Magīe
(Ars magica), die vermeintliche
Kunst, durch geheimnisvolle, übernatürliche
Mittel wunderbare
Wirkungen hervorzubringen,
im allgemeinen gleichbedeutend mit
Zauberei. Den
Namen Magie
erhielt bei den Griechen und
Römern namentlich jene Form der
Zauberei,
welche von den babylonischen
Magiern zu den
Medern, Persern und
Parthern gekommen war und sich von da über
den
Orient und auch den
Occident verbreitet hatte. Die Entzifferung der Keilschriftenbibliothek von
Ninive hat gezeigt, daß
die chaldäischen
Magier nicht mit Unrecht bei den Alten als die
Urheber der Magie
galten, und aus Bruchstücken des ältesten
Zauberbuchs der
Welt geht hervor, daß fast alle
Details unsers Zauberglaubens chaldäischen oder vielmehr akkadischen Ursprungs
sind. In ihren Hauptgrundzügen gehört die Magie
den niedrigsten
Stufen der
Zivilisation an, und nur bei den rohesten Völkern
steht sie noch in Ansehen. In einer Zeit, wo der unwissende
Mensch die ganze
Natur für durch
Geister belebt
ansah und seine
Götter, die er sich nach menschlicher Art vorstellte, als Naturwesen den
Naturgesetzen unterworfen dachte,
mußte er auch leicht zu dem
Glauben kommen, daß er sich durch allerlei
Formeln und
Zeremonien, durch eine besondere Lebensweise
u. dgl. in den
Besitz geheimnisvoll wirkender
Kräfte setzen konnte, die stärker als die
Götter seien,
und daß ihm diese dadurch dienstbar werden müßten. Je tiefer der allgemeine Bildungszustand war, um so leichter konnten
einzelne
Personen sich den
Ruf verschaffen, Macht und Einfluß auf die übernatürlichen
Wesen auszuüben und andre
Menschen
entweder den
Dämonen preisgeben, oder sie vor ihren
Angriffen schützen zu können.
Die gesamten niedersten Kulte bewegen sich in Vorstellungen, die man eher als Zaubereisystemen denn als einer Religion angehörig betrachten möchte. Bedenkt man, daß das gesamte Fetischwesen (s. d.), die Vorstellungen vom Totem und Tabu (s. d.) das ganze Sinnen der Naturvölker ausfüllen, so ist es nicht zu viel gesagt, wenn man die als niederste Religionsform selbst bezeichnet. Daher fand sich auch vielfach bei höherstehenden Nationen, deren Bildung aber noch nicht so weit vorgeschritten war, um den Glauben an die Zauberei selbst zu zerstören, die feste Überzeugung, daß die magische Kunst den niedern Stämmen des Landes angehöre, welche in der Kultur zurückgeblieben sind. So war im Mittelalter der Name Finne gleichbedeutend mit Zauberer, während der Finne selbst sich vor den magischen Künsten der Lappen fürchtet, und in den längst vergangenen Zeiten nannten in Indien die herrschenden Arier die rohen Eingebornen des Landes »von magischen Kräften erfüllt«, obwohl von andern Völkern den indischen Brahmanen namentlich das Heilen von Krankheiten vermittelst zauberkräftiger Sprüche, das Beschwören von Schlangen, [* 2] die Kunst, sich unsichtbar zu machen, etc. zugeschrieben wurden.
Bei den Persern waren Totenbeschwörung,
Schüssel- und Wasserweissagung heimisch.
Schon die Chaldäer haben die
Astrologie
[* 3] in den
Dienst der Magie
gezogen, und von ihnen kam letztere zugleich mit dem Sternenkultus zu den
syrischen und phönikischen Volksstämmen. Bei den
Juden finden wir insbesondere den
Glauben an
Beschwörung der
Toten und der
unsaubern
Geister, welche die Besessenheit erzeugen. Als der größte und weiseste Zauberer erscheint
Salomo, dem nach der
Sage namentlich die Macht über viele
Geister verliehen war. In
Kolchis und
Phrygien stand die Magie
im innigsten
Zusammenhang mit dem religiösen
Kultus und der Kenntnis stark wirkender Arzneistoffe. In
Ägypten
[* 4] trieb man
Astrologie und
stellte die
Nativität, und da das Land besonders reich an sogen. Zauberkräutern war, war auch die
Medizin mit der Magie
eng verbunden.
Vieles aus der orientalischen Magie
mag zu den
Hellenen übergegangen sein. Gleichwohl sind schon bei
Homer und in der Zeit bis
zu den
Perserkriegen zahlreiche
Erscheinungen zu finden, welche dem Gebiet der Magie
angehören, ohne aus der
Fremde herzurühren,
so: das
Besprechen des
Bluts, der Wundertrank der
Helena, der Zaubergürtel der
Aphrodite,
[* 5] der Zauberstab
des
Hermes,
[* 6] die
Verwandlung des
Odysseus und seiner
Gefährten in
Schweine,
[* 7]
Löwen
[* 8] etc. durch den
Stab
[* 9] und Zaubertrank der
Kirke,
der Gegenzauber durch das
Kraut
Moly etc. Auch bei den Griechen hängt die Magie
aufs innigste mit der
Religion zusammen, wie dies
besonders bei dem alten pelasgischen
Kultus und den
Orakeln mit ihren
Höhlen, Erddämpfen,
Quellen, geheimnisvoll
rauschenden
Bäumen etc. hervortritt.
