Meteorsteine
[* 1]
(Meteoriten,
Aerolithe,
Uranolithe,
Luftsteine, Bätylen),
Eisen- oder
Steinmassen, meist ein
Gemenge von beiden
in den verschiedensten Verhältnissen, welche in bald größern, bald kleinern
Stücken, einzeln oder gleichzeitig in größerer
Anzahl (Steinregen) auf die
Erde niederfallen, oft von Lichterscheinungen und Getöse begleitet, bisweilen
als
Feuerkugeln beobachtbar, die mitunter im letzten
Moment vor dem Niederfallen in eine
Mehrzahl von
Fragmenten zerspringen.
In keinem der vielfältig untersuchten ist ein neues, der
Erde und den auf derselben vorkommenden
Verbindungen fremdes
Element
entdeckt worden, und auch die früher als ausschließlich für Meteorsteine
charakteristisch angeführte Gruppierung
der
Elemente, so namentlich das Vorkommen des
Eisens im gediegenen Zustand sowie in
Verbindung mit
Kobalt
und
Nickel, hat seine Eigentümlichkeit verloren, seitdem
Nordenskjöld 1870 in
Grönland (Uifak oder Ovifak auf der
Insel
Disko)
in
Basalt eingeschlossene Eisenmassen unzweifelhaft tellurischen Ursprungs entdeckt hat, welche alle bisher für Meteorsteine
ausschließlich
charakteristischen
Eigenschaften besitzen.
Die wichtigsten der aus Meteorsteinen
bekannt gewordenen
Mineralien
[* 2] sind:
Eisen,
[* 3] meist nickelhaltig,
Phosphornickeleisen
(Schreibersit),
Graphit,
Schwefeleisen
(Troilit und
Magnetkies),
Schwefelcalcium (Oldhamit), Chromeisen, Magneteisen (selten), eine Modifikation
des Kieselsäureanhydrids
(Asmanit, vielleicht mit
Tridymit identisch),
Olivin,
[* 4]
Bronzit,
Augit,
[* 5]
Anorthit, ein zweiter
Feldspat,
welcher im tesseralen
System kristallisiert (Maskelynit),
Kohle und
Kohlenwasserstoffe.
Hierzu kommt für die
Meteoreisen ein mitunter sehr hoher, das eigne
Volumen oft um ein Vielfaches übertreffender
Gehalt an
Gasen in komprimiertem Zustand
(Wasserstoff,
Kohlenoxyd,
Kohlensäure), welcher sich durch Erhitzen und Auspumpen unter der
Luftpumpe
[* 6] abscheiden läßt. Je nach dem Vorwiegen des einen oder andern der genannten
Bestandteile haben
Rose,
Daubrée,
Meunier,
Tschermak u. a.
Systeme der Meteorsteine
aufgestellt. Sie stimmen sämtlich, unter
Wahl verschiedener
Namen und Unterabteilungen,
darin überein, das
Verhältnis zwischen dem
Gehalt an gediegenem
Eisen und
Silikaten als Hauptunterschied unter den Meteorsteinen
aufzufassen, wie dies besonders deutlich durch die Bezeichnungen (Holosiderite, Mesosiderite, Sporadosiderite und Asiderite)
aus-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Widmanstättensche Figuren im Meteoreisen.
Fig. 2. Chondrit.] ¶
mehr
gedrückt wird. Hierzu kommen noch die Kohlenmeteoriten, einige wenige Fälle (Alais in Frankreich 1806, Kapland 1838, Kaba in
Ungarn
[* 8] 1857, Orgueil in Frankreich 1864), welche ein lockererdiges Material, reich an Kohle mit Wasser- und Sauerstoff, in noch
nicht aufgeklärter Verbindungsweise enthalten. Was von sogen. Gallertmeteoriten berichtet wird,
widerspricht den sonstigen, aus zahlreichen Beobachtungen geschöpften Ansichten über die Meteorsteine
so durchaus,
daß man wohl vorläufig an Verwechselungen mit Nostokalgen, Froschlaich oder ähnlichen Dingen glauben darf.
