Mīmik
(griech.), das
Vermögen, durch
Mienen und Gebärden
Empfindung,
Gedanken und
Willen auszudrücken.
Bildet sich diese allen
Menschen mehr oder weniger zukommende Fähigkeit zu der Geschicklichkeit aus, gewisse
Individualitäten
nach ihrer äußern
Erscheinung nachzubilden, so ist sie porträtierende Mimik
,
[* 2] die lediglich in
Nachahmung besteht und, je nachdem
sie körperliche oder psychische Eigentümlichkeiten anderer
Personen zur
Anschauung bringt, entweder somatologische
oder psychologische Mimik
sein kann. Zu jener gehört z. B. die
Nachahmung körperlicher Mängel, des
Hinkens,
Schielens etc.,
zu
dieser die
Darstellung gewisser Charaktereigentümlichkeiten, z. B. des
Stolzes, der Furchtsamkeit, der
Habsucht etc. Geht
die Mimik
aber darauf aus, innere Seelenzustände zum deutlichsten, jedermann verständlichen
Ausdruck zu bringen, so ist sie
als selbstschaffende, idealisierende eine
Kunst im eigentlichen
Sinn des
Wortes und ein Hauptmittel der
dramatischen
Darstellung, möge es sich dabei um die Vorführung tragischer oder komischer
Rollen
[* 3] handeln. In ihrer
Verbindung
mit der
Redekunst ist sie entweder theatralische (dramatische) oder oratorische (s.
Deklamation), in ihrer
Verbindung mit der
Musik aber orchestische oder belebte
Rhythmik.
Die Schönheit der mimischen Darstellung an sich und abgesehen von der damit zu erzielenden Wirkung der Rede oder der Musik beruht zum guten Teil auf natürlicher Anlage und völliger Herrschaft über das Spiel der Gesichtsmuskeln und über die Körperbewegungen, obwohl Übung und Studium unstreitig viel zur Ausbildung vorhandener Anlagen beitragen können. Unentbehrliche Erfordernisse derselben sind Klarheit und Deutlichkeit, Natürlichkeit, Grazie, Mannigfaltigkeit und Einheit.
Für die relative
Schönheit der Mimik
gilt als Hauptsatz, aus welchem sich alle übrigen leicht herleiten lassen: alle Gebärden
müssen mit dem
Charakter der
Rede oder
Musik, die sie zu begleiten haben, auf das genaueste übereinstimmen
und also die
Gedanken der
Rede oder
Musik gleichsam verkörpern.
Spuren mimischer Darstellungsweise lassen sich bei den meisten
kultivierten Völkern des
Altertums nachweisen. Bei den Griechen bildete sie einen wesentlichen
Bestandteil der
Orchestik und
gewann bei den
Römern in der
Pantomimik (s.
Pantomime) ihre höchste
Ausbildung.
Die Mimik
der Alten war übrigens im eigentlichen
Sinn plastisch, d. h. sie wirkte durch die gesamte Gestalt, während die
Individualität
und Gesichtsmimik
des Darstellers durch den
Gebrauch der Theatermasken stark eingeschränkt wurde. In der neuern Zeit war
das
Ziel der Mimik
, die sich als
Kunst größtenteils auf die
Bühne beschränkte, die möglichst ausgeführte
subjektive
Charakteristik.
Vgl.
Engel,
Ideen zu einer Mimik
(Berl. 1785, 2 Bde.);
Cludius, Grundriß der körperlichen Beredsamkeit (Hamb. 1792);
Schebest, Rede und Gebärde (Leipz. 1861);
K. Michel, Die Gebärdensprache (Köln [* 4] 1886).
Die
Kunst der darstellenden Mimik
beruht hauptsächlich auf der
Nachahmung der unwillkürlichen mimischen
Bewegungen, welche,
als
Ausdruck gewisser
Leidenschaften und
Stimmungen, besonders in den Gesichtsmuskeln zum Vorschein kommen. Diese jedem verständliche
und, wie
Darwin konstatiert hat, bei allen Völkern merkwürdig gleichartige Mienensprache physiologisch zu erklären, ist
erst neuerdings einigermaßen gelungen.
Joh.
Müller und
Lotze waren noch der
Ansicht, daß sich für die Veränderung der Gesichtszüge
durch
Affekte »weder
Grund noch
Zweck angeben lasse«, obwohl schon
Erasmus
Darwin versucht hatte, das
Gebärdenspiel von natürlichen
Ursachen abzuleiten.
Duchenne (»Mécanisme de la physionomie humaine«, 1862) suchte durch elektrische Reizung die Bedeutung der einzelnen Gesichtsmuskeln für das Mienenspiel genauer festzustellen, huldigte aber, ebenso wie Ch. Bell (»Anatomy of expression«, 1806),
der ideologischen Anschauung, daß die mimischen Gesichtsmuskeln uns von der Natur als »Werkzeuge [* 5] des Ausdrucks« und nur zu dem Zweck verliehen seien, um unsre Gemütsbewegungen in der dem Menschen angebornen und nicht weiter erklärbaren Weise zu äußern. Th. Piderit, dessen Arbeiten als bahnbrechend auf diesem Gebiet anerkannt ¶
mehr
sind, hat darauf die physiologischen und psychologischen Gesetze des Mienenspiels eingehend abzuleiten und die komplizierten Erscheinungen desselben auf einfache Prinzipien zurückzuführen gesucht (»Grundsätze der und Physiognomik«, Braunschw. 1858; und Physiognomik«, 2. Aufl., Detmold [* 7] 1886). Da alle Vorstellungen aus Sinnesempfindungen abstrahiert sind und in ihnen wurzeln, so werden lebhafte Vorstellungserregungen (Affekte) von reflektorischen, nicht zum klaren Bewußtsein kommenden, sinnlichen Mitempfindungen begleitet, die sich durch unwillkürliche Bewegungen der zu den Sinnesorganen in Beziehung stehenden Muskeln, [* 8] also hauptsächlich der Gesichtsmuskeln, zu erkennen geben.
