Menschwerdung
,
eine in der Geschichte des religiösen
Geistes bedeutsame
Idee, sofern schon der
Begriff der
Religion
an sich
eine Wechselbeziehung des unendlichen und des endlichen
Geistes
in sich schließt. Dieser
Prozeß der gegenseitigen
Beziehung
Gottes auf den
Menschen und des
Menschen auf Gott wird da auf dem Gipfel stehen, wo entweder Gott
Mensch oder der
Mensch
Gott wird. Der zwischen der asiatischen und europäischen Menschheit stattfindende
Gegensatz der Denkweise bringt es mit sich,
daß dort mehr von Menschwerdung
Gottes, hier mehr von Gottwerdung des
Menschen die
Rede ist (s.
Apotheose).
Die klassische Heimat der Idee einer Inkarnation (Fleischwerdung) oder Inkorporation (Verkörperung) Gottes ist das alte Indien, wo die höchste Weisheit und Liebe in Buddha (s. d.) Menschengestalt annimmt und den Menschen zu Hilfe kommt. Erst seither fand der Begriff auch Eingang in der brahmanischen Religion, wo übrigens nicht Brahma (s. d.), sondern Wischnu das Subjekt der Inkarnationen ist. Auf ganz neue Weise vereinigt das Christentum, in allem eine eigentümliche Synthese orientalischer und occidentalischer Denkweise, und Gottwerdung in dem griechischen Kirchenlehrern geläufigen Satz: Gott sei Mensch geworden (in Christus nach Joh. 1, 14),. damit die Menschen vergottet, göttlicher Natur teilhaftig würden.
Die Kirchenlehre hat vorzugsweise die erste Hälfte dieses Wechselverhältnisses kultiviert, ohne darüber die andre ganz
vernachlässigt zu haben (die sogen. unio mystica cum
Deo). In der Geschichte der neuern
Theologie ist das
Dogma von der Menschwerdung
besonders
durch die an
Schelling und
Hegel sich anschließende spekulative
Schule kultiviert worden, indem man dabei
über die historische
Frage, ob die Realisation der
Idee sich ohne weiteres mit dem christlichen
Dogma decke, so lange ziemlich
leichtfertig hinwegsah, bis
Strauß
[* 2] die
Frage entschieden verneinte und eine Menschwerdung
Gottes nicht in dem
Individuum, sondern in der
Gattung behauptete. S.
Christologie.