Eine außerordentlich charakteristische Struktur besitzen sehr häufig die Meteoreisen und die vorwiegend aus Eisen bestehenden
Meteorsteine
, wie die Pallasite (einzelne Olivinkristalle liegen in Eisen eingebettet), deren Typus das von Pallas 1771 in
Sibirien aufgefundene Eisen ist. Zwischen dem gediegenen Eisen und dem eingelagerten Phosphornickeleisen spielt sich eine gesetzmäßige
Verwachsung ab, welche besonders deutlich nach dem Anätzen mit Säure zur Geltung kommt, weil der Schreibersit gegen dieses
Anätzen widerstandsfähiger ist als das Eisen und deshalb schwach hervorspringende balkenförmige oder
linienartige, sich unter rechten oder schiefen Winkeln schneidende Zeichnungen bildet, die nach dem Entdecker genannten Widmanstättenschen Figuren
[* 7]
(Fig. 1), welche sich übrigens auch bei dem tellurischen Eisen von Ovifak zeigen. Die wesentlich aus Silikaten zusammengesetzten
Meteorsteine
besitzen sehr häufig eine chondritische Struktur: in einer tuffähnlichen Grundmasse liegen kleine
Kugeln (Chondren,
[* 7]
Fig. 2) neben Körnern von Nickeleisen, Olivin etc. Andre übrigens irdischen, durch Abkühlung aus feurigem
Fluß entstandenen Gesteinen nicht fehlende Strukturen sind als Organismen gedeutet worden (vgl. Hahn,
[* 9] Die Meteorite [Chondrite]
und ihre Organismen, Tübing. 1880), ohne daß der Entdecker größere Kreise
[* 10] von der Richtigkeit seiner Beobachtungen hätte
überzeugen können. Am ähnlichsten mit irdischen Gesteinen ist der sogen. Eukrit,
aus Anorthit und Augit bestehend, mit gewissen
isländischen Laven fast ganz identisch, und der sogen. Chassignyit, einem Olivinfels nahe verwandt.
Was die Häufigkeit der einzelnen Abarten der Meteorsteine
betrifft, so haben die etwa auf 500 zu schätzenden, der Fallzeit
nach bekannten Meteoritenfälle nur etwa zehnmal Meteoreisen geliefert, unter denen die Fälle 1751 zu Hraschina bei Agram,
[* 11] 1835 in
Tennessee und 1845 zu Braunau in Böhmen
[* 12] und einige neuere (1885 und 1886) in Nordamerika
[* 13] die bekanntesten sind. Alle andern Meteorsteine
bekannter
Fallzeit sind Meteorsteine
, d. h. aus Silikaten oder doch vorwiegend aus solchen bestehend.
Wenn in den Sammlungskatalogen eine größere Anzahl von Meteoreisen unbekannter Fallzeit aufgeführt wird, so hat dies seinen Grund darin, daß ein größeres Stück Eisen selbst nach Jahren bei gelegentlichem Auffinden an typischen Eigenschaften auch von Laien rasch bestimmt werden wird, während ein Meteorstein direkt nach dem Fall aufgehoben werden muß, um seiner meteorischen Natur nach erkannt zu werden, wie denn auch fast kein Stein unbekannter Fallzeit in den Sammlungen vorhanden ist.
Die Größe der einzelnen ist eine außerordentlich wechselnde, wenn auch meist, abgesehen von einzelnen extremen Fällen,
keine bedeutende; als Maximum darf unter den bisher beobachteten ein Gewicht von 300 kg gelten. Nur für
einzelne nachträglich aufgefundene Eisenmassen unbekannter Fallzeit werden noch bedeutendere Massen angegeben (so von mehreren
Orten in Brasilien,
[* 14] von Liberia
[* 15] in Afrika);
[* 16] doch ist es wenigstens für einige derselben wohl noch eine offene Frage, ob es sich
nicht, wie bei dem zuerst auch für meteorisch gehaltenen grönländischen Eisen, um tellurische Materialien
handelt. Auf der andern Seite sinkt die Größe der Meteorsteine
bis zu Körnern, ja meteorischem Staub herab, so daß die Auffindung
besonders günstige Verhältnisse voraussetzt, wie sie beispielsweise bei dem Fall von Heßle in Schweden
[* 17] herrschten,
[* 7] ^[Abb.: Fig. 3. Ein Meteorit vom Steinregen bei Stannern. a Ansicht des Rückens, b von der Seite.] ¶
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wo neben größern Steinen kleinste Körner und Staub meteorischen Ursprungs auf dem Schnee [* 19] gesammelt werden konnten. Oft liefert ein Fall nur einen Stein, mitunter mehrere Stücke, die, offenbar erst im Moment des Herabstürzens durch Explosion voneinander gerissen, Fragmente eines ursprünglich zusammengehörigen Stückes darstellen. So ließen sich die drei etwa 3 km voneinander entfernt bei Butsura in Ostindien [* 20] aufgefundenen Stücke aneinander fügen und zu einem Meteorstein vereinigen.
