Magnētische
Kuren, auf Anwendung des sogen. tierischen Magnetismus beruhende Heilversuche. Der tierische Magnetismus [* 2] (Lebens-, Zoo- oder Biomagnetismus, Mesmerismus) galt im Sinn der ältern Naturwissenschaft als eine hypothetische Kraft, [* 3] die man unpassenderweise mit dem Magnetismus verglichen hat, weil sie, wie dieser, durch Bestreichen geweckt oder von dem »Magnetiseur« auf den Kranken übertragen werden sollte, um in wohlthätiger Weise auf das Nervensystem desselben einzuwirken.
Der Entdecker des sogen. tierischen
Magnetismus,
Mesmer (s. d.), studierte um 1772 die
Wirkung des
Magnets
auf den menschlichen
Körper und bemerkte hierbei, daß auch ohne Anwendung des
Magnets, durch bloßes
Streichen mit den
Händen,
eigentümliche
Wirkungen hervorgebracht wurden, die eine rätselhafte, auf den menschlichen
Organismus wirkende
Kraft zu bekunden
schienen. Er machte davon Anwendung zur
Heilung von
Krankheiten und erregte durch seine glücklichen sogen.
magnetischen
Kuren großes Aufsehen.
Wienholdt,
Olbers,
Bökmann und
Gmelin suchten die
Lehre
[* 4] von dieser vermeintlichen
Kraft wissenschaftlich zu begründen. Wolfart,
ein
Schüler
Mesmers, gründete eine magnetische
Heilanstalt in
Berlin;
[* 5]
Kieser,
Hufeland,
Passavant,
Baader,
Ennemoser u. a. schrieben
zustimmend und anerkennend über tierischen
Magnetismus. Es bildete sich eine
Theorie heraus, nach welcher
den
Fingern, den
Augen, dem
Hauch des sogen.
Magnetiseurs ein eigentümliches ätherisches
Fluidum entströmen sollte, eben dieser
tierische
Magnetismus, welcher durch den bloßen energischen
Willen sogar in weite
Ferne entsendet werden könnte, um in der
»magnetisierten«
Person höchst merkwürdige Nervenzustände zu erzeugen.
Kieser bezeichnete diese Kraft als Tellurismus oder, soweit sie von Metallen ausströmt, als Siderismus; Gmelin, Passavant u. v. a. wollten den Nervenäther darin erkennen; am meisten Beifall aber fand der Freiherr von Reichenbach, [* 6] indem er in der Ausströmung der Hände eine besondere, bis dahin unbekannte, wohlcharakterisierbare Naturkraft, das Od (s. d.), nachzuweisen bemüht war. Zunächst äußert sich die Wirkung der in verschiedener Weise und besonders über die leidenden Körperteile geführten Striche in der Erzeugung eines mehr oder weniger tiefen Schlafs, der indessen durch Braids Beobachtungen 1843 (s. Hypnotismus) seines geheimnisvollen Charakters entkleidet worden ist.
Bei besonders dazu neigenden Personen sollte sodann der Tiefschlaf bald in den Zustand des Schlafwachens oder Somnambulismus (s. d.) übergehen, in welchem Fragen beantwortet werden und angeblich das geistige Vermögen der Betreffenden, von den gewöhnlichen Fesseln befreit, nicht nur den Zustand des eignen Körpers völlig durchschauen, sondern auch die geeigneten Heilmittel für denselben erkennen, ja in den gesteigerten Zuständen dieses Schlafwachens, die man als Hochschlaf oder Hellsehen bezeichnet, die Vergangenheit, Zukunft und räumliche Ferne durchdringen sollte.
Man erzählt zahlreiche, wahrscheinlich niemals genau untersuchte
Fälle, in denen so behandelte
Personen mit den Fingerspitzen
verschlossene
Briefe gelesen und alle
Dinge erkannt haben sollen, die man ihnen wohlverschlossen auf die
Magengrube gelegt,
woraus dann weiter geschlossen worden ist, daß das sogen. sympathische
Nervengeflecht mit seinen
Ganglien das eigentliche
Organ für diese geheimnisvollen Seelenkräfte sei. Nach Beendigung des somnambulen
Zustandes fehlt übrigens meist alle
Erinnerung an das in demselben Erträumte und Geschehene, wie auch der
Körper während
desselben sich unempfindlich gegen schmerzende
Eingriffe bewährt, oft sogar in
Starrkrampf übergeht,
den der
Wille und Befehl des
Magnetiseurs allein aufheben soll,
Erscheinungen, die man oft auf die Schaubühne gebracht hat.
