Melancholie
(griech., Melancholia
, »schwarze
Galle«, s. v. w.
Schwermut,
Tiefsinn) bedeutete in der
Heilkunde früher mancherlei
Krankheiten, Ernährungsstörungen, bösartige,
schwarzpigmentierte
Geschwülste etc., deren Entstehung man dem vierten der damals angenommenen Kardinalsäfte
des
Körpers, der schwarzen
Galle, zuschrieb. Heute bezeichnet eine ganz bestimmte Form der
Geisteskrankheit (s. d.), deren
wesentliches
Symptom in einer traurigen, niedergedrückten Gemütsstimmung besteht, die aber frei ist
von
Sinnestäuschungen und
Wahnideen.
Die Melancholie
kommt in etwa gleicher Häufigkeit bei Männern und
Frauen vor, bevorzugt ist das jugendliche
Alter von 17-25
Jahren
und das eigentliche
Greisenalter. Als
Ursachen gelten vor allem erbliche
Anlage, Altersschwund des
Gehirns, bei
Frauen zuweilen
Schwangerschaft und Geburtsakt, ferner anhaltende niederdrückende Seelenstimmungen, übermäßige Anstrengung
mit geistiger
Arbeit etc. Die
Symptome der Melancholie
sind äußerst auffällige.
Blick und
Mienen des Melancholi
schen sind traurig,
leidend, ängstlich, kläglich, scheu oder verdrießlich, mürrisch und finster.
Alle körperlichen Bewegungen geschehen langsam, stockend und haben den Charakter der Zaghaftigkeit, Niedergeschlagenheit und Unentschlossenheit. Der Kranke ist geneigt, stunden- und tagelang vor sich hinbrütend zu beharren, ist stets mehr oder weniger eigensinnig, störrisch und hartnäckig und widerstrebt jeder Aufforderung, aus sich herauszugehen und sich mit andern als den eignen Gefühlen und Ideen zu beschäftigen. Das Wesentliche dieser krankhaften Gemütszustände besteht in krankhafter Herabstimmung des Selbstgefühls und Mangel an Selbstvertrauen.
Die Kranken häufen gegen sich die schwersten
Anklagen, sie glauben verhungern zu müssen, suchen aus ihrer Vergangenheit
unbedeutende Ereignisse hervor, denen
sie den Wert schwerer Missethaten beilegen, sie halten sich für unwürdig ihrer
Familien,
glauben diesen zur
Last zu sein und quälen sich unablässig mit Selbstvorwürfen. Dabei fehlt der
Schlaf;
die Kranken werden blaß, ihr
Blick ist matt, die Gesichtszüge schlaff und verfallen. Am auffallendsten offenbart sich die
allgemeine
Passivität des Melancholi
schen durch seine Unthätigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Abneigung gegen jede ernste
Beschäftigung.
Bei allem, was er thun will oder soll, erblickt er unüberwindliche Schwierigkeiten, und die kleinsten
Hindernisse erscheinen ihm als unübersteigliche
Schranken. Dies kann so weit gehen, daß der Kranke sich nicht zu den unbedeutendsten
Dingen entschließen kann, zum Aufstehen, Ankleiden, Ausgehen,
Essen
[* 3] etc.
Höhere
Grade der Melancholie
sind zuweilen mit völliger Unthätigkeit,
die sich bis zu gänzlicher Starrheit und Unbeweglichkeit steigern kann, und mit der hartnäckigsten
Nahrungsverweigerung verbunden. In vielen
Fällen wird das regungslose Hinbrüten der Kranken durch mehr oder weniger stürmische
Anfälle von
Angst unterbrochen, bei denen die Irren von einem unbeschreiblichen quälenden Angstgefühl gepeinigt werden,
dessen Sitz sie bald in die
Herzgrube (Präkordialangst), bald in den
Unterleib verlegen, das auch als
Zusammenschnüren des
Halses geschildert wird; sie gehen unruhig auf und ab, zupfen an ihren Kleidern, reißen sich die
Haut
[* 4] von den
Fingern, beißen sich wund, ziehen sich
Haare
[* 5] aus und geraten zuweilen in wirkliche
Raserei (furor melancholicus).
Die große
Gefahr der Melancholie
beruht in allen Stadien der
Krankheit darin, daß die Irren sich ihren
Leiden
[* 6] durch
Selbstmord zu entziehen suchen. Die ist in vielen
Fällen heilbar, namentlich bei
jüngern
Personen, wenn
Schwangerschaft zu
Grunde liegt, aber auch nicht so selten bei alten Individuen, bei denen mindestens jahrelanges
Nachlassen der Krankheitserscheinungen
zur
Beobachtung kommt. Nach 4-6
Monaten lassen dann die traurigen Gemütsstimmungen nach, die Kranken verlangen
nach
Arbeit, der
Schlaf bessert sich, und langsam weichen die düstern
Vorstellungen zurück.
Bleibt die Besserung aus, so dauern die Symptome fort, oder sie gehen in Geistesschwäche und völligen Zerfall der psychischen Thätigkeit über. Die Behandlung bietet unter keinen Umständen Aussicht auf Erfolg, solange man den Kranken zu zerstreuen oder seine trüben Gedanken ihm auszureden sucht. Ruhe und Abgeschlossenheit, aufmerksame Bewachung und Behandlung mit Bädern etc., wie sie eine gute Irrenanstalt bietet, ist das allein Richtige und allein Mögliche, da die Neigung zum Selbstmord den Angehörigen ein hohes Maß von Verantwortlichkeit auferlegt.
Vgl.
Pohl, Die Melancholie
nach dem
neuesten Standpunkt der
Physiologie
(Prag
[* 7] 1852);
Krafft-Ebing, Die eine klinische Studie (Erlang. 1874);
Derselbe, Lehrbuch der Psychiatrie (2. Aufl., Stuttg. 1883, 3 Bde.).