Medizinalb
ehörden.
Da außer der beratenden Behörde des
Reichsgesundheitsamtes eine einheitliche
Organisation der
Medizinalb
ehörden für das
Deutsche Reich
[* 2] noch nicht geschaffen ist, so leitet jeder
Bundesstaat des
Reichs seine Medizinalangelegenheiten
nach eignen
Gesetzen. Für
Preußen
[* 3] ist die oberste Behörde der Kultusminister, unter welchem in der Medizinalabteilung
ein
Direktor und mehrere teils vortragende, teils technische
Räte arbeiten. Der Geschäftskreis dieser
Zentralbehörde umfaßt:
a) Die oberste Leitung der gesamten Medizinal- und
Sanitätspolizei mit Ausnahme des dem landwirtschaftlichen
Ministerium unterstellten
Veterinärwesens. b) Die
Aufsicht über die
Qualifikation des Medizinalpersonals, die Verwendung desselben
im
Staatsdienst und die Handhabung der
Disziplinargewalt. c) Die Oberaufsicht über alle öffentlichen und Privatkrankenanstalten.
Unmittelbar unter dem Minister stehen folgende Behörden:
1) Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen in Berlin, [* 4] deren Geschäftskreis, durch Instruktion vom bestimmt, wesentlich in Begutachtung medizinisch wichtiger Fragen auf dem Gebiet der Rechtspflege oder der Verwaltung oder des Prüfungswesens besteht. Die Deputation ist aus einem Direktor, aus ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern zusammengesetzt, hält wöchentlich regelmäßig eine Sitzung ab und ist oberste Instanz über alle durch die technischen Provinzialbehörden oder durch nicht beamtete Ärzte abgegebenen Gutachten.
2) Die für Prüfung der Medizinalpersonen an den Universitäten bestehenden Examinationskommissionen.
3) Die technische Kommission für pharmazeutische Angelegenheiten vom
Die Medizinalb
ehörden in den einzelnen
Provinzen stehen direkt unter den
Oberpräsidenten als höchsten Verwaltungsbeamten der
Provinz und
zerfallen in: a) Medizinalkollegien, welche ihren Sitz im Hauptort der
Provinz haben, rein wissenschaftliche
und technisch ratgebende Behörden für die
Regierungen und
Gerichte im
Fach der gerichtlichen
Medizin sind und mithin keine
Verwaltung haben. Nach der
Instruktion vom
(Gesetzsammlung, S. 1570) sollen sie mindestens aus fünf Mitgliedern,
Räten und
Beisitzern bestehen, unter denen sich außer einem wissenschaftlichen Wundarzt und einem Geburtshelfer
ein Pharmazeut und ein
Tierarzt befinden sollen.
Ihre Obliegenheiten und Befugnisse sind hauptsächlich die Angabe und Begutachtung allgemeiner Maßregeln zur Beförderung
der medizinischen
Wissenschaft und
Kunst, zur
Ausbildung der
Medizinalpersonen und Beamten, zur Einrichtung öffentlicher Medizinalanstalten,
Beurteilung allgemeiner
Pläne zur Vervollkommnung der
Medizinalpolizei,
Revision der
Reglements,
Taxen, Überwachung
der
Impfungen, Vorbeugung gegen
Seuchen unter
Menschen und
Tieren, Abfassung und
Prüfung gerichtsärztlicher
Gutachten,
Besichtigung
der
Apotheken, der öffentlichen und privaten Irren-,
Heil- und Pfleganstalten etc. b) Kreismedizinalb
ehörden, welche aus
dem
Landrat als Vorsitzendem, einem Kreisphysikus, Kreiswundarzt und Kreistierarzt bestehen. Die Kreisphysiker müssen promovierte
Ärzte sein, welche ein Physikatsexamen
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abgelegt haben und im Kreis [* 6] ansässig sind. Ihnen liegt die Überwachung und Leitung aller im Kreis erforderlichen Maßregeln ob, welche zur Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege dienen. Den Gerichten gegenüber sind sie Sachverständige, welche in allen Kriminal- und Zivilrechtsfällen zunächst zur Abgabe eines sachverständigen medizinischen Gutachtens aufzufordern sind und die legalen Obduktionen in Gemeinschaft mit dem Kreiswundarzt ausführen.
Letzterer ist dem Physikus amtlich unterstellt, besitzt aber wissenschaftlich die gleiche Qualifikation. Als Lokalmedizinalb
ehörden
werden im Regulativ vom die Sanitätskommissionen und Armenärzte genannt. Sanitätskommissionen, deren Aufgabe die
Verhütung und Beschränkung ansteckender Krankheiten ist, sollen in Städten von 5000 Einw. und darüber
permanent bestehen, in kleinern Orten nach dem Ermessen der Regierung gebildet werden. Sie bestehen aus dem Vorstand der Ortspolizeibehörde,
der zugleich den Vorsitz führt, aus dem Vorstand der Kommunalbehörde, aus einem oder mehreren von der Ortspolizei zu bestimmenden
Ärzten und mindestens drei Mitgliedern der Kommunalvertretung, in Garnisonorten aus einem obern
Militärarzt und einem oder mehreren Offizieren.
