Michelangelo
(spr. mikelándschelo), eigentlich Michelangelo
Buonarroti, ital. Bildhauer,
Maler und
Architekt, wurde im
toscanischen Städtchen Caprese geboren, als sein
Vater
Richter von
Chiusi und Caprese war. 1476 wurde der
Knabe, als die Eltern
nach
Florenz
[* 2] zurückkehrten, in
Settignano bei
Florenz bei einer
Amme, der
Frau eines
Steinmetzen, zurückgelassen.
Daher seine spätere Scherzrede, er habe die
Liebe zur
Bildhauerkunst
[* 3] mit der
Milch eingesogen. Er kam noch als
Kind nach
Florenz.
Nur ungern gab der
Vater dem übermächtigen Drang des
Sohns zur
Kunst nach. Am trat er in die
Werkstatt Domenico
Ghirlandajos, studierte daneben aber im
Garten
[* 4] der
Medici bei
San Marco, wo sich zahlreiche antike
Skulpturen
unter der
Aufsicht des Bildhauers
Bertoldo, eines
Schülers von
Donatello, befanden, welcher Michelangelo
wahrscheinlich auch den ersten
Unterricht in der
Bildhauerkunst erteilt hat. Dadurch trat auch in ein näheres
Verhältnis zum
Haus der
Medici, welches den heilsamsten Einfluß auf die Vielseitigkeit seiner
Bildung übte. Er genoß den
Umgang der vielen um den
geistreichen
Fürsten versammelten
Gelehrten, namentlich
Polizianos und
Pico della
Mirandolas.
Bei aller Vorliebe für die Plastik gab er jedoch die Malerei nicht auf. Die Reliefs eines Kentaurenkampfes und einer Madonna vor einer Treppe [* 5] (Florenz, Casa Buonarroti) sind seine ersten plastischen Arbeiten. Im J. 1494, kurz vor der Vertreibung Pietros de' Medici aus Florenz, hatte auch aus Furcht vor dem drohenden Sturm seine Vaterstadt verlassen. Er ließ sich in Bologna nieder, wo er unter anderm einen kandelabertragenden knieenden Engel von Marmor (in San Domenico) anfertigte. 1495 kehrte er wieder nach Florenz zurück, begab sich aber schon nach einem Jahr nach Rom. [* 6] Er hatte kurz zuvor einen schlafenden Cupido in Marmor vollendet und ihn eine Zeitlang in der Erde vergraben, um ihm ein antikes Ansehen zu geben.
Später wurde derselbe wirklich durch einen
Unterhändler als
Antike an den
Kardinal
Raphael Riario verkauft,
der nach der
Entdeckung der Mystifikation das Bildwerk zurückgab. In
Rom schuf Michelangelo
unter anderm die Marmorstatue eines trunkenen
Bacchus, der sich auf einen
Satyr
[* 7] stützt
(Florenz, Nationalmuseen), und eine
Madonna mit dem toten
Christus
(Pietà) in der
Peterskirche (s. Tafel
»Bildhauerkunst VI«,
[* 8] Fig. 15). Um 1500 nach
Florenz zurückgekehrt, meißelte er aus einem seit langen
Jahren in
Florenz liegenden Marmorblock das kolossale Standbild des
David, welches sich jetzt in der
Akademie zu
Florenz befindet
und bei den Zeitgenossen zuerst Michelangelos
Ruhm begründete.
Bald darauf beschloß die florentinische
Regierung, ihren Versammlungssaal durch Gemälde einiger in den
Feldzügen gegen
Pisa
[* 9] erfochtener
Siege zu schmücken.
Leonardo erhielt den Auftrag, die eine große Wand zu malen, und wählte
die
Darstellung eines Reitergefechts. Michelangelo
bekam den Auftrag für die zweite Wand und stellte den
Augenblick dar, in dem ein
Haufe florentinischer
Soldaten, die eben im
Arno baden, unerwartet den Aufruf zum
Kampfe vernimmt. Beide
Darstellungen machten
Epoche
im
Florentiner
[* 10] Kunstleben, aber den Hauptruhm trug Michelangelo
davon, dessen tiefes
Studium des
Nackten sich
hier glänzend offenbarte.
