Luther
,
Martin, der
Reformator
Deutschlands,
[* 2] aus dessen reichem
Herzen noch heute eine
Fülle des
Segens strömt,
weil er
»dem gemeinsamen
Grund aller deutschen Bekenntnisse, unsrer tapfern, frommen, ehrlichen Innerlichkeit, so gewaltigen
Ausdruck
gegeben hat«. Seine Vorfahren gehörten dem freien Bauernstand an. Die
Sitte der
Erbteilung trieb seinen
Vater
Hans Luther
(gest. 1530) von
Möhra bei
Eisenach
[* 3] in das Mansfeldische, wo er dem
Bergbau
[* 4] oblag. Am ward Luther
zu
Eisleben
[* 5] geboren und dem
Heiligen des
Tags zu
Ehren
Martin genannt. In
Mansfeld verlebte Luther
seine
Jugend, von
Vater und
Mutter
(Margarete
Ziegler, gest. 1531) fromm und streng, ja hart erzogen. 1497 wurde er nach
Magdeburg,
[* 6] 1499 nach
Eisenach zur
Schule geschickt, an beiden
Orten darauf angewiesen, sein
Brot
[* 7] durch Kurrendesingen zu erwerben, bis er im
Haus der trefflichen
Frau
Ursula
Cotta (gest. 1511) eine Unterkunft fand.
Seine Gaben entfalteten sich jetzt kräftig, und als er 1501 die Universität Erfurt [* 8] bezog, unterstützte ihn auch sein Vater, nach dessen Wünschen er Rechtsgelehrter werden sollte, »vom Segen seines löblichen Bergguts«. Nach damaliger Sitte begann ehe er sich der Brotwissenschaft zuwandte, mit Studien allgemeiner Art, eignete sich rasch die nötigen Bedingungen der Disputierkunst an, Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit, behielt jedoch auch für alle Zeit einen Hang zur Rechthaberei. Zugleich lernte er die lateinischen Klassiker kennen und trat in nahe Beziehungen zu den Vertretern des in Erfurt blühenden Humanismus, wie Crotus Rubianus und Johannes Lang. Er erwarb sich 1502 das Bakkalaureat, 1505 die Magisterwürde; aber zu einer ernsten Beschäftigung mit der Bibel, [* 9] die er damals zuerst auf der Universitätsbibliothek kennen lernte, kam es noch nicht.
Ein
»Schrecken vom
Himmel«,
[* 10] der ihn bei Gelegenheit eines
Gewitters überfiel, brachte einen keimenden Entschluß
zur
Reife. Er trat, nachdem er noch einmal seine
Freunde bei Saitenspiel und Becherklang um sich gehabt,
zu deren größter Überraschung in das Augustinerkloster zu
Erfurt, legte das
Gelübde ab und empfing die
Priesterweihe. Erst bei dieser Gelegenheit sah er seinen
Vater wieder. Nur allmählich und widerstrebend fand sich der alte
Luther
in den
Schritt, den sein Sohn gethan.
Dieser hatte einstweilen im Kloster Gelegenheit gehabt, recht »fromm« zu werden, wonach schon längst sein Sinn gestanden. Aber die ersehnte Ruhe stellte sich nicht bei ihm ein, geschweige denn das Bewußtsein eines hohen Verdienstes. Zwar warf er sich in der Angst vor dem Zorn Gottes mit leidenschaftlicher Hingebung in ein Leben voll Entsagung, Pein und Buße, und anfangs ist ihm auch kein niederer Dienst erspart geblieben, da man seine gleichzeitig mit dem entschlossensten Eifer aufgenommenen Studien zu beschränken suchte.