Die Sanitätskommissionen bilden teils ratgebende, teils ausführende Medizinalb
ehörden derart, daß die Ortspolizeibehörde
sie zu allen notwendigen Fällen einberufen kann und auf ihre Vorschläge einzugehen und darüber zu entscheiden hat. Die Medizinal-
und Sanitätspolizei gehört nach § 2 ad 3 der Instruktion vom etc. zum Geschäftskreis der
königlichen Regierungen; es heißt daselbst: Medizinal- und Gesundheitsangelegenheiten in polizeilicher Rücksicht, z. B.
Verkehr mit Medikamenten, Verhütung von Kuren durch unbefugte Personen, Ausrottung von der Gesundheit nachteiligen Vorurteilen
und Gewohnheiten, Vorkehrungen gegen ansteckende Krankheiten und Seuchen unter Menschen und Tieren, Kranken- und Irrenhäuser,
Rettungsanstalten, Unverfälschtheit und Gesundheit der Lebensmittel sind von der Regierung ev. unter Anwendung
von Strafmitteln zu verwalten. In Bayern
[* 7] ist oberste Medizinalb
ehörde der Staatsminister des Innern mit einem technischen
Rat (Obermedizinalrat).
Unmittelbar unter ihm steht der Obermedizinalausschuß für Bayern, welcher aus zehn Universitätslehrern unter einem juristischen Direktor, also ganz wie die wissenschaftliche Deputation in Berlin zusammengesetzt ist, nur daß er außer seinen außerordentlichen Mitgliedern noch Delegierte der acht Ärztekammern einschließt. Den Regierungen sind je ein Kreismedizinalrat beigegeben, während außerdem noch Medizinalkomitees beiden Universitäten bestehen. In Sachsen [* 8] ist der Minister des Innern oberste Behörde, unter ihm ein technischer Referent (Geheimer Medizinalrat).
Das Landesmedizinalkollegium in Dresden
[* 9] besteht, wie die analogen Behörden in Berlin und München,
[* 10] aus
den hervorragendsten Fachmännern und ist höchste Instanz für alle wissenschaftlichen Gutachten. Der Fortschritt einer unmittelbaren
Verbindung mit Ärztekammern oder einer ähnlichen Standesvertretung besteht hier nicht; darin ist Bayern am weitesten gediehen.
Den Kreishauptmannschaften zu Bautzen,
[* 11] Dresden, Zwickau
[* 12] und Leipzig
[* 13] sind ärztliche Beisitzer zugeteilt; unter
den Regierungen stehen die Anstaltsbezirksärzte und die Gerichtsärzte. In Württemberg
[* 14] entspricht der Berliner
[* 15] wissenschaftlichen
Deputation ein Medizinalkollegium, welches unter dem Minister und einem Regierungsbeamten steht; es zerfällt in: a) eine Abteilung
für allgemeine Medizinalangelegenheiten,
b) eine Abteilung für die Staatskrankenanstalten, c) eine tierärztliche
Abteilung. In Baden
[* 16] stehen unter dem Minister des Innern drei Medizinalreferenten, welche zusammen die
Zentralmedizinalb
ehörde darstellen.
Unter ihnen stehen das Institut der Oberhebeärzte, aus vier anerkannten Frauenärzten bestehend, und ein ärztlicher Ausschuß, in welchem außer beamteten Bezirksärzten (entsprechend den Kreisphysikern in Preußen) auch nicht beamtete Ärzte sitzen. In den kleinern Staaten sind wiederum andre Abteilungen und andre Titel, so daß man nur im allgemeinen sagen kann, daß die Bezeichnungen Medizinal- ein staatliches Amt und z. B. in der Verbindung von Medizinalrat einen Staatsbeamten mit dem Rang eines Rats meinen, während Sanitäts-Verhältnisse, -Polizei, -Rücksichten sich nur auf Gesundheitsangelegenheiten im allgemeinen beziehen und Sanitätsrat ein Titel ist, welcher meistens nicht beamteten Ärzten verliehen wird.
Vgl. Eulenberg, Das Medizinalwesen in Preußen (Berl. 1874);
Stein, Die innere Verwaltung, Teil 2: »Das öffentliche Gesundheitswesen« (2. Aufl., Stuttg. 1882);
Wiener, Handbuch der Medizinalgesetzgebung des Deutschen Reichs und seiner Einzelstaaten (das. 1883 ff.);
Wernich, Zusammenstellung der gültigen Medizinalgesetze Preußens [* 17] (Berl. 1887);
Guttstadt und Schill, Das deutsche Medizinalwesen (Leipz. 1887).