Die
Natur wurde mit einer Unzahl dämonischer
Wesen angefüllt und auch die
Unterwelt mit denselben bevölkert. Selbst die
Philosophie
war nicht
frei von zauberhaften
Anschauungen und
Elementen. Neben
Orpheus
[* 10] tritt
Pythagoras als Zauberer auf, und
die Bedeutung der Zahl als kosmischen
Prinzips, die
Vorstellung von der zehnsaitigen Weltlyra, die auf der Zahl beruhende dynamische
Harmonie des Allgemeinen und Einzelnen sind Grundlagen der philosophischen Magie.
Bei
Platon erscheinen die
Dämonen als höhere,
mächtigere Mittelwesen, von denen Zauberwirkungen abgeleitet werden. Aus diesen
Elementen bildete sich die theurgische
Magie
der Neuplatoniker, nach deren
Ansicht die
Seele ein Ausfluß
[* 11] des
Absoluten und daher mit unendlicher Wirkungskraft ausgerüstet
¶
mehr
ist. Ihr sinnliches Leben ist ein Zustand der Verzauberung, die Körperwelt ein Komplex sympathischer und antipathischer Beziehungen
und Verhältnisse, welche die Götter selbst den Menschen bekannt machen, die nun durch deren Kenntnis Kraft
[* 13] und Macht auch
über jene erhalten. Durch strenge Asketik und genaue Befolgung der religiösen Zeremonien tritt die Seele
mit den guten Göttern in Verbindung, ja sie wird eins mit dem Absoluten. Die Neuplatoniker unterschieden nun und Goëtie (»Zauberei«)
und betrachteten ihre magische Thätigkeit nicht als Zauber, obwohl sie ein gutes Teil der gewöhnlichen Zaubermittel anwendeten.
In Rom,
[* 14] wo namentlich das Divinationswesen mit dem Staatsorganismus eng verbunden war, fand die ausländische
Magie
früh schon Eingang und Verbreitung, obwohl von Zeit zu Zeit Edikte dagegen erlassen wurden.
Nur die Astrologie blieb in Rom ein fremdes Element. Im Mittelalter unterschied man höhere und niedere, weiße und schwarze
Magie
, je nachdem man den beabsichtigten Zauber durch himmlische oder irdische Kräfte zu erreichen, gute
oder böse Geister dazu verwenden zu müssen glaubte. Von großem Einfluß darauf war der Glaube an den Teufel und die ihm untergebenen
Geister, und die wichtigste und traurigste Folge dieses Wahns war der Glaube an die Teufelsbündnisse (s. Hexe).
Vieles, was man früher in das Gebiet der geheimen Wissenschaft und der Magie
zog, hat jetzt durch die genauere
Erkenntnis der Natur und ihrer Gesetze alles Wunderbare verloren; doch hält der Volksglaube noch an vielen magischen Wirkungen
(z. B. sympathetische Mittel, böser Blick etc.) fest, während andernteils namentlich der Glaube an eine übertragbare Nervenkraft
selbst in gebildeten Kreisen in der neuern und neuesten Zeit zu vielen Vorstellungen Anlaß gegeben hat,
die in das Gebiet der Magie
zu verweisen sind (vgl. Magnetische Kuren).
[* 15]
Ferner hat auch der Glaube an das willkürliche Hervorrufen von Geistererscheinungen und Offenbarungen aus dem Jenseits mittels
begabter Personen (Medien), Spiritualismus oder Spiritismus (s. d.), wieder Bedeutung erlangt. Unter
natürlicher Magie
versteht man heutzutage die Kunst u. Geschicklichkeit, durch physikalische, mechanische und chemische Mittel
Wirkungen hervorzubringen, welche den Ununterrichteten in Erstaunen setzen.
Vgl. Ennemoser, Geschichte der Magie
(2. Aufl., Leipz.
1844);
Salverte, Des sciences occultes (3. Aufl., Par. 1856);
Maury, La magie et l'astrologie (4. Aufl., das. 1877);
Christian, Histoire de la magie (das. 1870);
Lenormant, La magie chez les Chaldéens (das. 1874; deutsch, Jena [* 16] 1878);
A. de Rochas, L'art des thaumaturges dans l'antiquité (Par. 1882);
Fabart, Histoire philosophique et politique de l'occulte, magie, etc. (das. 1885).
Über die als natürliche Entwickelungsstufe des menschlichen Denkens handeln besonders O. Caspari, Urgeschichte der Menschheit (2. Aufl., Leipz. 1877), und Tylor, Anfänge der Kultur (a. d. Engl., das. 1873). Die Mittel der sogen. natürlichen Magie erläutern zahlreiche, teilweise bändereiche deutsche Werke von Wiegleb, Martius, Halle, [* 17] Poppe u. a. Speziellere Nachweisungen gibt Grässes »Bibliotheca magica« (Leipz. 1843).