Alle mimischen Bewegungen beziehen sich entweder auf imaginäre Sinnesempfindungen oder auf imaginäre Objekte. Die durch angenehme Vorstellungen veranlaßten Gesichtsmuskelbewegungen sind derart, als sollte durch sie die Aufnahme sympathischer (angenehmer) Sinneseindrücke erleichtert und unterstützt werden; die durch unangenehme Vorstellungen verursachten sind derart, als sollte dadurch die Aufnahme disharmonischer (unangenehmer) Sinneseindrücke abgewiesen oder erschwert werden.
Beispielsweise wird durch Abwärtsziehen der Augenbrauen die Stirnhaut in senkrechte Falten gelegt (eine Bewegung, welche dazu dient, die Augen zu beschatten und das Schließen derselben vorzubereiten) nicht nur bei unangenehmen Lichtempfindungen, sondern auch bei unangenehmen Vorstellungen als Ausdruck des Zorns, der Verstimmung etc. [* 2] (Fig. 1). Die Augen werden aufgerissen und infolgedessen die Augenbrauen nebst der horizontal gefalteten Stirnhaut in die Höhe gezogen, nicht allein, wenn die Aufmerksamkeit durch sichtbare Gegenstände, sondern auch, wenn sie durch Vorstellungen (imaginäre Objekte) lebhaft erregt ist: Ausdruck der Überraschung und Verwunderung oder auch, in abgeschwächter Form, angestrengter und anhaltender Aufmerksamkeit [* 2] (Fig. 2). Um bei unangenehmen (bittern) Geschmacksempfindungen eine Berührung der schmeckenden Zungenoberfläche mit dem Gaumengewölbe zu vermeiden, wird der Mund aufgesperrt und zugleich, durch Aufwärtsziehen der Oberlippe, diese von der Unterlippe möglichst entfernt.
Sehr unangenehme (bittere) Vorstellungen geben sich deshalb durch eine Spannung des Oberlippenhebers zu erkennen. Kombiniert mit horizontalen Stirnfalten zeigt dieser mimische Ausdruck, daß die Aufmerksamkeit des Menschen dauernd auf bittere Vorstellungen und Erinnerungen gerichtet ist [* 2] (Fig. 3). Auf solche einfache Grundzüge, die sich in mannigfachster Weise zusammenstellen und gegenseitig modifizieren können (hauptsächlich durch den Blick, d. h. die Bewegungen der Augäpfel), lassen sich die meisten mimischen Ausdrucksweisen zurückführen, ähnlich wie die unendliche Fülle musikalischer Modulationen auf die wenigen einfachen Töne der Oktave.
Die Resultate seiner mimischen Untersuchungen hat Piderit auch zur Begründung einer wissenschaftlichen
Physiognomik (s. d.) benutzt. Damit war aber die Entstehung und Gleichmäßigkeit
aller mimischen Bewegungen noch keineswegs erklärt. Denn wenn sich auch begreifen läßt, daß das »süße
und saure Gesicht«
[* 9] seit früher Kindheit (vom Vergnügen des Säuglings her, wie E. Darwin sagte) gleichmäßig zum Ausdruck der
betreffenden Geschmacksempfindungen wie der entsprechenden angenehmen und unangenehmen seelischen Empfindungen diente, so
sind damit andre mimische Formen nicht zu erklären. Es ist das Verdienst Ch. Darwins, bewiesen zu haben, daß gewisse Grundlagen
der Mimik
(vermutlich aus ähnlichen Muskel-Associationen entwickelt) schon bei den höhern Tieren vorkommen, wie wir z. B. bei
Hunden sehr wohl im stande sind, ein vergnügtes und mürrisches Gesicht zu unterscheiden, ein Kichern auch
bei den Affen
[* 10] vorkommt etc. Viele Tiere drücken z. B. Wut und Haß durch Entblößen der Zähne,
[* 11] sei es in ganzer Reihe (Grinsen)
oder durch bloßes Entblößen der Eckzähne infolge eines seitlichen Emporziehens der Oberlippe, aus.
Da der Mensch seine Zähne doch nur noch höchst selten als Waffen
[* 12] im Kampf benutzt, so muß dieses »Zähneweisen« in der Wut,
welches er mit dem Tier gemein hat, wohl aus Zuständen früherer Wildheit und Abstammung hergeleitet werden, und ebenso verhält
es sich mit manchen andern mimischen Äußerungen, die ohne diese Annahme völlig sinnlos erscheinen.
Während aber viele Äußerungen der Mimik
auf so natürlichen Muskel-Associationen beruhen, daß sie sogar vererbt
werden, scheinen andre, wie das verächtliche Hervorstrecken der Zunge, Kopfnicken und Kopfschütteln, nur konventionelle
Äußerungen und Abkürzungen naheliegender Gebärden zu sein, z. B. das Kopfnicken eine Abkürzung der Verneigung, die ihrerseits
eine Abkürzung des Niederwerfens ist. Der Nachahmungstrieb (s. d.) thut dann das Seinige, solche Gebärden festzuhalten,
denn jede Mimik
wirkt, wie vom Lachen bekannt, »ansteckend«.
Vgl. Darwin, Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren (4. Aufl., Stuttg. 1884);
Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie (3. Aufl., Leipz. 1887, 2 Bde.).
Fig. 2.
Fig. 3. Beispiele der Mimik.]