Mimikry.
Der Zusammenhang der Färbungen und Zeichnungen der Tiere mit dem Schutz, den er ihnen gegen ihre Feinde gewährt, hat in den letzten Jahren den Gegenstand zahlreicher systematischer Beobachtungen und Versuche gebildet, welche die Erkenntnis des Nutzens und der Entstehungsweise dieser Färbungen durch die natürliche Auslese weiter vervollständigt haben. Im besondern hat sich der Engländer Poulton mit diesen Fragen mehrere Jahre hindurch eingehend beschäftigt und mehrere wichtige Punkte sicher festgestellt.
Manche durchsichtige Wassertiere nehmen jederzeit die Färbung der Algen an, von denen sie leben, weil der Mageninhalt durch die Körperbedeckungen hindurchschimmert und sie rosenrot erscheinen läßt, wenn sie Rotalgen (Florideen) fressen, grün, wenn sie von grünen Algen leben. Sie gleichen dadurch stets der Futterpflanze, auf der sie gerade weiden, und sind schwer zu entdecken. So ist von den auf niedern Pflanzen lebenden Raupen der Spannergattung Eupithecia bekannt, daß sie meist annähernd die Farbe ihrer Futterpflanzen haben, und Rühl will sich noch 1888 überzeugt haben, daß die jungen Räupchen schon nach der ersten Häutung sich der Farbe der Futterpflanze näherten, auf welche man sie setze. So würden Raupen von Eupithecia scabiosata auf Skabiosen nach der ersten Häutung schiefergrau, auf Johanniskraut (Hypericum) dagegen nahmen sie eine zwischen der Blüten- und Blätterfarbe stehende gelbgrüne Färbung an. Man hatte vielfach dasselbe von der großen Raupe unsers Abendpfauenauges behauptet, die auf gelbgrünen Weiden gelbgrün, auf blaugrünen blaugrün aussehen. Der Mehrgehalt von Blattgelb (Xanthophyll) in den Blättern der Korbweide sollte die Raupe gleichfalls gelber machen. Poulton fand aber, daß die Raupen zunächst blieben, wie sie waren, mochten nun gelbgrüne auf dunkle Weiden oder umgekehrt gebracht werden; erst nach einer Reihe von Generationen war eine Anpassung zu bemerken, wahrscheinlich infolge einer Auslese der nicht dem Laube gleichartig gefärbten Raupen durch Vögel.
Dagegen stellte er eine unmittelbare Anpassung der Farben bei den Puppen und Kokons gewisser Schmetterlinge an ihre Umgebung fest. Ebenso wie die Puppen verschiedener Eckfalter größere Metallflecken erhielten, wenn sie auf hellem oder glänzendem Grunde vor der Verpuppung gehalten wurden, lieferte das kleine Nachtpfauenauge dunkelbraune Kokons, wenn es sich in einem dunkeln Behälter einspann, weiße dagegen, wenn die Larven an einem hellen Orte gehalten wurden. Dasselbe Verhalten stellte Newmann beim Wollafter (Eriogaster lanestris), dessen in der Helligkeit gehaltene Raupen lauter cremefarbige Kokons lieferten, während sie zwischen den Blättern der Futterpflanze stets braune Kokons gaben. Es findet hier eine Einwirkung der Umgebungshelligkeit auf die gesamte Haut der Raupen statt, denn das Bedecken der Punktaugen mit dunklem Firnis hinderte in Poultons Versuchen an Eckflüglerraupen die Wirkung nicht.
Derselbe Beobachter hat auch die Wirkung der Verkleidungen und Schutzeinrichtungen der Insekten auf verschiedene insektenfressende Tiere, namentlich Eidechsen und Affen geprüft. Er bemerkte z. B., daß die gewöhnliche grüne Eidechse eine Spannerraupe, die sich dicht vor ihren Augen wie ein steifes Ästchen ausstreckte, nicht erkannte, sobald es sich aber bewegte, fuhr sie gierig darauf los und verzehrte sie. Interessant war das Verhalten von Eidechsen sowohl als eines kleinen Äffchen der Raupe unsers Buchenspinners (Stauropus Fagi) gegenüber, die sich auf eigentümliche Art in Verteidigungsstellung setzt und die langen Vorderbeine wie eine Spinne spielen läßt.
