Melanchthon
(Melanthon, gräzisierter
Name für
Schwarzerd),
Philipp,
Luthers Kampfgenosse, der
»Lehrer
Deutschlands«
[* 3] (praeceptor
Germaniae), ward zu
Bretten in der
Pfalz geboren, wo sein
Vater
Georg, ein tüchtiger Waffenschmied,
sich mit der Tochter des
Amtmanns
Johannes Reuther vermählt hatte.
Sein Großvater mütterlicherseits ließ dem
Knaben den ersten
Unterricht im
Lateinischen erteilen. 1507 verlor Melanchthon
in einer
Woche Großvater und
Vater und kam nun nach
Pforzheim
[* 4] in das
Haus seiner Großmutter, einer
Schwester
Reuchlins, der an dem begabten
Knaben großes
Gefallen fand. Im
Alter
von zwölf
Jahren bezog er die
Universität
Heidelberg
[* 5] und erwarb sich nach zwei
Jahren das Bakkalaureat.
Aus dem Unterricht, den er den Söhnen des Grafen von Löwenstein erteilte, gingen schon damals die Grundlinien seiner griechischen Grammatik hervor. Da man ihm aber wegen seiner Jugend die Magisterwürde vorenthielt, siedelte er nach Tübingen [* 6] über, wurde hier 1514 Magister und wandte sich immer entschiedener dem Humanismus zu, hielt Vorlesungen über Terenz, Cicero und die griechische Grammatik. Daneben aber beschäftigte er sich auch mit Theologie, Jurisprudenz, Medizin.
Zum eingehenden
Studium der
Bibel
[* 7] veranlaßte ihn erst die Erasmische
Ausgabe des
Neuen
Testaments.
Reuchlin vermittelte seine
Übersiedelung als
Professor der griechischen
Sprache
[* 8] nach
Wittenberg.
[* 9] Seine Antrittsrede
(»De corrigendis adolescentiae
studiis«) machte
Epoche in der Geschichte des deutschen
Schulwesens und fand vor allem den Beifall
Luthers.
Enger und inniger wurde der Anschluß beider aneinander durch die
Disputation zu
Leipzig;
[* 10] wiewohl hier Melanchthon
nur die
Rolle eines
bescheidenen Ratgebers spielte, so ward er doch in den
Kampf mit
Eck hineingezogen, als er in einem
Brief an Öcolampadius den
Verlauf des Gesprächs geschildert; in seiner Entgegnung auf
Ecks nun erfolgenden
Angriff entwickelte er
zum erstenmal die
Grundsätze gesunder protestantischer
Exegese. Am verehelichte sich Melanchthon
mit
Katharina
Krapp, Tochter
des
Bürgermeisters von
Wittenberg.
»Magister
Philipp« trat bald auch in die theologische
Fakultät, und die erste
Frucht seiner
biblischen Vorlesungen waren die berühmten
»Loci communes rerum theologicarum«
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mehr
(1521), die erste protestantische Dogmatik. Während der bilderstürmerischen Bewegung zeigte Melanchthon
den Zwickauer Schwärmern gegenüber
eine zu große Nachgiebigkeit. Erst Luthers Einschreiten bewahrte ihn vor gefährlichen Konsequenzen. Hier wie sonst bewährte
er sich allerdings neben Luther als den kleinern Geist, als das wissenschaftliche Talent neben dem religiösen Genie. Gleichwohl
hat die besonnene Mäßigung, das durch geschichtliche Studien und klassische Bildung gereifte Urteil, die
große Klarheit seiner Darstellungsgabe zum Fortgang der Reformation neben Luthers glaubensvoller Thatkraft zweifellos das allermeiste
beigetragen.
Namentlich ist aus seiner gewandten Feder in der Folgezeit eine ganze Reihe von politisch-theologischen Schriften geflossen, welche tief in den Gang [* 12] der deutschen Reformation eingegriffen haben, so die »Epitome doctrinae christianae« (1524),
wodurch Philipp von Hessen [* 13] gewonnen ward;
sein auf Wunsch des Kurfürsten von der Pfalz über die zwölf Artikel der Bauern 1525 abgegebenes Urteil, welches die Forderungen derselben zurückwies;
sein »Unterricht der Visitatoren und Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen« [* 14] (1528),
die erste, auch für andre Länder vorbildlich gewordene sächsische Kirchen- und Schulordnung;
vornehmlich aber die »Augsburgische Konfession samt der Apologie derselben« (1530);
der Traktat »De potestate papae«, den er 1537 im Auftrag des Schmalkaldener Fürstenkongresses schrieb, und die »Repetitio confessionis Augustanae saxonica« (1545).