Bisweilen fällt aber auch eine große Anzahl einzelner Steine verschiedener Dimensionen, so 1803 bei L'Aigle in der Normandie
gegen 3000, 1808 bei Stannern in Mähren einige hundert, 1882 bei Mocz in Siebenbürgen über 1000, und
die Zahl der 1868 zu Pultusk in Polen niedergefallenen Steine wird sogar auf 100,000 geschätzt. Die Gestalt der Meteorsteine
läßt trotz
außerordentlicher Verschiedenheit mitunter insofern eine Gesetzmäßigkeit erkennen, als man die Richtung, in welcher der
Meteorit die Atmosphäre durcheilte, bestimmen und eine Brust- und Rückenseite unterscheiden kann
[* 18]
(Fig.
3). Durch die Verringerung der Geschwindigkeit der Meteorsteine
in der Erdatmosphäre und durch die Kompression der Luft wird eine den
Schmelzpunkt der Bestandteile erreichende Steigerung der Temperatur erzeugt; der Stein überzieht sich mit einer dünnen, schwarzen,
glasigen Schmelzrinde, welche bisweilen Vertiefungen (sogen. Fingereindrücke) zeigt, wohl teils
durch Abtropfen leichter flüssigen Materials hervorgebracht, teils durch die Einwirkung der komprimierten
Luft, wie dies von Daubrée ausgeführte Experimente über die Einwirkung stark komprimierter Gase
[* 21] auf feste Körper infolge von
Pulver und Dynamitexplosionen sehr wahrscheinlich gemacht haben. Außerdem bilden sich Schmelzfalten, welche in der Richtung
der Bewegung ähnlich in die Länge gezogen sind wie diejenigen auf der Oberfläche der in halb weichem
Zustand von den Vulkanen ausgeworfenen Bomben.
Eine so merkwürdige Erscheinung wie das »Niederfallen der Steine vom Himmel«
[* 22] mußte schon in frühsten Zeiten die Aufmerksamkeit
der Beobachter erregen, und so besitzen wir in den Schriften der Chinesen und der antiken Kulturvölker
eine Anzahl auf Meteorsteine
bezügliche Stellen. Es ist ferner sehr wahrscheinlich, daß der in der Kaaba zu Mekka verehrte Stein ein
Meteorstein ist. Der älteste urkundlich beglaubigte Fall, von dem der Stein noch vorhanden ist, ist der von Ensisheim im Elsaß
noch heute bewahrt die Gemeinde den Rest des durch mehrere Lostrennungen verkleinerten Steins.
Ist so im Volk die Kunde von der Existenz und dem sich immer wiederholenden Niederfallen von Meteorsteinen
wohl nie ganz erloschen,
so hat sich merkwürdigerweise die gelehrte Welt gegen die Anerkennung des Faktums geradezu gesträubt, und besonders die französische
Akademie kam im Ausgang des vorigen und Anfang des jetzigen Jahrhunderts mehrfach in die Lage, gegenüber
Berichten über Fälle und Einsendungen von Steinen ihre Zweifel an der meteorischen Herkunft des Steinmaterials mit einer gewissen
Feierlichkeit zu formulieren, bis der Steinregen von L'Aigle in der Normandie zu dessen näherer Untersuchung
sie eine besondere Kommission (mit Biot an der Spitze) absandte, die Zweifel zerstörte, während in Deutschland
[* 23] der berühmte Akustiker Chladni durch eine epochemachende Publikation über das von Pallas 1771 in Sibirien entdeckte Eisen schon 1794 für
die meteorische Natur der Stein- und Eisenmassen eingetreten war. In neuester Zeit werden
die Meteorsteine
allgemein
in den engsten Bezug zu den Meteorschwärmen und Kometen
[* 24] gebracht, eine Theorie, von Schiaparelli und Weiß besonders ausgebaut,
nach welcher unter dem Einfluß zu starker Annäherung an die Sonne
[* 25] sich die Kometen zu Meteorschwärmen auflösen, d. h. in
eine große Anzahl fester, glühender, die Bahn des ehemaligen Kometen einhaltender, also uns periodisch
erscheinender Körper zerfallen.
