Martignac
(spr. -tinjack), Jean Baptiste Gage, Vicomte de, franz. Staatsmann, geb. 1776 zu Bordeaux, [* 2] studierte die Rechtswissenschaft, begleitete 1798 Sieyès als Privatsekretär nach Berlin [* 3] und ließ sich sodann als Advokat in Bordeaux nieder. Da er während der Hundert Tage in einer Broschüre gegen Napoleon I. auftrat, erhielt er nach der zweiten Restauration die Stelle eines Generalprokurators zu Limoges. 1821 in die Deputiertenkammer gewählt, schloß er sich hier der konstitutionellen Partei an und bekundete bedeutende Rednertalente. Bei der Expedition nach Spanien [* 4] 1823 bekleidete er die Stelle eines ¶
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Zivilkommissars; 1824 ward er zum Staatssekretär, darauf zum Direktor der Domänen und zum Vikomte befördert. Nach Rücktritt
des Ministeriums Villèle zum Minister des Innern ernannt, erlangte er im neuen Ministerium durch seine versöhnliche,
gemäßigte Haltung gegen die Liberalen und seine staatsmännische Einsicht den überwiegenden Einfluß. Er begann
eine zweckmäßige Reform der Verwaltung und entfernte viele dem Volk verhaßte Personen aus derselben. Er erkannte namentlich
die Notwendigkeit einer Dezentralisation des Verwaltungsorganismus, um eine gesunde Entwickelung zur Freiheit zu ermöglichen,
und legte 1829 der Kammer ein Munizipal- und Departementalgesetz vor, welches indes trotz der glänzenden Verteidigung Martignacs
nicht die Zustimmung derselben fand.
Infolgedessen sah er sich genötigt, vom Ministerium zurückzutreten. Martignac
hielt sich nun 1830 in der Deputiertenkammer
zur Opposition und war unter denen, welche die Adresse der 221 unterstützten. Dennoch trat er nach der Julirevolution in der
Kammer als Verteidiger des Charakters Karls X. auf und führte mit edler Freimütigkeit in dem Prozeß gegen
die Exminister die Verteidigung Polignacs. Er starb Nach seinem Tod erschien von ihm: »Essai historique sur la révolution
d'Espagne et sur Intervention de 1823« (Par. 1832, 3 Bde.).
Vgl. Daudet, Le
[* 6] ministère de Mons.
[* 7] de Martignac
(Par. 1875).