Beide Tiere sahen sich die Pseudo-Spinne erst ganz genau an, bevor sie zugriffen, ließen sich dann aber den fetten Bissen gut munden. Schon Hermann Müller hatte das Spinnengebaren dieser Raupe mit Speyer als ein Schutzmittel gegen die Stiche der Ichneumoniden erkannt, welche Spinnen nicht angreifen; Poulton fügte noch die Bemerkung hinzu, daß sie in der Angriffsstellung eine Reihe schwarzer Punkte sehen läßt, die gerade so aussehen wie Ichneumonidenstiche, und er meint, daß Ichneumoniden, die schon belegte Raupen nicht mehr angreifen, dadurch noch im letzten Augenblick getäuscht würden.
In der That findet sich diese Raupe seltener als die andern von Ichneumoniden heimgesucht. Übrigens hat sich Poulton überzeugt, daß alle diese Künste nichts nützen, wenn der Insektenfresser unerfahren oder hungrig ist, und dies ist auch eine notwendige Voraussetzung für die Theorie der Trutzfarben, deren Bedeutung wohl halb und halb instinktiv erkannt werden, aber sicher doch erst durch Erfahrung probiert werden muß. Eine in den Eidechsenkäfig gesetzte Raupe des Schlehenspinners (Orgyia antiqua) wurde angegriffen, obwohl sie ihre bürstenförmigen Haarbüschel so weit wie möglich hervorspreizte. Aber die unerfahrene Eidechse ließ sofort von ihr ab, sobald sie einige dieser Haarbüschel in den Mund bekommen hatte, und ihre ganze Sorge bestand jetzt darin, die widrigen Haare wieder los zu werden. Sie nahm sich jedenfalls vor, nie wieder einen solchen Büschelträger anzugreifen.
Den Nutzen der eigentümlichen Auswüchse der sogen. Buckelzirpen (Membraciden), von denen einige auf der Tafel zum Artikel »Cikaden« (Bd. 4) dargestellt sind, hat Schweinfurth bei einer arabischen Art sehr deutlich zu erkennen vermocht. Er bemerkte in Aden an den Zweigen von Acacia hamulosa eine solche Membracide (Oxyrrhachis Tarandus), welche sich mit ihrer flachen Unterseite an die Zweige schmiegt und mit ihrem am Vorderrücken in drei Dornen ausgezogenen Leibe eine genaue Nachahmung der am Akazienaste unter jedem Blattansatz erkennbaren drei Stacheln tragenden Anschwellung darstellt.
Auch die amerikanischen Arten ahmen offenbar solche von breiter Basis sich erhebenden einfachen oder verzweigten Aststacheln nach, und ihre bald gelbbräunlichen, bald dunklern Farben geben offenbar die Rindenfarben ihrer hauptsächlichsten Nahrungspflanzen getreu wieder. Sie gehören daher derselben Gruppe von Nachahmungen an wie die Raupe des gelben Ordensbandes (Catocala paranympha), die auf Schlehdornbüschen lebt und durch mehrere lange Dornen ihres Rückens den gleichfarbigen dornigen Ästen ähnlicher wird.
Auf eine eigentümliche Klasse hierher gehöriger Erscheinungen, nämlich auf die Nachahmung optischer Erscheinungen durch Tiere, hat E. Krause zuerst im vorigen Jahre die Aufmerksamkeit gelenkt. Es gibt eine große Anzahl auf dem Laube lebender kleiner Käfer, namentlich aus der Familie der Chrysomelinen, die dem vorüberwandelnden Menschen
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wie dem vorüberfliegenden Vogel im Sonnenschein vollständig das Schauspiel eines farbenspielenden Tautropfens gewähren. Die Täuschung, welche schon bei unsrer gewöhnlichen Chrysomela fastuosa sehr verführerisch ist, noch mehr aber bei manchen tropischen Arten hervortritt, wird dadurch hervorgebracht, daß der stark, beinahe halbkugelig gewölbte Rücken mit Streifen spiegelnder Regenbogenfarben versehen ist, die bei jedem Platzwechsel des Beobachters einen andern Farbenstrahl in sein Auge senden. Da diese Tiere hauptsächlich im Morgentau oder nach Gewitterregen im Rasen oder auf niedern Kräutern und Gebüschen auftreten, so ist der Nutzen des Farbenspiels klar.
Denn Vögel, die im Morgensonnenschein überall, wo sie hinschauen, im Laube farbenfunkelnde Dinge gewahren, die bei ihrer Annäherung erst die Farbe wechseln und sich dann in ein Tröpfchen gewöhnlichen Wassers verwandeln, werden sich bald abgewöhnen, nach diesen glitzernden Scheinwesen hinzufliegen oder gar sie anzupicken. Auch verschiedene Prachtkäfer (Buprestiden), Böcke, die Helopier unter den Dämmerungskäfern (Tenebrioniden), ja gewisse Goldfliegen und Goldwespen scheinen von ihrer Ähnlichkeit mit glitzernden Tautropfen Nutzen zu ziehen.