Infolge der magnetischen
Manipulation und des dadurch bewirkten
Somnambulismus entsteht angeblich zwischen
Magnetiseur und Somnambule
ein sogen. magnetischer
Rapport, worunter man sich eine Art von
Lebens- und Empfindungsgemeinschaft vorzustellen
hat, vermöge deren der
Wille des
Magnetiseurs auf die organischen und geistigen
Funktionen der Somnambule einen bezwingenden
¶
mehr
Einfluß erhalten soll, während der letztern gleichzeitig die Seelenzustände des Magnetiseurs direkt zum Bewußtsein kommen
sollen. Angeblich sollten selbst leblose Gegenstände zu Trägern des tierischen Magnetismus gemacht werden können, und in
dieser Auffassung bediente sich Mesmer eines sogen. magnetischen
Baquets, eines mit Wasser und Eisenfeile gefüllten hölzernen
oder gläsernen Bottichs, den er mit seinem magnetischen
Fluidum lud, und aus welchem eine ganze Anzahl
von Kranken gleichzeitig durch eiserne Handhaben dasselbe bezog.
Die Zeit, in welcher der Mesmerismus in Blüte [* 8] stand, und in welcher man alle Heilwunder der Religionsstifter und Thaumaturgen auf denselben zurückführen zu können glaubte, liegt weit hinter uns. Anderseits hat das Studium des Hypnotismus erkennen lassen, daß jene Erscheinungen doch nicht so ganz dem Gebiet der Selbsttäuschung und des Betrugs angehören, wie man vor einigen Jahrzehnten anzunehmen geneigt war, und man begreift es jetzt, daß so viele ausgezeichnete Ärzte und Naturforscher früher an eine geheimnisvoll überströmende Kraft des Magnetiseurs geglaubt haben. Da nun die Experimente am leichtesten mit hysterischen, schon infolge ihrer Krankheit zu phantastischen Täuschungen und Betrügereien hinneigenden Personen gelangen, so erklärt sich, daß in einer Zeit, die schon an sich zu einer mystischen Auffassung der Dinge bereit war, aus auffallenden, aber der neuern Physiologie und Psychologie bis zu einem gewissen Grad vollkommen verständlichen Erscheinungen falsche Schlüsse gezogen wurden, worauf sich ein vollständiges, aus Wahrheit und Dichtung gemischtes Lehrsystem aufbaute.
Selbst gewisse Heilwirkungen bei Nervenübeln, widernatürlichen Muskelkontraktionen u. dgl. können von den betreffenden Manipulationen erwartet werden, aber nicht eine allgemeine Disposition zur Heilung aller möglichen Übel oder gar prophetische Eingebungen des Heilmittels und die sonstigen übernatürlichen Leistungen.
Vgl. Obersteiner, Der Hypnotismus in seiner medizinischen und forensischen Bedeutung (Wien [* 9] 1887);
Geßmann, Magnetismus und Hypnotismus (das. 1887);
Binet und Féré, Le [* 10] magnétisme animal (Par. 1886), sowie die unter Hypnotismus angegebene Litteratur.
Nur von
historischem Interesse, nicht aber von eigentlich wissenschaftlichem Wert sind heute die Schriften von
Mesmer, Wolfart, Stieglitz, Nees v. Esenbeck (»Entwickelungsgeschichte
[* 11] des magnetischen
Schlafs und Traums«, Bonn
[* 12] 1820),
Kieser (»Tellurismus«, Leipz. 1822),
Ennemoser (»Der Magnetismus im Verhältnis zur Natur und Religion«, 2. Aufl., Stuttg. 1853),
Carus (»Über Lebensmagnetismus«, Leipz. 1857),
Perty (»Die mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur«, 2. Aufl., das. 1872).