Mendelssohn
,
Moses, Popularphilosoph, geb. zu
Dessau
[* 2] von armen jüdischen Eltern, verriet schon als
Knabe einen
unstillbaren Wissensdurst und wurde außer vom
Talmud und der
Bibel
[* 3] durch das Hauptwerk des
Maimonides:
»More Nebochim«, angezogen.
Nach
Berlin
[* 4] ausgewandert und in großer
Armut lebend, lernte er mühsam die deutsche Schriftsprache und
Latein, letzteres, um
Lockes
Buch
»De intellectu hominis« lesen zu können. Seine materielle
Not hatte ein Ende, als ihn ein reicher
jüdischer Seidenfabrikant in
Berlin,
Bernhard, 1750 zum
Erzieher seiner
Kinder, später zum Buchhalter und endlich testamentarisch
zu seinem Geschäftsteilnehmer machte, was Mendelssohn
bis zu seinem
Tod blieb.
Nachhaltige
Wirkung auf sein geistiges
Leben übte besonders das
Studium
Lockes,
Shaftesburys,
Wolfs, der ihn anzog, und
Spinozas,
der ihn abstieß.
Folge seiner 1754 für das
Leben geschlossenen
Freundschaft mit
Lessing, der ihm in der
Person seines
»Nathan«
ein Denkmal setzte, war seine Einführung in die Litteratur, indem
Lessing ein ihm zur Durchsicht übergebenes
Manuskript, die 1755 erschienen »Philosophischen Gespräche«, in denen
Mendelssohn
sich zur Hauptaufgabe gemacht hatte,
Leibniz' optimistische Weltanschauung gegen
Voltaire zu verteidigen, heimlich zum
Druck
beförderte. Es folgten die mit
Lessing gemeinschaftlich unternommene
Schrift
»Pope ein
Metaphysiker!«, deren geschichtlich-philosophischer
Teil von Mendelssohn
herrührt, und 1755 seine
Briefe Ȇber die
Empfindungen«, in denen gegen die einseitige Auffassung der sinnlichen
Anschauungen und
Empfindungen, als nur den untern Seelenkräften angehörig, polemisiert wird.
Für
Nicolais
»Bibliothek der schönen
Wissenschaften« und die »Allgemeine deutsche
Bibliothek« schrieb Mendelssohn
seine »Betrachtungen
über die
Quellen und die
Verbindungen der schönen
Künste und
Wissenschaften« (1757),
die »Betrachtungen über das Erhabene und Naive« (1758) und die »Rhapsodie über die Empfindungen«. Dieselben enthalten seine wesentlich von der Moral beeinflußten ästhetischen Ansichten. Als Religionsphilosoph trat er auf in der von der Berliner [* 5] Akademie 1763 gekrönten »Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften«, im »Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele, in drei Gesprächen« (Berl. 1767; neu hrsg. von Bodek, Leipz. 1869) und in den »Morgenstunden« (Berl. 1785), deren zweite (die berühmteste und gelesenste seiner Schriften) die Unsterblichkeit und deren dritte (aus dem Unterricht seiner Söhne entsprungen) im Anschluß an Wolfs Metaphysik das persönliche Dasein Gottes zu beweisen sucht.
Durch die Vereinigung seltener
Wärme
[* 6] persönlicher Überzeugung mit klarem
Gedankengang hat Mendelssohn
wie kein andrer deutscher Schriftsteller
für die Verbreitung des
Deismus gewirkt. Neben verschiedenen Übersetzungsarbeiten, durch welche (z. B. die Übersetzung
des
Pentateuchs und der
Psalmen ins Deutsche)
[* 7]
er den
Juden die
deutsche Sprache und damit auch die deutsche
Bildung nahebrachte, ist ferner der Abfassung der
Schrift
»Jerusalem,
[* 8] oder über religiöse Macht und
Judentum« (1783) zu gedenken,
in welcher sich Mendelssohn
auf der freiesten
Höhe der
Welt- und Religionsbetrachtung zeigt.
