Lyssa
,
s. Tollwut.
Lyssa
9 Wörter, 60 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Lyssa,
s. Tollwut.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Lyssa
(grch.), s. Hundswut ^[= (Wutkrankheit, Tollwut, Wasserscheu, Lyssa, Rabies canina), eine eigentümliche, schon im Altertum ...] und Tollwurm.
(Wutkrankheit, Hundswut, Wasserscheu, Lyssa, Rabies canina), eine Krankheit, welche vermutlich ursprünglich bei Hunden, vielleicht auch bei Wölfen und Füchsen entsteht, gewöhnlich aber infolge von Ansteckung zum Ausbruch gelangt. Sie überträgt sich auf Menschen, alle Säugetiere und Vögel, [* 3] wird indes fast ausschließlich durch Hunde, [* 4] bisweilen auch durch Katzen [* 5] und zwar durch Biß verbreitet, während eine Ansteckung durch andre Tiere weniger zu fürchten ist, da diese in der Krankheit nicht beißen.
Die Tollwut der Hunde kommt in zwei Formen, als rasende und stille Wut, vor; nicht selten geht die erste in die zweite über, meist aber besteht die eine Form des Leidens während der ganzen Dauer desselben. Beide Formen sind gleichmäßig ansteckend, und die eine kann die andre hervorrufen. Die Tollwut beginnt mit verändertem Benehmen der Hunde; die Tiere werden mürrisch, hastig, weniger folgsam und verkriechen sich oft. Der Appetit ist vermindert, und bald wird die Aufnahme von Nahrungsmitteln ganz verschmäht.
Dagegen zeigt sich gewöhnlich eine Neigung, ungenießbare Gegenstände zu benagen und selbst herabzuschlucken. Auch plätschern die wutkranken Hunde zuweilen mit der Zunge in kaltem Wasser. Die Ansicht, daß die Hunde in der Tollwut Scheu vor dem Wasser hätten, ist unrichtig. Die Neigung, zu beißen, ist zunächst am meisten gegen andre Hunde und gegen Katzen gerichtet. Nicht selten werden aber auch größere Haustiere und Menschen schon in der ersten Zeit der Krankheit angegriffen. Im weitern Verlauf der Tollwut streben die Hunde, sich aus ihrem etwanigen Gewahrsam zu befreien und von der Kette loszumachen.
Sie laufen ohne erkennbare Veranlassung fort, schweifen nicht selten in entfernte Gegenden, kehren aber zuweilen noch an demselben oder am folgenden Tag wieder zurück. Sie verkriechen sich dann an abgelegenen Orten, um nach kurzer Ruhe abermals zu entlaufen. Gegen ihnen bekannte Personen benehmen sie sich oft freundlich, während sie fremde Personen und Tiere anfallen. Sie beißen gewöhnlich Menschen und Tiere nur ein- oder einigemal, worauf sie weiterlaufen. Zuweilen ist aber die Beißwut so groß, daß der Hund auf alles, was ihm in den Weg kommt, losfährt und selbst in leblose Gegenstände sich mit den Zähnen einige Zeit lang festbeißt.
Die meisten wutkranken Hunde sind schwer abzuwehren, weil sie sich gegen die gewöhnlichen Abwehrmittel unempfindlich zeigen. Die Stimme ändert sich zu einem Mittelding zwischen Bellen und Heulen. Es tritt Schwäche und Lähmung des Unterkiefers und des Hinterteils sowie allmählich zunehmende Abmagerung des Körpers ein. Aus dem offen stehenden Maul fließt zäher Schleim. Die Hunde ziehen sich nach dunkeln Orten zurück oder verkriechen sich in ihren Behältern.
Die Lähmung des Körpers nimmt zu, u. der Tod erfolgt in der Regel nach 5-7 Tagen. Über elf Tage sah man bis jetzt keinen Hund bei Tollwut leben bleiben. Bei der rasenden Wut tritt unter den vorstehenden Erscheinungen besonders hervor: die große Unruhe, die Neigung zum öftern Entlaufen, die große Beißsucht, das häufige eigentümliche Bellen und die kürzere Dauer der Krankheit. Bei der stillem Wut sind sehr bemerkenswert: die Lähmung (Herabhängen) des Unterkiefers, Schwäche und Lähmung des Hinterteils, mehr ruhiges Verhalten, geringere Beißsucht, das Verkriechen an dunkeln Orten und im allgemeinen eine längere Krankheitsdauer.
