Mädchensch
ulen.
Die Spuren besonderer Unterrichtsanstalten für die weibliche Jugend sind in den Schriften der Alten selten und unsicher. Jedenfalls hat es derselben im Altertum und im frühern Mittelalter nur wenige als Ausnahmen gegeben, namentlich in Klöstern für die vornehmen Stände. Berühmt ist aus dieser Zeit die weibliche Klosterschule zu Gandersheim, an der die Dichterin Hroswitha wirkte. In den aufstrebenden Städten des spätern Mittelalters werden öfters Jungfrauenschulen erwähnt, die von Lehrmüttern (Lehrbasen, Lehrgotten) geleitet wurden.
Diese zu pflegen und zu verbreiten, waren unter andern die deutschen Reformatoren, namentlich Luther und Bugenhagen, bemüht, während auf römischer Seite mit der Gründung des Ordens der Ursulinerinnen (1537) und namentlich mit dessen Anlehnung an die Gesellschaft Jesu (1604) ein reger Eifer der religiösen Orden [* 3] für die weibliche Bildung erwachte. Doch drang die Erkenntnis, daß Staat und Gemeinde im eignen Lebensinteresse die Schulbildung für beide Geschlechter allgemein zu gewähren haben, erst sehr allmählich durch und ist außerhalb Deutschlands, [* 4] Skandinaviens und der Schweiz [* 5] erst im letzten Menschenalter zur unwidersprochenen Herrschaft gelangt.
Die
Frage, inwieweit zum
Unterricht der weiblichen
Jugend auch auf der
Stufe der allgemeinen Schulpflicht
besondere Mädchenschulen
erforderlich sind, wird in den verschiedenen
Staaten verschieden beantwortet. Bei den romanischen Völkern waltet
die völlige Trennung der
Geschlechter vor; in
Deutschland
[* 6] ist im ganzen der
Grundsatz maßgebend, daß an mehrklassigen
Schulen
die
Geschlechter getrennt unterrichtet, dagegen bei nur zwei
Lehrern die Abstufung in zwei oder drei aufsteigende
Klassen der
Scheidung nach Geschlechtern vorgezogen wird (vgl. Allgemeine
Verfügung des preußischen
Ministers
Falk vom
§ 6). - Auf der mittlern und höhern
Stufe gilt uns die
Absonderung in besondere als unerläßlich.
Doch hat namentlich in
Nordamerika,
[* 7] auch in
England die
Ansicht zahlreiche Vertreter, daß selbst der höhere
Unterricht für
Knaben und Mädchen derselbe sein müsse. Die Geschichte der höhern oder, wie man früher wörtlich nach dem
Französischen sagte, der höhern Töchterschulen (écoles de filles supérieures) weist auf
Fénelons
Schrift
»Sur l'éducation
des filles« (1689). Obwohl diese selbst mehr die sorgfältige häusliche
Erziehung der Töchter vornehmer
Familien bespricht, ist doch namentlich von ihr der
Eifer zur
Gründung höherer Mädchenschulen
in
Frankreich ausgegangen, der sich bald
auch nach
England und nach
Deutschland verbreitete.
Hier war es A. H.
Francke, der 1697 die Fénelonsche
Schrift ins Deutsche
[* 8] übersetzte und 1698 eine Mädchenschule
(Gynaeceum)
in
Halle
[* 9] gründete. Doch kam man im ganzen während des 18. Jahrh. nicht
über tastende
Versuche hinaus. Als Vorbild für alle Mädchenschulen
galt lange das von
Frau v.
Maintenon nach
Fénelons
Ideen mit
Ludwigs
XIV. Beifall und
Beihilfe 1686 gegründete
Haus des heil.
Ludwig zu St.-Cyr bei
Versailles,
[* 10] obwohl auch diesem nur eine
kurze
Blüte
[* 11] beschieden gewesen war.
In der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts gewannen nacheinander J. J.
Rousseau (5.
Buch des
»Émile«:
Erziehung der
Sophie)
und
Frau v.
Genlis (1746-1830) die Leitung. In
Deutschland gingen neben der stillen, die
Franckesche
Richtung weiter verfolgenden
Arbeit der
Brüdergemeinde mannigfache, den philanthropischen
Geist der Zeit atmende
Ansätze. Allmählich
erst entstanden als feste
Punkte im
Schwanken der
Ansichten einzelne öffentliche Anstalten von festerer Prägung, wie die Magdalenenschule
zu
Breslau
[* 12] (1767), die
Luisenstiftung (1811), Elisabethschule (1827), Augustaschule (1832) zu
Berlin,
[* 13] die Elisabethenschule
zu
Frankfurt
[* 14] a. M. (1804), die Ernestinenschule zu
Lübeck
[* 15] (1804), das Katharinenstift zu
Stuttgart
[* 16] (1818),
die Cäcilienschule zu
Oldenburg
[* 17] (1836) u. a. Von diesen ging das Bestreben aus, dem höhern Mädchensch
ulwesen
eine mehr geschlossene Gestalt zu geben.
Begünstigt durch das
Interesse der Zeit an der
Frauenfrage, traten 1872 in
Weimar
[* 18] namhafte Vertreter der höhern Mädchenschulen
zu einem
Verein zusammen, der bis 1880 bereits 14 Zweigvereine und 2300 Mitglieder zählte. In einer
Denkschrift
an die deutschen Staatsregierungen wurden die
Wünsche des
Vereins vorgetragen, die wesentlich auf klarere Abstufung der Mädchenschulen
(in
Volks-,
Mittel- und höhere Mädchenschulen
),
Aufstellung verbindlicher Grundzüge für die
Lehrpläne der verschiedenen
Stufen, strengere
Forderungen an die Vorbildung der
Lehrer und
Lehrerinnen und Gleichstellung der höhern Mädchenschulen
mit den übrigen
höhern Lehranstalten ausgingen. Während in einigen deutschen
Mittel- und Kleinstaaten, namentlich in
Württemberg
[* 19] und
Baden,
[* 20] diese
Forderungen der Hauptsache nach berücksichtigt worden sind, haben die
¶
mehr
preußischen Kultusminister denselben gegenüber sich vorsichtig abwartend verhalten. Minister Fall berief eine Konferenz von
Sachverständigen nach Berlin, die vom 18.-23. Aug. 1873 in Berlin tagte und den Hauptpunkten des Weimarer Programms beitrat.
Doch wurde nur eine neue Prüfungsordnung für Lehrerinnen und Schulvorsteherinnen an Mädchenschulen
unterm erlassen, im
übrigen aber alles beim alten gelassen, der wesentlich elementare Charakter des Unterrichts auch in höhern Mädchenschulen
wiederholt
betont und Übertreibungen in einseitig wissenschaftlicher Richtung gelegentlich entgegentreten. Vorzugsweise von dieser nüchternen
Ansicht über die Aufgabe der höhern Mädchenschulen
eingegeben ist auch der 1886 amtlich veröffentlichte Normallehrplan
für die höhern Mädchenschulen
in Berlin.
Vgl. Krusche, Litteratur über weibliche Erziehung und Bildung in Deutschland (Leipz. 1887);
v. Sallwürk, Fénelon und die Litteratur der weiblichen Bildung in Frankreich (Langensalza [* 22] 1886);
Kreyenberg, Die deutsche höhere Mädchenschule (Frankf. 1887).