Beide
Künstler kamen jedoch über die
Kartons nicht hinaus. Michelangelos
Karton diente lange Jahre hindurch den
jungen Künstlern als
Quelle
[* 11] des
Studiums, wurde dann aber später zerstückelt und ist zu
Grunde gegangen. Einen neuen Wirkungskreis
fand Michelangelo
bei der Thronbesteigung des
Papstes
Julius II. Dieser lud Michelangelo
1505 nach
Rom ein und trug ihm den
Entwurf zu einem
Grabmal
auf. Nach mehreren
Monaten trat der
Künstler mit einem
Entwurf hervor, der an
Schönheit und Großartigkeit
selbst die bis dahin bekannten
Denkmäler des
Altertums übertraf.
Das Werk sollte mit einer großen
Menge
Statuen und
Reliefs geschmückt werden. Es geriet jedoch bald durch verschiedene Umstände
ins
Stocken; nochmals neu aufgenommen und auf geringere
Maße reduziert, wurde es wieder unterbrochen,
bis es endlich in abermals sehr verringertem
Umfang 1545, lange nach des
Papstes
Tod, in der
Kirche
San Pietro in Vincoli zu
Rom
aufgestellt ward. Die
Statue des
Moses ist der vorzüglichste
Schmuck dieses
Monuments. In der Zwischenzeit (1508) errichtete
Michelangelo
zu
Bologna gegenüber der
Kirche des heil.
Petronius ein ehernes kolossales Standbild des
Papstes, und
später malte er im Auftrag des
Papstes die Deckenbilder der
Sixtinischen Kapelle, angeblich in der Zeit von 22
Monaten.
Als
Leo X. den päpstlichen
Thron
[* 12] bestieg, war sein erstes Unternehmen die Aufführung der
Fassade der St. Lorenzkirche zu
Florenz.
Michelangelo
erhielt 1516 den Auftrag, nach
Florenz zu gehen, um nach einem ihm gegebenen
Modell die
Aufsicht über
den
Bau zu führen. Mit Unlust ging
er an die
Arbeit, und unter ungünstigen Umständen rückte das Werk nicht weiter. Überhaupt
fällt in die
Regierung dieses
Papstes die unthätigste
Periode im
Leben Michelangelos.
Nach
Leos
Tod ging
er wieder an sein Lieblingswerk, das
Grabmal
Julius' II., das ihn während des
Pontifikats
Hadrians VI. fast ausschließlich
beschäftigte.
Clemens VII. verwendete den
Künstler auch bei dem
Bau der Laurentiana und der
Sakristei von
San Lorenzo in
Florenz, die dann Begräbniskapelle
des Lorenzo und
Giulio de'
Medici wurde. Um diese Zeit entstand die
Statue des auferstandenen
Heilands in der
Minerva zu
Rom. Während der nun folgenden
Unruhen war Michelangelo
Generalkommissar der
Befestigungen der Stadt
Florenz, fuhr aber fort,
während er
Florenz gegen die Mediceer verteidigte, an ihrem
Mausoleum in
San Lorenzo zu arbeiten.
Aus dieser Zeit stammt das
Bild der
Leda, das nach
Frankreich gekommen und unter
Ludwig XIII. verbrannt worden
sein soll. Doch befinden sich in verschiedenen Sammlungen Werke, die als
Nachbildungen der
Leda gelten. (Eine Temperamalerei
in der
Londoner Nationalgalerie wird von einigen sogar für das
Original gehalten.) Bei der Rückkehr der Mediceer verließ
Michelangelo
die Stadt, fand beim
Herzog d'Este zu
Ferrara
[* 13] ehrenvolle
Aufnahme und ging dann nach
Venedig,
[* 14] erhielt
jedoch bald von
Clemens VII. unter Zusicherung der Verzeihung den Befehl, das
Grabmal der Mediceer zu vollenden. Dasselbe enthält
die
Statuen des Giuliano und Lorenzo de'
Medici, von denen besonders die des Lorenzo, von den Italienern
»der
Gedanke« (il pensiero) genannt, als Meisterwerk ersten
Ranges zu betrachten ist, und mit symbolischen Gestalten der vier
Tageszeiten geschmückte
Sarkophage. Nach der Vollendung des
Grabmals des
Papstes
Julius begann Michelangelo
im Auftrag des
Papstes
Clemens
VII. 1533 das 19 m hohe Gemälde an der Hauptwand der
¶
mehr
Sixtinischen Kapelle, welches das Jüngste Gericht darstellt, aber erst unter Paul III. 1541 zur Vollendung kam. Unter Paul III.
