Malaien
(Oran Malaju, »herumschweifende
Menschen«). Man unterscheidet eine malaiische
Rasse oder
einen malaiischen
Stamm und das
Volk der Malaien
im besondern. Die malaiische
Rasse, welche von neuern Ethnographen nach den Körpermerkmalen
nur als Unterabteilung der
Mongolen angesehen wird, umfaßt nicht nur die eigentlichen Malaien
Sumatras und
Malakkas sowie die Javaner,
sondern auch die braunen
Stämme mit schlichtem
Haar,
[* 2] die unter dem
Namen
Polynesier über alle tropischen
oder subtropischen
Inseln der
Südsee sich zerstreut haben.
Auch die
Hova auf
Madagaskar
[* 3] gehören zur malaiischen
Familie. Es hat sich dieser Menschenschlag von den
Komoren bis zur
Osterinsel,
vom 61. bis 268. Längengrad, und zwischen
Hawai
[* 4] und
Neuseeland, also über 70 Breitengrade, ausgedehnt.
Als Ausgangspunkt muß man den Südosten des südasiatischen
Festlandes ansehen. Vom linguistischen und kulturhistorischen
Standpunkt aus zerfällt die malaiische
Rasse in zwei große Abteilungen: eine westliche, die Malaien
im engern
Sinn, und eine östliche,
die
Polynesier, zu denen
Fr.
Müller ethnologisch auch die Melanesier rechnet.
Nach den
Traditionen, welchen in ihrer Übereinstimmung historische Bedeutung beigemessen werden kann,
stellt sich heraus, daß die Malaien
sich zuerst über die
Inseln des
Indischen Archipels bis
Buro verbreiteten und erst von da aus
zur
Samoa- und Tongagruppe in der
Südsee vorrückten, um von diesem
Zentrum aus die polynesischen
Inseln zu bevölkern. Als
Zeitpunkt der Trennung in westliche und östliche Malaien
nimmt
Fr.
Müller das Jahr 1000
v. Chr. an. Was die
Körpermerkmale der Malaien
betrifft (vgl. Tafel
»Asiatische
Völker«),
[* 5]
so gehören die asiatischen Malaien
unter die kleinen
Völker,
während die polynesischen Malaien
durch Körpergröße hervorragen. Namentlich die erstern haben viel mit den
Mongolen gemein,
wie das lange, straffe
Haar, den spärlichen Bartwuchs, eine Trübung der Hautfarbe vom
Weizen- und Ledergelb
bis zum tiefen
Braun, vorstehende Jochbogen und teilweise schiefe Augenstellung. Innerhalb der asiatischen Malaien
sind wiederum
zwei Grundtypen zu erkennen, ein eigentlicher malaiischer und ein battascher, letzterer größer, stärker, mit hellerer
Hautfarbe und lichterm
Haar und weniger hervortretenden Backenknochen.
Die asiatischen Malaien
sind mesokephal, die
Polynesier brachykephal; bei beiden ist die
Höhe des
Schädels ebenso groß oder auch
ein wenig größer als dessen
Breite.
[* 6] Der Prognathismus bleibt in mäßigen
Grenzen.
[* 7] Je näher die Sitze der Malaien
dem asiatischen
Festland liegen, desto häufiger wird die schiefe
Stellung der
Augen, wodurch sie körperlich den Bewohnern
im
O. der
Alten Welt naherücken. Über die
Sprachen der s.
Malaiisch-polynesische Sprachen.
Die malaiische Völkerabteilung (mit Ausschluß der Polynesier) wird in folgende Unterabteilungen oder Stämme gesondert:
1) Die Tagalen oder Bisaya auf den Philippinen, zum Teil vermischt mit den schwarzen, bis auf geringe Reste von ihnen verdrängten Urbewohnern (sogen. Negrito). An sie sind, nach den Sprachmerkmalen, die Bewohner von Formosa und den Suluinseln anzuschließen.
2) Die eigentlichen Malaien
auf
Malakka und
Sumatra.
3) Die
Sundanesen im W. der
Insel
Java, ein
Volk, welches als Mittelglied zwischen den Malaien
,
Javanern und
Batta
gelten kann.
4) Die Javaner auf der Ostseite der Insel Java, das gebildetste Volk der malaiischen Rasse, dem sich die Balinesen und Maduresen anschließen.