Die Meinung, daß tolle Hunde immer geradeaus laufen, den Schwanz hängen lassen oder ihn zwischen die Beine ziehen, und daß bei ihnen Speichel aus dem Maul abfließt, ist irrig. Erst später, wenn die Kreuzlähmung sich einstellt, hängt der Schwanz schlaff herab, das Maul aber ist bei tollen Hunden mehr trocken als feucht. Das eigentümlichste und wichtigste Zeichen der Tollwut ist die Veränderung der Stimme und der Art des Bellens. Die Töne sind bald höher, bald tiefer als im gesunden Zustand, immer etwas rauh und heiser, und der erste Anschlag des Bellens geht allemal in ein kurzes Geheul über. ¶
Die Ursachen der primären Erzeugung der Tollwut sind nicht bekannt; ist eine solche überhaupt möglich, so erfolgt sie jedenfalls sehr selten, sekundär entsteht die Krankheit durch Einimpfung des Speichels, an welchen das Kontagium hauptsächlich gebunden ist, in die Bißwunde. Bei hoher Entwickelung der Krankheit findet sich das Kontagium aber auch im Blut, Harn und andern Säften des Hundes. Die Verdauungsorgane und die unverletzte Haut [* 7] scheinen keine besondere Empfänglichkeit für dasselbe zu besitzen.
Das Kontagium ist fix, hängt sich auch an Instrumente, Kleidungsstücke etc. an und behält einige Zeit seine Wirksamkeit. Bei Wiederkäuern und Schweinen entsteht Tollwut immer nur durch den Biß eines tollen Hundes, Fuchses oder andern fleischfressenden Tiers, das Kontagium kann aber auch von Pflanzenfressern auf andre Tiere und auf den Menschen übertragen werden. Der Ausbruch der Krankheit erfolgt nach dem Biß bei Hunden zwischen der 4. und 6. Woche, selten nach 3-6 Tagen oder nach 8-16 Wochen, ganz ausnahmsweise noch später.
Nicht jeder Biß eines tollen Hundes erzeugt Tollwut, besonders dann nicht, wenn die Zähne [* 8] durch den Pelz des gebissenen Tiers oder durch dicke Kleider des Menschen abgewischt, von Speichel befreit werden. Zuweilen wird auch das Kontagium durch reichlich fließendes Blut fortgespült, oder es fehlt bei dem betreffenden Individuum die Disposition. Die Behandlung wutkranker Hunde und Katzen ist wegen der damit verbundenen Gefahr in den meisten Ländern gesetzlich verboten, übrigens auch erfolglos. Es kommt hauptsächlich darauf an, die Krankheit und ihre Folgen zu verhüten.
Dies geschieht am wirksamsten durch möglichst hohe Hundesteuer. Nach dem deutschen Viehseuchengesetz ist von jedem Fall von Tollwut der Polizei sofort Anzeige zu machen. Hunde, welche der Tollwut verdächtig sind, sind sofort zu töten oder bis zu polizeilichem Einschreiten abgesondert in einem sichern Behältnis einzusperren. Letzteres, soweit es ohne Gefahr geschehen kann, besonders dann, wenn der verdächtige oder an der Tollwut erkrankte Hund einen Menschen oder ein Tier gebissen hat.
Ist die Tollwut festgestellt, so ist der Hund sofort zu töten, ebenso alle Hunde und Katzen, welche von demselben gebissen worden sind. Ist ein erkrankter oder verdächtiger Hund frei umhergelaufen, so ist die Festlegung aller Hunde des gefährdeten Bezirks für drei Monate anzuordnen. Dasselbe gilt für Katzen. Kadaver toller Hunde sind vorsichtig an abgelegenem Ort mindestens 2 m tief zu vergraben. Die Berührung mit der bloßen oder gar mit verletzter Hand [* 9] ist sorgfältig zu vermeiden.