In der
Einsamkeit seiner
Zelle
[* 11] aber durchlebte Luther
Momente tiefer
Schwermut und Verzweiflung. Den
Faden,
[* 12] der
ihn endlich zum
Licht
[* 13] empor leitete, legte ihm ein alter Klosterbruder in die
Hand,
[* 14] der ihn einfach auf den
Artikel von der
Sündenvergebung verwies. Auch der Ordensprovinzial
Staupitz (s. d.) half dem erwachenden
Bewußtsein von der
Gnade nach. Dazu
kam, daß das
Studium der
Schrift allmählich über die scholastische
Theologie, die Luther
in ihrer nominalistischen
Gestalt erfaßt hatte, den
Sieg davontrug.
Sein ganzes späteres Sein und Wirken ruht auf diesem innern Prozeß, in dem sich sein Verhältnis zu Gott festgestellt hat, und was er so errungen, sollte er auch nicht lange für sich allein besitzen. Es war Staupitz, der ihn 1508 an die neue Universität nach Wittenberg [* 15] brachte. Hier las er zuerst über Aristoteles, ward dann 1509 biblischer Bakkalaureus und im Oktober 1512 Doktor der Theologie, nachdem er wahrscheinlich vom Herbst 1509 bis Ostern 1511 wieder in Erfurt gewirkt und im Spätjahr 1511 im Auftrag des Augustinerordens eine Reise nach Rom [* 16] gemacht hatte.
Entsetzen flößten ihm zwar hier die tiefe Korruption des Volkes und die Verweltlichung des Klerus ein. Aber nicht regte sich, wie in Hutten, in ihm der Gedanke, Rom zu bekämpfen. Er kam als treuer Sohn der Kirche nach Deutschland [* 17] zurück und bewahrte die Verehrung für die Kirche, den Glauben an ihre unbedingte Autorität noch lange, als er bereits sachlich in Widerspruch mit derselben getreten war. Fortgesetzte Studien in den Paulinischen Briefen, über welche er jetzt als Doktor der Theologie auch Vorlesungen hielt, außerdem aber auch in den Schriften Augustins und des Johannes Tauler hatten schon um 1515 seinem theologischen Bewußtsein jenes eigentümliche, ausschließlich auf die nur dem Glauben sich darbietende unverdiente Gnade Gottes in Christus konzentrierte Gepräge gegeben, welches ihm alle Prämissen zu ¶
mehr
seiner reformatorischen Wirksamkeit lieferte. Schon jetzt predigte er nicht bloß in der Klosterkirche, sondern auch in der städtischen Pfarrkirche in dieser Richtung, die er zugleich während der Abwesenheit seines Gönners Staupitz, der ihn zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, seinem Orden [* 19] mitzuteilen suchte, daher der letztere auch im Streit mit Tezel alsbald auf seine Seite trat.
Es war der von Tezel (s. d.) auf die Spitze getriebene Mißbrauch des Ablasses (s. d.), welcher auf das Kampffeld rief. Während
der Ablaßkrämer in unmittelbarer Nähe Wittenbergs, in Jüterbog,
[* 20] seine Bude aufgeschlagen hatte, feierte man die
Kirchweihe der Schloßkirche zu Wittenberg. Es war Sitte, solche Tage auch durch Publikationen zu verherrlichen,
die an der Kirchthür angeschlagen wurden. So that am Vorabend des Festes Luther.
Der einfache Inhalt seiner 95 Thesen läuft hinaus
auf die Unterscheidung des Begriffs der Buße im biblischen Sinn als eines innern, sittlichen Vorganges von dem kirchlichen
System der Leistungen und Garantien.
Der Erfolg der Thesen überraschte ihn selbst. »Dieselben liefen schier in 14 Tagen durch ganz Deutschland, denn alle Welt klagte
über den Ablaß.« Schon mit Beginn des Jahrs 1518 ruft der Zensor aller im römischen Gebiet erscheinenden Bücher, Silvester
Prierias, die unbedingte Autorität des Papstes gegen Luthers
Sätze ins Feld. Jetzt richtete sich auf die
bisher ungeahnte Eventualität ein, zum Ketzer gestempelt zu werden. Am 26. April verteidigte er in Heidelberg,
[* 21] wohin ihn ein Augustinerkonvent
geführt hatte, die Hauptsätze des Augustinismus. Im August erfolgte die Citation nach Rom.
