Mesolcina
(Kt. Graubünden). Bezirk. S. den Art. Moesa.
MESOLCINA
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Im Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902
Mesolcina
(Kt. Graubünden). Bezirk. S. den Art. Moesa.
Mesolcina
(Kt. Graubünden,
Bez. Moesa).
Die Mesolcina
, deutsch
Misox, ist das Thal der
Moesa, das vom
St. Bernhardin nach S. fällt, diese Richtung,
mit geringer Ausbiegung nach O., bis
Roveredo beibehält und dann nach W. umbiegt, um in das Tessinthal
auszumünden. Es ist das längste der nach S. gerichteten
Thäler
Graubündens und zeigt
auch von allen den reichsten Szenerienwechsel.
«In diesem schroffen Thal, fast ohne Thalsohle, steigert sich die Romantik der
Südalpen durch überall herabflatternde
Wasserfälle und mächtige, überaus malerische Ruinen aufs höchste,
und erst dicht ob
Bellinzona, beim Eintritt in die offene
Riviera, nehmen die
Schluchten ein Ende.» Es sind deutlich zwei Hauptabschnitte
zu unterscheiden. Der untere, von der Mündung bis
Soazza, hat einen langgestreckten, stellenweise bis 1 km breiten und gleichmässig
ansteigenden Thalboden und schroffe Berghänge zu beiden
Seiten. Wir können ihn als ein langes schmales
Trogthal bezeichnen, über dessen
Sand- und Kiesboden die
Moesa oft verheerend dahinbraust. Der obere Teil ist dagegen ein
typisches Stufenthal mit mehrfachem
Wechsel von enger Thalschlucht und weiterem Thalkessel, so dass der Fluss bald schäumend
und brausend im tief gegrabenen Felsenbett dahinstürzt, bald ruhiger auf ebenerem Thalboden sich zwischen
Wiesen hindurchwindet. Die drei Thalbecken von
Mesocco (777 m),
San Giacomo (1200 m) und
San Bernardino (1607 m) sind allerdings
nur klein, aber doch, wie auch die trennenden Stufenabstürze resp. Querriegel mit den sie durchschneidenden Thalschluchten,
deutlich ausgebildet.
Das untere Trogthal (unterhalb der Felsstufe zwischen Mesocco und Soazza) zeigt in Klima und Vegetation ein durchaus südliches Gepräge mit Kastanienwäldern und Maisäckern bis Soazza und mit Weinbergen bis Lostallo, dann weiter abwärts mit Maulbeer- und Feigenbäumen und den schönen gelben Blütentrauben des Cytisus an den Berghalden, an denen Eidechsen, Schlangen und Skorpione sich sonnen, aber auch die Alpenrose weit herunter kommt. In den Wäldern der beiden Thalseiten folgen sich in langgezogenen Streifen übereinander Kastanien, Buchen und Lärchen.
Die letzteren ziehen sich auch in das obere Stufenthal hinein, das den ernsten Charakter des Hochgebirges aufweist und im
Schmuck der farbenreichen Alpenflora prangt. Die Felsenschwelle von
Mesocco bildet eine ähnliche Grenze
zwischen südl. und alpiner Natur wie etwa die
Porta im
Bergell. Natürlich ist das untere Trogthal auch weit dichter bevölkert
als das obere Stufenthal. Von den 4583 Einwohnern der ganzen Mesolcina
kommen 3410 auf den untern und nur 1173 auf den obern
Thalabschnitt.
Jene verteilen sich auf 8 Gemeinden (mit einer grössern Zahl von
Dörfern und Weilern), diese bilden
die einzige Gemeinde
Mesocco, zu der auch
San Giacomo und
San Bernardino gehören. Eigentümlich ist in der Besiedelungsweise
der Mesolcina
der Umstand, dass mit Ausnahme einiger kleiner
Weiler alle Ortschaften bis nach
Mesocco hinauf auf der rechten
Thalseite und zwar hart am Fuss der Bergwand liegen, ausgenommen das auf hoher Terrasse thronende
Verdabbio.
Dementsprechend zieht sich auch die Strasse bis hinter
Mesocco auf der rechten
Seite (W.-Seite) des
Thales dahin, um erst weiter
oben bald die eine, bald die andere
Seite zu benutzen.
