Memoiren
(franz., spr. -mŏahren, »Denkwürdigkeiten«),
Darstellungen historischer
Thatsachen, welche der Verfasser selbst
erlebt und schriftlich aufgezeichnet hat. Sie unterscheiden sich
von den gleichzeitigen
Chroniken dadurch,
daß der Erzählende sich in den
Mittelpunkt des von ihm Erzählten stellt oder doch vorzugsweise das berichtet, woran er
selbst, handelnd oder leidend,
Anteil genommen hat. Die Memoiren
bieten dem Geschichtsforscher ergiebige
Quellen dar, die jedoch
mit Behutsamkeit und besonnener
Kritik gebraucht werden müssen.
Das klassische
Altertum hat nur zwei Schriftsteller aufzuweisen, welche in dieser
Gattung Musterhaftes
hinterlassen haben:
Xenophon und
Cäsar. Im
Mittelalter gehören zu den Memoiren
die Aufzeichnungen des
Marco Polo und, um auch aus
Deutschland
[* 2] ein
Beispiel anzuführen, die Memoiren
des
Eberhard
Windecke über König
Siegmund. Unter den modernen
Litteraturen sind
die englische und französische am reichsten an und insbesondere ist
Frankreich als das eigentliche Vaterland
der Memoiren
litteratur zu betrachten.
Die ersten
Produkte dieses
Genres finden sich im 13. Jahrh.
Geoffroy de
Villehardouins Geschichtswerk über das
lateinische Kaisertum
steht zwischen
Chronik und Memoiren
noch in der Mitte; zu den eigentlichen historischen Memoiren aber gehört
Joinvilles
»Histoire de
saint
Louis«, und auch
Froissarts die Jahre von 1322 bis 1400 behandelndes Geschichtswerk trägt zumeist einen memoiren
haften
Charakter. Sehr bedeutend ist dann zur Zeit
Ludwigs XI. und
Karls VIII.
Philippe de
Comines, dessen Memoiren
zu den Meisterwerken im
Gebiet praktisch-politischer Schriftstellerei gehören.
Von großer Wichtigkeit sind auch die aus den spätern Jahrzehnten des 16. Jahrh.,
die den
Leser unmittelbar in die religiösen und politischen
Konflikte dieser Zeit einführen. Vor allen sind hier zu nennen:
die Memoiren
von Blaise de Monduc (1521-72), Gaspard de
Saulx-Tavannes (1530-73),
Michel de
Castelnau und
Margarete von
Valois,
Heinrichs
IV. erster Gemahlin, deren
Denkwürdigkeiten ausschließlich das Hofleben zum Gegenstand haben, sowie
die
»Memoriae nostrae libri VI« von
Guillaume Paradin und das ebenfalls in lateinischer
Sprache
[* 3] geschriebene Geschichtswerk
von de
Thou
(Thuanus, 1544-1607). Von protestantischem Standpunkt aus schrieben: Lanoue,
Duplessis-Mornay (1572-1623) und
Jean
Mergey.
Außerdem verdienen noch
Villeroi (1567-1604), der
Herzog von
Nevers (1574-1610), der
Herzog von
Bouillon
(1560-86) und der
Prinz
Ludwig von
Condé (1559-66) Beachtung.
Brantômes Memoiren
zeichnen sich durch eine ins
Obscöne hinüberstreifende
Frivolität aus, aber
Sullys »Économies royales« geben ein schönes
Bild von dem trefflichen
Charakter ihres Verfassers. Für
die Regierungszeit
Ludwigs XIII. lieferten der
Graf von
Pontchartrain (1610-20), der
Herzog von
Orléans,
[* 4] der
Herzog von
Rohan (1610-29), Vauciennes, der
Marquis von Beauveau,
Estrées (1610-17),
Bassompierre, Montrésor, Aubery und
Richelieu reiche und wichtige Beiträge, und für das
Zeitalter
Ludwigs XIV. sind vornehmlich die Memoiren
Larochefoucaulds, des
Kardinals
Retz, des
Grafen
Jacques Saulx-Tavannes, Puységurs,
Briennes, Mottevilles,
Rabutins,
Estrades',
Grammonts, Dangeaus,
Saint-Simons,
de Lafares,
Luxembourgs,
Catinats,
Noailles' u. a. zu nennen. Die
Zeiten der
Regentschaft und
Ludwigs XV. behandeln die Memoiren
von
Duclos, die des
Abbé
Montyon, des
Herzogs von
Choiseul und
Chalotais'. Für die
Periode der
Revolution sind solche
Massen von Memoiren
vorhanden,
daß wir uns mit der Angabe der bedeutendsten
Namen, der von
Necker,
Besenval, Ferrière,
Alexandre
Lameth,
Lafayette, Montlosier, der
Madame de Staël,
Campan,
Barbaroux,
Billaud-Varennes,
Dumouriez, der
Madame
Roland,
¶
mehr
Mirabeau, Mounier, Barère und Camille Desmoulins, begnügen müssen. Selbst Henker, wie der bekannte Scharfrichter Samson von
Paris,
[* 6] schrieben damals Memoiren.