5) Die Batta oder Battak im Innern von Sumatra mit den Bewohnern der Nias- und Batuinseln, denen die Hova auf Madagaskar, nach der Sprachverwandtschaft zu schließen, am nächsten stehen.
6) Die Dajak oder, wie sie sich selbst nennen, Olo-Ngadschu auf Borneo, zu denen die Ot-Danom im Innern und die Biadschu im S. von Borneo gehören.
7) Die Makassaren im SW. und die Buginesen auf der Südwest- und Südostspitze von Celebes.
8) Die als Alfuren bezeichneten Bewohner des Nordens von Celebes und der Molukken.
Vgl. Tafel »Asiatische Völker«, [* 5] Fig. 19-24.
Die eigentlichen Malaien
haben ihren Hauptsitz auf der
Halbinsel
Malakka und in
Sumatra (wo die Atschinesen und Lampong sich ihnen
eng anschließen), von wo sie als Handelsvolk sich über den ganzen Archipel ausgebreitet und ihre wohlklingende
Sprache
[* 8] dermaßen zur Geltung gebracht haben, daß diese von
Ceylon
[* 9] bis
Neuguinea als eine Art
Lingua franca gilt. Der arabische
Priester, der chinesische Glücksritter, der armenische
Kaufmann, der europäische
Schiffskapitän reden dort
Malaiisch, das
auch die Befehlssprache der
Holländer bei allen Regimentern eingeborner
Soldaten ist (s.
Malaiische Sprache und Litteratur).
Neben dieser Bedeutung, welche den Malaien
durch ihre
Sprache in der ostasiatischen Inselwelt zukommt, gewannen sie noch dadurch
Bedeutung, daß ihre
Priester die Verbreiter des im 13. Jahrh. von ihnen angenommenen
Islam daselbst wurden. Indessen waren
sie als handeltreibendes
Volk duldsam gegen die
Bekenner andrer
Glaubenslehren und teilten den
Fanatismus
vieler ihrer
Priester nicht; auch nehmen sie es mit den eignen religiösen Vorschriften nicht zu genau. In Bezug auf geistige
Begabung und Rührigkeit übertrifft der eigentliche Malaie alle andern
Stämme seiner
Rasse; wir finden bei ihm vorzugsweise
jene
Eigenschaften, die mit einem kühnen, der sozialen
Stellung sich bewußten
Charakter verknüpft sind:
eine ungemessene Leidenschaftlichkeit, von der das sogen.
Amucklaufen (s. d.) zeugt, ein beinahe krankhaftes
Ehrgefühl, eine
bis zur
Tollkühnheit gesteigerte Todesverachtung, dabei aber auch eine gewisse Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.
Als kühne, unternehmende Seefahrer und Kaufleute waren sie dem
Ackerbau wenig zugeneigt, doch ist die
Kultur des
Reises bei
ihnen eine uralte. Da die Malaien
ihre
Felder von Leibeignen bebauen lassen, so ist die
Sklaverei bei ihnen
eine sehr alte
Institution. Lieferten siegreiche
Kriege nicht genug Sklaven, so waren es die
Ärmern unter ihnen und besonders
die in
Schulden Verfallenen, welche ihre
Person dem
Gläubiger als Sklaven verpfänden mußten. Die politische
Staatseinrichtung der Malaien
hat einen aristokratischen
Charakter.
An der
Spitze des
Staats steht der Monarch mit dem
Titel
Radscha,
Maharadscha, Dschang di Pertuan. Ihm zur Seite stehen die
Großen
des
Reichs, die
Oran Kaja. Sie verwalten die einzelnen
Provinzen als
Vasallen des Monarchen, dem sie ihren
Tribut zusenden. Der
Thronfolger heißt
Radscha Muda (»junger Herrscher«). Unter den
Oran Kaja wählt der
Fürst die höchsten
Beamten des
Reichs, welche Mantri heißen. Am reinsten zeigte sich malaiisches
Wesen in dem großen
Reich Menangkabau auf der
Hochebene
Agam
(Sumatra), welches 1680 zerfiel, als
Sultan Alif ohne direkte
Erben starb.
