Merw
(Merv), eine Oase am Südrand der Sandwüste Karakum in Zentralasien, [* 2] eine nach N. gerichtete Einbuchtung in dieselbe, welche durch vielfache Verzweigungen des Murghab, der sich hier im Sand verliert, gebildet wird. Die Oase umfaßt ein Areal von 4900 qkm (89 QM.), von denen etwa 900 qkm Sumpf und Sand sind, der Rest aber, durch ein mit vielem Fleiß angelegtes System von Kanälen bewässert, reiche Ernten von Weizen und Zuckerhirse liefert. Auch Baumwoll- und Seidenkultur werden getrieben.
Das Klima [* 3] ist heiß und trocken; im Dezember und Januar fällt nachts Schnee [* 4] in etwa 20 Tagen. Die Bevölkerung, [* 5] deren Zahl O'Donovan auf ½ Mill., Alichanow und Grodekow aber auf nur 200,000 angeben, besteht meist aus jetzt verarmten Tekke-Turkmenen, die allein Recht am Grund und Boden, ebenso wie am Wasser haben. Hauptbeschäftigung ist Ackerbau; die geringe Hausindustrie beschäftigt sich mit der Herstellung von Silberarbeiten, die Frauen weben Teppiche und grobe Seidenzeuge.
Von europäischen Fabrikaten sind billige rote Baumwollenzeuge am meisten gesucht; der Handelsumsatz beträgt nur 1½ Mill. Rubel. Am rechten Ufer des Hauptarms des Murghab, über den hier eine Brücke [* 6] führt, liegt die große Festung [* 7] Kouschûtchankala mit breiten und hohen Wällen, durch welche acht Thore führen, im Innern Gemüsegärten, Felder und einige Kibitken. Im übrigen sind die Ansiedelungen nach allen Richtungen verstreut. Ehemals war diese Gegend viel dichter bevölkert.
Überreste von Türmen, Bädern, Palästen und Grabmälern in der Umgebung zeugen von der ehemaligen Pracht dieser Residenz früherer Herrscher.
Von Merw
gehen Wege gegen N. nach
Chiwa, gegen
NO. nach
Bochara, Tschardschui und Narasim am
Amu Darja,
gegen W. nach
Achal Teke und gegen S. nach
Persien
[* 8] und
Herat. Der letztere ist von besonderer politischer Wichtigkeit. Bereits
Alexander d. Gr. soll in der
Oase eine prächtige Stadt erbaut haben; die
Turkmenen nennen daher ein verfallenes Erdwerk noch
heute
Fort
Iskanders, d. h.
Alexanders, doch ist der große Mazedonier nie in dieser Gegend gewesen.
Antiochos
Nikator machte die
Oase durch eine Umwallung zu einem
Bollwerk gegen nördliche
Barbaren und nannte sie
Antiochia Margiana.
Zur Zeit der Ausbreitung des
Islam fiel Merw
in die
Hände der Araber, bei denen es blieb, bis es im 11. Jahrh. den
anstürmenden
Seldschukken unterlag. Dann wurde eine
Beute der
Mongolen, der
Uzbeken und
Perser, aus deren
Händen es 1834 wieder
in die der heutigen
Tekke-Turkmenen überging. Ein
Feldzug, den
Persien unternahm, um den wiederholten räuberischen Einfällen
in sein Gebiet ein Ende zu machen, endete für dieses mit einer vollkommenen
Niederlage. Seitdem waren
die
Tekke-Turkmenen der
Schrecken aller angrenzenden
Landschaften insonderheit
Persiens. Nachdem aber
Gök-Tepe von den
Russen
genommen war, beschlossen die
Chane von Merw
, sich Rußland zu unterwerfen, und diese Unterwerfung wurde angenommen.
Im Juli 1886 wurde die Transkaspische
Eisenbahn bis hierher eröffnet und ihre Weiterführung nach Tschardschui
am
Amu Darja in
Angriff
¶
mehr
genommen. ist per Bahn von Azun-Ada am Kaspischen Meer 825 km, von Tschardschui 163 km entfernt. Dadurch hat Merw
in politischer
wie in handelspolitischer Hinsicht eine ganz hervorragende Bedeutung gewonnen, indem hier leicht große Truppenmassen konzentriert
werden können und die Konkurrenz mit Indien in den zentralasiatischen Staaten erfolgreich zu bekämpfen
ist. Seit der russischen Okkupation hat sich die Physiognomie von Merw
gänzlich verändert. An die Südmauer der alten Befestigung
lehnt sich eine russische Festung mit 2000 Mann und 700 Pferden, und gegenüber am linken Ufer des Murghab entsteht eine russische
Stadt, in welcher sich viele Armenier niedergelassen haben, in deren Händen sich jetzt der ganze Handel
befindet.
Vgl. O'Donovan, The Merw
Oasis (Lond. 1882);
Marvin, Die russische Annexion von Merw
(deutsch, Odessa
[* 10] 1885).