Persönlich hielt Mendelssohn
für sich und die
Seinen am konfessionellen
Judentum fest und wies den taktlosen Bekehrungsversuch
Lavaters in entschiedener
Weise zurück. Der in der jüdischen
Religion ausgeprägte
Monotheismus war ihm Herzenssache und sein
Widerwille gegen
Pantheismus und (wahren oder vermeintlichen)
Atheismus so stark, daß er ihm das
Leben kostete. Als die an
ihn gerichtete
Schrift F. H.
Jacobis: Ȇber die
Lehre
[* 9] des
Spinoza«
Lessing des Spinozismus beschuldigte,
ward er durch dieselbe so tief erregt, daß er eine
Schrift abfaßte, um die nach seiner Meinung verletzte
Ehre des
Freundes
zu retten:
»Moses an die
Freunde
Lessings«.
Die Aufregung zog ihm den
Tod zu; den
Druck dieser
Schrift erlebte er nicht mehr. Als
Mensch und Schriftsteller
achtungswürdig, ist als
Philosoph von seinen Zeit- und Glaubensgenossen überschätzt worden. Eine vollständige Sammlung
seiner
Schriften (Leipz. 1843-45, 7 Bde.,
mit einer
Biographie Mendelssohns
von dessen Sohn
Joseph und einer
Einleitung in die philosophischen
Schriften von
Brandis) besorgte
sein Enkel
G.
B. (s. unten); seine
»Schriften zur
Philosophie,
Ästhetik und
Apologetik« gab Brasch heraus
(das. 1880, 2 Bde.),
der auch »Lichtstrahlen« aus Mendelssohns
Schriften (das. 1875) veröffentlicht hat.
Vgl.
Kayserling,
Mendelssohn
Mendelssohns
Leben und Wirken (2. Aufl., Leipz. 1887);
Derselbe,
Moses. Mendelssohn
Ungedrucktes und
Unbekanntes von und über ihn
(das. 1882);
Goldhammer, Die
Psychologie Mendelssohns
(Wien
[* 10] 1886);
Ritter, und Lessing (2. Aufl., Berl. 1886).
Mendelssohns
ältester Sohn,
Joseph, geb. gest. trat durch die beiden
Schriften:
»Bericht über
Rosettis
Ideen zu einer neuen
Erläuterung des
Dante« (Berl. 1846) und »Über
Zettelbanken« (das. 1846)
litterarisch auf und gründete mit seinem
Bruder
Abraham (geb. gest.
dem
Vater
von
Felix Mendelssohn
-Bartholdy, das noch gegenwärtig von den Enkeln der Begründer geleitete
Berliner Bankierhaus »Mendelssohn
u.
Komp.« Der dritte und jüngste Sohn Mendelssohns
,
Karl
Theodor
Nathan, geb. gest. bildete sich in
England und
Frankreich zu einem vorzüglichen
Mechaniker und war seit 1835
Revisor der Hauptstempel- und Formularverwaltung in
Berlin. Von den Töchtern war die älteste, die geistreiche
Dorothea, zuerst an den
Kaufmann
Veit,
¶
mehr
welchem sie zwei Söhne, die Maler Johann und Philipp Veit (s. d.), gebar: dann an Friedrich Schlegel (s. d.) verheiratet, mit dem sie zum Katholizismus übertrat;
eine jüngere, Henriette, blieb unvermählt und ward die Erzieherin der Tochter des Generals Sébastiani, der nachmaligen Herzogin von Praslin.
Der Herausgeber von Moses Mendelssohns
Schriften, Georg
Benjamin Mendelssohn
, Sohn von Joseph Mendelssohn
, geb. Professor an der Universität Bonn,
[* 12] gest. in Horchheim bei Koblenz,
[* 13] schrieb außerdem: »Das germanische Europa«
[* 14] (Berl. 1836) und »Die ständische
Institution im monarchischen Staat« (Bonn 1846).
Vgl. S. Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729-1847 (5. Aufl., Berl. 1886).