahn zu beginnen. Zehn Jahre später trat er als Infanterieleutnant in preußische
Kriegsdienste über. Hier zeichnete er sich bald so
aus, daß 1832 seine Aufnahme in den Generalstab erfolgte.
Drei Jahre darauf unternahm er eine Reise in den Orient, welche ihn dem Sultan Mahmud nahebrachte und zur Folge hatte, daß er,
für mehrere Jahre beurlaubt, der Ratgeber des Sultans wurde bei den von diesem beabsichtigten militärischen Reformen. Auch
war Moltke
Teilnehmer an dem türkischen Feldzug gegen Mehemed Ali (1839), wo der türkische Oberbefehlshaber
freilich seinen verständigen Rat verschmähte und dafür bei Nisib geschlagen wurde. Der Aufenthalt in der Türkei
[* 9] gab ihm
Veranlassung zu mehreren schriftstellerischen Arbeiten, nämlich: »Der russisch-türkische Feldzug in der europäischen Türkei«
(Berl. 1835, 2. Aufl. 1877) und »Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren
1835-39« (das. 1841, 4. Aufl. 1882). Nach Mahmuds Tod 1839 heimgekehrt, trat Moltke
in den Generalstab zurück; ward 1842 Major, 1846 Adjutant
bei dem in Rom
[* 10] lebenden Prinzen Heinrich von Preußen
[* 11] und nach dessen Tod 1847 beim Generalkommando am Rhein. 1848 zum
Abteilungsvorstand im Großen Generalstab ernannt, war Moltke
1849-55 Chef des Generalstabs des 4. Armeekorps und seit 1856 Adjutant
des Prinzen Friedrich Wilhelm (jetzigen Kaisers Friedrich). 1858 trat er an die Spitze des Generalstabs der Armee, und 1859 erhielt
er den Rang eines Generalleutnants. Um die Ausbildung der Generalstabsoffiziere erwarb er sich durch eigne
Vorträge wie durch stete Leitung und Überwachung ihrer Arbeiten große Verdienste.
Der Operationsentwurf für den deutsch-dänischen Krieg war großenteils sein Werk, wie er denn auch Ende April 1864 Generalstabschef
des Prinzen Friedrich Karl, Oberbefehlshabers der Alliierten, ward. Über Erwarten glänzend entfaltete sich Moltkes
strategische
Begabung in dem deutschen Krieg vom Sommer 1866. Im Juni d. J. zum General der Infanterie ernannt, begleitete
er den König in das Lager
[* 12] und wohnte der entscheidenden Schlacht von Königgrätz
[* 13] bei. Nach derselben leitete er auch den Vormarsch
der Preußen gegen Wien
[* 14] und Olmütz
[* 15] und führte die Verhandlungen in Nikolsburg, welche den Waffenstillstand
vom 2. Aug. zur Folge hatten.
Als Auszeichnung für seine Verdienste ward ihm vom König der Schwarze Adlerorden und von der Nation eine Dotation verliehen. Unermüdlich thätig, betrieb er sofort die Beseitigung aller Mängel in der Organisation und Taktik der preußischen Armee, welche sich 1866 namentlich bei der Kavallerie und Artillerie herausgestellt hatten. Zugleich bereitete er alles für den erwarteten Entscheidungskampf mit Frankreich vor und arbeitete einen genauen Mobilmachungs- und Feldzugsplan bereits 1868 aus.
Derselbe bewährte sich bei dem Ausbruch des Kriegs 1870 aufs glänzendste. Die ohne alle Störung bewerkstelligte Beorderung der Heeresmassen auf der Eisenbahn, der Aufmarsch der drei Armeen am Rhein sowie die Leitung der Kriegsoperationen selbst erfüllten alle Welt mit Bewunderung und Vertrauen in seine Leitung. »Getrennt marschieren, vereint schlagen« war seine Maxime, und die Siege der deutschen Armeen haben sie bewährt. Vorzüglich die große Rechtsschwenkung der dritten und der Maasarmee Ende August, die mit Sedan [* 16] endete, und die Sicherung der Belagerung von Paris werden stets als strategische Meisterstücke anerkannt werden. Er durfte vieles wagen, weil er genau zu beurteilen wußte, was er seinen Streitkräften zumuten konnte. Die Ehren und Belohnungen, die ihm zu teil wurden, waren zahlreich. Am wurde er in den ¶
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Grafenstand erhoben, erhielt er das Großkreuz des Eisernen Kreuzes, 16. Juni wurde er Generalfeldmarschall; er erhielt auch eine bedeutende Dotation, die er zur Stiftung eines Familienfideikommisses verwandte, und ward von zahlreichen Städten zum Ehrenbürger ernannt. Seine Vaterstadt Parchim errichtete ihm ein Denkmal (von Brunnow), das enthüllt wurde; ein andres wurde ihm 1881 in Köln [* 18] (von Schaper) errichtet. Der Kaiser von Rußland überschüttete ihn bei einem Besuch in Rußland Dezember 1871 mit Ehrenbezeigungen.
Nie verließen ihn aber seine Bescheidenheit und seltene Anspruchslosigkeit. Auch politisch ist er thätig gewesen und noch
thätig. Seit 1867 gehört er dem Reichstag des Norddeutschen Bundes, dann des Deutschen Reichs, seit dem
preußischen Herrenhaus an, wo er sich der konservativen Partei anschloß, und mit unermüdlicher Gewissenhaftigkeit erfüllte
er seine Pflichten als Abgeordneter; Aufsehen erregte seine formell und sachlich meisterhafte Rede über die politische Lage
und die militärischen Pflichten des deutschen Volkes im Reichstag. Seine vielseitige, tiefe
und edle Geistesbildung prägt sich auch in seinen Werken aus. Die Geschichte des italienischen Feldzugs 1859 (2. Aufl., Berl.
1863), des Kriegs von 1866 (das. 1867-68), des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 (das. 1873 ff.) und des deutsch-dänischen
Kriegs (1886-87, 2 Bde.), welche der
Generalstab unter seiner Leitung herausgab, sind auch stilistisch mustergültig. Die »Briefe aus Rußland« (Berl. 1877) sind
eine Übersetzung der 1856 an seine Gattin in Dänemark gerichteten und damals in »Dagens Nyheder« veröffentlichten
Tagebuchblätter Moltkes.
Das »Wanderbuch« (4. Aufl.,
Berl. 1879) enthält Aufzeichnungen aus Rom, Spanien
[* 19] und Paris. Auch die von ihm herausgegebene Karte von
Konstantinopel
[* 20] und dem Bosporus
[* 21] und die der Umgebung von Rom sind zu erwähnen.
Vgl. W. Müller, Generalfeldmarschall Graf Moltke
(Stuttg.
1885);
v. Fircks, Feldmarschall Graf und der preußische Generalstab (2. Aufl., Berl. 1887).