Auch das Farbenspiel zahlreicher Fische, namentlich aus der Abteilung der Lippfische, scheint ähnlichen Nutzen für dieselben zu bringen, denn diese in Regenbogenfarben prangenden Tiere werden dadurch den »verwaschenen Spektren« ähnlich, die bei tief stehender Sonne im bewegten Wasser spielen. Endlich dürfte auch die zarte irisierende Silberschicht, welche so viele Fische auf ihren Schuppen, namentlich nach der Bauchseite hin tragen, und die so glänzend ist, daß sie zur Herstellung künstlicher Perlen benutzt wird, die Nachahmung einer optischen Erscheinung ihren Ursprung verdanken, nämlich der »totalen Reflexion«, welche diejenigen aus der Wassertiefe emporgeworfenen Strahlen erleiden, welche unter einem sehr schrägen Winkel die Oberfläche treffen.
Man kann den dadurch hervorgebrachten Silberglanz leicht sehen, wenn man schräg von unten gegen die Wasseroberfläche eines gefüllten Wasserglases blickt. Die darüber befindliche Luftschicht steht dann wie flüssiges Quecksilber aus, und von dieser silberglänzenden Fläche würden sich Fische, welche die Sehlinie schräg nach oben blickender Tiere kreuzen, grell abheben, wenn sie nicht an ihrer nach unten gewendeten Seite ein ähnlich glänzendes Silberkleid trügen.
Hier ist offenbar der Grund zu suchen, weshalb die große Mehrzahl der Fischarten am Bauche silbern gefärbt ist, und bei den Plattfischen, zu denen die Schollen, Flundern und Seezungen gehören, ist die gesamte nach unten gekehrte Körperhälfte, die bekanntlich der rechten oder linken Seite (nicht dem Bauche) des Tieres entspricht, mit einem leicht irisierenden, schwachen Silberglanz versehen, der sich mitunter ganz schroff von der dunklern, dem Seegrund angepaßten Farbe der Oberseite abhebt.
Zu den lehrreichsten Fällen der Mimikry im engern Sinne, in denen ein Tier, welches stark verfolgt wird, ein andres, welches irgend einer Eigenschaft wegen nicht gefressen wird, in Gestalt und Färbung genau nachahmt, gehört das Beispiel von Papilio Merope, eines über weite Gebiete Afrikas verbreiteten Schmetterlings, welchen Trimen schon früher beschrieben, aber in seinem kürzlich vollendeten Werke über afrikanische Schmetterlinge neu untersucht hat. Bei diesem großen Schmetterling sieht das Weibchen dem Männchen meistens gar nicht ähnlich, und Trimen war im stande, zu zeigen, daß es an verschiedenen Orten der Kapkolonie und der angrenzenden Länder verschiedene Danaiden nachahmt, z. B. bei Knysna Amauris Echeria, in Natal Amauris niavius, bei Kapstadt Danais Chrysippus etc. Während die Männchen trotz der weiten Ausdehnung des von dieser Art bewohnten Gebiets kaum merklich ihr Aussehen verändern, wechseln die Weibchen mit den daselbst vorkommenden Danaiden in jedem Bezirk ihr Aussehen, mit Ausnahme von Madagaskar und Abessynien, wo sie den Männchen gleich gefärbt erscheinen. Es ist dies ein besonders deutlicher Beweis der Thatsache, daß überall die Weibchen mehr als die Männchen gezwungen sind, unter fremden Masken die Art zu erhalten, und diese Masken annehmen, wie und wo sie sie finden.
Die Nachahmung verschiedener Masken durch ein und dasselbe Weibchen ist gewissermaßen der umgekehrte Fall von dem nicht weniger auffälligen, wenn zwei verschiedene Schmetterlinge einen dritten geschützten nachahmen und dadurch untereinander gleich werden. So ahmen Papilio Ridleyanus und Pseudacraea Boisduvalii am Congo beide die gemiedene Acraea Egina nach und sind sich daher, obwohl unter sich und mit dem Vorbild zu ganz verschiedenen Familien gehörig, sehr ähnlich geworden. Über einen besondern Fall, in welchem ein Schlauch mit den Keimen von Eingeweidewürmern einer bunten Insektenlarve gleicht, s. Würmer.