Lyskamm
,
Gipfel in der Gruppe des Monte Rosa (s. d.), 4538 m ü. M.
Lyskamm
791 Wörter, 5'208 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Lyskamm,
Gipfel in der Gruppe des Monte Rosa (s. d.), 4538 m ü. M.
Im Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902
Lyskamm,
auch wohl Silberbast oder Menschenfresser genannt (Kt. Wallis, Bez. Visp). 4538 und 4478 m auf der Siegfriedkarte (4529 und 4477 m auf der italienischen Karte). Mächtiger eisgepanzerter Felsrücken, in dem vom Monte Rosa zum Matterhorn ziehenden Grenzkamm zwischen der Schweiz und Italien, der ausserdem noch die Zwillinge (Kastor und Pollux), das Breithorn, Kleine Matterhorn, Theodulhorn und den Furggengrat trägt. Zwischen dem Lysjoch (4277 m) im O. und dem Felikjoch (4068 m) im W. Fällt nach N. mit schroffer Wand zum Grenzgletscher ab; der vergletscherte S.-Hang steigt gegen das Lysthal oder Val Gressonay ab und erhebt sich über dem grossen Lysgletscher.
Noch 1840 war man über die Namen der einzelnen Gipfel dieses Gebietes nicht im klaren und nannte den jetzigen Lyskamm
Monte Rosa,
den Monte Rosa selbst aber Gornerhorn. Erst die neuere Topographie hat nachgewiesen, dass das Gornerhorn der Zermatter mit dem
Monte Rosa der Thalleute von Alagna und Gressonay identisch ist. 1835 hatte Engelhardt den Namen
Lyskamm
auf das jetzige Breithorn und noch 1840 Agassiz auf die jetzigen Zwillinge bezogen. Der Name Lyskamm
für diesen Rücken
war aber in Gressonay schon längst bekannt, ehe er sich auch auf der Schweizerseite einbürgerte.
Als nach der Triangulation des Wallis
(1831-37) durch den Domherrn Berchtold aus Sitten und nach den Forschungen
von Engelhardt die einzelnen Gipfel des Monte Rosa Gebietes benannt wurden, erhielt der Lyskamm
den Namen Silberbast, wahrscheinlich
nach der Aehnlichkeit mit einem Saumsattel oder «Bast», die die beiden
Kuppen mit der zwischen ihnen liegenden flachen Einsattelung dem Berg verleihen. Dieser Name hat sich
aber ebensowenig eingebürgert, wie die von Albert Schott 1842 vorgeschlagene Bezeichnung Joseph Vincent-Horn (zu Ehren des 1824 †
jüngeren Vincent, der 1820 als der erste die Zumsteinspitze betrat).
Jetzt ist der Name Lyskamm
für den Berg allgemein anerkannt. Der zweikuppige Lyskamm ist derjenige Bergstock
der Kette, der vom Gornergrat, Schwarzsee (Lac Noir) oder auch vom Gipfel des Monte Rosa aus zuerst den Blick fesselt. Es ist
begreiflich, dass der Lyskamm
mit seinem schön geschwungenen, überhängenden Eisgrat schon längst ein begehrtes Ziel für
kühne Bergsteiger gewesen ist. Schon 1860 machten F. F. Tuckett und T. S. Kennedy den Versuch, ihn von
der W.-Seite zu erklimmen, gelangten aber nur bis zum Felikjoch, wo sie wegen des gefährlichen Zustandes des Schnees umkehren
mussten. 1861 wiederholten Tuckett und Fox mit den Führern Bennen und Perren den Versuch von der O.-Seite aus, mit nicht besserem
Erfolg.
Ein zweiter Versuch im selben Jahr, von Leslie Stephen und Adams-Reilly unternommen, schlug ebenfalls fehl. Drei Wochen später aber gelang es dann einer zahlreichen Gesellschaft - J. F. Hardy, Prof. Ramsay, Dr. Sibson, T. Rennison, J. A. Hudson, W. E. Hall, C. H. Pilkington und R. Stephenson mit den Führern J. P. Cachat, Franz Lochmatter, Karl Herr, Stephan Taugwald und den beiden Trägern P. Perren und Jos. Perren - den Gipfel nach 10 stündiger Arbeit über den OSO.-Grat wirklich zu erreichen.
Ueber den WSW.-Grat wurde er zum erstenmal 1864 von Leslie Stephen und Ed. N. Buxton mit Jakob Anderegg und
Franz Biner über die NW.-Kuppe (4478 m) bezwungen. Die erste Winterbesteigung fand 1885 durch die beiden Brüder Sella mit
den Führern J. J. Maquignaz und Guglielmina von der italienischen Seite aus bei heftigem Schneesturm statt, wobei die vier
Männer 23 Stunden lang unterwegs waren. Der Lyskamm
gilt als ein gefährlicher Berg, als ein «Menschenfresser». 1869 stürzte
Arthur Chester beim Abstieg über den O.-Grat an ungefährlicher Stelle auf den Grenzgletscher ab; 1877 verunglückte eine
ganze Partie von fünf Personen - Lewis und Paterson mit ihren Führern, drei Brüdern Knubel aus St. Niklaus -, indem die
überhängende Gwächte des O.-Grates mit ihnen abbrach und sie auf den Lysgletscher hinunter schleuderte; 1896 fanden
auf ähnliche Weise Dr. Max Günther und die Führer Roman Imboden und P. J. Ruppen beim Anstieg über den O.-Grat den Tod. «Es
ist nicht sowohl die Zahl der Katastrophen, die dem Lyskamm
einen so bösen Beinamen verschafft hat, als
die Zahl der Opfer, welche sie kosteten. Die Gefährlichkeit des Lyskammes
beruht hauptsächlich auf den Gwächten des O.-Grates,
die beim Abbrechen ganze Karawanen in die Tiefe mitreissen. Nach der Häufigkeit der Unfälle ist der Lyskamm
nicht gefährlicher
als mancher andere Berg,
¶
der in weit besserem Rufe steht, nur deshalb, weil er seine Opfer einzeln erschlägt.» Der Lyskamm
wird heute meist über
den am N.-Fuss des Schneedomes liegenden Colle della Fronte (etwa 4100 m) erstiegen, wobei als Nachtquartier entweder die
italienischen Hütten Quintino Sella und Gnifetti oder die schweizerische Bétempshütte dienen. Von der
Sellahütte aus (empfehlenswerteste Anstiegsroute) 5½, von der Gnifettihütte aus 3½ Stunden. Fusspunkte der Besteigung
sind auf italienischer Seite Gressonay, auf Schweizerseite Zermatt. Vergl. Studer, Gottlieb. Ueber Eis und Schnee. 2. Aufl. von
A. Wäber und H. Dübi. Bd II. Bern
1898.