Militärger
ichtswesen.
Die Handhabung der Rechtspflege bei den Truppen ist schon von alters her den Truppenbefehlshabern unterstellt, weil ebenso wie bei der Disziplinarbestrafung leichterer Vergehen die besondern Verhältnisse des Soldatenstandes, namentlich die Erhaltung des unbedingten Gehorsams und der Mannszucht, eine rasche Ahndung und eine Beurteilung der Vergehen nach militärischen Gesichtspunkten fordern. Die besondere Militärgerichtsbarkeit (Militärjustiz) beschränkt sich aber heutzutage regelmäßig auf Strafsachen (s. Militärverbrechen). In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten haben die Militärpersonen (s. Militär) ihren Gerichtsstand bei dem Zivilgericht des Garnisonorts, ebenso in Ansehung bloßer Übertretungen.
Eine einheitliche Normierung des Militärstrafverfahrens
(Militärstrafprozeß) für das
Deutsche Reich
[* 2] durch
Reichsgesetz ist nach dem
Reichsmilitärgesetz vom (§ 39) in Aussicht genommen. Inzwischen ist dasselbe, mit
Ausnahme von
Bayern
[* 3] und
Württemberg,
[* 4] nach preußischem
Recht (Militärstrafgerichtsordnung vom geordnet, und zwar
ressortieren hiernach vor die Militärger
ichte nicht bloß die eigentlichen
Militärverbrechen (s. d.), sondern auch alle
Verbrechen und
Vergehen der
Militärpersonen von nicht militärischem
Charakter, deren
Überweisung an die
Zivilgerichte neuerdings
freilich vielfach verlangt wird, ebenso wie man die
Öffentlichkeit des
Verfahrens vor den Militärger
ichten als erforderlich
bezeichnet hat.
Gerichtsherren sind diejenigen Truppenbefehlshaber, welche die höchste Disziplinarstrafbefugnis haben, zunächst die Regiments- oder selbständigen Bataillonskommandeure, über ihnen die Befehlshaber der Divisionen, der Armeekorps und die Gouverneure und Kommandanten der Festungen oder größern offenen Orte. Die Gerichtsbarkeit ist eine höhere und eine niedere. Den Gerichtsherren mit höherer Gerichtsbarkeit steht ein Auditeur (Korps-, Divisions-, Gouvernements-, Garnisonsauditeur), denen mit niederer ein ¶
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untersuchungführender Offizier zur Seite. Vor die niedere Gerichtsbarkeit gehören alle Vergehen, welche keine strengere Freiheitsstrafe
fordern als das höchste zulässige Maß des Arrestes, vor erstere alle Verbrechen und Vergehen, für welche im Gesetz mindestens
Gefängnisstrafe angedroht ist. Der Gerichtsherr spricht nicht selbst Recht; er befiehlt nur die gerichtliche Untersuchung durch
ein Untersuchungsgericht (Auditeur, bei den Bataillons- und Regimentsgerichten ein untersuchungführender Offizier und einer
oder zwei Offiziere als Beisitzer), befiehlt die Abhaltung der Spruchgerichte, prüft und bestätigt die Urteile und ordnet
deren Vollstreckung an. Die Militärger
ichte sind nämlich keine ständigen Gerichte, sie werden vielmehr für jeden einzelnen
Fall besonders zusammengesetzt.
Für jedes militärstrafgerichtliche Verfahren ist ein Untersuchungsgericht und ein Spruchgericht niederzusetzen. Den Untersuchungsgerichten liegt die Führung der Untersuchung, den Spruchgerichten die Fällung des Urteils ob. Spruchgerichte sind für die niedere Gerichtsbarkeit Standgerichte, für die höhere Kriegsgerichte. Beide setzen sich zusammen aus einer Anzahl von Personen des Soldatenstandes verschiedener Rangklassen, deren Rang sich nach demjenigen des Angeschuldigten bestimmt, und einem Auditeur, bei Standgerichten statt dessen auch einem untersuchungführenden Offizier als Referenten.
