Mülhausen
[* 2] (franz. Mulhouse), Kreisstadt und wichtiger Fabrikort im deutschen
Bezirk
Oberelsaß, an der
Ill und am
Rhein-Rhônekanal,
Knotenpunkt der
Eisenbahnen
Straßburg-Basel, Mülhausen
-Altmünsterol, Mülhausen-Banzenheim, Mülhausen-Lutterbach, der
Straßenbahn Mülhausen
-Wittenheim
und der
Linie
Müllheim-Mülhausen der
Badischen Staatsbahn, 243 m ü. M., besteht aus der
Altstadt, auf einer von
Armen der
Ill gebildeten
Insel, der
Neustadt
[* 3] (seit 1826), südlich von jener am
Rhein-Rhônekanal, und der im N. gelegenen Arbeiterstadt,
welche 1853 von
Dollfus gegründet ist, aus etwa 1000 ein- und zweistöckigen, durchweg mit Gärtchen versehenen
Wohnungen
besteht (s.
¶
mehr
Arbeiterwohnungen) und mit gemeinschaftlichem Back-, Wasch- und Badehaus, mit Restauration, Bibliothek etc. versehen ist. Der schönste Teil der Stadt liegt am Kanal. [* 5] In der Nähe desselben befindet sich auch der dreieckige Börsenplatz, der Mittelpunkt des neuen Quartiers mit seinen modernen Bauten. Die Straßen sind im allgemeinen breit und nur in der Altstadt etwas unregelmäßig und eng. Die Stadt hat 2 evangelische und 3 kath. Kirchen (unter jenen die Stephanskirche mit einem 100 m hohen Turm und [* 6] die französisch-reform. Kirche, unter diesen die neue kath. Kirche, ebenfalls mit einem 100 m hohen Turm), eine Synagoge, ein Rathaus (von 1551) etc. Die Zahl der Einwohner beläuft sich (1885) mit der Garnison (ein Infanteriereg. Nr. 17 und ein Infanteriebat. Nr. 114) auf 69,759, meist Katholiken. ist eine Fabrikstadt ersten Ranges.
Den Grund zu der großartigen Industrie legten 1746 Samuel Köchlin, Joh. Jak. Schmelzer und J. ^[Johann] Heinr. Dollfus mit der Begründung einer Fabrik für bunte Baumwollgewebe, für welche gegenwärtig in der Stadt über 16,000 und in den Dörfern der Umgegend über 60,000 Arbeiter beschäftigt und 14 Baumwollspinnereien mit 525,000 Spindeln, 5400 mechanische Webereien, zahlreiche Kattundruckereien etc. thätig sind. Wichtig sind ferner: eine Eisenbahnwerkstätte, Woll- u. Kammgarnspinnerei, Eisen-, Kupfer- und Bleigießerei, zahlreiche Färbereien, Zeichner- und Walzenstecherateliers, Fabriken für Nähgarn, Leinwand, Tuch- und Wollwaren, chemische Produkte, Näh- und Spinnmaschinen, [* 7] Maschinenöl, Farben, Fayenceöfen, Stärke, [* 8] Bürsten, Zement, Senf, Seilerwaren, Herde u. Kochmaschinen, [* 9] endlich Dampfsägemühlen, Bierbrauerei, [* 10] Ziegelbrennerei und Schiffbau.