Alles, was mit dem tollen Hund in Berührung gekommen war oder von ihm besudelt wurde, ist zu verbrennen oder auszuglühen. Größere Massen von Geifer, Blut etc. übergießt man mit starker Seifensiederlauge, Chlorkalklösung oder Schwefelsäure. [* 10] Die Hundehütte ist zu verbrennen, der Stall gründlich zu reinigen und zu desinfizieren, und niemals darf vor Ablauf [* 11] von zwölf Wochen ein neuer Hund in denselben gebracht werden. Pferde, [* 12] Rinder, [* 13] Schafe, [* 14] Ziegen, Schweine, [* 15] Vögel, die von einem wutkranken Tier gebissen wurden, sind sobald wie möglich tierärztlicher Behandlung und zugleich einer Beaufsichtigung zu unterwerfen.
Kommt die Krankheit zum Ausbruch, so ist der Polizei Anzeige zu erstatten, welche das Tier töten läßt. Die Kadaver sind wie die der Hunde zu behandeln, sie sind ohne Abhäutung tief zu vergraben oder durch Chemikalien, resp. hohe Hitzegrade unschädlich zu machen. Ein Ersatz des Wertes der auf polizeiliche Anordnung getöteten Tiere findet nicht statt. Die Gesetzgeber haben sich gegenüber dieser Frage von dem Gesichtspunkt leiten lassen, daß die Tollwut nach ihrem Ausbruch nur wenige Tage besteht, stets zum Tod führt und deshalb nicht wie Rotz und Lungenseuche längere Zeit verheimlicht werden kann.
In Preußen [* 16] erkrankten und fielen an Tollwut oder wurden deshalb getötet 1884-85: 352, 1885-86: 326, 1886-87: 386 Hunde. Die steigende Zahl der getöteten Hunde, welche mit tollkranken in nähere Beziehung gekommen oder von solchen gebissen worden waren (759, 822, 1247), zeigt, daß diese Maßregel eine ihrer Wichtigkeit entsprechende Beachtung gefunden hat. Von den tollwutkranken ortsangehörigen Hunden entfällt ein so großer und beständig steigender Prozentsatz (bis 86,79 Proz.) auf die östlichen Provinzen, und von diesen ist wieder ein so großer Teil von herrenlos umherschweifenden tollwutkranken Hunden gebissen worden, daß man wohl annehmen darf, die steigende Verbreitung der Tollwut in den östlichen preußischen Provinzen sei auf stets erneute Einschleppung aus Rußland zurückzuführen. Jedenfalls aber ist der Verbreitung der Seuche in diesen Provinzen förderlich, daß hier häufiger als anderwärts viele nutzlose, schlecht gepflegte und wenig beaufsichtigte Hunde gehalten werden. Ferner sind von 1884 bis 1887 in Preußen an Tollwut erkrankt und gefallen, bez. getötet worden: 23 Pferde, 348 Rinder, 80 Schafe und 52 Schweine.
Beim Menschen entsteht die Tollwut ebenfalls nur nach dem Biß eines wutkranken Fleischfressers (Hund, Wolf, Fuchs, [* 17] Katze) [* 18] und zwar nach 2-6 Wochen, auch wohl nach einigen Monaten, so daß die Wunde längst geheilt sein kann, wenn die Krankheit ausbricht. Im ersten Stadium derselben sind die Kranken sehr unruhig, ängstlich und matt, sie verlieren den Appetit, klagen über Übelkeit und Gliederschmerzen, und es stellt sich leichtes Fieber mit Durst und Verstopfung ein. Eitert die Wunde noch, so nimmt sie ein häßliches Ansehen an; war sie bereits geheilt, so wird sie wieder schmerzhaft, und die Schmerzen ziehen sich nach dem Stamm hin.
Bald entsteht Steifigkeit in Hals und Nacken, namentlich beim Schlingen; der Kopf wird eingenommen, das Gesicht [* 19] blaß, der Blick matt, der Puls voll und beschleunigt. Allmählich oder plötzlich entwickelt sich nun das zweite Stadium mit immer heftigern und häufigern Anfällen mit krampfhaften Bewegungen, großer Angst, Verzweiflung, Wut und meist nur geringer Störung des Bewußtseins. Die Kranken haben das Bedürfnis zu beißen, und manche laufen unruhig hin und her.
