Moleküle
Gase (Physikalisches)

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Gase. (lat. molecula, Diminutiv von moles, die
Masse) nannten die alten Physiker sehr kleine Teilchen der Materie
überhaupt. Heute versteht man unter Moleküle
die kleinsten
Teile, in die ein Körper ohne
Störung seiner chemischen
Beschaffenheit geteilt werden kann. Die Moleküle
denkt man sich bestehend aus
Atomen (s. d.), die weder physikalisch noch chemisch
teilbar sind. Zwischen den Moleküle
wirken die
Molekularkräfte (s. d.). Geht man von der
Annahme aus, daß die Körper aus räumlich
getrennten Moleküle
bestehen, so geben die Eigenschaften der
Gase
[* 2] die besten Anhaltspunkte, um zu ermitteln,
mit welchen quantitativen Eigenschaften man die fingierten Moleküle
ausstatten muß, um den
Thatsachen gerecht zu werden.
Ein
Gas, welches ohne Arbeitsleistung in einen leeren Raum überströmt, ändert, wie
Gay-Lussac und später Joule durch den
Versuch ermittelt haben, seine
Temperatur nicht. Nach der mechan. Wärmetheorie behalten also die
Moleküle
ihre lebendige Kraft,
[* 3] ihre
Geschwindigkeit bei. Dies ist nur denkbar, wenn die in einem
Gase (wegen der geringen
Dichte)
so weit voneinander entfernt sind, daß sie keine merklichen
Molekularkräfte aufeinander ausüben. Der Druck des
Gases auf
die Gefäßwand muß dann von den zahlreichen
Stößen der Moleküle
herrühren (s.
Kinetische Gastheorie). Da
dieser Druck und die
Masse des
Gases bekannt ist, so folgt z. B. für die Sauerstoffgasmoleküle
bei 0° C. eine mittlere
Geschwindigkeit von 461 m pro Sekunde
(Clausius).
Reibung

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Reibung.
Wenn trotz dieser hohen
Geschwindigkeit ein
Gas in dem andern diffundierend sich nur langsam verbreitet,
so folgt, daß die mittlere Weglänge, welche ein Molekül, ohne an ein anderes zu stoßen, in einem Zuge zurücklegt, nur
klein ist.
Clausius findet für den mittlern wahrscheinlichen Wert der Weglänge ^[img], worin λ die mittlere Entfernung
zweier Moleküle
und s der Durchmesser der Wirkungssphäre (der merklichen Molekularkraft) ist. Die
Reibung
[* 4] der
Gase beruht auf der Mischung der Moleküle
von Gasschichten verschiedener
Geschwindigkeit; dieselbe steigt mit der mittlern
Weglänge.
Die mittlere Weglänge L der Luftmoleküle
bei 0° C. und 760
mm Quecksilberdruck folgt aus der Reibung der Luft L = 0,0000095
cm. Nimmt man mit Loschmidt,
Sir William
Thomson (Lord
Kelvin) und Maxwell in roher
Annäherung an, daß
bei Verflüssigung eines
Gases die Moleküle
sich bis zur Berührung ihrer Wirkungssphären genähert haben, so ist hierdurch in
dem
Gase aus dem bekannten Dichtigkeitsverhältnis zur Flüssigkeit das Verhältnis λ/s gegeben, und da die absolute
Größe
von L ebenfalls ermittelt werden kann, ist es möglich, auf die Dimensionen der Moleküle
zu schließen.
So findet O. E.
Meyer den Querschnitt eines Luftmoleküls ungefähr gleich dem zwölften
Teil eines Quadrate von 1 Milliontelmillimeter
Seite, so daß sämtliche Moleküle
eines Kubikzentimeters Luft von 0° C. und 760
mm Druck eine
Fläche von 1,7 qm bedecken und
die Zahl von 21
Trillionen erreichen.
Plateau und Quincke haben aus den Kapillarerscheinungen die Größe der Wirkungssphäre abzuleiten gesucht. Quincke überzieht einen festen Körper A von gewissen kapillaren Eigenschaften mit einer Schicht des Körpers B von andern Eigenschaften und vermindert die Dicke der Schichte B so lange, bis die Eigenschaften von A wieder hervortreten. Dann durchdringt die Wirkungssphäre von A die Schichte B. Der Radius der Wirkungssphäre ergab sich auf diese Weise zu 0,00005 mm, erheblich größer, als derselbe aus den Eigenschaften der Gase folgt. -
Vgl. O. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase (2. Aufl., 1. Hälfte, Bresl. 1895);
Wittwer, Grundzüge der Molekularphysik und der mathem.
Chemie (Stuttg. 1885);
Jäger, Die
Geschwindigkeit der Flüssigkeitsmoleküle
(Wien
[* 5] 1890);
ders., Eine neue Methode, die Größe der Molekeln zu finden (ebd. 1891);
ders.,
Über die Art der Kräfte, welche Gasmoleküle
aufeinander ausüben (ebd. 1892);
Boltzmann, Vorlesungen über Gastheorie I (Lpz. 1895).