Der lebhafte Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbankstelle und mehrere Bankinstitute, befaßt sich vorzugsweise
mit den Erzeugnissen der dortigen Industrie; außerdem bilden Wein, Getreide,
[* 11] Spezereien, Holz
[* 12] etc. einen
bedeutenden Handelsartikel. An Bildungs- und andern ähnlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium, eine Gewerbeschule,
ein Lehrerinnenseminar, ein Gemälde- und Kunstmuseum, eine Mustersammlung (Industriemuseum) von Produkten aller Länder, eine
Schule für Spinnerei und Weberei
[* 13] etc. Die städtischen Behörden setzen sich zusammen aus einem
Bürgermeister, 2 Beigeordneten und 33 Stadträten. Sonst ist Mülhausen
Sitz des Kommandos der 58. Infanteriebrigade, der Kreisdirektion,
eines Landgerichts, eines Hauptsteueramtes und dreier Oberförstereien. - Zum Landgerichtsbezirk Mülhausen
gehören die elf Amtsgerichte
zu Altkirch, Dammerkirch, Hirsingen, Hüningen, Masmünster, Mülhausen
, Pfirt, St. Amarin, Sentheim, Sierenz und Thann.
- Die ersten Nachrichten über Mülhausen
stammen von 717, wo Adalbert, Herzog von Elsaß, an das Stephanskloster zu Straßburg
[* 14] verschenkte. 823 besaß
die Abtei Masmünster Mülhausen.
Im 13. Jahrh. stritten die Hohenstaufen mit den Bischöfen von Straßburg um die Stadt; nachdem sie diesen 1221 durch
Schiedsspruch überwiesen war, verlieh sie Bischof Berthold I. dem Kaiser Friedrich II. als Lehen, zog sie
aber, als dieser dem Bann verfiel, ein.
Rudolf von Habsburg nahm 1261 die Stadt in Besitz und erhob sie später als König zur Reichsstadt. Das Bistum Straßburg wurde 1308 von
Heinrich VII. für seine Ansprüche entschädigt.
Später ist Mülhausen
oft verpfändet worden, erlangte aber
seine Reichsfreiheit immer wieder. Vielfach hatte es im Mittelalter durch Kriege zu leiden. Seine Bürger widerstanden 1365 den
englischen Kompanien, 1375 dem Einfall Enguerrand de Coucys und 1445 den Armagnaken. Nachdem es schon 1466 ein Bündnis mit Bern
[* 15] und
Solothurn
[* 16] geschlossen, trat es 1515 dem Schweizerbund bei.
Die Reformation wurde in Mülhausen
1528 eingeführt. Der Westfälische Friede stellte Mülhausen
in die Reihe der Schweizer Staaten; ringsherum
gewannen nun die Franzosen Terrain, die unter Turenne in der Nähe die Kaiserlichen unter Bournonville besiegten. Die
Industrie ward 1746 (s. oben) begründet und hatte bereits einen hohen Aufschwung gewonnen, als, durch
die äußern Verhältnisse gezwungen, Mülhausen
1797 die Einverleibung in Frankreich nachsuchte, die 1798 stattfand.
Mit der Vollendung des Rhein-Rhônekanals (1829) und der Anlage der Eisenbahnen erfolgte eine neue Entwickelung der Stadt, die
durch die Einwanderung zahlreicher katholischer Arbeiter nach und nach ihren protestantischen Charakter
verlor, unter französischer Herrschaft sich aber stets durch republikanische Gesinnung auszeichnete. Der Anschluß an Deutschland
[* 17] (1871) brachte der Stadt augenblicklichen Nachteil, der indessen gegenwärtig schon wieder ausgeglichen
sein dürfte. ist Geburtsort des Mathematikers Lambert, dem ein Denkmal auf dem Platz vor der Gewerbeschule errichtet ist. Die
Geschichte von Mülhausen
beschrieben Mieg (Mülh. 1816), de Sablière
(das. 1856), Metzger (Lyon
[* 18] 1883).
Vgl. auch Moßmann, Cartulaire de Mulhouse (Straßb. 1883-85, 3 Bde.);
Schall,
[* 19] Das Arbeiterquartier von Mülhausen
(2. Aufl., Berl.
1877);
Grad, Études statistiques sur l'industrie de l'Alsace, Bd. 1 (Kolmar [* 20] 1879);
Herkner, Die oberelsässische Baumwollindustrie (Straßb. 1887).