Statt dessen kam es aber nur 13.-15. Okt. zu einem Gespräch mit dem päpstlichen Legaten Cajetan (s. d.)
in Augsburg,
[* 22] wobei Luther
den von ihm geforderten einfachen Widerruf verweigerte, dafür aber sich berief »vom übel berichteten
Papst auf den besser zu berichtenden«. Eine Appellation an ein Konzil folgte im November von Wittenberg aus nach. Gleichwohl vermochte
ihn im Januar 1519 der päpstliche Kammerherr Karl v. Miltitz in Altenburg
[* 23] zu einer Art von Waffenstillstand
zu bewegen.
Diesen hat zuerst der päpstliche Theolog Johannes Eck (s. d.) gebrochen, welcher schon seit einem Jahr in einer litterarischen
Fehde mit Karlstadt (s. d.) begriffen war. So wurde nun vom 27. Juni bis 16. Juli zu
Leipzig
[* 24] disputiert, zwischen Eck und Karlstadt über die Lehre
[* 25] vom freien Willen, zwischen Eck und Luther
über den Primat des Papstes,
und erst aus diesem scholastischen Streit ist der volle Gegensatz der kirchlichen Prinzipien erwachsen. Luther
nahm in Leipzig
die ihm von Eck aufgedrängte Solidarität mit der Sache von Johann Huß wenigstens teilweise an und behauptete,
daß selbst ein großes Konzil wie das Konstanzer irren könne.
Damit war der Bruch mit dem katholischen Kirchenwesen im Grundsatz erfolgt; kühn schritt nun Luther
fort zur Lehre vom Priestertum
aller Gläubigen, von der christlichen Freiheit, vom Rechte der christlichen Subjektivität. Eine ungemein fruchtbare
schriftstellerische Thätigkeit hatte er schon im Jahr zuvor begonnen und setzte sie unermüdlich fort. Unter den neuen Forderungen
erscheint jetzt auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt für die Laien. Daß die Kirche notwendig ein irdisches Haupt haben
müsse, ward in der Schrift »Von dem Papsttum zu Rom« 1520 geleugnet, während Luther
gleichzeitig auch mit
so entschiedenen Feinden Roms wie Hatten in Verbindung trat. Da erschien die päpstliche Bannbulle vom 16. Juni. Gleichzeitig hatte
aber auch Luther
die gesamte Tragweite der neuen Ideen,
die ihn erfüllten, entwickelt und alle Folgerungen aus dem neuen Prinzip
öffentlich vorgetragen in den schon im Sommer erschienenen großen reformatorischen Schriften: »An den
christlichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besserung« und »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche«.
Dazu kam jetzt noch der Traktat »Von der Freiheit eines Christenmenschen« als Gegengabe auf die Bannbulle, welche er 10. Dez. nebst
den päpstlichen Dekretalen einem vor dem Elsterthor zu Wittenberg angezündeten Feuer übergab. Von jenen
drei Hauptschriften (hrsg. von Lemme: »Luthers
drei große Reformationsschriften«, Gotha
[* 26] 1875) aber ruft die erste die Christenheit zum Kampf wider die Anmaßungen des Papstes
und des Standes, welcher allein für den geistlichen gehalten sein will; die zweite zerstört die geistlichen Bande, womit
jener Stand mit seinen Gnadenmitteln die Seelen knechtet; die dritte geht auf die letzten Grundfragen der
Religion ein und weist in dem unmittelbaren Verhältnis, in welchem der an Christus Gläubige zu Gott steht, den tiefsten Grund
der Ruhe und Seligkeit nach.
