Lysĭas,
der dritte unter den zehn attischen Rednern, um 440
v. Chr. zu
Athen
[* 2] als der Sohn des
Kephalos geboren, eines
reichen Syrakusaners, der sich auf
Perikles'
Rat in
Athen niedergelassen hatte, ging, 15 Jahre alt, mit
seinen beiden
Brüdern nach
Thurii in
Italien,
[* 3] wo
er den
Unterricht des Rhetors Tisias von
Syrakus
[* 4] genoß. 412 nach
Athen zurückgekehrt,
betrieb er mit seinem ältesten
Bruder,
Polemarchos, eine bedeutende Schildfabrik im
Piräeus. Unter der Herrschaft der
Dreißig Tyrannen
(404) wurden die
Brüder als Gegner der
Regierung angeklagt, ihr
Vermögen konfisziert und
Polemarchos hingerichtet;
Lysias
rettete sich kaum durch die
Flucht nach
Megara.
Nach dem Sturz der Dreißig Tyrannen, zu dem er eifrig mitgewirkt hatte, lebte er wieder in Athen der lohnenden Beschäftigung, für andre Gerichtsreden zuschreiben, nachdem er durch die Anklage des Eratosthenes, des Mörders seines Bruders, seinen Ruf als Redner begründet hatte. Hochangesehen starb er im 83. Lebensjahr. Im Altertum schrieb man ihm 425 Reden zu, von welchen jedoch 233 für unecht galten. Erhalten sind, außer zahlreichen, zum Teil umfänglichen Bruchstücken, 31 Reden, darunter 5 sicher unechte und 4 sehr verdächtige.
Nur eine derselben hat er selbst gehalten, die erwähnte gegen Eratosthenes. Meist der gerichtlichen Gattung angehörig, zeichnen sie sich durch Reinheit und Schlichtheit der Sprache, [* 5] Sachgemäßheit der Ausdrucksweise, methodische Behandlung des Stoffes, bei aller Knappheit überaus lichtvolle und anschauliche Darstellung und eine außerordentliche Kunst der Charakterzeichnung aus. Herausgegeben außer in den Sammlungen der Redner von Westermann (Leipz. 1854), Scheibe das. 1855), Cobet (Amsterd. 1863), in Auswahl von Frohberger (Leipz. 1866-71, 3 Tle.), Rauchenstein und Fuhr (9. Aufl., Berl. 1886). Übersetzungen von Falck (Bresl. 1843), Baur (4. Aufl., Stuttg. 1884) u. a.
Vgl. Hölscher, De vita et scriptis Lysiae (Berl. 1837);
Blaß, Die attische Beredsamkeit, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1885).