Der oberste Ort ist San Bernardino (1607 und 1626 m), das 7,3 km unter der Passhöhe in schöner Umgebung liegt, von einem Kranz von zum Teil vergletscherten Gebirgen umrahmt ist und trotz seiner Höhe ein relativ mildes Klima mit würzigen Wäldern und reicher Alpenflora auf den weiten Bergwiesen aufweist. Es hat eine Sauer- und eine Schwefelquelle, mehrere gut eingerichtete Gasthöfe, schöne Anlagen und wird besonders von Italienern und Tessinern, aber auch von Ostschweizern besucht, die hier ausser Heilwasser und Alpenluft auch Gelegenheit zu mancherlei Gebirgstouren finden. Hauptort des obern Misox ist Mesocco oder Misox (777 m), aus mehreren Dörfern und ¶
Weilern zusammengesetzt, wovon Cremeo der bedeutendste ist. Hier sind wir schon in der Region des Ackerbaues und der Obstbäume. Auf einem Felshügel liegt die Ruine der Burg Misox, eine der schönsten der Schweiz, mit vier Türmen und einer noch ziemlich gut erhaltenen Kapelle. Sie war der Stammsitz der Freiherren Sax von Monsax, die einst ein grosses Gebiet im südl. Rätien beherrschten und deren einer den Bund zu Truns, ein anderer den zu Vazerol schliessen half. Als das Geschlecht verarmte, kam die Burg samt der Herrschaft Misox und Calanca an die mailändische Familie Trivulzio (1480), wurde dann aber im Müsserkrieg von den Bündnern gebrochen (1526). Bald darauf kauften sich die Misoxer von den Trivulzi frei, die jedoch erst 1580 vollständig und für alle Zeiten auf ihre Herrschaftsrechte in diesen Thälern verzichteten.
Thalabwärts folgen Soazza und Lostallo, die noch zum Kreis Mesocco gehören, dann dichter geschart Cama, Leggio und in der Höhe Verdabbio, nachher Grono auf dem Schuttkegel am Ausgang des Val Calanca, endlich Roveredo und San Vittore. Hier unten, wo der Thalboden bis unter 300 m sinkt und gesteigerte Wärme in Verbindung mit reichlichen Niederschlägen eine üppige Fruchtbarkeit erzeugt, drängt sich die Bevölkerung am dichtesten zusammen. Grono hat 484, Roveredo 1136 und San Vittore 517, zusammen 2137 Ew. Es kommt also auf die untersten 5-6 km des gegen 40 km langen Thales fast die Hälfte von dessen Bevölkerung.
Die untere Mesolcina
bildet mit dem Calancathal eine von 16 Kapuzinern bediente apostolische Präfektur mit 6 Kirchgemeinden
(Cama, Castaneda, Grono, Rossa, Santa Maria und Soazza), 22 Kirchen und Kapellen, 9 Schulen und 3112 kathol.
Ew. Malerisch nehmen sich die vielen Burgruinen dieser Gegend aus, darunter die der Trivulzi, der letzten Thalherren, und
eine andere hoch oben im Wald über der Mündungsschlucht des Val Traversagna. Eine Perle in dieser echt italienischen Landschaft
ist auch die Wallfahrtskapelle St. Anna unten am Ausgang der eben genannten Schlucht, die man von Roveredo
über eine kühne Bogenbrücke und durch die Rebenlauben von Piazzetta und Giulio erreicht.
Von der Höhe am Ausgang des Val Calanca aber grüssen die Bergdörfchen Castaneda und Santa Maria mit ihren weithin glänzenden Kirchen und der Ruine des Kastells Calanca, alles zusammen ein ungemein reizendes, formenreiches und farbenprächtiges Landschaftsbild, wie es nur der Süden zu bieten vermag. Weingärten und Maisfelder nehmen einen grossen Teil des Bodens ein; dazu kommen eine Menge Maulbeerbäume, Feigenbäume, Nussbäume und andere. Hier spielt darum auch der Landbau eine bedeutende Rolle, während sonst überall im Misox die Viehzucht vorherrscht.
Die durchgehende schöne Bernhardinstrasse erleichtert und mehrt natürlich auch den Verkehr. Früher war der Transit durch das Misox ein sehr bedeutender, da der St. Bernhardin (2063 m) der leichteste und im Winter gefahrloseste Pass nach Italien ist. Die Gotthardbahn hat diesen Transit lahm gelegt. Die Ausbeutung der reichen Wasserkräfte wird aber gewiss neue Hilfsmittel schaffen. Die vielen kleinen Seitenthäler, ausgenommen das grössere Val Calanca, sind alle unbewohnt, werden aber doch im Sommer von den Aelplern mit ihren Herden bezogen.