Der Umstand, daß gerade für die bedeutendsten Sternschnuppenschwärme sich keine gleichzeitige Steigerung der Anzahl von
Meteoritenfällen nachweisen läßt, wird durch die verschiedene Richtung, in welcher die Schwärme die Erdbahn schneiden,
erklärt; nur Schwärme, welche mit der Erde in annähernd gleicher Richtung sich bewegen, werden Meteorsteine
auf
die Erde liefern; die Geschwindigkeit, mit welcher in diesem Fall der Meteorstein in die Erdatmosphäre eintritt, ist als die
Differenz zwischen der eignen und der der Erde eine geringere, während im Fall der entgegengesetzten Bewegung die enorme Geschwindigkeit,
mit welcher der kleine Weltkörper in die Atmosphäre eintritt, eine viel größere Hitzeentwickelung
im Gefolge haben muß, die zur Zerstörung des Meteorsteins führt, ohne daß ein Rest desselben die Erdoberfläche erreicht.
Ein solcher zwar kleiner Meteorschwarm, dessen Bewegungsrichtung aber für die Lieferung von Steinen günstig ist, ist der
im Anfang Dezember die Erdbahn schneidende, und in der That weist die Statistik für die gleiche Zeit besonders
viele Meteoritenfälle auf. - Auch zur Begründung einer Hypothese über die Beschaffenheit des Erdinnern hat man die Meteorsteine
herbeigezogen.
Aus der Ähnlichkeit [* 26] gewisser Meteorsteine mit Gesteinen unsrer Erde, deren Zahl durch Schmelzversuche, welche Daubrée und Meunier mit irdischen Gesteinen anstellten, noch bedeutend vermehrt wird, schloß man auf eine Ähnlichkeit der übrigen, namentlich der viel Eisen enthaltenden, Meteorsteine mit dem Material des unbekannten Erdinnern und kam durch die Annahme der Existenz solcher eisenführender Gesteine in den Tiefen der Erde zu einer sehr annehmbaren Erklärung des auffallend hohen spezifischen Gewichts der Gesamterde (vgl. Erde, S. 746). Daß diese Hypothese durch die Beobachtung gediegenen Eisens in offenbar aus großen Tiefen der Erde stammenden basaltischen Gesteinen eine wesentliche Stütze gefunden hat, ist leicht erkennbar.
Die vollständigsten Meteoritensammlungen besitzen Wien, [* 27] Paris, [* 28] London, [* 29] Kalkutta, [* 30] Berlin, [* 31] München, [* 32] Tübingen [* 33] (die einst als Privatsammlung bedeutendste des Freiherrn von Reichenbach), [* 34] Bonn [* 35] (die ehemalige Sammlung des bekannten Mineralienhändlers Krantz); berühmte Privatsammlungen besitzen Greg in Manchester [* 36] und Shepard in New Haven (Nordamerika).
Vgl. Chladni, Über den Ursprung der von Pallas gefundenen Eisenmasse (Riga [* 37] 1794);
Derselbe, Über Feuermeteore (Wien 1820);
Rammelsberg, Die chemische Natur der Meteoriten (Berl. 1870, 2. Abhandlung 1879);
Derselbe, Über Meteorsteine (das. 1872);
Buchner, Die Meteoriten in Sammlungen (Leipz. 1863);
Müller, Die Meteorsteine (Basel [* 38] 1876);
Tschermak, Die mikroskopische Beschaffenheit der Meteorsteine, photographische Abbildungen (Stuttg. 1885);
Brezina u. Cohen, Die Struktur und Zusammensetzung der Meteoreisen (das. 1887 ff.).