Nicht alle diese Memoiren sind aber echt; manche tragen einen berühmten
Namen an der Stirn, sind aber offenbar untergeschoben, wie denn überhaupt in neuerer Zeit die Memoiren
fabrikation auf wahrhaft
schwunghafte Weise betrieben wird. Einer der bedeutendsten Autoren dieser Art war Soulavie, dessen Sammlungen
neuerlich durch die »Collection des mémoires relatifs à l'histoire de la révolution
française« (Par. 1822-28, 30 Bde.)
und andre Sammelwerke mit Recht verdrängt worden sind.
Noch reichhaltiger ist die Memoiren
litteratur der Napoleonischen Zeit. Von wirklicher Bedeutung sind indes
nur die von Bignon, Las Cases, O'Meara, Constant, Lavalette, Savary, von der Herzogin von Abrantes, Marmier, Eugen Beauharnais und
Frau v. Rémusat. Unter den neuesten Memoiren
sind wahrhaft gehaltreich die von Chateaubriand, Carnot, George Sand und Broglie. Die zahlreichen
Kriegstagebücher der letzten Jahre haben meist keine höhere litterarische Bedeutung. In England beginnt
die Memoiren
litteratur erst seit der Regierung der Königin Elisabeth wichtiger zu werden.
Erhebliche Quellen für diese Zeit sind die Memoiren
von James Melville, welche bis auf Jakobs I. Zeit herabreichen, und von Th. Birch,
sowie für die schottischen Verhältnisse die von Dav. Crawford of Drumsey interessante Ausbeute gewähren.
Für die religiös-politischen Bewegungen und Konflikte des 17. Jahrh. sind erwähnenswert: Rushwort, Ludlow, Clarendon, Whitelock
und Will. Temple. Die wichtigsten hierher gehörigen Memoiren
sind zusammengestellt in Guizots »Collection des mémoires relatifs
à la révolution d'Angleterre« (Par. 1823, 33 Bde.).
Eine lebendige Charakteristik des Protektors Cromwell gibt Peck, und den Fall der Stuarts behandeln John Dalrymple
und Pepys, an welche sich Burnet und Marlborough anschließen.
Die Denkwürdigkeiten Bolingbrokes, Walpoles, John Kers of Kersland u. a. beziehen sich auf Georgs I. Zeit. Wie in Frankreich, so schwillt auch in England in der neuern Zeit die Memoirenlitteratur zu nicht zu bewältigenden Massen an. In Deutschland machte man im Zeitalter der Reformation einen vielversprechenden Anfang in der Gattung der politischen Memoiren Karl V. schrieb Memoiren seines Lebens, welche uns aber nur in einer französischen Bearbeitung einer portugiesischen Übersetzung des verlornen spanischen Originals erhalten sind.
Dem Zeitalter der Reformation gehören an die Denkwürdigkeiten des Götz von Berlichingen, das Tagebuch des Schmalkaldischen Kriegs von Viglius van Zwiechem, die Memoiren des Sebastian Schärtlin von Burtenbach, des Grafen Wolrad von Waldeck; [* 7] des Stralsunders Barth. Sastrow, der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. die Memoiren des L. Geizlkofer und des Ritters H. von Schweinichen, dem Dreißigjährigen Krieg unter andern die Tagebücher des Grafen Christian von Anhalt. [* 8] Aus der preußischen Geschichte sind zu nennen: die französisch geschriebenen, mit großer Vorsicht zu benutzenden Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Baireuth [* 9] und des Barons Pöllnitz sowie die Memoiren Friedrichs d. Gr. über seine Kriege und die des Prinzen Karl von Hessen. [* 10]
Besondere Erwähnung verdienen noch die gehaltvollen »Denkwürdigkeiten« v. Dohms, das Fragment von Memoiren des Grafen von Haugwitz und in neuerer Zeit die Memoiren von Gentz, dem Herzog Eugen von Württemberg, [* 11] Müffling, der Gräfin von Voß, Varnhagen v. Ense, von Gagern, Arndt, dem Ritter von Lang, Hormayr, Metternich, Beust und Herzog Ernst von Koburg-Gotha. Für das litterarische Leben des 18. und 19. Jahrh. sind von höchster Bedeutung die Memoiren von Chr. Wolff, J. J. ^[Johann Jacob] Moser, K. und Fr. v. Raumer und vor allen Goethes unübertreffliches Werk »Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung«.