Eine Schrift: »Wider die Bulle des Endchrists«, schließt die schriftstellerische Wirksamkeit für dieses Entscheidungsjahr ab, und eine ausführliche Widerlegung der Bulle leitet die Ereignisse von 1521 ein: die Vorladung vor Kaiser und Reich, die Abreise von Wittenberg 2. April, Ankunft in Worms [* 27] 16. April, sein zweimaliges Erscheinen vor dem Reichstag, 17. und 18. April, endigend mit mutiger Ablehnung des geforderten Widerrufs. »Gott helf' mir!« rief er noch im Reichstag; »ich bin hindurch!«, als er wieder in der Herberge ankam. Am 26. April verließ er Worms; 4. Mai wurde er auf Veranstalten seines bisherigen Beschützers, des Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen, [* 28] von verkappten Reitern überfallen und auf die Wartburg geführt, wo er, für die Welt nicht mehr existierend, als »Junker Georg« bis lebte.
Die Reichsacht war über ihn ausgesprochen worden. Er aber überraschte von seinem unbekannten »Patmos« aus die
Welt mit neuen Flugschriften, belehrte über das Wesen der Beichte, eiferte gegen Privatmessen, geistliche und
Klostergelübde, schrieb seine »Deutsche
[* 29] Postille« und begann im Dezember 1521 die deutsche Bibelübersetzung. Einstweilen war in
Wittenberg Karlstadt als praktischer Reformator aufgetreten; wie er gegen das Cölibat, so eiferten reformfreundliche Ordensgenossen
Luthers
, nachdem sie das Augustinerkloster verlassen hatten, Gabriel Didymus an der Spitze, gegen das Meßopfer. Der Dezember
brachte mit andern Neuerungen auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, ganz zuletzt aber auch die Zwickauer
Propheten; Karlstadt wurde zuerst mit fortgerissen, Melanchthon, seit August 1518 Luthers Kollege, schwankte; dem Kurfürsten wuchsen
die Dinge über den Kopf. Im Februar 1522 kam es zum Bildersturm.
Da brach Luther, jeglichem Radikalismus feind, eigenmächtig von der Wartburg auf, traf 7. März in Wittenberg ein und beschwor den Sturm, acht Tage lang predigend, von der Kanzel aus. Seitdem war er unbedingt Herr der Lage, die Fanatiker räumten das Feld. Neuerdings wurde die Sache der Reformation durch die Erhebung Sickingens und der Reichsritterschaft gefährdet, die, obwohl sie in ihrer eignen Sache das Schwert zogen, sich doch den Schein gaben, als wollten sie »dem Evangelio eine Öffnung machen«. Luther hatte sich aber dem ihm sonst befreundeten Sickingen, der 1523 den Tod fand, nicht angeschlossen. Er entwickelte jetzt jene mit der innern Freiheit ¶
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beginnende, nach außen nur allmählich, aber sicher fortschreitende reformatorische Thätigkeit, welche im Lauf der 20er Jahre zuerst Gottesdienst, Kirchenlied und Sakramentsfeier, bald auch Schule und Kirchenverfassung umfaßte und so bezeichnend ist für seine Weise im Gegensatz zu der Reformation in der Schweiz. [* 31] Hierher gehören seine Schriften: »Von Ordnung des Gottesdienstes in der Gemeinde« (1523);
»Formula missae« (1523);
»Greuel der Stillmesse« (1524);
der »Aufruf an die Bürgermeister und Ratsherren der Städte in deutschen Landen« (1524) und das erste »Deutsche Gesangbuch« (1524).