Schon zu Luthers Lebzeiten fand keine wichtige Verhandlung der evangelischen Stände statt, wozu Melanchthon
nicht
zugezogen worden wäre. So nahm er teil am Marburger Gespräch 1529, bei welchem er sich mit Zwingli unterredete, während
Luther mit Öcolampadius disputierte, an den Reichstagen zu Speier
[* 15] 1529, mit dessen Protest er nicht einverstanden war, und zu
Augsburg
[* 16] 1530, woselbst seine Nachgiebigkeit gegen die katholische Lehre
[* 17] in dem an den Reichstag sich knüpfenden
Religionsgespräch so weit ging, daß Landgraf Philipp von Hessen seinem Gesandten den Auftrag erteilte, »dem weltweisen, vernünftigen,
verzagten Philippo in die Würfel zu greifen«, und die Nürnberger sogar den Verdacht schöpften, Melanchthon
sei bestochen; er nahm
ferner teil an dem Konvent zu Schmalkalden
[* 18] 1537, an den Religionsgesprächen mit den Oberländern zu Kassel
[* 19] 1535 und
Wittenberg 1536 sowie mit den Katholiken zu Hagenau
[* 20] 1540, Worms
[* 21] und Regensburg
[* 22] 1541 (s. Religionsgespräche); 1545 verfaßte er
die »Wittenberger Reformation«, welche den Katholiken große Zugeständnisse in Bezug auf die bischöfliche Verfassung der Kirche
machte.
Nicht minder war er persönlich beteiligt bei der Einführung der Reformation im Herzogtum Sachsen und Meißen
[* 23] und im Kurfürstentum
Köln
[* 24] unter Hermann von Wied; in Kirchen- und Schulsachen wurde er nach Nürnberg,
[* 25] Leipzig, Jena,
[* 26] Tübingen, Frankfurt
[* 27] berufen, ohne
daß er sich je hätte entschließen können, Wittenberg dauernd zu verlassen. Auch Frankreich und England
suchten ihn vergeblich zu gewinnen. Leider haben die unaufhörlichen Vermittelungsversuche und Ausgleichsvorschläge, welche
Melanchthon
in dieser vielgespaltenen Thätigkeit als theologischer und philologischer Professor, als Kirchen- und Schulmann, als Publizist
und Diplomat produzierte, ihm je länger, je heftigere Vorwürfe eingetragen, und die von den strengen Anhängern Luthers ausgestreute
Saat der Verdächtigung reifte schon bei dessen Lebzeiten zu bedenklicher Höhe.
Als namentlich allmählich bekannt wurde, daß Melanchthon
im Gegensatz zu seiner noch in der Augsburgischen Konfession niedergelegten
Überzeugung sich im Punkte des Abendmahls den Schweizern nähere, trübte sich das Verhältnis zwischen ihm und Luther merkbar.
Aber als Melanchthon
1540 in Weimar
[* 28] aus Kummer über die Doppelehe des Landgrafen von Hessen, zu der er selbst in Form
eines Beichtrats gemeinsam mit Luther seine Zustimmung gegeben, schwer erkrankt war, da war es Luther, der, herbeigeeilt, ihn
durch sein Gebet aus tiefer Melancholie herausriß und dem Leben wiedergab. Im Februar 1546 hielt Melanchthon
dem
dahingeschiedenen Freunde die Leichenrede, beklagte sich jedoch in einem Briefe vom an Christoph v. Carlowitz über
die »unziemliche Knechtschaft«, die er ertragen, »als
Luther öfter seinem Temperament folgte, in welchem eine nicht geringe Streitlust lag«. Allerdings war es vornehmlich Melanchthons
Verdienst gewesen, daß der Friede zwischen beiden erhalten blieb.