Die Einleitung, des gerichtlichen Verfahrens erfolgt auf Grund eines Thatberichts (species facti) des unmittelbaren Vorgesetzten, Kompaniechefs etc. und einer vorläufigen Untersuchung, welche die Thatsachen so weit feststellt, um entscheiden zu können, ob der Fall überhaupt gerichtlich zu ahnden, und ob er vor die höhere oder niedere Gerichtsbarkeit gehört. Die Bataillons- und Regimentsgerichte haben nur niedere Gerichtsbarkeit, die Divisionsgerichte die höhere über die ganze Division, die niedere nur, wo kein Regimentsgericht Platz greift, z. B. wo Angehörige verschiedener Truppen beteiligt sind; die Korpsgerichte höhere und niedere über alle Truppen im Korpsbereich, die unter keinem Divisionsgericht stehen (Artillerie, Pioniere, Jäger, Schulen etc.). Die Garnisongerichte sind zuständig mit höherer und niederer Gerichtsbarkeit für alle Vergehen im Garnisondienst und gegen Ruhe und Ordnung, zugleich für alle Mannschaften, deren mit Gerichtsbarkeit versehene Vorgesetzte nicht am Ort sind, und für das eigentliche Festungspersonal.
Die Bestätigung der Richtersprüche erfolgt bei Strafen bis zu einem Jahr Gefängnis durch den Gerichtsherrn, bis zu zwei Jahren durch den kommandierenden General, bis zu fünf Jahren durch den Kriegsminister, darüber und gegen Offiziere stets durch den Kontingentsherrn; dabei werden die Urteile durch die Auditeure, resp. das Generalauditoriat begutachtet. Durch die Bestätigung wird das Urteil rechtskräftig, Berufung findet nicht statt. Alle Gerichtsakten werden durch die Korpsauditeure und das Generalauditoriat einer nachträglichen Prüfung unterzogen. Das Begnadigungsrecht steht den Kontingentsherren, also den Königen von Preußen [* 6] und Sachsen, [* 7] zu; doch sind den sonstigen Landesherren in den Militärkonventionen gewisse Zugeständnisse in dieser Hinsicht gemacht.
In Bayern sind die Bestimmungen der Militärstrafgerichtsordnung vom revidiert durch Gesetz vom maßgebend. Bei leichtern Vergehen urteilen Militäruntergerichte, zusammengesetzt aus dem Kommandanten, einem Offizier und dem Auditor. Schwerere Fälle gehören vor die Militärbezirksgerichte, welche bei den höhern Kommandostellen bestehen und aus dem Kommandanten als Vorstand, einem Auditor als Direktor und einer Anzahl von Offizieren und Auditoren als Richtern sich zusammensetzen. Zu diesen treten in Verbrechens- und Vergehenssachen, mit Ausnahme der Ungehorsamsfälle, Geschworne hinzu, deren Charge sich nach derjenigen des Angeklagten richtet. Im Bereich der mobilen Armee treten an die Stelle der Militärbezirksgerichte Feldgerichte.
Über Beschwerden, Nichtigkeitsbeschwerden, Wiederaufnahme des Verfahrens und Bestätigung der Todesurteile beschließt das
Militärobergericht, bestehend aus einem General als Präsidenten, dem Generalauditor als Direktor und einer Anzahl von Auditoren
als Richtern. Standgerichte zur Aburteilung gewisser Vergehen werden nach Verkündigung des Standrechts niedergesetzt. In Württemberg
ist für das Militärger
ichtswesen das Militärstrafgesetz vom maßgebend.
Die niedere Gerichtsbarkeit über Vergehen der Unteroffiziere und Soldaten, welche mit geringern Strafen bedroht sind, wird durch kriegsrechtliche Kommissionen, die höhere durch »Kriegsrechte« ausgeübt. Auch diese Gerichte sind nicht ständig, sondern werden nach der Charge des Angeschuldigten aus Militärpersonen verschiedener Rangklassen für den einzelnen Fall gebildet. Die Oberinstanz für die Kriegsrechte ist ein aus Offizieren und Rechtsgelehrten zusammengesetztes Revisionsgericht. Das Bestätigungsrecht hat der König.
Vgl. Litteratur bei Militärgesetzgebung.