Die wertvollste Gabe an das Volk aber war und blieb die deutsche Bibel: das Neue Testament war schon 1522, das Alte 1534 vollendet. Sein Streit mit den Papisten, der ihm 1522 auch zu einer groben Schrift gegen Heinrich VIII. von England Veranlassung gegeben, trug ihm schließlich die Feindschaft des Erasmus (s. d.) ein, gegen dessen Schrift »De libero arbitrio« (1524) Luther im Sinn strengster Prädestination sein Werk »De servo arbitrio« im Dezember 1525 verfaßte. Dasselbe Jahr 1525 brachte mit dem Bauernkrieg auch gänzlichen Bruch mit Karlstadt, der Partei Münzers und der Wiedertäufer. Im Januar erschien die Schrift »Wider die himmlischen Propheten«, konservativ in Sachen der Bilderfrage und des Abendmahldogmas, hinsichtlich dessen schon damals der Gegensatz zwischen ihm einerseits, Karlstadt und den Schweizern anderseits zu Tage trat. Dem Bauernaufstand hat er im Thüringischen die eigne Person, aber auch zwei Schriften entgegengestellt: »Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel« und, als dies nichts half, »Wider die räuberischen und mörderischen Bauern«. Nachdem er schon 1523 die Mönchskutte abgelegt, trat er in die Ehe mit der ehemaligen Nonne Katharina v. Bora (s. d.).
In den nächsten Jahren gestaltete sich nun unter Luthers unmittelbarem Einfluß in fester und dauerhafter Weise die Organisation der neuen Kirche in Sachsen: zunächst der Kultus durch seine »Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes« (1526);
dann war er vom Oktober 1528 bis Januar 1530 persönlich bei dem Werk der Kirchenvisitation thätig, durch welche die neue Kirche erst recht in die Erscheinung trat;
zwischen hinein erschienen im Januar 1529 der »Große« und einige Monate später der »Kleine Katechismus«, ein Werk, welches im Verein mit Luthers Liedern (»Ein' feste Burg« etc.) die Grundlage der protestantischen Volkserziehung für Jahrhunderte geworden ist.
Dasselbe Jahr brachte auch den definitiven Bruch mit den Schweizern. Nicht bloß die bekannte Differenz bezüglich des Abendmahls, dessen Bedeutung und Wert sich Luther nur mit Hilfe von aus der katholischen Scholastik überkommenen Vorstellungsformen gegenständlich machen konnte, trieb dazu; Luther betrachtete auch voller Mißtrauen den umfassenden Plan, welchen Zwingli und der Landgraf von Hessen [* 32] zur Vernichtung des Papsttums und des katholischen Kaisertums vermittelst einer gemeinsamen Aktion aller reformatorischen Kräfte entworfen hatten.
Gleichzeitig verwarf er die Idee des bewaffneten Widerstandes und vollzog auf dem Religionsgespräch zu Marburg [* 33] (1.-4. Okt.) mit eigner Hand den verhängnisvollen Riß zwischen der sächsischen und der süddeutsch-schweizerischen Reformation. »Es sind keine Leute auf dem Erdreich, mit denen ich lieber wollte Eins sein, denn mit den Wittenbergern«, sagte Zwingli. »Ihr habt einen andern Geist als wir«, entgegnete Luther, indem er dem reformatorischen Rivalen nur diejenige Liebe zu gewähren sich herbeiließ, die man auch den Feinden schuldig sei.
Vgl. hierüber Erichsons Abhandlungen in der »Zeitschrift für Kirchengeschichte« (Bd. 4 u. 5).
