Titel
Lungenentz
ündung
(Pneumonia), im weitesten anatomischen Sinn 1) eine Entzündung, Eiterbildung oder Verdickung im Bindegewebe der Lungen, oder 2) eine entzündliche Ausschwitzung in die lufthaltigen Lungenbläschen. Die erste Form (interstitielle Pneumonie) kommt als akute Krankheit beim Menschen äußerst selten vor, wenn schwere eiterige Entzündungen von außen oder von der Umgebung der großen Bronchien her auf das Lungengewebe fortgeleitet werden; zuweilen werden durch eiterige Schmelzung ganze Stücke vom Lungenparenchym aus ihrem Zusammenhang gelöst (Pneumonia dissecans).
Bei
Rindern kommt diese Lungenentz
ündung öfters epidemisch vor, s.
Lungenseuche.
Chronische Verdickungen des Lungengewebes sind dagegen beim
Menschen häufig, namentlich als Überbleibsel alter
Brustfellentzündungen, lange dauernder
Bronchialkatarrhe, Staubinhalationen,
bei
Fällen von
Lungenschwindsucht und zuweilen bei
Syphilis.
Alle diese
Prozesse bedingen eine
Vermehrung des unter der
Pleura
gelegenen (subpleuralen) oder die Lungenläppchen trennenden (intertobulären) oder die
Bronchien umgebenden
(peribronchialen)
Bindegewebes und somit eine
Verhärtung, welche wegen der fast immer vorhandenen Beimischung von eingeatmetem
Kohlenstaub als schieferige
Induration bezeichnet wird. Besondere Krankheitserscheinungen bedingt diese Form der Lungenentz
ündung nicht,
sie ist auch keiner Behandlung zugänglich, vielmehr als ein Heilungsvorgang namentlich im Verlauf langdauernder
Schwindsucht anzusehen.
Die zweite Form (exsudative Pneumonie) umfaßt eine Anzahl anatomisch wie klinisch unterschiedener Prozesse, bei welchen in die Lungenbläschen nach einem Stadium der Blutstockung in den Gefäßen (Anschoppung, Engouement) ein flüssiges, mehr oder weniger fest werdendes Exsudat ausgeschwitzt wird, welches die Luft verdrängt und den erkrankten Abschnitt so derb macht, daß er sich wie Leber anfühlt (Hepatisation). Lungengewebe, welches hepatisiert ist, gibt beim Klopfen an den Brustkorb einen gedämpften Schall [* 2] (Schenkelton), welcher sich von dem lauten tympanitischen Schall des lufthaltigen ¶
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Gewebes unterscheiden läßt und dem Arzt anzeigt, wie groß der erkrankte Abschnitt der Lunge [* 4] ist, und welche Stellen betroffen sind. Beim Horchen vermißt man an dem hepatisierten Teil das normale Knistern (Vesikuläratmen) und hört statt dessen ein scharfes, rauhes Geräusch (Bronchialatmen). Die ausgeschwitzte Masse besteht bei manchen Formen der aus Blut und Faserstoff (fibrinöse oder fibrinos-hämorrhagische Hepatisation), bei andern überwiegend aus Zellen (zellige, katarrhalische, desquamative Hepatisation). So sehr sich ihrem Wesen nach diese Ausschwitzungen ähnlich sind, so lassen sich doch mannigfache eigenartige Prozesse unterscheiden:
1) Die echte Lungenentz
ündung (gemeine, kruppöse, fibrinöse Pneumonie). Sie ist eine häufige, schwere,
akute, fieberhafte Krankheit, welche meist kräftige, vorher gesunde Personen befällt, dagegen Kinder und
Greise verschont. Ein Fieberfrost mit Hitze leitet diese ein; Auswurf ist wenig oder gar nicht vorhanden, er ist anfangs speichelartig,
wird aber bald sehr zäh, so daß er dem Teller anklebt, durch beigemischtes Blut wird er rot (rubiginöse
Sputa) oder bräunlich.
Die Kranken klagen, außer über Durst und Hitze, über stechende Schmerzen bei tiefem Einatmen, welche von einer nahezu regelmäßig vorhandenen Brustfellentzündung herrühren. Je weiter die Hepatisation fortschreitet, was oft über einen ganzen Lungenflügel und noch über einen Teil des andern geschehen kann, um so mehr tritt Kurzatmigkeit bis zu schwerer Atemnot ein. Wird die Luft aus einem allzu großen Abschnitt der Lungen verdrängt, so kann der Tod auf der Höhe der Hepatisation am 5. Tag oder später erfolgen.
In der Regel ist aber der Ausgang der Lungenentz
ündung bei kräftigen jungen Personen in Heilung. Das hohe, oft von Delirien
begleitete Fieber 39-41° fällt am 5. oder 7. Tag plötzlich zur Norm ab, der Kranke geht nach dieser Krisis der Genesung entgegen.
Die letztere kommt dadurch zu stande, daß die in die Lungenbläschen ergossene Fibrinmasse erweicht und ausgehustet wird
(katarrhalischer, eiteriger Auswurf), was etwa 2-3 Wochen in Anspruch nimmt. Höchst selten nimmt diese
eigentliche Lungenentz
ündung ihren Ausgang in Lungenbrand, dagegen kann sich das Stadium der Lösung (Resolution) bei schwächlichen Personen
über Monate hinziehen und noch lange Zeit Kuren in geeigneten Klimaten notwendig machen.