Wie Luther es früher gewünscht, trat er dessen Erbe an. Das Ansehen, das Luther genossen, ging fast ganz auf ihn über; aber es war nicht ausreichend, um den Haß der Eiferer für Luthers Ruhm und Namen im Zaum zu halten. Bis zu seinem Tod verfolgte ihn die steigende Wut der Theologen (»rabies theologorum«, klagte er). Sein äußeres Leben wurde dadurch ein sehr bewegtes. Der Krieg trieb ihn aus Wittenberg weg. Dann, als seine Weigerung, das Interim zu unterzeichnen, den Zorn des Kaisers erweckte, kehrte er, in die Dienste [* 29] des Kurfürsten Moritz getreten, nach Wittenberg zurück, leitete die Wiederherstellung der Universität und arbeitete das Leipziger Interim (s. d.) aus, wodurch er sich maßlose Angriffe von Flacius zuzog, sich einen Verräter gescholten und in den Adiaphoristischen Streit (s. d.) verwickelt sah.
Allerdings ist Melanchthon
damals und früher schon bis an die äußerste Grenze der Nachgiebigkeit gegangen; er wollte alle Härten
im Ausdruck der Bekenntnisschriften wegschleifen, um dadurch die Grundlage für die Unterhandlungen auf dem Konzil zu Trient
[* 30] zu gewinnen, wohin er schon 1552 abgereist war, als der Umschlag in der Politik des Kurfürsten ihn zurückrief. Bald darauf
brach der Streit über das Abendmahl von neuem und heftiger als je aus. Melanchthon
galt auf diesem Punkt bereits
als verkappter Calvinist (s. Kryptocalvinisten), während er gleichzeitig durch Zugeständnisse, die er dem freien Willen in der
Bekehrung machte, zu katholisieren schien und als Synergist verrufen ward.
Auf dem Religionsgespräch zu Worms 1557 zeigte es sich, daß der Haß der Jenenser Lutheraner gegen Melanchthon
so
groß war, daß selbst die Gegenwart der katholischen Abgeordneten seine Ausbrüche nicht zu hindern vermochte. Krank und
angegriffen kam er von der Reise nach Worms in sein vereinsamtes Haus zurück. Während seiner Abwesenheit war ihm seine Frau
gestorben. Seine ihm am meisten ähnliche Tochter Anna, deren Ehe mit dem leichtsinnigen Sabinus ihm schweren
Kummer bereitet hatte, war schon 1547 gestorben. Im Frankfurter Rezeß (s. d.) von 1558 kam noch einmal unter den protestantischen
Fürsten seine vermittelnde Richtung zur Geltung.
Von Gram, Kränkungen und Mißerfolg gebeugt, starb Melanchthon
Seine Leiche wurde neben der Luthers beigesetzt. Es überlebten
ihn zwei Kinder, ein Sohn, Philipp, der 1603 als Konsistorialsekretär starb, von des Vaters großen Gaben
aber nur seine Milde geerbt hatte, und eine Tochter, Magdalena, die Gemahlin Peucers, gest. 1567. Lange verhinderte die vorwiegend
orthodox kirchliche Richtung eine gerechte Würdigung der Stellung Melanchthons
zu dem Reformationswerk. Anerkannt und
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unangefochten blieb aber seine Wirksamkeit als Gelehrter, und seine verschiedenen Lehrbücher über Rhetorik, Philosophie etc. wurden nur sehr allmählich aus den Schulen verdrängt. 1865 wurde ihm in Wittenberg ein Denkmal (von Drake), 1883 ein solches, mit Luther zusammen, in Leipzig (von Schilling) errichtet. Seine Werke erschienen am vollständigsten im »Corpus reformatorum« von Bretschneider und Bindseil (Halle [* 32] u. Braunschw. 1834-60, 28 Bde.),
dazu die »Epistolae, judicia, consilia etc.« (hrsg. von
Bindseil, Halle 1874, 2 Bde.). Die 300jährige Gedächtnisfeier seines
Todes 1860 veranlaßte eine Reihe volkstümlicher Darstellungen von Heppe, Plank, Wohlfarth etc. Das Beste leistete Schmidt, Philipp
Melanchthon
, Leben und ausgewählte Schriften (Elberf. 1861).
Vgl. auch Meurer, Melanchthons
Leben (2. Aufl., Leipz.
1869);