Lungenentz
ündung
(Pneumonia), die Entzündung des Lungengewebes, bei welcher die Lungenbläschen eines kleinern oder größern Lungenabschnitts mit fester, fibrinöser, aus dem Blute stammender Substanz erfüllt und die erkrankten Lungenpartien luftleer, leberartig (hepatisiert) und vollkommen funktionsunfähig werden, ist eine der häufigsten und schwersten akuten Erkrankungen und tritt in zwei wesentlich voneinander verschiedenen Hauptformen auf.
Sie befällt den
Menschen entweder primär, inmitten der vollsten Gesundheit, als sog.
kruppöse, genuine oder primäre Lungenentz
ündung, oder sekundär im Anschluß an vorausgegangene Katarrhe oder im
Verlauf anderer
Krankheiten
(Masern,
Scharlach,
Typhus u. a.) als sog. katarrhalische oder sekundäre Lungenentz
ündung; die
erstere Form betrifft mit Vorliebe erwachsene und kräftige
Personen und ist gewöhnlich über einen oder mehrere ganze Lungenlappen
verbreitet (lobäre Lungenentz
ündung), wogegen die sekundäre Lungenentzündung
vorzugsweise bei
Kindern,
Greisen sowie bei schwächlichen und kachektischen
Individuen vorkommt und sich zumeist auf kleinere Lungenabschnitte, aus einzelne Läppchen beschränkt (lobuläre Lungenentz
ündung). Als
weitere
Abarten der Lungenentz
ündung unterscheidet man noch die chronische interstitielle Pneumonie, welche sich mitunter
an chronische Luftröhrenkatarrhe, Rippenfellentzündungen, Staubinhalationen und
Lungenschwindsucht anschließt
und durch
Vermehrung des die Lungenläppchen trennenden oder die
Bronchien umgebenden
Bindegewebes
¶
mehr
chronische Verdickungen und Verhärtungen des Lungengewebes verursacht; die käsige Pneumonie, welche durch Nekrose der hepatisierten
Lungenteile und dadurch bedingte weitere Veränderungen (Erweichung, Kavernenbildung) zur Lungenschwindsucht (s. d.) führt;
ferner die Schluckpneumonie, welche bei Kindern, bei Geisteskranken und bei Individuen, welche am Zungen-, Kehlkopf- oder Speiseröhrenkrebs
leiden, durch Verschlucken von Speiseresten oder sonstigen zersetzungsfähigen Substanzen in die Luftröhre
und Bronchien zu stande kommt und häufig in Lungenbrand (s. d.) übergeht; und die Senkungspneumonie oder hypostatische Pneumonie,
welche sich bei Schwerkranken, die viele Wochen in Rückenlage im Bett
[* 3] zubringen müssen, in den tiefstgelegenen Partien der
Lunge
[* 4] durch Senkung des Blutes nach unten entwickelt. Je größer die Ausbreitung einer Lungenentz
ündung ist, um
so schwerer und gefahrdrohender ist gewöhnlich auch ihr Verlauf; wer einmal von einer Lungenentz
ündung ergriffen
wurde, behält oft längere Zeit hindurch eine große Neigung zu erneuten Entzündungen des Lungengewebes.
Die Ursachen der Lungenentzündung
sind teils örtliche, wie Stoß, Schlag und andere Verletzungen der Brust, fremde Körper,
welche in die Luftwege gelangen, reizende oder staubige Einatmungen, gewaltsame Anstrengungen der Atmungsorgane u. dgl., teils
allgemeine, wie heftige Erkältungen und gewisse epidemische nicht näher bekannte Einflüsse, durch welche die Krankheit
bisweilen in größerer epidemischer Verbreitung auftritt. Bei entkräfteten Kranken und Verletzten, die lange auf dem Rücken
liegen müssen, bildet die infolge der Herzschwäche eintretende Blutstockung (Hypostase) in den Lungen eine häufige Ursache
der Brustentzündung.
Ferner ergeben neuere Forschungen, daß die sog. primäre oder kruppöse Lungenentzündung
zu
den infektiösen Krankheiten gehört, indem sich immer im Blute und im Auswurf der Kranken ganz specifisch geformte Bakterien,
die sog. Pneumokokken, vorfinden. Man hat bei der Lungenentzündung
mehrere
Bakterienformen gefunden. Die wichtigste ist der sog. Diplococcus pneumoniae, welcher von Fränkel und Weichselbaum beschrieben
wurde; derselbe repräsentiert rundliche Bakterien, die meist zu zwei, doch auch gelegentlich in Ketten zusammenliegen und
eine Kapsel besitzen («Kapselkokken»). In den Kulturen verliert der Kokkus seine Virulenz sehr rasch,
so daß man ihn, um ihn virulent zu erhalten, in kurzen Perioden immer wieder auf ein Tier verimpfen und von diesem dann neue
Kulturen anlegen muß. Durch Einbringung abgeschwächter Kulturen in das Blut und namentlich in die Lunge kann man bei Tieren
echte kruppöse Lungenentzündung
hervorrufen, wenn auch das Experiment nicht immer beweiskräftig
ausfällt. Bei der menschlichen Lungenentzündung
fehlt er nie.