So kam es, daß schon auf dem Augsburger Reichstag 1530 die sächsischen und die oberdeutschen Stände mit getrenntem Bekenntnis auftraten. Luther selbst durfte als Geächteter dort nicht erscheinen, sondern brachte die Zeit auf der Feste Koburg [* 34] zu, wo er nicht bloß eine wunderbare schriftstellerische Thätigkeit entfaltete, sondern auch selbst durch Rat und Trost aller Art in den mühseligen Gang [* 35] der Verhandlungen zu Augsburg eingriff. Aber die leitende Rolle teilte er in den endlosen theologischen, kirchlichen und politischen Verhandlungen der noch folgenden 15 Jahre seines Lebens nicht bloß mit den Fürsten und Staatsmännern, welche sich der neuen Kirche zugewandt hatten, sondern auch mit Theologen, wie Melanchthon (s. d.). Wenn letzterer sich den Reformierten gegenüber durch thunlichste Ermäßigung der Zumutungen, die Luther an sie stellte, wirkliche Verdienste erwarb, so war es doch wieder Luther, der manche üble Folgen dieser Nachgiebigkeit, wo Melanchthon sie auch den römischen Versuchen gegenüber bewies, abwehrte und den Fortbestand der evangelischen Freiheit wahrte. In diesem Geist schrieb Luther 1537 die Schmalkaldischen Artikel, lehnte 1541 die Vermittelungsvorschläge von Regensburg [* 36] und 1545 die Teilnahme am Tridentiner Konzil ab. Schweren Verdruß verursachte ihm die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen, die er aber selbst in einem geheimen Beichtrat als das geringere Übel im Vergleich zur Hurerei gestattet hatte (1539). In diesem Handel zeigt sich Luther von seiner schwächsten Seite.
Nicht genug, daß er auf der Eisenacher Konferenz (1540) dem Landgrafen, der sich weigert, um die Doppelehe geheim zu halten, »stark zu lugen«, raten ließ: »ein geringe lugen zu thun, wer besser dan sovil mortgeschrei auf sich zu laden«, denn »ein notlugen, ein nutzlugen, hilflugen zu thun, wer nicht widder Gott«, sondern er erklärte sich auch in einem Brief an den Landgrafen bereit, sich selbst der Notlüge in dieser Angelegenheit bedienen zu wollen, indem er sich auf das Beispiel Christi, der da gesagt habe: der Sohn weiß von dem Tage nichts, und auf seine Stellung als Beichtvater berief, die ihm verbiete, das, was ihm gebeichtet, bekannt zu machen.
Abgesehen von kleinen Reisen, die ihn namentlich öfters an den Hof [* 37] des Kurfürsten nach Torgau [* 38] brachten, 1539 auch nach Leipzig, wo Herzog Heinrich die Reformation einführte, verblieb er jetzt meist in Wittenberg, beraten und aufgesucht von Tausenden. Dazu lebte er in unermüdlicher Sorge um seine Gemeinde, war ein eifriger und beliebter Prediger, offener und warmer Freund, mit der Welt meist auf gutem Fuße stehend und übersprudelnd von Scherz und heiterer Laune.
Furcht war ihm gänzlich unbekannt. Er konnte nicht bloß ruhig das Martyrium an sich herantreten sehen, es war sogar eine gewisse Sehnsucht danach in ihm vorhanden. Der Kampf war ihm willkommen, und zwar stand er nicht bloß Menschen gegenüber, sondern überwand auch die Angst und Pein der Hölle, die geschäftig arbeitete, seine Vernunft zu verdüstern. Wenn es so im eignen Herzen unsicher wurde, so kamen über ihn unsäglich bittere Stunden, wie er denn oft und viel über harte Anfechtung klagt. Dazu traten leibliche Übel, fortgesetzt ihn quälende Beschwerden, Kongestionen, Dysenterie, Steinschmerzen. Gleichwohl blieb seine Arbeitskraft ungeschmälert. Er pflegte seine Predigten, Traktate, Bekenntnisse in Einem Guß zu ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Luther,
Karl Theodor Robert, Astronom, geb. in Schweidnitz, [* 39] studierte in Breslau [* 40] und Berlin, [* 41] arbeitete dann unter Encke an der Berliner [* 42] Sternwarte, [* 43] bis er 1851 Direktor der Benzenbergschen Sternwarte in Düsseldorf [* 44] wurde;
1885 erhielt er den Titel Professor.
Von den Berliner akademischen Sternkarten bearbeitete Luther die Stunde 0 h;
besonders bekannt geworden ist er durch die Entdeckung kleiner Planeten, [* 45] deren er 24 zuerst auffand;
auch um die Berechnnng und Wiederauffindung dieser Weltkörper hat er sich verdient gemacht.