entstanden noch zwei bedeutende Fresken Michelangelos:
die Bekehrung des Apostels Paulus und die Kreuzigung des Petrus, beide
in der Paulina im Vatikan.
[* 16] Da die Freskomalerei dem greisen Künstler jetzt zu beschwerlich wurde, so griff
derselbe wieder zum Meißel.
[* 17] Er begann eine Marmorgruppe: der tote Christus im Schoße seiner Mutter, daneben Joseph von Arimathia,
welche unvollendet blieb (im Dom zu Florenz).
Sie war sein letztes Marmorwerk. Auch leitete er den Bau der Festungswerke von Rom (des Teils von il Borgo). Seitdem nahm
ihn die Baukunst
[* 18] fast ausschließlich in Anspruch. Paul III. übertrug ihm nämlich 1546 nach Sangallos Tod auch die Leitung
des Baues der Peterskirche. Michelangelo
verwarf das Modell von Sangallo und führte trotz mannigfacher Hindernisse, die ihm entgegentraten,
den Bau nach seinem Plan so weit, daß unmittelbar nach seinem Tode die grandiose Kuppel vollendet werden
konnte.
Außer diesem berühmten Bau leitete er damals zugleich den der kapitolinischen Bauten sowie des Hofs im Palast Farnese mit den drei übereinander gestellten Säulenordnungen, der Kirche Santa Maria degli Angeli, der Porta Pia und andrer Prachtgebäude. Als zuletzt das Alter zu mächtig über den Körper hereinbrach, übertrug Michelangelo die Vollendung vieler von ihm begonnener Bildhauerwerke seinen Schülern, und selbst bei der Anfertigung von Zeichnungen und Modellen mußte sein Lieblingsschüler Tiberio Calcagni ihm helfend zur Seite stehen. Als 90jähriger Greis starb Michelangelo klaren Geistes, seine ihn umstehenden Verwandten und Schüler ermahnend. Papst Pius IV. bereitete ihm eine prächtige Bestattung in der Kirche der heiligen Apostel; auf Befehl Cosimos de' Medici wurde jedoch der Leichnam heimlich nach Florenz gebracht, wo man ihm in der Familiengruft in Santa Croce ein Denkmal errichtete.
Außer den erwähnten Skulpturwerken werden Michelangelo noch viele andre plastische Arbeiten zugeschrieben, von denen jedoch nur folgende als sicher von seiner Hand [* 19] herrührend allgemein anerkannt werden: eine Madonna mit dem Kind, Marmorgruppe (Liebfrauenkirche zu Brügge), Marmorstatue eines kleinen Johannes (sogen. Giovannino, Berliner [* 20] Museum), Marmorstatue eines knieenden Cupido (London, [* 21] Kensingtonmuseum), Relief der Madonna mit Christus und Johannes (Florenz, Nationalmuseum), ein Relief mit ähnlicher Komposition (London, Burlingtonhouse), Statue eines Adonis (nur angelegt, Florenz, Nationalmuseum) und eine Brutusbüste (ebendaselbst). Im Nationalmuseum zu Florenz sieht man auch einen den Sieg vorstellenden Jüngling, der einen gefesselten Sklaven unter seinen Füßen hält und für das Grabmal Julius' II. bestimmt war. Im Louvre zu Paris [* 22] bewahrt man zwei Statuen von Sklaven auf, die ebenfalls für das Grabmal Julius' II. bestimmt waren, ebenso wie die gewaltige Gestalt des sitzenden Moses (Rom, San Pietro in Vincoli), ein Hauptwerk Michelangelos. Zu seinen großartigsten Schöpfungen in der Malerei gehören die Gemälde an der Decke [* 23] und der hintern Wand der Sixtina.
