Titel
Milchsäure
,
Oxypropionsäure, Name für einige organische Säuren von der Zusammensetzung C3H6O3. Ihrer chem. Konstitution nach unterscheidet man mehrere isomere Säuren.
1) Die gewöhnliche oder
Äthylidenmilchsäure (lat.
Acidum lacticum),
Alphamilchsäure, Gärungsmilchsäure
, auch Zuminsäure,
Nancysäure,
Thebolaktinsäure, CH3.CH(OH).COOH, entsteht durch die Milchsäure
gärung (s. unten) aus
Zuckerarten, wie
Milchzucker,
Traubenzucker, Rohrzucker, aus
Gummi und Dextrin. Sie ist daher in vielen
sauer gewordenen
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Substanzen enthalten, so in der sauren Milch, im Sauerkraut, in den sauren Gurken. Auch im Magensaft kommt sie vor. Zu ihrer
Darstellung fügt man zu einer etwa 6prozentigen Zuckerlösung etwas saure Milch hinzu und läßt sie bei einer Temperatur von
40° 8-10 Tage stehen. Da die Flüssigkeit etwa neutral reagieren muß, setzt man Zinkoxyd hinzu, das
mit der entstehenden Milchsäure
milchsaures Zink liefert. Letzteres wird durch Umkristallisieren aus Wasser von andern Stoffen (z. B.
dem stets anwesenden Mannit) befreit und durch Schwefelwasserstoff zersetzt.
Schwefelzink scheidet sich aus, und die Flüssigkeit enthält die freie Milchsäure
, die durch Eindampfen gewonnen
wird. Auch auf synthetischem Wege kann die Milchsäure
dargestellt werden. Sie bildet einen dicken,
farblosen, nicht krystallisierenden Sirup vom spec. Gewicht 1,215, besitzt einen sehr sauren Geschmack und ist in Wasser und
Alkohol in jedem Verhältnis und auch in Äther leicht löslich. An feuchter Luft absorbiert die Milchsäure
Wasser, in stets trocken
gehaltener Atmosphäre (im Exsiccator) verliert sie langsam Wasser und geht in festes amorphes Milchsäure
anhydrid
(Laktylsäure), C6H10O5, über. Beim Erhitzen geht sie teilweise in ein noch wasserärmeres Anhydrid, das gut krystallisierende
Laktid, C6H8O4 (Schmelzpunkt 125°), über, zum andern Teil zerfällt sie in Aldehyd, Kohlenoxyd und Wasser. Man benutzt
sie in der Heilkunde als Ätzmittel bei Kehlkopfgeschwüren, Krupp und Diphtheritis, innerlich bei Verdauungsstörungen.
Die milchsauren Salze oder Laktate sind sämtlich in Wasser löslich, in heißem Wasser meist sehr leicht, in kaltem schwerer, die meisten krystallisieren leicht. Von denselben findet das Eisenlaktat (s. d.) mediz. Verwendung und ist als Ferrum lacticum offizinell.
2) Die Äthylenmilchsäure oder Hydrakrylsäure, Betamilchsäure
,
CH2(OH).CH2.COOH,
ist durch Synthese gewonnen worden. Sie zerfällt beim Erhitzen in Wasser und Akrylsäure; bei der Oxydation liefert sie Kohlensäure und Oxalsäure. Durch diese Reaktionen unterscheidet sie sich wesentlich von der gewöhnlichen Milchsäure. Dieser dagegen sehr ähnlich und fast nur durch ihre optische Aktivität von ihr unterschieden ist
3) die Fleischmilchsäure (s. d.), Paramilchsäure oder aktive Äthylidenmilchsäure mit derselben Konstitutionsformel, CH3.CH(OH).COOH,, wie die gewöhnliche Milchsäure. Diese letztere kann mit Hilfe ihres Strychninsalzes in Fleischmilchsäure (Rechts-Milchsäure) und die ihr entgegengesetzte
4) Linksmilchsäure zerlegt werden. Diese entsteht auch aus Traubenzucker bei der Vergärung durch einen besondern, in Birnen vorkommenden Mikroorganismus.
Die Milchsäuregärung des Zuckers kann durch verschiedene Bakterien hervorgerufen werden. Das häufigste ist Bacillus lacticus Hueppe, ein sporenbildendes Bakterium von sehr feiner Stäbchenform, dessen Einzelglieder selten zu Fäden verbunden sind. Durch reichliche Vermehrung in der zuckerhaltigen Lösung vermag dasselbe bei geeigneter Temperatur den Zucker [* 3] zu oxydieren und in Milchsäure überzuführen. Geschieht dieser Vorgang in Milch, so wird das in letzterer gelöst gehaltene Caseïn (Käsestoff) durch die Säure niedergeschlagen, die Milch gerinnt («saure Milch»). Wenn ein gewisses Quantum Milchsäure gebildet ist, so wird hierdurch der Bacillus unwirksam; bindet man aber die entstehende Säure durch kohlensauren Kalk oder ähnliches, so geht die Zersetzung weiter. In Ställen, Milchgefäßen u. s. w. ist der Bacillus sehr verbreitet, woraus sich das regelmäßige Sauerwerden der Milch ohne künstlichen Zusatz bei geeigneter Temperatur erklärt.