Ein direkter Übergang dieser Lungenentz
ündung in Schwindsucht kommt nicht vor, es sei denn, daß schon vor Beginn der
Lungenentzündung
Tuberkulose vorhanden war. Die Ursachen der kruppösen Lungenentzündung
werden gewöhnlich auf schroffe Temperaturwechsel, kalte Ostwinde
etc. bezogen, doch kommt diese auch bei warmer Jahreszeit vor. In dem entzündeten Gewebe
[* 5] finden sich Bakterien von der Form
der Diplokokken, welche einen mit Anilinblau färbbaren Hof
[* 6] besitzen. Die nähern Umstände, unter welchen
diese Kokken eine Lungenentzündung
bedingen, sind noch unbekannt, es ist nach neuesten Untersuchungen wahrscheinlich,
daß dieselbe Art im Speichel normaler Menschen vorhanden ist.
Ansteckend ist die Lungenentzündung
nicht, Angaben dieser Art bedürfen noch der Bestätigung. Die Behandlung
wurde früher mit reichlichen Blutentziehungen eingeleitet, welche jedoch nur bei sehr vollblütigen
Personen von Nutzen sind. Man beschränkt sich jetzt darauf, das Fieber zu mäßigen, Schädlichkeiten, namentlich kalte, unreine
Luft, fern zu halten, den Auswurf zu befördern und durch Wein und kräftige Nahrung nach dem Fieber den Verlust an Eiweiß zu
ersetzen. Als Nachkur sind Höhenkurorte oft von gutem Erfolg.
Alle weitern Prozesse sind sekundäre Fälle
von Lungenentzündung
, d. h. solche, bei welchen sich zu einem Hauptleiden
eine Lungenentzündung
hinzugesellt. Hierher gehören 2) die Kinderpneumonie, welche sich an Masern, Scharlach und andre akute Krankheiten
anschließt und unter hohem Fieber, ähnlich der kruppösen Lungenentzündung
, verlaufen kann. Das Lungenexsudat ist großenteils zellig,
also weniger fest als das fibrinöse, die Lösung geht daher meistens leichter vor sich, jedoch können
sich hier sehr leicht chronische, in Schwindsucht übergehende Nachschübe anschließen.
Eine besondere Art der Kinderpneumonie ist 3) die ebenfalls meist rein katarrhalische Bronchopneumonie. Hierbei geht immer
ein Katarrh der Bronchien oder Krupp voraus, welcher von den feinsten Bronchien auf das Lungengewebe selbst
übergreift. Nahe diesem Prozeß steht 4) die Schluckpneumonie, eine Lungenentzündung
, welche bei Kindern und Erwachsenen durch Verschlucken
von Speise oder sonstigen zersetzungsfähigen oder reizenden Substanzen in Luftröhre und Bronchien zu stande kommt.
Namentlich Geisteskranke, welche gefüttert werden müssen, Personen, welche am Krebs
[* 7] der Zunge oder Speiseröhre
leiden, sind der Gefahr dieser Lungenentzündung
ausgesetzt. Auch sie beginnt als Entzündung der Bronchien, welche auf die Lungenbläschen
übergreift und eine fibrinöse oder katarrhalische Hepatisation setzt. Da die hepatisierten Stellen hierbei immer dem Verbreitungsbezirk
der vorher erkrankten Bronchien entsprechen, so nehmen diese Bronchopneumonien immer einzelne scharf umschriebene
Lungenläppchen ein, sie sind lobulär. Sofern die verschluckten Massen sich zersetzen, geht aus dieser Lungenentzündung
leicht Lungenbrand
(s. d.) hervor.
5) Als Senkungspneumonie (hypostatische Pneumonie) bezeichnet man solche Lungenentzündungen
, welche sich bei Personen, die
viele Wochen in Rückenlage im Bett
[* 8] zugebracht haben, in den tiefst gelegenen Teilen der Lunge durch Senkung
des Bluts nach unten ausbilden. Diese meist katarrhalische Lungenentzündung kommt nur bei zunehmender Herzschwäche,
bei alten Leuten, marantischen Kranken, nach schwerem Typhus etc. vor und endet, wenn nicht die Herzthätigkeit sich hebt,
mit dem Tod.
Eine besondere Form endlich ist 6) die käsige Pneumonie, welche durch die Wucherung von Tuberkelbacillen hervorgebracht wird. Sie beginnt mit einer meist rein zelligen oder zellig-fibrinösen Ausschwitzung in die Lungenbläschen. Diese katarrhalische Hepatisation geht durch Eintrocknung der Zellen und Nekrose des hepatisierten Abschnitts in käsige Hepatisation über, welche dann durch weitere Schmelzung zur Bildung von Höhlen, d. h. Schwindsucht, führt. Da sich die käsige Pneumonie nicht selten nach Scharlach, Typhus, Wundfieber bei geschwächten Rekonvaleszenten einstellt, so herrscht vielfach die Unklarheit, daß jede Form der Lungenentzündung zur Schwindsucht führen könnte, während es sich dabei niemals um einen direkten Übergang, sondern um eine Komplikation mit dieser spezifischen bacillären Lungenentzündung handelt.