Die Symptome der Lungenentzündung
können sich je nach dem Sitz, der Ausdehnung
[* 5] und Intensität des Krankheitsprozesses sowie nach den individuellen
Verhältnissen verschieden gestalten. Die primäre oder kruppöse Lungenentzündung
beginnt in der Regel plötzlich
mit einem intensiven Schüttelfrost, hohem, oft von Delirien begleitetem Fieber (39-41° C.) und erhöhter
Pulsfrequenz, großer Mattigkeit, Fieberkopfschmerz und Schlaflosigkeit, wozu sich sehr bald Atemnot und Beklemmung, Seitenstechen,
kurzer trockner Husten und zäher, durch beigemischtes Blut rostfarbiger Auswurf gesellen.
Allmählich wird der Husten feuchter und lockerer, die Schmerzhaftigkeit geringer und nach fünf oder
sieben oder neun Tagen tritt
bei normalem Verlauf meist in Form einer Krisis, d. h. unter plötzlichem Nachlaß
des Fiebers und der subjektiven Beschwerden, die Genesung ein. Abweichend sind Verlauf und Symptome der sekundären oder katarrhalischen
Lungenentzündung
, die niemals so plötzlich beginnt, sondern sich immer an vorausgehende Katarrhe oder andere Krankheiten
anschließt, meist mit schleimig-eiterigem Auswurf verbunden ist und nicht mit plötzlicher Krisis, sondern nur allmählich
in Genesung übergeht.
Die angeführten Symptome genügen übrigens nicht, um die Diagnose einer Lungenentzündung
zu begründen, sondern hierzu ist stets
genaue physik. Untersuchung der Brust (vermittelst Perkussion und Auskultation)
[* 6] nötig. Beim. Beklopfen hört man über
den entzündeten Lungenteilen einen gedämpften oder leeren Schall,
[* 7] welcher sich von dem lauten und vollen Schall des gesunden
Lungengewebes deutlich unterscheiden läßt, während man beim Behorchen an Stelle des normalen weichen Atmungsgeräusches
(Vesikuläratmen) ein scharfes, rauhes Geräusch, das sog. Bronchialatmen (s. d.) sowie feines Knisterrasseln vernimmt.
Hinsichtlich des anatomischen Vorgangs pflegt man bei der primären Lungenentzündung
drei Stadien
zu unterscheiden, das Stadium der Anschoppung, in welchem die Haargefäße des erkrankten Lungenabschnitts beträchtlich erweitert
und mit stockendem Blute übermäßig erfüllt sind, das Stadium der roten Hepatisation, in welchem die entzündete Lungenpartie
gleichmäßig dunkelbraunrot, leberartig derb (hepatisiert) und vollkommen luftleer ist und die Lungenbläschen
von einer festen fibrinösen Masse erfüllt sind, und endlich das Stadium der grauen oder gelben Hepatisation, in welchem der
kranke Lungenteil eine graue oder gelbliche Farbe besitzt und die geronnene Ausschwitzungsmasse allmählich wieder resorbiert
und so die Heilung eingeleitet wird.
Der Ausgang der Lungenentzündung ist sehr verschieden: entweder erfolgt, wie in den meisten Fällen, vollständige Lösung und Aufsaugung der ausgeschwitzten Massen und damit völlige Genesung, oder es kommt nur zu unvollständiger Zerteilung, das Exsudat dickt ein, erfährt eine käsige Umwandlung und verursacht chronisch entzündliche Reizungen, welche weiterhin einen häufigen Ausgangspunkt der Lungenschwindsucht (s. d.) bilden; in seltenen Fällen endlich entstehen mehr oder minder große umschriebene, mit flüssigem Eiter gefüllte Höhlen im Lungengewebe, sog. Lungenabscesse (s. d.) oder brandiges Absterben einzelner Lungenpartien, wobei jauchige Massen ausgehustet werden. (S. Lungenbrand.) Bisweilen erfolgt auch Lungeninduration oder Lungenschrumpfung (s. d.).
Bezüglich der Behandlung ist zu betonen, daß der Kranke während der Dauer der Lungenentzündung in strengster Ruhe im Bett liege, beständig eine reine, gleichmäßig warme und mäßig feuchte Luft atme, wenig spreche und eine schmale entzündungswidrige Diät erhalte; der Stuhlgang ist täglich durch ableitende und erweichende Klystiere zu regulieren. Übermäßig hohes Fieber muß durch kalte Kompressen, kühle Bäder oder antipyretiscbe Heilmittel (Chinin, Antipyrin, salicylsaures Natron) bekämpft werden. Gegen die vorhandenen Atmungsbeschwerden und Brustschmerzen erweisen sich meist Senfteige, warme Umschläge oder Schröpfköpfe auf die Brust sowie die narkotischen Mittel nützlich. Bei stockendem Auswurf sind kleine Gaben von Brechweinstein oder Ipecacuanha, bei drohender Herzschwäche kräftige ¶
mehr
Reizmittel (starker Thee, Cognac, Wein) anzuwenden; bei eintretendem Lungenödem ist schleunigst ein Aderlaß vorzunehmen. Wahrend der Rekonvalescenz ist für eine ernährende, aber milde Diät (Milch, Eier, [* 9] Fleischbrühe) sowie für eine vorsichtige Stärkung der Atmungswerkzeuge Sorge zu tragen. Als Nachkur wirkt oft der längere Aufenthalt in einem Höhenkurort günstig.