Sie haben heftigen Durst, aber Widerwillen gegen jedes Getränk. Mitunter tritt schon beim Anblick des Getränks oder doch nach Genuß von wenig Wasser das Gefühl heftiger Zusammenschnürung im Hals oder ein Wutanfall ein, während feste Speisen noch geschlungen werden können. Im dritten Stadium, etwa 1-2 Tage später, tritt Lähmung ein, der Speichel läuft aus dem Mund oder in den Schlund und erregt Erstickungsnot, der Atem wird schnell und röchelnd, der Puls klein, die Stimme rauh und heiser, und der Tod erfolgt in einem Anfall oder ruhig nach einem solchen. Dies Stadium dauert nur wenige Stunden, und so verläuft die ganze Krankheit in 3 Tagen, oft in 24 Stunden. Die Sektion ergibt nichts Besonderes, nur die Schwellung der Milz und der lymphatischen Gebilde ist bemerkenswert. Die Prognose der ausgebrochenen Tollwut ist ganz ungünstig, dagegen sind überhaupt nur wenige Bisse eines tollen Hundes ansteckend, die Mehrzahl der Gebissenen erkrankt nicht. In Preußen starben 1884-87 an Tollwut ¶
sechs Personen. Die Behandlung muß mit energischem Ausblutenlassen der Wunde durch tiefe Einschnitte und aufgesetzte Schröpfköpfe, Ätzungen der Wunde mit Alkalien und rauchender Salpetersäure beginnen. Kleinere, vielfach zerfleischte Glieder [* 21] sind zu amputieren. Außerdem ist eine umsichtige, beruhigende psychische Behandlung unendlich wichtiger als alle Arzneien. In der Diät ändere man wenig und lasse nur die bei jeder Wunde schädlichen Dinge vermeiden.
Gegen die Krankheit selbst sind allerlei Mittel empfohlen worden, die sich aber als nutzlos erwiesen haben. Man beschränkt sich daher auf Morphiumeinspritzungen und Chloroformeinatmungen, sucht bei Wutanfällen zu verhindern, daß der Kranke sich oder andern schaden kann, und wendet dabei möglichst geringen Zwang an. Alles, was den Kranken erregen könnte, namentlich auch das Aufdringen von Flüssigkeiten, ist zu vermeiden. Als Ersatz des Getränks sind nasse Brotkrume, Apfelsinenscheiben, Eisstückchen, Klystiere zu empfehlen, doch nur dann, wenn sie keine Krämpfe erregen. In neuerer Zeit hat Pasteur auf theoretische Annahmen hin ein Impfverfahren ersonnen, welches die Empfänglichkeit für das unbekannte Wutgift selbst bei schon gebissenen Personen beseitigen soll und bei Tieren, auch in mehreren Fällen bei Menschen erprobt wurde. Er arbeitet mit dem getrockneten Rückenmark tollwutkranker Kaninchen [* 22] und benutzt dies zu präventiven Impfungen.
Dabei erreichte er, daß ein geschütztes Tier ohne Schaden mit solchem frischen Rückenmark geimpft werden konnte, welches bei ungeschützten Tieren in sieben Tagen Tollwut erzeugte. Thatsache ist, daß alle Personen, welche Pasteur geimpft hat, die Impfung [* 23] ohne Schaden ertrugen, und daß keine derselben, obwohl sie von verdächtigen Hunden gebissen worden waren, an Tollwut erkrankte. Ein Urteil über den wahren Wert dieser Impfungen läßt sich aber bis jetzt nicht fällen, denn erstens ist die Methode nicht frei von erheblichen Einwänden, ferner ist bei mehreren der geimpften Personen sehr zweifelhaft, ob der Hund, welcher sie biß, wirklich an Tollwut litt, endlich lehrt die Erfahrung, daß viele Menschen, welche von unzweifelhaft wutkranken Tieren gebissen wurden, niemals an Tollwut erkranken.
Vgl. Johnen, Die Wutkrankheit (Düren [* 24] 1874);
Zürn, Die Wutkrankheit der Hunde (Leipz. 1876);
Rueff, Die Hundswut (Stuttg. 1876);
Fleischer, Die Tollwutkrankheit (Elbing [* 25] 1887);
Reder, Die Hundswut (in der »Deutschen Chirurgie«, Stuttg. 1879);