Sie sind in ihrer Vereinigung als ein großes, in sich abgeschlossenes Gedicht zu betrachten und zeigen die Schöpfung der Welt und des Menschen, den Sündenfall mit seinen Folgen, nämlich die Vertreibung aus dem Paradies und die Sündflut, die wunderbare Errettung des auserwählten Volkes, die Annäherung der Zeit der Erlösung durch die Darstellung der Vorfahren des Heilands und der Propheten und Sibyllen, die seine zukünftige Erscheinung verkündeten, und zuletzt das Weltgericht.
Die Sündflut ist vielleicht die bedeutendste aller Kompositionen Michelangelos hinsichtlich des Ausdrucks der dramatischen Handlung. Die Kühnheit des Gedankens, die Mannigfaltigkeit der Stellungen der fast unzähligen Figuren, die große Meisterschaft der Zeichnung, insbesondere in den außerordentlichsten und schwierigsten Verkürzungen, erregten bei der Erscheinung desselben eine solche Bewunderung, daß es die vorherrschende Meinung nicht allein für das Meisterwerk Michelangelos, sondern der Kunst überhaupt erklärte.
Das Jüngste Gericht übertrifft jene Bilder noch in der Meisterschaft der Zeichnung und in der Kühnheit der Komposition; aber der Künstler opferte in dem Bestreben, mit der Virtuosität der Zeichnung zu glänzen, nicht selten das Schickliche und Angemessene im Charakter und Ausdruck der Figuren. Dabei ist der Stil der Zeichnung einförmiger und minder edel und schön als in den Deckengemälden dieser Kapelle. Der großartige Charakter der männlichen Figuren grenzt oft an das Plumpe, vornehmlich aber stehen die der Anmut durchaus entbehrenden Frauen des Jüngsten Gerichts den Figuren der Eva, der delphischen Sibylle und vieler andrer weiblicher Gestalten jener Bilder weit nach.
Ursprünglich waren alle Figuren nackt, so daß Paul IV. das Bild herunterschlagen lassen wollte. Als Auskunftsmittel mußte Daniel da Volterra die auffallendsten Blößen mit Lappen bedecken, was ihm den Beinamen des Hosenmachers (braghettone) erwarb. Eine ausgezeichnete Kopie des Werkes, unter des Meisters Augen von Marcello Venusti für den Kardinal Alexander Farnese in Öl gefertigt, kam aus dem Farnesischen Palast zu Rom in das königliche Museum zu Neapel. [* 24] Von den Michelangelo zugeschriebenen Tafelbildern rühren nur folgende wirklich von ihm her: eine unvollendete Grablegung (London, Nationalgalerie), die gleichfalls unvollendete sogen. Madonna von Manchester [* 25] mit dem kleinen Jesus, dem kleinen Johannes und vier Engeln (ebendaselbst), eine Madonna mit dem Kinde, dem kleinen Johannes und Joseph (Florenz, Uffizien). - Außer dem größten architektonischen Werk, der Riesenkuppel der St. Peterskirche, besitzt Rom noch viele Baudenkmale Michelangelos.
Von den Überbleibseln der Diokletianischen Thermen verwandelte er den Büchersaal, in welchem sich die Bibliothek des berühmten Rechtsgelehrten Ulpian befand, in die Kirche Santa Maria degli Angeli, eine der schönsten und heitersten Roms. Die Palästra schuf er in einen Klostergang (Chiostro) um, erneuerte auch das unverwüstliche Kapitol auf dem uralten Unterbau; doch erhielten die Gebäude des Kapitols bei ihrer Vollendung nach seinem Tod Zusätze und Abänderungen.
