Molière
(spr. mollĭähr), eigentlich
Jean
Baptiste Poquelin, der größte franz. Lustspieldichter, geb. 15. oder zu
Paris,
[* 2] erhielt seine
Bildung auf dem
Collège de
Clermont (später
Louis le
Grand), genoß den
Unterricht des berühmten
Philosophen
Gassendi (seine Lukrezübersetzung fällt in diese Zeit), studierte die
Rechte und trat 1643, einer unwiderstehlichen
Neigung folgend, unter dem
Namen »Molière«
in eine Schauspielertruppe, welche wegen schlechter
Geschäfte im Jahr 1646 oder 1647 in die
Provinz ging.
Hier schwang sich Molière
bald zum
Direktor auf, durchstreifte mit seiner
Truppe zwölf Jahre lang ganz
Frankreich
und kehrte 1658, an
Erfahrungen reich, nach
Paris zurück. In die Wanderzeit fallen, neben vielen unbedeutenden
Stücken, seine
beiden
Lustspiele: »L'Étourdi« und »Le
[* 3] dépit amoureux«.
Bald erwarb sich die neue
Truppe die
Gunst des
Königs und
Monsieurs, seines
Bruders, dessen
Truppe sie sich nannte,
die des
Publikums erst 1659 durch die
»Précieuses ridicules«, eine scharfe
Satire gegen die Unnatur und
Ziererei der
Sprache,
[* 4] die in den
Zirkeln des
Hotel
Rambouillet gesprochen wurde.
Dadurch machte er sich viele Feinde, die in
Verbindung mit den in ihrem Privileg geschädigten Schauspielern des
Hotel
Bourgogne
keine Gelegenheit vorübergehen ließen, um Molière
in
Wort und
Schrift anzugreifen. Auf »Sganarelle« (1660)
und den mißglückten
»Don
Garcia« (1661) folgten im selben Jahr »L'école des maris«,
eine
Nachahmung der »Adelphi« des Terenz, und »Les
Fâcheux«. 1662 ging er eine
Ehe ein mit
Armande Béjart, der
Schwester (oder Tochter) seiner frühern Geliebten,
Madeleine Béjart,
die ihm durch ihren Leichtsinn und ihre
Untreue sein ganzes
Leben verbittert hat.
Schon wenige Monate darauf war er in der Lage, in dem ergreifenden Lustspiel »L'école des femmes« seine Verzweiflung zu schildern. Auf die heftigen Angriffe seiner Feinde antwortete er mit der »Critique de l'École des femmes« und dem »Impromptu de Versailles«. [* 5] Nach einigen Gelegenheitsstücken: »Le mariage forcé«, »La princesse d'Élide« (1664),
»Don Juan, ou le Festin de Pierre«, »L'amour médecin« (1665),
brachte er 1666 den »Misanthrope«, sein großartigstes und wahrstes Stück, auf die Bühne und, nachdem er wiederum einige kleinere Stücke für die Unterhaltung des Hofs verfaßt hatte (»Le médecin malgré lui«, »Le ballet des muses«, »Le Sicilien, ou l'Amour peintre«),
1667 den »Tartuffe« unter dem Titel: »L'Imposteur«, aber nur mit Einer Vorstellung;
erst 1669 gelang es ihm, nach Überwindung der äußersten Schwierigkeiten, das Stück drei Monate hindurch auf dem Repertoire zu erhalten;
der Jubel des Publikums entschädigte ihn für die Exkommunikationen und die offenen und versteckten Angriffe seiner Feinde.
In der Zwischenzeit (1668) gingen der
»Amphitryon«,
»George
Dandin« und »L'Avare«
über die
Bretter; letzterer, nach
Plautus und in
Prosa geschrieben, von
Goethe für »besonders groß und in hohem
Grade tragisch«
gehalten, wird in
Deutschland
[* 6] von Molières
Stücken am häufigsten gelesen und gespielt.
Nun folgen wieder
Unterhaltungsstücke für den
Hof:
[* 7] »Monsieur
[* 8] de Pourceaugnac«, »Les amants magnifiques«,
die Ballettkomödie
»Le bourgeois gentilhomme«, »Les
fourberies de
Scapin«, »La comtesse d'Escarbagnas«;
dann sein letztes Meisterwerk: »Les femmes savantes« (1672),
wie die »Précieuses ridicules« gegen die Pedanterie und Unweiblichkeit der Frauen gerichtet.
Die vierte Aufführung des
»Malade
imaginaire« war seine letzte Leistung. Seine durch Sorgen und
Arbeit untergrabene
Gesundheit (er litt seit langer Zeit an einem
bösen
Husten) erlag den Anstrengungen, als er in der Promotionsszene das
Wort »Juro« aussprach; er bekam einen
Blutsturz und
verschied wenige
Stunden darauf Die
Geistlichkeit versagte ihm ein ehrliches
Begräbnis; in der
Nacht und unter den Verwünschungen des fanatisierten
Pöbels wurde er begraben. Erst 1817 brachte man seine Gebeine auf den
Père Lachaise. 1778 stellte die
Akademie, deren
Pforten Molière
verschlossen gewesen waren, seine
Büste in ihrem
Saal auf, und 1844 wurde
ihm, seinem Sterbehaus in der
Rue de
Richelieu gegenüber, ein Denkmal, die
Fontäne Molière
, errichtet.