Durch deren mehrere führen in die Nachbarthäler hinüber Pässe, die aber nur wenig benutzt werden. Von solchen mögen genannt werden: über die Ostkette der Passo Vignone (2381 m) und die Bocca di Curciusa (2429 m) von San Bernardino ins Areuethal und nach Nufenen im Rheinwald, der Passo die Balniscio (2358 m) von San Giacomo bei Mesocco nach Isola an der Splügenstrasse, der Passo di Barna (etwa 2500 m) von Mesocco nach Campodolcino in der Valle San Giacomo (Splügenstrasse), der Passo della Forcola (2217 m) von Soazza nach Chiavenna, die Bocchetta di Val Cama (2097 m) von Cama nach Chiavenna, der Passo di Camedo (etwa 1920 m) von Roveredo nach Gravedona am Comersee, dazu noch einige weitere Uebergänge aus dem Val Traversagna nach dem Comersee, die man als Parallelpässe des von Bellinzona-Arbedo ausgehenden Passo di San Jorio auffassen kann.
Ueber die Westkette führen ins Val Calanca der Passetti (2075 m) von San Bernardino aus, der Passo di Tresculmine (2153 m) von
Mesocco aus und der Passo di Buffalora (2265 m) von Soazza aus. Die Gebirgsketten, über welche alle diese
Pässe führen und die die Mesolcina
einschliessen, erscheinen bei der Steilheit ihres Aufbaues und der Tiefe der Thalsohlen
viel höher als man nach ihren absoluten Höhen meinen sollte. In der östl. Kette erreichen zwar noch
mehrere Gipfel 3000 m, so der Piz Corbet (3025 m) und die Cima di Pian Guarnei (3014 m), aber die meisten bleiben hinter dieser
Höhe zurück. In der S.-Hälfte der Kette sinken sie rasch auf 2500, ja auf 2200 m. Dennoch ist die relative Höhe meist 2000-2200
m, also ebenso viel wie z. B. im Ober Engadin.
Die Vergletscherung ist eine nur ganz geringe. Dafür herrschen stolze und oft wild zerrissene Felsbauten vor, die durch ihre gewaltigen Wände und ausgezackten Zinnen imponieren, besonders wenn sie, wie dies öfter der Fall ist, aus der Hauptkette gegen das Thal vorspringen, wie der Sasso di Castello (2525 m), der Sasso della Paglia (2595 m) und die Cima dei Laghetti (2298 und 2305 m). Andere erheben sich wie Türme in die Luft, so z. B. der Pizzo Pombi. Noch weniger hoch, aber ebenso schroff aufgebaut ist die W.-Kette, deren Gipfel sich meist in der Höhe von 2600-2800 m halten. Eigentümlich ist hier das zickzackförmige Hin- und Herspringen des höchsten Felskammes und das spornförmige Ausgreifen von kurzen ¶
Seitenkämmen, die oft ausserordentlich geschaltet sind und nicht selten die höchsten Gipfel enthalten. Die Namen «Cima»
und «Fil» bezeichnen da, oft nicht einzelne Gipfel, sondern ganze, w.-ö. streichende Kämme, so die Cima di Tresculmine (2633
m), Cima di Bodaletta (2627 m), Cima di Gangella (2764 m), der Fil di Ciaro (2780 m), Fil di Dragiva (2770
m) etc. Doch gibt es auch regelmässigere Pyramiden, in welchen mehrere Kämme zusammenlaufen, z. B. beim Fil Nomnone (2634
m) und Piz di Groveno (2693 m). So wild und unnahbar diese Felsbauten auch aussehen, so sind doch die meisten ohne allzu grosse
Schwierigkeiten ersteigbar, werden indessen wegen ihrer Entlegenheit selten besucht, ausgenommen einige
Höhen am Pass und beim Dorf San Bernardino, wo im Sommer sich jeweilen eine grössere Zahl von Gästen einfindet. Geologisch
sind diese Gebirge ziemlich einförmig. Sie bestehen durchweg aus Gneis und krystallinen Schiefern, deren Schichten im allgemeinen
nach O. einfallen. Doch streicht vom Rheinwald eine schmale Schiefermulde nach S. bis über Mesocco hinaus.
Das ganze Gebiet rechnet man noch zum Adulamassiv, trennt jedoch etwa die Kette östl. der Mesolcina
unter dem Namen Liromassiv
als einen besondern, etwas anders gearteten Lappen vom Adulamassiv ab.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Mesolcina,
s. Mesocco. ^[= Valle, oder Mesolcina, deutsch Misor, das Thal der Moesa im schweiz. Kanton Graubünden, die ...]