Ferner erbaute er die Kapelle der Familie Strozzi in Sant' Andrea della Valle. Von seiner Meisterschaft in der Baukunst zeugt auch der stolze Palast Farnese, mit dessen Plan der Künstler unter einer großen Anzahl von Konkurrenten den Vorzug erhielt. Auch die Gartenfassade der Villa Medici soll unter seiner Leitung erbaut worden sein. Die alte Kirche San Pietro in Vincoli wurde schon unter Julius II. von ihm modernisiert. Pius IV. trug ihm auch auf, Pläne zu den Thoren Roms zu machen; aber es wurde nur eins (die Porta Pia) nach seiner Angabe ausgeführt, und selbst dies ist nicht vollendet. Sein Porträt befindet sich in der Sammlung der Uffizien zu Florenz.
Michelangelos Stil bezeichnen nicht, wie bei der ¶
mehr
Antike, stille Größe und Erhabenheit, sondern ungebändigte Gewalt und Leidenschaft. »Das gesamte Schaffen Michelangelos ist ein unablässiger Kampf erhabenster Ideen, die aus der wunderbaren Tiefe seines Seelenlebens zu Tage streben, und deren Erscheinung daher alle Spuren dieser gewaltigen innern Erschütterungen an sich trägt. Vor seinen Werken gibt es kein ruhiges Genießen. Sie reißen uns unwiderstehlich in ihr leidenschaftliches Leben hinein und machen uns, wir mögen wollen oder nicht, zu Genossen ihrer tragischen Geschicke. Das ist der Eindruck, welchen auch die Zeitgenossen meinen, wenn sie von dem Furchtbaren ('terribile') der Werke des Meisters sprechen.« Sein Hang zum Außerordentlichen und Wunderbaren, sein tiefes, gründliches Studium der Anatomie, wodurch er vollkommene Sicherheit und Richtigkeit in der Zeichnung erlangte, trieben ihn zu kolossalen Darstellungen hin.
Durch ihn erreichte die Schule des mittlern Italien [* 27] den höchsten Gipfel ihrer ursprünglichen Richtung auf Form und Linie und den kühnsten Schwung. Den geistigen Ausdruck hat Michelangelo nicht selten bewunderungswürdig, jedoch zuweilen unbestimmt, auch wohl ganz verfehlt gegeben, so vornehmlich in mehreren Figuren des Jüngsten Gerichts. Auch scheinen zuweilen die Physiognomien seiner Köpfe dem großen Charakter der übrigen Gestalt nicht vollkommen zu entsprechen, wie unter andern der Kopf der herrlichen [* 26] Figur des Adam auf dem Bild von der Erschaffung desselben.
In der Kunst der Bekleidung beweist Michelangelo zwar nicht dieselbe Meisterschaft wie in der Bildung des Nackten, ist jedoch auch hierin bewunderungswürdig. Mehrere Gewänder in den Deckengemälden der Sixtinischen Kapelle, insbesondere in den Bildern der Vorfahren des Heilands, zeigen äußerst wenige, aber desto bedeutendere Falten und eine Einfachheit und Größe des Stils, die man bei keinem andern Künstler, vielleicht selbst nicht bei Raffael, finden dürfte. In andern hingegen scheint die Gewandung etwas willkürlich und nicht natürlich genug.
Michelangelos nach der Antike gebildete Vorliebe für das Nackte veranlaßte ihn, selbst Christus, die Apostel und Heiligen meist ganz entblößt vorzustellen. Übrigens galt die Bewunderung seiner Zeitgenossen vornehmlich der Zeichnung, und der Künstler selbst mag das Kolorit bei seinem vorherrschend plastischen Sinn als einen ziemlich untergeordneten Teil der Kunst betrachtet haben. Doch ist seine Fleischfarbe wahr, ungemein kräftig und einfach, jedoch keineswegs eintönig, noch ohne Mannigfaltigkeit in verschiedenen Figuren.