Politische
Herren der Malaien
sind
die
Holländer geworden, welche den
Fürsten die Unabhängigkeit nahmen, aber weder
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mehr
Religion noch Gesetze und Gebräuche des Landes antasteten. Als Handwerker sind die Malaien
ausgezeichnet; besonders berühmt sind
die Produkte der Weberei
[* 11] und Färberei, die Lederfabrikation, Tischlerei und Drechslerei, die Waffenfabrikation und Goldarbeiterkunst.
Mit der Gewinnung und Bearbeitung des Eisens sind die Malaien seit langem bekannt, scheinen auch selbständig auf die
Bereitung des Stahls gekommen zu sein. Ihre Schiffe
[* 12] (Prauen, Prahus) besitzen alle Eigenschaften vortrefflicher Segler.
Als Handwaffen gelten ihnen der Klewang, ein fast meterlanges Schwert, und der Kris [* 13] (Dolch). [* 14] Schleuder [* 15] und Blasrohr mit kleinen vergifteten Pfeilen sind durch die Flinte verdrängt worden. Unter den Verteidigungsmitteln sind die im Gras verborgenen zugespitzten Pflöcke zu nennen. Daß die Malaien geringe Neigung zum Ackerbau zeigen, wurde schon erwähnt; dagegen liegt ihnen das Seeräuberhandwerk tief im Blut. Seit Jahrhunderten waren sie zur See der Schrecken aller Nationen, und ihre schnell segelnden Prauen, die mit langen Kanonen (Lilas) bewaffnet waren, durchsegelten in ganzen Flotten den ostasiatischen Archipel, bis die holländischen Kriegsfahrzeuge ihnen allmählich das Handwerk legten, ohne indessen verhindern zu können, daß auch noch jetzt sporadisch der Seeraub vorkommt.
Einfach und zweckmäßig, dem Klima [* 16] entsprechend, sind die Wohnungen der Malaien. Steinerne Gebäude kennen sie nicht; sie errichten ihre Behausungen aus Holz [* 17] oder Bambus auf Pfählen, decken sie mit Atap (dem Laub der Nipapalme) und schmücken sie mit Matten aus. Eine Treppe [* 18] führt von außen zur Plattform des Hauses hinauf; die Feuerstelle liegt außerhalb desselben. Mehrere Häuser bilden ein Dorf, das mit einer Erdmauer oder Palissaden umgeben wird und in der Mitte einen freien gepflasterten Platz für die Volksversammlungen hat.
Der Raum unter der Hütte dient als Stall für das Kleinvieh. Nach dem geltenden Gesetz erwirbt der Malaie seine Frau durch Kauf, wofür er unumschränkter Herr derselben wird, so daß er sie wieder verkaufen und nach seinem Tod vererben kann. Diese Art der Heirat heißt Tschutschur. Ist aber der Bewerber arm, und will er doch eine Frau besitzen, so heiratet er nach der Methode Ampel anak, d. h. er tritt als Sklave bei seinen Schwiegereltern ein und erhält dafür eine Frau. Die von den Holländern zu Recht belassenen Gesetze (adat) sind teils dem Koran entnommen, teils sind sie Überreste altmalaiischer und indischer Rechtsgebräuche.
Diebstahl wird mit Geldbußen bestraft, auch die Todesstrafe kann durch Zahlung abgekauft werden. Im übrigen zeigen sich die als ein kriegerisches Volk, bei welchem selbst die Gesetzgebung den Gebrauch der Waffen [* 19] und der Selbsthilfe begünstigt. Wer von jemand thätlich beleidigt wird, hat das Recht, mit seinem Gegner einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen; nach dem Adat gilt das Neffenerbrecht (Schwestersöhne erben statt der eignen Kinder). Zur Charakteristik der Malaien gehört noch die Erwähnung ihrer Spielwut.
Außer dem Würfel- und Kartenspiel (mit chinesischen Karten) spielen sie gern Schach; alle kauen Betel. Malaiische Staaten von hervorragender Bedeutung existieren heute nicht mehr, sie befinden sich fast alle in größerer oder geringerer Abhängigkeit von den Engländern und Holländern. Noch unabhängig sind auf Sumatra Dehli und Siak, auf der Halbinsel Malakka Pahang, Dschohor und Negri Sembilan; unter britischem Protektorat stehen Perak, Salangor und Sunghei Udschong.