Molière
war in erster
Linie ein vorzüglicher
Schauspieler. Nicht nur die
Rollen,
[* 9] welche er für sich geschrieben, sondern auch andre,
besonders die komischen, weniger die tragischen, spielte er unter dem Beifall des
Publikums; schon sein Mienenspiel erregte
stürmische Heiterkeit. Dabei war er eifrig und gewissenhaft, für gewöhnlich ernst, ja melancholisch;
von seinen reichen
Einnahmen machte er, zum Nutzen seiner
Freunde und seiner
Kunst, einen edlen
Gebrauch. Vor allem aber ist
Molière
Dichter, und wenn er schon in jenen
Stücken, welche er zur
Augen- und Ohrenweide eines vergnügungssüchtigen
Hofs schrieb,
und in seinen
Possen, in denen er seiner tollen
Laune den
Zügel schießen läßt, ungewöhnlichen
Reichtum
der
Phantasie, seltene Leichtigkeit des
Schaffens, tiefe
Weisheit und unerschöpfliche
Laune bekundet, so erheben ihn seine großen
Charakterkomödien mit ihrer reinen Menschlichkeit und ewigen
Wahrheit zu einem der ersten Dichter aller
Zeiten. Molière
schafft
selten frei; fast immer hat er
Rahmen und Färbung seiner
Stücke den Alten, den Italienern oder Spaniern
entlehnt.
Den Inhalt aber bilden die Thorheiten und Lächerlichkeiten seiner Zeit; Falschheit und Unnatur, Heuchelei und Lüge verfolgt er mit glühendem Haß. Aber nicht Figuren seiner Phantasie führt er uns vor, das Leben, das warme, wirkliche, pulsiert in seinen Werken; seine Blaustrümpfe und Marquis, sein Menschenfeind und Tartüff sind typisch geworden. Dazu ist die Kunst, Verwickelungen zu erfinden und zu lösen, die Spannung des Zuschauers bis zum Schluß rege zu erhalten (z. B. in den »Femmes savantes«),
bewunderungswürdig. Von gleicher Vortrefflichkeit ist sein
Stil; klar und präzis,
natürlich und doch überaus mannigfaltig, spricht er die
Sprache der Stadt und des
Landes, aller
Klassen und aller
Leidenschaften.
Unter den zahlreichen
Ausgaben von Molières
Werken nennen wir nur die bedeutendsten: von Vinot und La Grange (1682, 8 Bde.),
von
Auger (1819-25, 9 Bde.), von Moland (2. Aufl.
1884, 12 Bde.) und besonders von
Despois und Mesnard (1873-86, 9 Bde.). Von den zahlreichen
deutschen Schulausgaben einzelner
Stücke erwähnen wir die von
Laun (Leipz. 1873-86, 14 Bde.)
und von
Fritsche (Berl. 1879 ff.). Für die beste Übersetzung
der Werke Molières
gilt mit
Recht die des
Grafen
Wolf von
Baudissin, in fünffüßigen, reimlosen
Iamben
(Leipz. 1865-67, 4 Bde.). Aus der
reichen Litteratur über Molières
Leben etc. heben wir hervor: »Régistre de
Lagrange«, eine genaue
¶
mehr
Theaterchronik eines Schauspielers aus Molières
Truppe (Faksimileabdruck, Par. 1876);
Grimarest, Vie de Molière
(1705 u. 1706);
Taschereau, Histoire de la vie et des écrits de Molière
(1825, 4. Aufl. 1851);
P. Lindau,
[* 11] Molière
(Leipz. 1872);
J. ^[Jules] Claretie,
Molière
, sa vie et ses œuvres (1873);
Lotheißen, Molière, sein Leben und seine Werke (Frankf. 1880);
Mahrenholtz, Molières Leben und Werke (Heilbr. 1881);
Fournier, Études sur la vie et les œuvres de Molière (1884);
Copin, Histoire des comédiens de la troupe de Molière (1885);
Moland, Molière, sa vie et ses ouvrages (1886);
Kreiten, Molières Leben und Werke (Freiburg [* 12] 1887);
Génin, Lexique comparé de la langue de Molière (1846);
Lacroix, Bibliographie moliéresque (1875);
E. Despois, Le Théâtre français sous Louis XIV (1875);
H. Fritsche, Molière-Studien (2. Ausg. 1887).
Im J. 1879 sind für die Molière-Forschung zwei besondere Organe gegründet worden: in Frankreich der »Moliériste« und in Deutschland das »Molière-Museum« (hrsg. von Schwerer, Wiesb. 1879-84).