Auch in den Farben seiner Gewänder herrscht eine einfache, aber nicht unharmonische Zusammenstellung. Charakteristische Darstellung der Stoffe darf natürlich in seinen Werken nicht gesucht werden. Auch stellte er die Freskomalerei weit über die Ölmalerei, die er für Weiberarbeit erklärte. Da in ihm der Maler gleichsam aus dem Bildhauer hervorgegangen war, strebte er in der Malerei durch perspektivische Verkürzung und Wirkung von Licht [* 28] und Schatten [* 29] die reale Darstellung der Skulptur zu erreichen. Er nannte die Skulptur die Leuchte (lucerna) der Malerei, und es wäre ihm wohl unmöglich gewesen, die bewunderungswürdige plastische Vollkommenheit in der Malerei ohne die in der Bildhauerkunst erworbene Ausbildung und Meisterschaft zu erlangen.
Auch pflegte er, nach dem Zeugnis des Vasari, die Figuren zu seinen Kartons in Thon oder Wachs zu modellieren und sich dieser Modelle zum Studium der Beleuchtung, [* 30] insbesondere aber zu den Verkürzungen zu bedienen, in denen er, als dem schwierigsten Teil der Zeichnung, einen Grad der Vollkommenheit erreicht hat, der noch nicht übertroffen worden ist. Dagegen strebte er in der Skulptur mehr nach dem Malerischen, als diese Kunst eigentlich verträgt, obgleich er selbst sehr treffend bemerkte, daß die Plastik um so schlechter sei, je mehr sie sich der Malerei nähere.
Als Architekt ward er von seinen Zeitgenossen nicht minder für einzig und klassisch gehalten wie als Maler und Bildhauer; in Wahrheit aber war die Architektur seine schwächste Seite, obgleich er auch hier seinen großen Geist nicht verleugnete. Wie fast ohne Lehrer und nur Autodidakt, war er auch ohne eigentliche Schüler, obwohl er desto mehr Nachahmer hatte, die aber in dem Streben, seine Großheit der Formen und Verhältnisse des menschlichen Körpers zu erreichen, ins Plumpe verfielen und des Meisters Übertreibungen geistlos noch übertrieben. Die besten seiner Schüler sind Daniel da Volterra und Sebastian del Piombo. Auch als Dichter erlangte Michelangelo großen Ruf. Durch seine Sonette zieht sich meist ein Zug trüben Schmerzes und ruhiger Entsagung. Dieselben wurden wiederholt herausgegeben, namentlich von seinem Neffen Michelangelo Buonarroti (Flor. 1623), ins Deutsche [* 31] übersetzt von K. Witte unter dem Namen F. Licio (Bresl. 1823), von Regis (Berl. 1842), von Grasberger (Brem. 1872) und von S. Hasenclever (mit italienischem Text, Leipz. 1875); eine Auswahl von Harrys (Hannov. 1868). Michelangelo war sein ganzes Leben lang ohne Frauenliebe, und verschlossen und ungesellig entbehrte er auch die eigentliche hingebende Freundschaft.
Erst, nachdem er 60 Jahre alt geworden, fand er eine edle Freundin, Vittoria Colonna, deren Name für immer mit dem seinen verknüpft ist. Er nannte die Kunst seine Geliebte und seine Gebilde seine Kinder. Er lebte in patriarchalischer Einfachheit. Wohlthätig und gegen seine Freunde großmütig, war er stets freundlich und mild, außer gegen anmaßende Unwissenheit. Sein Leben beschrieben seine Schüler Vasari in der »Vita de' pittori ecc.« und Ascanio Condivi in der »Vita di Michel Angelo« (Rom 1553, Flor. 1746, Pisa 1823; deutsch von Valdeck und Ilg, Wien [* 32] 1874). Aus der neuern Litteratur vgl. für das Biographische: Grimm, Leben Michelangelos (5. Aufl., Hannov. 1879, 2 Bde.);
Milanesi, Le [* 33] lettere di Michelangelo Buonarroti (Flor. 1875);
Gotti, Vita di Michelangelo (das. 1875);
Springer, Raffael und Michelangelo (2. Aufl., Leipz. 1883, 2 Bde.);
W. Lang, als Dichter (Stuttg. 1861);
für die kritische Würdigung seiner Werke: Burckhardt, Cicerone (5. Aufl., Leipz. 1884).